15.03.2002

Warum ich nicht Ivana Trump wurde und wo ich versagt habe

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Warum ich nicht Ivana Trump wurde und wo ich versagt habe

Wozu dienen neugeborene Staaten?

WOZU dienen neue Staaten, die, wie das ihre immer poetisch gestimmten Machthaber gern sagen, „in Blut geboren“ werden, wozu dienen diese „Babys“, die mit ihrem aufdringlichen Gebrüll den Lärm der Welt zu überschreien versuchen?

Ich besitze den Pass eines solchen. Er heißt Kroatien. Der Besitz des Passes verleiht mir nicht die Kompetenz, über Staatsfragen zu urteilen. Dennoch wage ich etwas zu sagen, und meine Kompetenz, wie ich erst kürzlich entdeckte, ergibt sich aus der Statistik.

Neulich fragte mich ein Chinese:

„Wie viele seid ihr denn, ihr Kroaten?“

„So etwa viereinhalb Millionen“, sagte ich.

„Ist das nicht wunderbar? Dann kennt also jeder jeden!“

Kleine Staaten sind übersichtlicher als große.

Neugeborene Kleinstaaten wie Kroatien können für ihre Bewohner eine einzigartige Gelegenheit zum kostenlosen Unterricht in Natur und Gesellschaft, Geschichte, Anthropologie, Soziologie, Verhaltenspsychologie sein. In einem Menschenalter gibt es so eine Gelegenheit nur einmal. Oft gar nicht. Die Bewohner stabiler Staaten haben diese Gelegenheit nicht. Übrigens sind neugeborene Staaten aufregender als stabile, denn sie können (wie neugeborene Babys) das Leben ihrer Bürger von Grund auf verändern. Mir ist das nämlich passiert. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ich über Staatsfragen so selbstbewusst urteile.

Neugeborene Staaten dienen nicht nur dazu, Geld, sondern auch schmutzige Wäsche zu waschen. Die schnellste und effektivste Methode, vom Kriminellen zum Helden, vom dummen Habenichts zum Nabob zu werden, besteht darin, für die Geburt eines Kleinstaats zu kämpfen. Neugeborene Staaten sind gut für undurchsichtige finanzielle Transaktionen, für schnelle Bereicherung, für die Aneignung fremder Immobilien. Neugeborene Kleinstaaten sind das transparenteste Modell menschlicher Dynamik, so lebhaft, schamlos und unzweideutig, dass jedem Voyeur der Atem stockt, so als sähe man zu, wie Karpfen in einem Aquarium aus Vergrößerungsglas laichen. Langweilige Karpfen bleiben langweilige Karpfen. In den Laichgründen neugeborener Staaten ist die Spezies Mensch alles andere als langweilig. Ihre Mutation zu neuen und seltsamen Formen ist so aufregend, dass der Voyeur verstummt.

Bei der Geburt eines neuen Staates findet ein erstaunlicher Umschlag menschlicher Substanz statt: die einen drängen nach draußen, die anderen drängen herein. Der Wechsel der Positionen findet im Zeitraffertempo statt. Es gibt keine wirksamere Methode, sich vom Emigranten mit zwanzigjähriger Dienstzeit in einer kanadischen Pizzeria zum Verteidigungsminister und Besitzer eines Hotels an der Adria zu wandeln, als bei der Geburt des neuen Staates heimzukehren und den Hebammen zur Hand zu gehen. Für eine primitive Dorflehrerin existiert kein besseres Timing, Ministerin für Kultur und Volksbildung zu werden, als ebendiese Geburt. Ein analphabetischer Installateur kann ganz schnell zum Staatssiegelbewahrer werden, wenn er dem kleinen Staat herzlich zur Geburt gratuliert. Um einen Botschafterposten (in Indien, Australien, Amerika, je nach Wunsch) zu bekommen, braucht man nur rechtzeitig ein Gedicht zum Ruhm des Neugeborenen zu schreiben. Nebenbei gesagt hat der neue kroatische Kleinstaat mehr als hundert frisch gebackene Botschafter und Konsularbeamte in aller Welt, die Hälfte davon sind Schriftsteller, Poeten, meine ehemaligen Kollegen. Wollen Sie Staatsbildhauer, -maler, -regisseur, -dichter werden, brauchen Sie nur dem „Baby“ das Fläschchen zu geben und ihm rechtzeitig den Hintern abzuwischen.

Kurz, die Geburtsstunde eines Staates ist ungewöhnlich attraktiv: sie dynamisiert menschliche Beziehungen, galvanisiert die Bürger bis zum Schwindelgefühl, sie macht das Unmögliche möglich und umgekehrt. Es gibt keine schnellere und wirksamere Methode, alles zu verlieren und mit einem Koffer im Ausland zu landen, als öffentlich festzustellen, dass man sich prinzipiell vor Geburten (zumal blutigen) ekelt. Das ist mir passiert. Zum Glück hatte ich einen Koffer.

Wer ist Ivana Trump?

Ivana Trump wurde 1949 (sieh an, mein Jahrgang!) in der Tschechoslowakei geboren und wuchs in dem Städtchen Gottwaldov auf. Ihr Vater war Möbelhändler und ehemaliger Landesmeister im Schwimmen. Als kleines Mädchen verbrachte Ivana mit ihren Eltern oft den Sommer an der Adria. Da gefiel es ihr wie allen Tschechen, aber sie trug auch erste Traumata davon. In diesen urtouristischen Zeiten konnten die Ortsansässigen sehr unfreundlich zu den devisenschwachen „Knödeln“, aber sehr liebenswürdig zu den devisenstarken „Schwaben“ sein. Ivana hörte (vielleicht wegen dieses Traumas) mit dem Schwimmtraining auf, verlegte sich aufs Skilaufen und vertrat ihr Land in dieser Disziplin. Da sie hübsch war, posierte sie als Covergirl des tschechischen Magazins Móda. 1973 emigrierte sie nach Kanada zu ihrem Freund, dem Skiläufer George Syrovatka, der ein Sportartikelgeschäft betrieb. Ivana wurde Model. Nach nur drei Jahren beendete sie die Karriere als Model und Gattin eines kleinen Sportartikelhändlers zugunsten der Karriere als Gattin von Donald Trump. Wer nicht weiß, wer Donald Trump ist, sollte einen Trip nach New York machen und den goldenen Trump Tower in der Fifth Avenue unweit des Plaza-Hotels besichtigen. Während ihrer zehnjährigen Ehekarriere wurde Ivana Trump Chefin des Plaza. Nach der Scheidung im Jahr 1990 wurde sie Besitzerin des Hotels und einer hohen Abfindung, sie wurde erfolgreiche Geschäftsfrau, Schriftstellerin und aktives Mitglied des internationalen Jet-Sets. I’am not an actress. I can't dance or sing. I am not a superstar. I am a personality. Maybe I’m selling me, erklärte sie einmal.

Was habe ich mitIvana Trump zu tun?

Nichts.

a) Einmal war ich im Plaza. Jemand hatte mich zum Tee mit englischem Gebäck eingeladen.

b) Einmal las ich in der New York Times Book Review eine umfangreiche Rezension über einen Roman von Ivana Trump. Das hätte ich mir nicht gemerkt, wäre nicht in derselben Nummer Joseph Brodsky, damals schon Nobelpreisträger, für sein Buch Watermark verrissen worden. Der Kritiker beschimpfte Brodsky und lobte Ivana wegen ihrer analytischen Intelligenz, besonders in den Fragmenten über den tschechischen Kommunismus vor der russischen Okkupation. Den Roman von Ivana Trump habe ich nicht gelesen, aber die Verfilmung gesehen. Da gefiel mir am meisten die Szene von Ivanas spektakulärer Flucht über die tschechische Grenze. Dank ihrer Kondition überflog sie die Grenze auf Skiern. Und so gelangte sie bis nach Kanada.

c) Einmal begegnete ich in New York einer tschechischen Schriftstellerin. Sie erzählte mir, dass sie bei Ivana Trump gewesen war und sie um finanzielle Unterstützung für die verarmten tschechischen Bibliotheken gebeten hatte. Vergeblich.

d) Einmal geriet ich in London zufällig auf eine Party, auf die ich nicht gehörte. Dort war auch Ivana Trump. Der Gastgeber stellte mich ihr so höflich vor, als wäre sie Thomas Mann persönlich. Ich gab ihr die Hand und sagte: „Sehr angenehm.“ Sie sagte nichts. Ihr Anblick rührte mich irgendwie. Mit dem stark gebleichten Haar, der dicken Schminke und den blutrot angemalten Lippen erinnerte sie mich an die Heldinnen der wunderbaren tschechischen Filme aus den siebziger Jahren.

Was hat Ivana Trump mit mir und was hat der Staat mit alldem zu tun?

In einem Büchlein von André Gide las ich die Feststellung, dass siegreiche Heerführer einen starken Körpergeruch haben. Sie hat sich in mein Gedächtnis eingegraben.

Vielleicht ist die Lektüre an allem schuld. Ich bin aus dem neugeborenen Kleinstaat vor den Kriegsgewinnlern geflohen, den wahren Siegern des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, vor den Typen mit geöltem Haar, goldenen Halsketten und Rolex-Uhren, vor ihren neuen Spielsachen (Waffen, Fabriken, Jachten, Hotels), vor den Analphabeten, die fröhlich die für Gebildete vorgesehenen Plätze einnahmen (Fakultäten, Schulen, Verlage, Zeitungen), vor den Siegern, die jeden Zentimeter des neuen Ländchens mit der fetten Herzlichkeit ihres Geldes und dem Operettengetöse ihres Patriotismus erobert hatten. Ich konnte den Geruch nicht ertragen.

Ivana Trump hingegen kam nach Kroatien, an jenes Meer, an das sie sich aus der Kindheit erinnerte. Den lokalen Typen mit dem Ölhaar soll sie Spielzeug abgekauft haben: Hotels, Spielbanken, Warenhäuser. Den Eingeborenen, besonders den weiblichen, versprach sie Hilfe. „Die Kroatinnen sind vielseitig begabt; sie können kochen und nähen und Bilder malen“, erklärte sie. Auch für sich, die Schriftstellerin Ivana Trump, kaufte sie eine Kleinigkeit: die Tageszeitung Slobodna Dalmacija. Sie werde sich nicht in die Redaktionspolitik einmischen, sagte sie, sondern beanspruche nur eine Kolumne.

Was wollte der Autoreigentlich sagen?

Ob Ivana Trump die Zeitung wirklich gekauft hat, wie die kroatischen Medien behaupten, weiß ich nicht, es ist auch unwichtig. Aber wenn mich meine Studenten fragen, wie man Schriftsteller wird, antworte ich wissend:

„Treibt eifrig Sport. Alles andere könnte in die Irre führen.“

Und wirklich, nachdem er als Schriftsteller zu Weltruhm gelangt war, konnte Joseph Brodsky nicht plötzlich ein guter Skiläufer werden, während die Skiläuferin Ivana Trump mit Leichtigkeit Schriftstellerin werden konnte, mehr noch, eine treffliche Analytikerin der politischen Zustände in ihrer einstigen kommunistischen Heimat, wie uns der Rezensent der New York Times Book Review suggeriert. Nachdem ich selbst Schriftstellerin geworden bin, habe ich kaum Chancen, Fußballerin zu werden, aber dafür kann jeder Fußballer einfach so „mein Terrain“, die Literatur, erobern. So erklärte der bekannte Fußballspieler Davor Cuker nach der Weltmeisterschaft 1998, bei der die kroatische Auswahl den dritten Platz belegte: „Ich will die Schriftsteller nicht beleidigen, aber wir haben wahrscheinlich das schönste Märchen in der Geschichte der kroatischen Literatur geschrieben.“

DUBRAVKA UGRESIC*

dt. Barbara Antkowiak

Fußnote: * Dubravka Ugresić, geboren 1949 in Zagreb, verließ ihre Heimat 1993 aus politischen Gründen und lebt heute in Amsterdam. 1988 wurde ihr Buch „Fording the Stream of Consciousness“ als bester jugoslawischer Roman ausgezeichnet, 1998 erhielt sie den Preis der SWF-Bestenliste und 2000 den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste. Auf Deutsch sind erschienen: „Der goldene Finger“, Roman, 1993; „Die Kultur der Lüge“, 1995; „My American Fictionary“, 1994; „Das Museum der bedingungslosen Kapitulation“, 1998; alle: Frankfurt (Suhrkamp). Ihrem neuesten Buch, „Lesen verboten“, ist oben stehender Text entnommen. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags.

Le Monde diplomatique vom 15.03.2002, von DUBRAVKA UGRESIÆ