Zahlen, Zinsen
ZWISCHEN 1995 und 1999 erhöhte sich der Zufluss von Auslandskapital nach Brasilien von 43,3 Milliarden Euro (6 Prozent des BIP) auf 201,5 Milliarden (21,6 Prozent des BIP). Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso sorgte während des größten Teils seiner Amtszeit für die weltweit höchsten Realzinsen und holte damit Privatkredite und Darlehen von internationalen Organisationen ins Land. So gelang es ihm, die Inflation zwischen Juni und Ende Juli 1994, also innerhalb eines Monats nach Umsetzung des Real-Plans, von 50 auf 6 Prozent zu drücken. Während der gesamten Amtszeit Cardosos verharrte die Inflationsrate auf niedrigem Niveau. Nachdem sie 1998 bis auf 1,79 Prozent gesunken war, stieg sie im Lauf der Krise von 1999 wieder leicht an.
Die Öffnung des Landes führte zu einem raschen Anstieg der Importe, aber zugleich büßte die brasilianische Wirtschaft eine ihrer zentralen Errungenschaften ein: die internationale Wettbewerbsfähigkeit. In der Folge stieg das Handelsbilanzdefizit auf ein in der Geschichte des Landes einmaliges Niveau, was im Verein mit dem hereinströmenden Spekulationskapital äußerst negative Konsequenzen für die Zahlungsbilanz hatte.
Während die Ausfuhren von 35,68 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf 53,02 Milliarden Euro im Jahr 1997 anstiegen, verdreifachten sich die Einfuhren von 20,9 Milliarden auf 62,5 Milliarden Euro. Die Zahlungsbilanz, die zu Beginn dieses Zeitraums noch einen Überschuss von 15,4 Milliarden auswies, verzeichnete fünf Jahre später ein Defizit von 8,4 Milliarden Euro – ein Einbruch von insgesamt 23,8 Milliarden Euro.
Die Verschuldung der öffentlichen Hand wuchs in Schwindel erregender Weise von 30 Prozent des BIP im Jahr 1994 auf 61,9 Prozent im Juli 2002. Ein katastrophales Ergebnis für eine Regierung, die stets behauptet hatte, die Staatsausgaben seien zu hoch und falsch gewichtet, die Sanierung der öffentlichen Finanzen daher Dreh- und Angelpunkt der Inflationsbekämpfung. Im Zuge der sich verschärfenden Krise wuchs im laufenden Jahr nicht nur die Verschuldung, es änderte sich auch ihre Zusammensetzung. Der Anteil der Dollarschulden nahm zu, die Fälligkeitsfristen wurden kürzer, das Zinsniveau zog an. Dies gilt auch für das jüngste Darlehen des Internationalen Währungsfonds in Höhe von 30,5 Milliarden Euro. Hiervon wurden 6,1 Milliarden Euro sofort freigegeben, damit die Regierung Cardoso ihre Amtszeit beenden kann, ohne ein Moratorium erklären zu müssen. Die Überweisung des Restbetrags wurde davon abhängig gemacht, ob der nächste Präsident die IWF-Konditionen akzeptiert.
Dieses beklagenswerte Resultat der Wirtschaftspolitik Cardosos hat seine Ursache darin, dass die Stabilisierung des Geldwerts nicht durch Wachstum, wirtschaftliche Konsolidierung und Sanierung des Staatshaushalts erreicht wurde, sondern im Wesentlichen durch angelockte Spekulationsgelder und „stratosphärisch“ hohe Zinsraten. Und gerade Letztere rissen ein weiteres Loch in die Staatsfinanzen.
AUCH das erhoffte Wirtschaftswachstum wollte sich nicht so recht einstellen. Die Achtzigerjahre galten als verlorenes Jahrzehnt. Nach der beispiellosen Wachstumsphase der Jahre 1930–1980 wuchs die brasilianische Wirtschaft nur noch geringfügig, wenn sie nicht gar stagnierte. In den Achtzigerjahren lag das Wachstum infolge der Schuldenkrise bei durchschnittlich nur noch 3,02 Prozent, während das Pro-Kopf-Einkommen um 0,72 Prozent anstieg. Im Laufe des folgenden Jahrzehnts sank das Wirtschaftswachstum auf unter 2,25 Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen legte in diesem Zeitraum um ganze 0,88 Prozent zu – und dies in einem Land, das in puncto Einkommensunterschiede weltweit an der Spitze liegt.
E. S.