Scharon vor Belgiens Justiz
DASS Ariel Scharon die erste Prozessrunde gewonnen hat, bedeutet nicht, dass er auch die zweite unbeschadet übersteht. Im Juni 2001 hatten Überlebende der Massaker von Sabra und Schatila im Jahre 1982 gegen den damaligen israelischen Verteidigungsminister eine Strafanzeige eingereicht. Die Anklagen – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen – richten sich auch gegen weitere israelische Militärs und „jede andere Person libanesischer oder israelischer Staatsangehörigkeit, der eine Verantwortung an den Ereignissen nachgewiesen wird“. Der Fall hatte zu erheblichen Spannungen zwischen Brüssel und der israelischen Regierung geführt. Doch dann hat ein Brüsseler Berufungsgericht am 26. Juni 2002 die Klagen als unzulässig verworfen. Es berief sich dabei auf eine Gesetzesklausel von 1885, die man im belgischen Parlament übersehen hatte, wonach Klage nur gegen Personen erhoben werden könne, die sich auf belgischem Territorium aufhalten.
Dieser Fehler soll nun auf Betreiben einiger Parlamentarier unter Führung von Senator Josy Dubié korrigiert werden. Sie werden im Parlament nach der Sommerpause zwei Gesetzesvorlagen einbringen. Die erste präzisiert das Gesetz von 1993, das es erlaubt, in Belgien Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen, „unabhängig davon, wo der mutmaßliche Täter sich aufhält“. Die zweite Vorlage soll das belgische Recht mit den Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) harmonisieren, der seit 1. Juli tätig ist. Falls die Vorlagen verabschiedet werden, bevor das Oberste Gericht Belgiens das Urteil überprüft hat, sieht Josy Dubié durchaus Folgen für den Scharon-Prozess. Die Richter könnten schwerlich einen Gesetzgeber brüskieren, der ein Gesetz nachträglich präzisiert hat.
Im belgischen Parlament haben die israelischen Reaktionen Verärgerung hervorgerufen. „Die belgische Politik wird nicht in Tel Aviv gemacht“, kommentiert ein Parlamentarier. Senatoren und Unterhausabgeordnete betonen, ihre Bemühungen beträfen nicht nur die Affäre Scharon, sondern rund dreißig Klagen, darunter so prominente Fälle wie den des Staatspräsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, und den von Jassir Arafat. Josy Dubié glaubt, dass auch die Ermittlungsverfahren zu den Massakern von Sabra und Schatila abgeschlossen werden können. Ariel Scharon allerdings dürfte davon nichts zu befürchten haben: Solange er Ministerpräsident bleibt, gelten für ihn die Bestimmungen des ICC zur Immunität von Amtsträgern.
P. P.