12.04.2002

Blues im Casino der Neuen Ökonomie

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Blues im Casino der Neuen Ökonomie

Eine Idee wird geboren

„Beim heiligen Aktionär!“, rief Couture, „erzähle uns deine Geschichte!“ Honoré de Balzac

Welche Interessen und Zufälle haben die ersten Gründer zusammengeführt?

Mein Freund B. hatte vorher schon eine Softwarefirma gegründet – klein, aber erfolgreich. Und er kannte C., einen abgebrochenen Jurastudenten. Der hatte mal hier, mal da gejobbt. Dann traf er ihn irgendwo zufällig wieder, in der S-Bahn. Und beide gingen gerade schwanger mit solchen Gründungsideen. Nun, und da haben sich eben die zwei gesagt: „Ach, lass uns doch mal gucken, lass uns mal was zusammen machen.“ So hat sich das irgendwie zusammengefunden.

Als ich dazugestoßen bin, trafen wir uns im November 1999 in einer ganz kleinen Wohnung in der Lindenstraße. Ich erinnere mich, die war ganz verraucht. Wir waren so um die sechs, ich kann ein paar Leute einfach aufzählen. Da war C., der hat Jura studiert und abgebrochen, so ungefähr 23 Jahre alt. Dann gab es Herrn P., der ist der Sohn von einem ganz Großen aus der Immobilienbranche. Dieser „Immobilienprinz“, so um die 35, hatte seinen Cousin mitgebracht, der war so alt wie ich, also knapp 30. Dann war da B., der Freund, der mit mir zusammen studiert hat und über den ich selbst erst reingekommen bin. Die haben beschlossen, mich ins Gründerteam reinzunehmen, weil sie halt einen Techniker brauchten. Also meine Qualifikation war handfester und (lacht) offensichtlich wichtig für ein Internetunternehmen. Ein Rechtsanwalt, der auch noch dabeisaß, kam nicht ins Gründerteam. Bei der Gründung waren es dann sieben Leute, die ihre Anteile gezeichnet haben.

Hatten Sie eine zündende Idee für das gemeinsame Geschäftsmodell?

Die Idee wurde eigentlich dadurch geboren: Wir haben gesehen, dass es eine ganze Reihe von neuen Internetfirmen gibt, die es innerhalb von kürzester Zeit geschafft hatten, an die Börse zu gehen und dort sehr viel Geld einzunehmen. Das war im Grunde die Idee, die dahinter steckte: der Börsengang in zwei oder drei Jahren – und auf dem Weg dorthin schon möglichst viel zu verdienen.

Aber was war die inhaltliche Vorstellung? Das wirklich Neue?

Die Ausgangsidee? „was.com“ sollte ein Special Internet werden. Wir wollten im Grunde genommen die große Vielfalt an Informationen im Internet, wo man in der Informationsflut ja ertrinkt, für den Benutzern vereinfachen und ihn dadurch an uns binden. Unsere Businesspläne hatten mehrere Einnahmequellen vorgesehen. Da sind einmal die Anzeigen – dieser Markt ist dann im Laufe des letzten Jahres total zusammengebrochen. Ein zweiter Aspekt war E-Commerce. Davon hatten wir wilde Vorstellungen, die man zwar mal formuliert, aber nie genauer verfolgt, geschweige denn überprüft hat.

Der grundlegende Gedanke war: Wenn wir es schaffen, dass die Leute über uns das Internet benutzen, dann sollte es auch möglich sein, von den Anbietern der Produkte auf unseren Seiten eine Umsatzprovision zu kassieren. Zudem wollten wir versuchen, für kleine Läden oder neue Leute, die noch nicht im Internet verkaufen, einen leichteren Weg anzubieten, da auch hineinzukommen. Es waren also diese zwei Säulen: Provision und Reklame. Ich gestehe aber ehrlich, dass der eigentliche Nutzwert der ganzen Sache dann in den Hintergrund getreten ist gegenüber der Idee, dass man mit irgendwelchen relativ einfachen Sachen an die Börse gehen kann.

Gründergeist

Sie waren anfangs ein kleiner Gründerkreis. Wie oft traf man sich? Wie eng war die Zusammenarbeit?

Die Gründer und die ersten engen Mitarbeiter haben sich seit dem Spätherbst 1999 jeden Tag – auch samstags und sonntags – getroffen und daran gearbeitet. Zu Anfang stand die Suche nach Investoren im Mittelpunkt und natürlich ganz praktisch die Suche nach einem Büro.

Die ersten drei Monate gab‘s kein Gehalt, da hatten wir überhaupt kein Geld. Und die ersten Computer und so was, die habe ich auch aus eigener Tasche bezahlt. Die ersten paar tausend Mark – das waren eben Betriebsmittel. Und dann ging‘s für mich relativ bald los: die IT-Infrastruktur aufbauen, ein Rechnernetz installieren, E-Mail einrichten und das alles. Ich habe mich reingekniet, damit alles funktioniert. Die anderen haben sich stärker um die Investoren gekümmert, die Leute aufgetan und zu überzeugen versucht.

Wir haben alle gleich intensiv dran gearbeitet, so dass keiner irgendwie hinterherhinkte. Und das war auch sehr gemeinschaftlich. Ich weiß noch, beim Kabellegen, als wir ein neues Büro hatten, da haben mir alle geholfen. Der Rechtsanwalt hat zum Beispiel gelernt, wie man die Kabel mit Spezialsteckern zusammensteckt, „Crimpen“ nennt man das. So haben wir alle angepackt. Umgekehrt hab ich auch die Businesspläne gelesen und mit gerechnet. Unterschiedliche persönliche Antriebe gab es schon, wir kamen ja aus verschiedenen beruflichen Ecken. Aber im Grunde genommen war der Grad der Begeisterung bei allen gleich. Also eine ganz große Euphorie.

Euphorie ist das eine, Geld das andere. Wer von dem Gründerteam hat, nach dem Schumpeterschen Ideal des „Gründers“, auch materiell fast alles gewagt?

Nun, viel haben wir eigentlich nicht riskiert. Irgendwie hat jeder ungefähr 10 000 D-Mark eingebracht. Im Grunde war es etwas seltsam, dass keiner von den Leuten, die im Gründerteam dabei waren, über diesen ursprünglichen Einsatz hinaus etwas investiert hat. Gerade dieser Immobilienprinz, wo man eigentlich denkt, der kann es sich leisten. Aber der sagte den anderen: Das ist alles familiär gebunden, und das kann ich nicht aufs Spiel setzen.

Wie kam nun das Gründerteam an die ersten Investoren? Gibt es Adressen, Netzwerke, die man kennen muss?

Nun, da gab es in der Stadt zum Beispiel diesen Silicon City Club. Ein Marktplatz der neuen Einfälle, wo man sich zusammenfindet, wo ganz viele Leute rumlaufen, die irgendwas machen wollen. Das ist unheimlich faszinierend. Da kann man auf den First Tuesday gehen, der einmal monatlich stattfindet. Da kriegt jeder so einen Aufkleber. Rot heißt Investor, grün ist das Zeichen: man hat ‘ne Geschäftsidee. Da kann man dann Leute suchen. Damals – ich hatte überhaupt keine Ahnung, als ich da hinging – wurde mir aber von den anderen erzählt: „Das ist eher ungünstig, denn die wollen immer gleich sehr hohe Anteile an der Firma haben und hauen einen übers Ohr.“

Wir versuchten es anders, nämlich zuerst mit Business Angels zu arbeiten. Das sind Leute, die aus irgendwelchen Gründen Geld übrig haben und das gerne in junge Unternehmer investieren. Die wollen ihren Einsatz beim späteren Börsengang des Start-ups mit Gewinn wieder reinholen. Sie haben viel Erfahrung und zumindest Beziehungen. Ein paar der Investoren waren auch Verwandte oder Geschäftsverbindungen von unserem Immobilienprinzen. Über dieses Netzwerk kam zum Beispiel auch Herr Dr. S., ehemals Vorstandsmitglied eines großen Unternehmens. Dann hat B. viele Leute mitgebracht, die er irgendwoher kannte. Zum Beispiel einen Orthopädieprofessor, der früher sein Büro neben seiner Firma hatte … solche Geschichten eben.

Es war damals in der Goldgräberstimmung tatsächlich so, dass reiche Leute nach solchen Anlagen gesucht haben. Wenn man also jemanden ansprach, der irgendwie Geld hatte, dann sagte der: „Oh, junge Unternehmer – und Internet!“ Die waren schon bereit, etwas zu investieren, und hofften dann auf den Börsengang.

In der ersten Phase hatten wir als Investoren nur ungefähr zehn Business Angels. Das sind Leute, die beliebig viel Geld haben. Für die ist das ‘n Spiel: „Ach, probieren wir das mal … ist mal was anderes … erfrischend so was, und ein junges Team!“ Die wollen auch helfen, ein bisschen Erfahrung weitergeben. Ich dachte, solche Leute könnten uns intensiver beraten. Aber unsere haben das kaum gemacht.

Von Anfang an war es so, dass niemand den Businessplan sehr kritisch hinterfragt hat. Man hat das nur zur Kenntnis genommen. Ein ganz eindrucksvolles Beispiel ist dieser Orthopädieprofessor, ein Luxemburger, den B. mitgebracht hatte. Der hat die Businesspläne gar nicht lesen wollen. Sagte nur: „Dir vertrau ich, dir vertrau ich. Wenn du das sagst, dir vertrau ich!“ Zumeist kamen die Investoren nur einmal vorbei und haben sich das Büro angeschaut, haben sich gefreut, haben gelächelt. Aber das war oft nur ein Besuch von einer Stunde oder so, mehr eigentlich nicht. Unser Vorstandsvorsitzender, der Immobilienprinz, hat irgendwann mal gesagt: „Wenn es dir andere Leute zutrauen, etwas zu leisten, dann kannst du‘s auch machen!“

Wie viel Geld haben die Business Angels in Ihr Geschäftsmodell investiert?

Die erste Tranche war – so ganz grob – 3 Millionen Mark, über zehn Investoren verteilt. Aber ganz ohne Banken. Das Irre ist nun, dass wir für diese ungefähr 3 Millionen Mark nur 10 Prozent unserer Firma weggegeben haben. Das war das Faszinierende, dass wir behauptet haben: „Diese Idee, die wir haben, die ist soo toll, dass die Firma 30 Millionen Mark wert ist.“ Und wir konnten das sogar „belegen“ anhand von anderen Firmen, die irgendwie ähnliche Ideen hatten. Die waren schon verkauft, und da war dann beweisbar: für so und so viel Millionen. Da haben wir gesagt: „Bums, dann sind wir auch so viel wert!“

Der einzelne Investor denkt also, mit jeweils 300 000 Mark ist er bei einem tollen Projekt dabei. Das muss man sich mal vorstellen: Das waren zehn Investoren, und jeder einzelne hatte nur 1 Prozent Anteil. Das war für uns günstiger, als wenn uns eine Bank Geld gibt und den privaten Grundbesitz als Sicherheit verlangt. Das hat also geklappt.

Expansionswut

Wie hat sich der Personalstand im Unternehmen von Ende 1999 bis zum Sommer 2000 entwickelt?

Vom Personal her sind wir sehr, sehr schnell gewachsen. Wir haben ständig neue Leute eingestellt. Ich hatte große Probleme in meinem IT-Bereich. Da war es damals schon wahnsinnig schwer, einigermaßen qualifizierte Leute zu bekommen. Wir haben zum Teil Studenten von der Hochschule genommen. Dann war da der Content-Bereich. Unser Konzept war ja, dass wir sagten: Special Internet ist persönlich auf die User zugeschnitten. Deshalb haben wir Experten als Guides angeworben, ungefähr 300 Stück. Zum Beispiel Medizinprofessoren, und das gleich mehrere. Das konnte auch ein Soziologe sein oder ein Literaturwisssenschaftler oder ein Historiker. Wir hatten aber auch einen Automechaniker, der eine Autoseite betreute. Also praktisch zu allen Lebensbereichen. Insgesamt hatten wir etwa 300 freie Mitarbeiter als Guides. Ich weiß noch, wie ich da stapelweise Verträge unterzeichnet habe.

Jeder Guide bekam von uns zunächst 100 Mark monatlich für die persönlichen Onlinekosten. Seine weiteren Einkünfte sollten von zwei Dingen abhängen: von unseren Werbeeinnahmen und von den Page Impressions, also praktisch von der Anzahl der Clicks auf die jeweilige Content-Seite. Weil aber die Werbeeinnahmen spärlich blieben, kamen die kaum auf ihr Geld. 500 Mark monatlich waren schon das Maximum. Im Grunde war das für eine seriöse Arbeit viel zu wenig.

All diese Experten mussten wir dann noch vom Hause aus anleiten. Dafür hatten wir 12 bis 15 so genannte Category-Manager. Zum Beispiel eine Zahnmedizinerin, die alle Medizinexperten und den ganzen Bereich Gesundheit und Wellness betreut hat. Solche Leute finden sich relativ leicht unter älteren Studenten. Davon haben wir jede Menge eingestellt, manchmal sogar mit Praktikantenverträgen. Manche Leute waren nur einen Monat da oder zwei. Und wir haben sie aus einem einfachen Grund „Manager“ genannt: Man kann den Leuten weniger Geld bezahlen, wenn man ihnen einen schönen Titel gibt. So einfach ist der Trick.

Im Nachhinein muss ich sagen, dass wir viel zu sehr auf Masse gesetzt haben. Wir brauchten die Leute einfach so dringend, dass wir oft die Qualifikation nicht genügend geprüft und viel zu schnell eingestellt haben. Also praktisch jeden, der kam und irgendwie nett aussah oder einen guten Eindruck gemacht hat. Ich weiß das speziell vom IT-Bereich. Da hab ich praktisch jeden eingestellt, der irgendwie so halbwegs Verdacht erregte, dass er‘s kann (lacht). Was bei über 50 Prozent auch geklappt hat, sogar 70 Prozent waren gut, aber man bleibt dann halt auf 30 Prozent sitzen. Unter dem Strich waren wir innerhalb kürzester Zeit ungefähr 50, 60 Mitarbeiter. Wenn man die Halbtagskräfte dazu zählt, sogar über 70. Mit den Praktikanten und Studis waren es schließlich noch mehr.

Auch unser Leitungsteam wurde erweitert. Wir haben noch einen Gründer dazugenommen, der dann auch Anteile bekommen hat. Den haben alle sehr geschätzt. Er war vorher bei einer Unternehmensberatung und hat dann den Finanzbereich gemacht. Den hielten wir auch für fähig, den Börsengang vorzubereiten. Das haben wir keinem von uns Erstgründern zugetraut. Der wäre also derjenige gewesen, der das beherrscht hätte.

Wie war dieses Wachstum räumlich zu verkraften?

Zuerst wurde der IT-Bereich in ein anderes Büro im gleichen Haus verlegt, dann haben wir ganze Stockwerke dazu angemietet. Und zum Schluss zogen wir um in ein riesengroßes Büro auf einer Etage, ohne Trennwände. Nur eine Besprechungsecke war durch eine Wand abgetrennt, die wir aus leeren Computerkartons aufgeschichtet hatten. In dieser ersten Ausbauphase sind wir täglich zu Ikea gefahren und haben die großen Spanplatten zu 100 Mark angekarrt. Am Anfang haben wir alles noch zusammen gemacht. Da war ich bei Pro-Markt und hab da in mein kleines Auto so viele Computer rein gequetscht, wie es nur ging. Bei den Ikea-Einkäufen, da haben wir Studenten gehabt. Und täglich hat unser Lieferant zehn Computer angeschleppt. Der war völlig verschwitzt. Und wir haben ihn angelächelt und gesagt: „Ja, morgen brauchen wir noch mal zehn neue!“

Ließ Sie das Gründungsfieber auch im Privatleben nicht mehr los?

Was für ein Privatleben meinen Sie (lacht)? Ich hab praktisch von Januar bis September überhaupt kein Privatleben gehabt. Bin morgens aufgestanden, habe geduscht, nicht gefrühstückt. Bin in die Firma gefahren, war dann meist mit der Erste. War dann in der Firma bis abends um … was weiß ich, elf, zwölf, zehn, bin nach Hause gefahren und hab mich schlafen gelegt. Das ging jeden Tag so. Am Wochenende hab ich mir hin und wieder mal was gegönnt, da haben wir erst mittags um zwölf angefangen – am Samstag und Sonntag.

… auch am Sonntag?

Ja. – Gut, manchmal hat man am Samstagabend noch mal was anderes gemacht. Aber ich bin so‘n Mensch, der sich da so reinversetzt. Ich habe auch letztes Jahr keine Partnerin gehabt – fast instinktiv, ich hab einfach nicht das Bedürfnis gehabt nach Verbindlichkeit.

Es ist schon so, dass die Arbeit für mich eben Vergnügen ist. Dass das insgesamt eine Sache ist und es für mich keinen Unterschied zwischen Arbeit und Leben gibt. Für mich ist das ein Erlebnis, wie wenn man ins Theater geht oder nen tollen Kinofilm sieht oder so was. Es ist ja auch manchmal wie Live-Kino gewesen. Denn man ist ja Mitspieler, man ist selber mittendrin. Das ist die Faszination dabei. Das Gefühl hielt auch die ganze Zeit an, solange es voranging, solange immer irgendwas passiert ist. Wenn zum Beispiel die Fernsehteams zu uns gekommen sind. Das hat also allen unheimlich viel Spaß gemacht und die Stimmung verbessert. Die öffentliche Aufmerksamkeit, das war ja auch so mit das Einzige … oder eine der wenigen meßbaren Erfolgs-„Zahlen“, die wir hatten.

Strahlt das auch auf alle anderen Mitarbeiter aus? Verlangt man von allen anderen dasselbe Engagement?

Ja, also zu Anfang bestimmt. Da sind viele Leute auch am Wochenende gekommen, die von der Technik sowieso und auch die Category-Manager. Das war aber nur ‘ne relativ kurze Periode, ganz auf dem Höhepunkt, so ein, zwei Monate lang. Selbstverständlich haben wir gehofft, dass wir durch unsere Anwesenheit die anderen mitreißen, dass die Leute länger bleiben, weil ich selbst viel da bin. Es gibt speziell das Gerücht, Informatiker würden auch ohne Gehalt arbeiten, aber sie hüten sich davor, ihrem Arbeitgeber das zu sagen (lacht).

Ernüchterung

Denkt man mitten in der Aufbauarbeit, es ginge immer so weiter? Oder fragt man sich manchmal: Kann es so überhaupt weitergehen?

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe darüber anfangs gar nicht nachgedacht. Ich hab zunächst geglaubt, dass es immer weitergeht. Mein erstes Unbehagen war ein anderes: Das inhaltliche Konzept war das Special Internet, aber wir wussten eigentlich nicht genau, was das ist. Wir hatten gar keine richtige Vorstellung davon, was wir machen wollten. Ständig wurde von mir verlangt, dass ich dieses Produkt entwickeln soll. Aber wir wussten gar nicht, was! Und die haben alle so in einer Euphorie gelebt. Sie hatten auch sehr großes Vertrauen in mich: „Oh ja, der Techniker wird das schon machen. Der wird schon irgendwas entwickeln, was dann eben das Special Internet ist.“

Ende März 2000 erreichte die Euphorie in den USA ihren Höhepunkt, und es begann der Abstieg vom Kursgipfel der New Economy. Hat Sie das getroffen oder irgendwie bewegt?

Nun, das fiel bei uns mit der zweiten Finanzierungsphase zusammen. Da fingen die Business Angels schon an zu fragen: „Wie viel habt ihr schon gemacht?“ Als die Investoren bei der zweiten Tranche kritisch nachgefragt haben, da haben wir fast täglich unseren Businessplan auf dem Excel Sheet geändert. Wir wussten, was unten in den Spalten als Umsatz und Gewinn drinstehen musste. Also haben wir zum Beispiel bei der Prognose über die Häufigkeit der Websitekontakte einfach immer neue Zahlen hochgerechnet und abenteuerliche Wachstumsraten für die zukünftigen Werbeeinnahmen eingetragen. Man sagte sich eben: „Die Konkurrenz macht das auch so. Und die glauben uns.“ Und weil das alles nicht gereicht hat, haben wir aus Deutschland eben Europa gemacht.

Ist diese zweite Finanzierungswelle noch erfolgreich gewesen?

Da haben die Business Angels kaum mehr mitgemacht. Ich glaube, nur noch drei dieser Leute haben noch etwas nachgeschossen, aber das war zu wenig. Deshalb haben wir eine Venture-Capital-Firma hinzugenommen. Das wurde mir damals von den anderen Leuten, die bessere Ökonomen sind, so erläutert: Das sei sehr positiv, weil die eben über mehr Beziehungen verfügen, und es gelte für eine Firma auch als Nachweis der Seriosität. Wir haben dann viele Gespräche geführt. Das war aber schon sehr schwierig.

Eigentlich hatten wir viel Glück, weil doch noch ein kleines, technologiebasiertes Haus in München zugesagt hatte. Die waren irgendwie zu überzeugen. Wir haben behauptet: Die Firma ist etwa 50 Millionen wert. Und die haben dann 10 Prozent gekauft. Das brachte 5 Millionen in die Kasse. Wir waren damals ihr größtes Investment, sie hatten noch nie so viel Geld investiert und noch nie so wenig Prozente dafür bekommen. Aber dieser Mensch von der Venture-Capital-Firma war ganz begeistert. Er war so happy und jedenfalls überzeugt, einen ganz tollen Coup gemacht zu haben. Das war so kurz vor der Jahresmitte 2000.

Aber uns hätte es damals schon skeptisch machen müssen, dass andere Interessenten sehr viel vorsichtiger waren.

Auszug aus dem Casino

Wo ist, im Rückblick gesehen, der Punkt, an dem Sie spürten, das ganze Unternehmen könnte schief gehen?

Die großen Zweifel kamen eigentlich erst im Sommer 2000, als das Klima unheimlich schwierig wurde. Wir hatten nach wie vor nur diese Business Angels plus das neue Venture Capital. Mehr nicht. Und dann ging‘s eben nicht mehr weiter. Auf dem Papier war nun ja der Börsengang für 2002 geplant. Deshalb haben die anderen Gründer begonnen, zu anderen Investoren Kontakt aufzunehmen. Und dann merkten sie, es wird sehr, sehr schwierig. Man spürte, wie einige Leute, die man neu ansprach, immer reservierter wurden.

Wir hatten mal einen Hoffnungsschimmer, Zusagen oder eben vermeintliche Zusagen. Unter anderem auch von einer großen Internetfirma, die sehr interessiert schien. Die haben dann unseren Laden auseinander genommen, sind also durch die Bücher und haben alles angeschaut – aber dann doch plötzlich abgesagt. Das passierte uns zwei-, dreimal, dass man sich gerade ein bisschen entspannte und dachte „Ach, jetzt geht‘s.“ Aber dann hat es immer doch nicht geklappt.

Kurz davor, im Mai, gab‘s noch eine Episode. Irgendwann sagte der P.: „Unser amerikanisches Vorbild für dieses Expertenmodell, die grasp-it.com, die geht nach England.“ Das war für uns, weil wir in unseren aufgemotzten Businessplänen Europa schon mit „verkauft“ haben, natürlich schlimm. Die kommen da jetzt plötzlich von Amerika auf den europäischen Kontinent. Dann haben wir uns entschlossen: Wir machen auch England! Das war ungefähr im Juni, als es schon kriselte. Wir dachten: Na ja, das ist dann vielleicht auch gut für unser Portal, da haben wir gleich noch ein zweites Land. Wir haben in England zwei Leute gefunden, sehr engagierte, sehr, sehr engagierte Leute. Der eine, der war vorher bei einer anderen Internetfirma in England Geschäftsführer. Wir haben dann in aller Schnelle ein Büro in London aufgemacht. Haben die ganze Technik umgestellt, dass man auch alles auf Englisch machen kann. Von denen aus England kam ein Hilfstechniker, der hat bei uns gelernt, und ich hab für eine Woche einen unserer Techniker rübergeschickt. Und die in London haben Leute eingestellt, Category-Manager und auch externe Guides. Aber was heißt hier „eingestellt“? Denen haben wir Geld in Aussicht gestellt, sobald der Launch kommt. Und die haben dann Inhalte produziert, wie wild alles reingetippt. Zunächst einmal unbezahlt. Die beiden Londoner Leiter, die „fest“ gearbeitet haben, denen haben wir erst mal eine größere Summe für den Anfang gegeben, so ungefähr 100 000 Mark.

Das Geld rann also dahin, und es kam kein neues nach. Wann schrillten endgültig die Alarmglocken?

Wir hatten eine Projektion, wie lange unser Geld reicht. Uns war klar, wir haben etwa 50 Leute fest angestellt und ungefähr 40 mit Verträgen gebunden, das kann man einfach ausrechnen. Also wir hatten ein Datum. Wir wussten: Wenn wir einfach so weitermachen, haben wir an dem und dem Tag – irgendwann im August – kein Geld mehr. Das hieß also, im Juni müssten wir einen Investor haben, damit das klappt. Tja, dann wurde es Juli, und wir mussten die Notbremse ziehen.

Als Erstes haben wir die Marketingausgaben ganz gestrichen. Der Marketingdirektor hat noch lange geweint, dass sie ihm sein Geld weggenommen haben. Das war ganz schlimm. Dann wurde in London das Büro zugemacht und die Leute entlassen – das geht in England wohl leichter.

Was mir dann immer weh getan hat: Es gab da diese armen Londoner Guides, die haben überhaupt nichts mitbekommen. Sie haben keinen Brief erhalten, weder von uns noch von England aus. Nicht einmal einen richtigen Abschied. Die haben also immer noch gehofft und dann in ihrer Verzweiflung E-Mails an alle möglichen Adressen geschickt. Über Monate ging das noch, dass die Leute geschrieben haben, zum Teil ganz verzweifelt .

Wann war den Gründern klar, dass die Firma wirklich am Ende ist?

Ende August. Da hatten wir ganz streng diesen Termin vor uns: Dann und dann ist das Geld alle. Ich weiß noch genau, ich war so hilflos und hab mich – obgleich ich mich für einen besonnenen Menschen halte – mit treiben lassen in der Geschäftsführung. Ich hab dann im August, weil es so mies stand, den anderen Gründern als Erster gesagt: „Ich will raus, ich will‘s nicht mehr machen.“ Und habe natürlich auch gesagt, ich gebe meine Anteile ab.

Wann sagten Sie es der Belegschaft?

Das war dann praktisch zur gleichen Zeit. Im August hieß es, dass wir keinen Neuen mehr einstellen. Da waren wir um die 90 Mitarbeiter, inklusive der Praktikanten. Wie chaotisch und unkoordiniert die Personalpolitik lief, habe ich erst nachher erfahren. So wurden noch Ende August Bewerbergespräche für das Merchandising geführt, das der Marketingtyp noch aufbauen wollte. Ein Witz am Rande: Dasselbe Vorstandsmitglied hat noch im August für alle Mitarbeiter einen kollektiven Benutzervertrag mit einem Fitnessstudio abgeschlossen.

Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter über die Lage informiert?

Der Schock für die Belegschaft kam gleich Anfang September. Da haben wir ein großes Meeting einberufen. Alle saßen im Kreis. Die Stimmung werde ich nie vergessen. Für die meisten aus der Belegschaft kam alles völlig überraschend – sie haben es sicherlich anders erlebt als wir. Wir haben eröffnet, dass jetzt die Mittel erschöpft sind, dass („vielleicht, wahrscheinlich“) erst im November neue Fondsmittel zur Verfügung stünden, sofern Verhandlungen über die dritte Tranche günstig verlaufen. Und dann der Appell des Vorstands: „Sie sollten erst mal auf das Septembergehalt verzichten.“ Einer fragte: „Was ist mit denen, die sich das nicht leisten können?“ Unser Vorsitzender: „Die müssen dann gehen.“

In allen Feldern – außer der Technik – haben wir dann angefangen, stark abzubauen. Wir waren immer noch ziemlich viele. Aber wir haben eigentlich nie aktiv oder ausdrücklich einen Entschluss gefasst, dass wir 10 Prozent entlassen oder so was.

Aber dramatisch waren die Entscheidungen schon?

Ja, ja. Wir haben Listen gehabt, und da haben wir eben gesagt: „Den brauchen wir dringend und den nicht.“ Dann haben wir zum Teil mit den Leuten Gespräche geführt. Natürlich steht immer die Drohung mit der Kündigung im Raum, in dem Sinne: „Also wenn du es nicht selbst machst, dann kündigen wir dir.“

Kannten die Betroffenen in dieser Lage ihre Rechte und Pflichten? Ging es deshalb so „glatt“, weil es vorher so nett informell gewesen war?

Ja. Also … (lange Pause) es war sehr informell. Dazu muss man aber auch sagen, dass wir sehr viele Studenten hatten und solche Leute. Die waren es gewohnt, nur mal ‘ne Weile zu jobben. Die freien Mitarbeiter haben wir sofort nach Hause geschickt. Bei vielen Category-Managern hatten wir zumeist Praktikantenverträge. Also das hab ich eigentlich nie als so furchtbar empfunden. Das waren fast alles junge Leute, die hatten wir zum Teil aus dem Studium rausgeholt. Und, na ja, es ist vielleicht gut, wenn sie jetzt weiterstudieren.

Kleine Bilanz

„Hat sie dir Geld geliehen?“,fragte Bixiou.

Alle brachen in Gelächter aus.

Honoré de Balzac

Was ist nach Ihrem Ausscheiden geschehen?

Zur Abwendung des Konkurses haben die alten Eigentümer was.com an die notyet AG verkauft, das ist eine größere Internetaktiengesellschaft. Die wird zwar längerfristig finanziert, steht aber im Prinzip vor denselben Problemen. Der Verkaufserlös lag nicht bei den früher geplanten 60 bis 90 Millionen, sondern bei einem einstelligen Betrag, noch unter dem Einstiegspreis der Business Angels.

Wie sehen Sie im Rückblick die Interessen der Gründer, der Business Angels und des Venture Capitals?

Unsere Investoren waren alles reiche Leute – also ich fand es nicht richtig schlimm. Und die Venture-Capital-Unternehmen hofften halt, Geld zu machen – das ist ganz klar. Ich glaube, viele lebten in der Illusion, dass der Markt der Möglichkeiten sehr groß ist und sich noch ausweitet, dass es gar nicht genug Dotcom-Unternehmen geben kann. So nach dem Motto: „Es gibt ja auch tausende, zehntausende Supermärkte!“ Das konnte man sich schon einreden, das hatte eine gewisse Logik. Wobei natürlich die Kluft zwischen den Kursen und den Gewinnen immer größer wurde und es auch kritische Artikel gab. Aber das ist immer leicht zu sagen im Nachhinein.

Für den Marketingchef war es eine riesige Katastrophe. Der ist sehr karrierebewusst – war vorher bei einer großen Firma in der Lifestyle-Branche Werbechef gewesen. Der sah uns als Sprungbrett. Und er ist der Einzige, der darunter richtig gelitten hat: „Keine Success Story!“, rief er, das sei ganz furchtbar für seinen Lebenslauf. Der war richtig fix und fertig. Da ging es um seine persönliche Karriere. Vor kurzem war er zu Besuch in der alten Firma. Er findet nichts Neues. Er will natürlich auch nicht absteigen. Aber kurzfristig mal was anderes zu machen fällt ihm nicht ein.

Und die anderen?

Die sehen das gelassener. Der Jurastudent will vielleicht weiterstudieren. Und die anderen sind ohnehin Selbstständige oder kommen aus der Beraterbranche. Der Finanzvorstand hat inzwischen einen neuen Job und verdient ganz ausgezeichnet. Man sagt ja, dass allein diese Erfahrung schon was bringt in der Karriere. Ich habe sogar von einem Amerikaner gehört: Ich gebe nur Geld an Leute, die schon zweimal Pleite gemacht haben (lacht).

Denken Sie noch über die verlorenen Illusionen nach, über den Preis des Ganzen?

Manchmal denke ich: Es ist ein großes Problem gewesen, dieses „zu viel, zu schnell und einfach zu wenig durchdacht“. Das widerspricht auch meinem Denken als Ingenieur. Da hab ich sehr drunter gelitten, dass ich alles immer so schnell machen musste. Ich hab es dann hinbekommen – eigentlich mochte ich das nicht. Vielleicht gab es bei mir sogar ‘nen Punkt: „Ach, es ist endlich vorbei“ – dass ich auch ein bisschen dieses Ende ersehnt habe. Mir wurde jetzt gesagt, ich hätte die ersten grauen Haare bekommen, und ich merke im Nachhinein, dass ich noch nicht das Bedürfnis gehabt habe, eine neue Tätigkeit aufzunehmen. Bin wohl jemand, der Zeit braucht, um das zu verarbeiten. Aber ich denke noch oft an diese Tage, weil die Firma doch auch so‘n bisschen mein Baby mit ist.

Nach dem Verkauf

Anfang 2001: Bei was.com, der neuen Tochter der notyet AG, herrscht ein neuer Ton. Nine-to-five-Stimmung macht sich breit. Die Restbelegschaft ist auf etwa 30 Personen geschrumpft.

März 2001: Die Personalreferentin wirkt noch am Wochenende an den Planungen der neuen Eigentümer mit. Am Montag lässt man ihr mitteilen, sie möge von sich aus kündigen. Der Versuch, einen Betriebsrat zu etablieren, scheitert, weil sich unter dem enormen Druck kein Kandidat für die Besetzung findet.

Mai 2001: was.com ist in neue Räume gezogen. Von der Büromöbelkollektion werden nur die Eckstücke gebraucht und Platz sparend zusammengestellt. Man arbeitet wie in einer Legebatterie.

September 2001: Der Kurs der notyet AG ist binnen eines Jahres von 250 auf 6 gefallen.

Januar 2002: Nach anhaltend großen Verlusten und ungenügenden Page Impressions geht was.com in der Firma notyet AG auf. An die verbliebenen Mitarbeiter erfolgt die Mitteilung: Das Berliner Büro wird geschlossen, der alte Firmenname was.com wird gelöscht.

* Einige Merkmale des realen Falles können nur verschlüsselt wiedergegeben werden. Das Gespräch führte Ulf Kadritzke, Professor für Soziologie an der Fachhhochschule für Wirtschaft, Berlin.

Le Monde diplomatique vom 12.04.2002, von Ulf Kadritzke