„Mögen Sie Couscous?“
ZWAR haben schon Franzosen Mühe, nachzuweisen, dass sie tatsächlich Franzosen sind, noch schwieriger ist es jedoch, durch Einbürgerung Franzose zu werden. Gewiss, aus der Ferne, grosso modo, stimmen die Zahlen optimistisch: Fast 78 Prozent der Einbürgerungsanträge werden bewilligt. Aber die Statistiken sagen nichts darüber, wie viele Jahre die Antragsteller haben warten, wie viele Verschiebungen oder Ablehnungen sie haben einstecken müssen, nichts über die Beschränktheit oder Falschheit der vorgeschobenen Begründungen und den – beruflichen, finanziellen, symbolischen – Preis, den sie bezahlen mussten. Wer kein berühmter Fußballspieler oder Eiskunstläufer ist, wartet länger als eine Woche, um gut genug für Frankreich zu sein.
Der ausländische Staatsbürger, der seit fünf Jahren in Frankreich wohnt und Franzose werden möchte, holt sich also die Unterlagen für den Einbürgerungsantrag bei der Präfektur, und wenn er alle erforderlichen Papiere beisammen hat, lässt er sich telefonisch einen Termin geben. Wartezeit: 6 bis 8 Monate in Paris, 15 Monate in Montpellier, weil die Präfektur von L‘Hérault nur vier feste Mitarbeiter hat und im März 2002 Termine für Juni … 2003 vergibt. Die Papiere werden vorgelegt, durchgesehen und gegebenenfalls akzeptiert. Fehlt ein Dokument, muss der Antragsteller von vorn anfangen, bekommt einen neuen Termin in 6, 8 oder 15 Monaten. In jedem Fall beginnt ein langes Warten: Die Zeit, in der die Polizei Nachforschungen über „den Lebenswandel, die Loyalität und das Verhalten des Bewerbers“ anstellt und überprüft, ob er gut „eingegliedert“ ist, wie es in einer offiziellen Broschüre heißt.
Nicht selten werden ihm private Fragen gestellt, die mit dem Antrag nichts zu tun haben, sondern eher seiner „Fremdheit“ nachspüren – bedauerliche Überreste, die manchmal zum Hindernis werden. Eine Anwältin nordafrikanischer Herkunft etwa musste sich die Fragen gefallen lassen, wie oft in der Woche sie Couscous esse, ob sie häufig nach Marokko fahre, aus welchen Nationalitäten sich ihr Freundeskreis zusammensetze und welche Zeitungen sie lese. Ein Tunesier wurde gefragt, warum er zwei Pilgerfahrten nach Mekka unternommen habe, und eine voll integrierte Forscherin serbischen Ursprungs, deren Kinder sich auf den Besuch der französischen Elitehochschule vorbereiten, sollte angeben, welche Sprache sie in der Familie spreche. Überprüft wird auch der Bildungsstand, wobei es oft Verständnisschwierigkeiten seitens der Beamten gibt: Eine junge Soziologin, die sagt, sie habe „Abi plus 5“ (die 5 bezieht sich auf die Semesterzahl am Collège de France) gemacht, wird gefragt: „5 was?“, und muss dann noch erklären, dass eine licence universitaire ein akademischer Grad und keine Importlizenz ist.
Die „kleinen Details“ geben den Ausschlag für die großen Entscheidungen, und nicht selten führen eine allzu sichtbare Fremdheit (das Tragen einer Dschellaba oder eines Kopftuchs), eine schnell als fundamentalistisch eingestufte religiöse Praxis oder familiäre Bindungen außerhalb Frankreichs zu einer Vertagung des Antrags. Sogar eine „zu“ dunkle Hautfarbe kann die Ablehnung begünstigen: 1997 stellte die Zeitschrift Migrations Société fest, dass die Quote der Ablehnungen bei Schwarzen (35 bis 50 Prozent) sehr viel höher lag als bei Nordafrikanern (20 Prozent) oder Südeuropäern (8 Prozent). Seitdem macht das Justizministerium keine Angaben mehr über die Herkunft der abgelehnten Bewerber.
Aber eine helle Haut, ja sogar die Ausübung offizieller Ämter schützen nicht vor Verzögerungen. Die Jugoslawin Mirjana ist ein frappierendes Beispiel. Mit 19 Jahren kommt sie nach Frankreich. Da sie bereits perfekt Französisch spricht, schreibt sie sich an der Universität ein, macht Diplome, erwirbt den Doktortitel in Soziologie und erhält einen Posten als Dozentin an der Universität Lille. Faktisch Französin, möchte sie es auch von Rechts wegen werden und stellt einen Antrag auf Einbürgerung. Zwei Jahre später bekommt sie Bescheid, ihr Antrag sei ausgesetzt worden. Was hat sie falsch gemacht? Sie hat einen Deutschen geheiratet. Dass ihr Mann häufig zu Vorträgen an der Polytechnischen Hochschule von Lille eingeladen ist, macht den „Skandal“ nicht besser, wie der Generalsekretär der Universität ihr sagt. Ihre beiden Töchter, die in Frankreich zur Schule gehen, haben das „Pech“, im Ausland geboren zu sein – eine in Deutschland, die andere in Großbritannien. Und Mirjana fährt oft ihre Familie besuchen: Ein unzumutbarer Kosmopolitismus, der Antrag wird abgelehnt.
Der zweite ebenfalls. Aus den gleichen Gründen. Obwohl Mirjana inzwischen eine Stelle am CNRS hat, obwohl sie Frankreich auf internationalen Tagungen repräsentiert. Aber es kommt noch besser: Auf Vorschlag der damaligen Sozialministerin Georgina Dufoix in den für Immigrationsfragen zuständigen Nationalrat berufen, wird die Ablehnung von Mirjanas Einbürgerungsantrag wahrscheinlich in einem Zustand bürokratischer Hypnose von derselben Georgina Dufoix unterzeichnet. Erst 1986 – zehn Jahre nach ihrem ersten Antrag – erhält die hochrangige Universitätsangestellte die französische Staatsangehörigkeit.
Andere, die ebenso qualifiziert, ebenso integriert sind wie Mirjana, warten seit mehr als zehn Jahren auf ihre Einbürgerung. So etwa Kamel F., der 1990 dank eines vierjährigen französisch-algerischen Stipendiums nach Frankreich kam. Heute Doktor der Geologie, Autor zahlreicher Publikationen und häufig zu Tagungen ins Ausland eingeladen, verheiratet, Vater von drei in Montpellier geborenen Kindern, bemüht er sich vergeblich um seine Einbürgerung. Die offizielle Begründung: Mangelnde berufliche Eingliederung und finanzielle Sicherheit. Aber die Einkünfte aus seinen freiberuflichen Tätigkeiten erlauben ihm, zu leben und seine Familie zu ernähren. Viele Forscher, Kollegen aus dem In- und Ausland, haben die Arbeitsministerin auf die Lage von Kamel F. aufmerksam gemacht und an die nationale Solidarität appelliert. In einem Brief vom 28. November 2000 teilte Elisabeth Guigo mit, der Antrag dieses Forschers werde „von den zuständigen Stellen sorgfältig geprüft“. Im Frühjahr 2002 dauert die Prüfung immer noch an …
Sie dauert auch für den Libanesen an, der sich vor langer Zeit in Frankreich niedergelassen, aber den „Fehler“ hat, Eigentümer einer Immobilie in Beirut zu sein; und sie dauert für den Argentinier an, der im Mai 68 auf den Barrikaden von Paris festgenommen, des Landes verwiesen, jedoch bald rehabilitiert worden war, dem man sein längst aufgehobenes Einreiseverbot aber immer noch vorhält. Sie dauert für den Algerier an, dem „enge Beziehungen zu einer Bewegung mit radikalen religiösen Praktiken“ nachgesagt werden, und für die junge bosnische Forscherin, die in Frankreich lebt, seit sie fünf Jahre alt ist, es aber versäumt hat, ihre Einbürgerung am gleichen Tag zu beantragen, an dem sie volljährig wurde: Die Verwaltung wirft ihr vor, zwei Monate in einer „illegalen Situation“ gelebt zu haben.
Was die Behinderten betrifft, so sollten sie ihre Einbürgerung am besten gar nicht erst beantragen. Die eines Marokkaners wurde kürzlich abgelehnt: Die Republik kann Einarmige nicht gebrauchen. Absurd, kleinlich, oft gegen das Gesetz – jeder Vorwand ist recht, um sich die Ausländer vom Leib zu halten. Freiheit, Gleichheit, nationale Identität: Das ist in der Praxis die Devise eines Landes, das sich ohne Ironie das Land der Menschenrechte nennt.
M. T. M.