15.03.2002

Wir brauchen eine gemeinsame dritte Partei

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Wir brauchen eine gemeinsame dritte Partei

HEFTIGE Angriffe und große Hoffnungen begleiten die Arbeit der Israelisch-Palästinensischen Friedenskoalition. Mit dem folgenden gemeinsamen Aufruf wenden sich der Israeli Jossi Beilin und der Palästinenser Jassir Abed Rabbo an die internationale Öffentlichkeit. Die beiden Politiker, die sich schon bei den Verhandlungen zu den Osloer Abkommen gegenübersaßen, wollen eine Art „dritte Partei von innen“ etablieren, die bei den von ihr geforderten neuen Friedensverhandlungen für den Nahen Osten mit den beiden gegnerischen Parteien am Verhandlungstisch sitzt. Einen entscheidenden neuen Impuls sehen sie in dem gemeinsam erarbeiteten Konzept zur wechelseitigen Stärkung beider Seiten.

Von JASSIR ABED RABBO und JOSSI BEILIN *

Der israelisch-palästinensische Konflikt, der noch vor zwölf oder achtzehn Monaten einer Lösung so nahe schien, entfernt sich in den letzten zwei Monaten immer weiter von der Möglichkeit einer friedlichen Beilegung. Beide Seiten sind erneut in einem Kreislauf gegenseitigen Blutvergießens gefangen. Die Hoffnungen der letzten Jahre sind Frustration, Enttäuschung und Pessimismus gewichen. Viele Menschen auf beiden Seiten, die zum Friedenslager gehören, fühlen stumme Wut und warten auf eine Zeit, die es eher erlauben wird – oder auch nur erlauben könnte –, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Die Israelis fragen sich, warum die palästinensische Intifada ausgerechnet zu dem Zeitpunkt ausbrach, als wir einem Abkommen schon so nahe zu sein schienen. Die Palästinenser fragen sich, warum Israel auf den palästinensischen Aufstand mit derart unverhältnismäßigem militärischem Druck reagierte und Flugzeuge und Panzer gegen eine Bevölkerung einsetzte, die der Kontrolle der israelischen Sicherheitsorgane schon weitgehend unterlag.

Beide Seiten finden überzeugende Argumente, um die Eskalation zu rechtfertigen; beide Seiten erklären ihre Haltung gegenüber dem eigenen Volk und der Außenwelt etwa auf folgende Weise: „Wir können diesen Vorfall nicht ohne Antwort hinnehmen …“ Und so heizen sie die Situation weiter an, indem sie Mittel einsetzen, zu denen bis anhin noch nie gegriffen wurde. Das Ergebnis ist die tödliche Umarmung von zwei Ringern, die, außerstande, sich aus dem gegenseitigen Würgegriff zu lösen, einander weiter Schaden zufügen, ohne dass damit etwas für sie selbst oder die eigene Handlungsfreiheit gewonnen wäre. Wir glauben, dass beide Seiten, wenn man ihnen nach, sagen wir, zwei Jahren einen Film vorführen würde, der ihr Verhalten aufgezeichnet hat, schlicht nicht würden glauben wollen, dass sie jemals nach einem solch idiotischen Drehbuch agiert haben. Diese tödliche Umarmung muss ein Ende haben, und zwar sofort.

Die Möglichkeit, über informelle Kanäle erneut ins Gespräch zu kommen, rückt in immer weitere Ferne. Israelische Bürger dürfen die Gebiete der palästinensischen Autonomiebehörde nur mit Sondererlaubnis betreten, die aber von unserer Armeeführung verweigert wird. Die Palästinenser werden daran gehindert, Israel zu betreten, und ihren gewählten Vertretern hat man das persönliche Recht auf Bewegungsfreiheit genommen. Zusammenkünfte zwischen Israelis und Palästinensern können nur noch an den Checkpoints stattfinden oder aber im Ausland, und selbst die Möglichkeit von Auslandsreisen wird den Palästinensern insofern immer weiter erschwert, als sie die erforderliche Zustimmung der Israelis nicht mehr bekommen.

Auf beiden Seiten gibt es eine Gruppe von Menschen, die diese zunehmende Verschlechterung der Situation, die auf eine Tragödie zusteuert, nicht länger hinnehmen wollen. Jetzt, da alle anderen Kommunikationskanäle blockiert sind, halten wir es für ein Gebot der Stunde, einen informellen Kommunikationskanal zu eröffnen. Dieser Kanal wird den Fortgang der Kommunikation selbst in dieser ungeheuer schwierigen Zeit gewährleisten und uns die Möglichkeit verschaffen, auf alle anfallenden Themen zu reagieren. Er wird das gegenseitige Vertrauen wiederherstellen und beiden Seiten demonstrieren, dass es auf der anderen Seite einen Partner gibt und dass ein gemeinsamer Nenner vorhanden ist, auf dessen Grundlage die Unterzeichnung eines Friedensabkommens möglich sein wird.

Kurz nach der Wahl von Ariel Scharon zum israelischen Ministerpräsidenten hat sich in Israel eine Friedenskoalition gebildet, die ein Gegengewicht zur Regierung der Nationalen Einheit darstellen soll. Die Basis dieser Koalition bildeten vor allem drei politische Gruppen: die Meretz-Bewegung, Knesset-Mitglieder der Arbeitspartei, die gegen den Beitritt ihrer Partei zur Regierung der Nationalen Einheit opponiert hatten, und eine Fraktion von Neueinwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion. Dieser Koalition schlossen sich viele bekannte Persönlichkeiten und nichtparlamentarische Friedensgruppen an. Im Juli 2001 fand ein Treffen zwischen Vertretern dieser Friedenskoalition und einer ähnlichen Gruppe auf palästinensischer Seite statt, der wiederum Minister aus dem palästinensischen Kabinett, Mitglieder des Palästinensischen Legislativrates und unabhängige Intellektuelle angehörten. Nach dem ersten Treffen wurde eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der beide Seiten ihr Verständnis für die Notlage der jeweils anderen Seite ausdrückten und betonten, dass ein Ende der Gewalt und eine Rückkehr zu Verhandlungen dringend notwendig sei. Dabei bezogen sie sich auf die Grundzüge des Abkommens über einen endgültigen Status von Gaza und Westjordanland sowie auf das Gipfeltreffen von Camp David, den Clinton-Plan und die Gespräche in Taba.

Die führenden Delegationsmitglieder beider Seiten waren die Verhandler von gestern. Es waren also dieselben Leute, die sich schon einmal gegenübergesessen und den – bis heute erfolglosen – Versuch unternommen hatten, ein dauerhaftes Abkommen zu unterzeichnen. Es waren die Leute, die glauben, dass es besser und tatsächlich auch möglich ist, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, statt sich gegenseitig die Schuld an der Verschärfung der Situation zuzuschieben, und eine Vereinbarung zu erreichen – eine Vereinbarung, die die verbleibenden Differenzen überbrücken und die Unterstützung der palästinensischen und der israelischen Bevölkerung gewinnen kann, da beide Seiten den fortwährenden gegenseitigen Zermürbungskrieg satt haben.

Die führenden Persönlichkeiten beider Seiten haben in den letzten Monaten in der internationalen Presse gemeinsam verfasste Artikel veröffentlicht; gemeinsame Delegationen haben unsere Positionen in verschiedenen Ländern rund um die Welt führenden Politikern, Mitgliedern der Legislativen und den Medien auseinander gesetzt; wir haben Aufrufe publiziert, die eine Rückkehr zum Verhandlungstisch forderten.

Unsere gemeinsamen Anstrengungen gipfelten im Januar dieses Jahres in einem von Präsident Thabo Mbeki geleiteten Treffen in Südafrika. In einer Zeit, in der es so schwer ist, auf israelischem Territorium oder auf palästinensischem Territorium zusammenzukommen, hatten beide Seite damit die Gelegenheit, einen offenen und auf Fortsetzung angelegten Dialog zu führen, von den südafrikanischen Erfahrungen mit Versöhnung zu lernen und Absprachen über konkrete künftige Aktivitäten zu erreichen. Der Präsident Südafrikas und zehn Mitglieder seiner Regierung haben sich volle drei Tage für unser Treffen Zeit genommen, um uns die Ereignisse in Südafrika zu erklären, und sie haben sich um eine Antwort auf die Frage bemüht, wie die in ihrem Lande gelernten Lektionen auf den Konflikt im Nahen Osten angewandt werden könnten. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass wir in Südafrika zu dem Schluss gelangten, beide Seiten müssten – im eigenen Interesse – die jeweils andere Seite so weit wie möglich stärken – auch wenn die instinktive Reaktion zunächst natürlich auf genau das Gegenteil zielt.

Am 14. Januar, kurz nach unserer Rückkehr aus Südafrika, beschlossen wir – um ein Beispiel zu geben –, für unsere Aktivitäten einen gemeinsamen Organisationsrahmen zu schaffen: die Israelisch-Palästinensische Friedenskoalition. Seitdem sind unsere Bemühungen darauf gerichtet, die Verbindungen zwischen beiden Seiten zu stärken, gemeinsame Verlautbarungen an die Medien herauszugeben und gemeinsame Begegnungen mit jenen Staatsmännern und Politikern zu suchen, die unsere Region besuchen und die sich bislang auf getrennte Begegnungen mit der israelischen oder der palästinensischen Seite beschränken mussten. Diese spontane Kooperation wird sich (zum ersten Mal seit Aufhebung des Gesetzes, das Israelis das Zusammentreffen mit Repräsentanten der PLO verboten hat) zu einer ständigen Koordination fortentwickeln und einen Rahmen schaffen, innerhalb dessen beide Seiten tätig werden: Als etablierte Organisation wird man Initiativen ergreifen und dabei den politischen Führungen beider Seiten Vorschläge zum weiteren Vorgehen übermitteln. Grundlage dieses neuen organisatorischen Modus Operandi soll die gemeinsame Perspektive beider Seiten sein.

Die wichtigste Botschaft, die von unserem ersten Treffen ausging, war der Aufruf an eine dritte Partei, sich in den Konflikt einzuschalten und Israelis und Palästinensern zu helfen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir denken bei unserem Appell an die USA und an Europa – und nicht nur an diese. Wir denken an offizielle Beobachter, an Vermittler und an Moderatoren, die das Eis brechen helfen. Auch wenn es ganz den Anschein hat, als ob diese Handlungsmöglichkeiten immer weiter schwinden. Deshalb hielten wir es für unbedingt notwendig – ohne unseren Ruf nach Hilfe von außen zurückzunehmen –, selbst diese dritte Partei zu gründen. Tatsächlich soll die Israelisch-Palästinensische Friedenskoalition eine Art dritte Partei darstellen, die einem „Do it yourself“-Verständnis entspringt.

Es mag so weit kommen, dass die Welt sich zurücklehnt und sagt: „Sollen sie sich doch gegenseitig ausbluten.“ Aber wir selbst werden dies niemals sagen. Wir rufen die Führer beider Seiten auf, diese tödliche Umarmung zu beenden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, das Element der Gewalt aus dem gemeinsamen Prozess zu eliminieren, alle Vorbedingungen für weitere Verhandlungen zurückzunehmen und sich auf die existierenden Abkommen zu besinnen. Das gilt für den Waffenstillstand selbst (das Tenet-Dokument), für den Plan zur Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens (den Mitchell-Report) und für das Abkommen über einen endgültigen Status (den Clinton-Plan und die Gespräche, die diesem Plan vorausgingen und die aus ihm hervorgingen).

Es ist durchaus keine leichte Aufgabe, die Israelisch-Palästinensische Friedenskoalition zusammenzuhalten. Es stimmt zwar, dass wir auf beiden Seiten beträchtliche Unterstützung genießen, aber die Kritik ist vehement. Wer zu einer Zeit, da die Gewaltanwendung weitergeht und unschuldige Menschen auf beiden Seiten getötet werden, zu Begegnungen und zu einem Dialog bereit ist, wird immer der Kritik ausgesetzt sein, dass er der anderen Seite in die Hände spielt. Genau aus diesem Grunde bedarf es einer Legitimation auf internationaler Ebene, weitestmöglicher Anerkennung sowie der Unterstützung aller Menschen, die an den Frieden in der Welt glauben.

dt. Niels Kadritzke

* Jossi Beilin hatte mehrfach Ministerämter inne. Von 1992 bis 1995 war er stellvertretender Außenminister. Jassir Abed Rabbo ist palästinensischer Minister für Information und Kultur.

Le Monde diplomatique vom 15.03.2002, von ASSIR ABED RABBO und JOSSI BEILIN