Verordnete biologische Wahrheiten
Trumps Dekret Nr. 14168 und die Entrechtung von trans Menschen
von Judith Butler

Seit seinem Amtsantritt hat Donald Trump eine ganze Reihe von Dekreten erlassen, um fortschrittliche Gesetze und in einigen Fällen sogar die Grundpfeiler des demokratischen Rechtsstaats zu untergraben. Die Dekrete folgten rasch aufeinander, inzwischen sind es weit über hundert. Es drängt sich der Eindruck einer sich selbst verstärkenden Staatsmacht auf, die fest entschlossen ist, Recht und Gesetz hinter sich zu lassen und die Grenzen autoritärer Machtausübung auszutesten.
Bei vielen in den USA ruft das ein Gefühl von Orientierungslosigkeit und Angst hervor; sie fragen sich, wann – oder ob – das wieder aufhört. Manche spielen die Gefahr herunter, verweisen auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Dekrete und vertrauen darauf, dass die Gerichte sie verhindern werden. Andere, die sich in ihrem Realismus (oder Zynismus?) bestätigt sehen, verkünden das unvermeidliche Ende der Demokratie und den Aufstieg des Autoritarismus und geben jeden Widerstand dagegen schon im Voraus auf.
Viele Institutionen befolgten die Dekrete. Manche von ihnen vermutlich aus Furcht vor den Konsequenzen, wenn sie sich weigerten, mitzumachen. Andere erregt die Angst, die Trump hervorruft, sie stehen im Bann der Macht, vor der sie kapitulieren. Offenbar haben sie vorher weder bedacht, welche Folgen ihre Kapitulation nach sich ziehen könnte, noch begriffen, dass sie die Wirksamkeit der Dekrete – indem sie diese ausführen und durchsetzen – stärken.
Das Dekret Nr. 14168 vom 20. Januar trägt den Titel „Defending Women from Gender Ideology Extremism and Restoring Biological Truth to the Federal Government“ (Schutz von Frauen vor genderideologischem Extremismus und Wiederherstellung der biologischen Wahrheit durch die Regierung). Die Kampagne gegen die sogenannte Gender-Ideologie hat in den USA erst relativ spät Fuß gefasst.1 Der Begriff selbst wurde in den 1990er Jahren vom Vatikan in Umlauf gebracht. In Lateinamerika verbreiteten ihn die katholische Kirche und evangelikale Gemeinden (und überwanden dabei ihren konfessionellen Graben). Schließlich wurde er von dem rechten religiösen Netzwerk World Congress of Families aufgegriffen, insbesondere bei dem Jahrestreffen „Making Families Great Again“, das unter Viktor Orbáns Schirmherrschaft im Mai 2017 in Budapest stattfand.
In zahlreichen Präsidentschaftswahlkämpfen diente es als Aufregerthema: in Costa Rica, Uganda, Südkorea, Taiwan, Frankreich, Italien, Argentinien und Brasilien, um nur ein paar Länder zu nennen. Doch die US-Presse nahm das kaum zur Kenntnis.
In Ungarn verbündete sich Viktor Orbán mit der russisch-orthodoxen Kirche, um die „Gender-Ideologie“ zu verurteilen; in Russland unterstützte Wladimir Putin die umstrittene Anti-Trans-Kritik der britischen Schriftstellerin J. K. Rowling und erklärte, die „Gender-Freiheiten“ des „Westens“ stellten eine Gefahr für den geistigen Kern und die nationale Sicherheit Russlands dar. Und im Vatikan hat der am 21. April verstorbene Papst Franziskus trotz manch progressiver Äußerungen den Diskurs sogar noch befördert, indem er darauf bestand, dass Gender eine Bedrohung sei für die Zivilisation, die Familie und die natürliche Ordnung der menschlichen Beziehungen.
Trump stieß erst sehr spät zu dieser Truppe; doch folgte er 2018 dem Aufruf des Vatikans und wies das US-Gesundheitsministerium an, das Geschlecht zum natürlichen und „unveränderlichen“ Kennzeichen eines Menschen zu erklären. Seine Regierung vertrat damals die Linie, die Genitalien seien das einzig gültige Kriterium zur Geschlechtsbestimmung, und dies müsse auch in klarer Sprache („plain language“) benannt werden. Das politische Ziel war, trans Personen den Schutz durch den Artikel VII des Civil Rights Act von 1964 vorzuenthalten, der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts am Arbeitsplatz verbietet. Doch es erwies sich als schwierig, die neuen Kriterien in Gesetze zu gießen – schon allein wegen der tiefen politischen Kluft zwischen den demokratisch und den republikanisch regierten Bundesstaaten.

Panik vor der „Gender-Ideologie“
Im Oktober 2019 begannen die Anhörungen im Fall „Bostock gegen Clayton County“ vor dem Supreme Court zu der Frage, ob das Verbot von Diskriminierung am Arbeitsplatz „aufgrund des Geschlechts“ auch für trans Personen gilt. Im Juni 2020 entschieden die neun Richter und Richterinnen mit sechs zu drei Stimmen, dass Artikel VII auch zum Schutz von trans Personen herangezogen werden kann, denn (a) könne das Geschlecht, das einer Person bei der Geburt zugewiesen wurde, von dem Geschlecht abweichen, das die Person im Laufe ihres Lebens annehme, und (b) sei ungleiche Behandlung auf der Grundlage der Wahrnehmung des Geschlechts einer Person eine gängige Form sexueller Diskriminierung.
Für die Diskriminierung ist nicht relevant, welches Geschlecht eine Person tatsächlich hat, sondern wie es wahrgenommen und diese Person daraufhin behandelt wird. Es ist einfach falsch, wenn jemand aufgrund einer vorurteilsbehafteten Wahrnehmung des Geschlechts unfair behandelt wird. Der von Trump ernannte Richter Neil Gorsuch verfasste zum Fall „Bostock gegen Clayton County“ eine Urteilsbegründung, die alle Bemühungen zunichte machte, das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht als dauerhaft und unveränderbar festzusetzen.
Es vermag daher kaum zu überraschen, dass Dekret Nr. 14168 unter anderem vorschreibt, jegliche „missbräuchliche Anwendung“ von „Bostock gegen Clayton County“ zu korrigieren. Das Dekret verlagert allerdings die Grundlage der „unveränderlichen biologischen Einordnung eines Individuums“ von den Genitalien zu den Gameten (Geschlechtszellen): „ ‚Weiblich‘ bezeichnet eine Person, die zum Zeitpunkt der Empfängnis dem Geschlecht angehört, das die große Keimzelle hervorbringt. ‚Männlich‘ bezeichnet eine Person, die bei der Empfängnis dem Geschlecht angehört, das die kleine Keimzelle hervorbringt.“
Warum diese Verschiebung? Und was bedeutet es, dass die Regierung ihre Vorstellung über das, was angeblich unveränderlich ist, ändern kann? Ist das Unveränderliche also doch veränderbar? Intersexuelle Menschen stellten lange Zeit ein großes Problem für diejenigen dar, die eindeutige Geschlechter zuweisen möchten, denn sie stellen den lebenden Beweis dar, dass Genitalien in verschiedenen Kombinationen und Mischformen auftreten können. Die Keimzellen schienen da wohl weniger problematisch. Es gibt eine große und eine kleine: Lasst uns das als unveränderliche Differenz zwischen weiblich und männlich festlegen.
Es gibt jedoch zwei grundlegende Probleme bei der Geschlechtsdefinition durch die Gameten. Erstens untersucht niemand die Keimzellen in dem Moment, in dem das Geschlecht zugewiesen wird – und schon gar nicht zum Zeitpunkt der Empfängnis (wenn sie noch gar nicht existieren). Sie lassen sich nämlich nicht beobachten. Sich bei der Zuweisung des Geschlechts auf die Keimzellen zu stützen, heißt, sich auf eine nicht wahrnehmbare Dimension des Geschlechts zu berufen, obwohl Beobachtung die wichtigste Methode darstellt, um das Geschlecht einer Person festzustellen. Zweitens sind sich die meisten Biolog:innen darin einig, dass weder der biologische Determinismus noch der biologische Reduktionismus eine angemessene Erklärung für die Geschlechtsbestimmung und -entwicklung darstellt.
Wie die Society for the Study of Evolution, eine US-amerikanische Vereinigung von Evolutionsbiolog:innen, in einem Brief vom 5. Februar erläutert, definiert der „wissenschaftliche Konsens“ das menschliche Geschlecht als „biologisches Konstrukt, das auf einer Kombination von Chromosomen, Hormonhaushalt und der daraus resultierenden Ausprägung von Keimdrüsen, äußeren Genitalien und sekundären Geschlechtsmerkmalen beruht. Bei all diesen biologischen Eigenschaften, die das Geschlecht bilden, gibt es Variationen.“
Die Forschenden erinnern daran, dass „biologisches und soziales Geschlecht [sex und gender] aus dem Zusammenspiel von Genetik und Umwelt entstehen. Diese Vielfalt ist ein Markenzeichen biologischer Arten, einschließlich des Menschen“. Zusammenspiel, Interaktion und Ko-Konstruktion sind Begriffe, die in der Biologie breite Verwendung finden. Gerade die Biowissenschaften haben wichtige Erkenntnisse zu den Genderstudien beigetragen. So argumentiert etwa die Biologin Anne Fausto-Sterling seit Langem, dass die Biologie mit kulturellen und historischen Prozessen interagiert, um verschiedene Möglichkeiten hervorzubringen, Geschlecht zu benennen und zu leben.
Die Rede von der „Unveränderlichkeit“ gehört eigentlich in eine Naturrechtstradition, nach der das Männliche und das Weibliche durch göttlichen Willen geschaffen wurden, also eine Spielart des Kreationismus. Wie Papst Franziskus bestätigte, handelt es sich dabei um unveränderliche Kennzeichen des Menschen. Trump behauptet zwar, im Namen der Wissenschaft zu sprechen. Doch abgesehen von dem kurzen Gastauftritt der Keimzellentheorie beharrt er darauf, dass Gott die unveränderlichen Wesensmerkmale beider Geschlechter bestimmt habe, und er, Trump, diese noch einmal bestimme, um das Wort Gottes zu wiederholen – oder um seine eigenen Worte als Wort Gottes erscheinen zu lassen. Religiöse Lehren können nicht als Grundlage für wissenschaftliche Forschung oder Regierungspolitik dienen. Doch genau das geschieht in diesem Dekret.
Trumps Edikt zielt darauf ab, den vermeintlichen „genderideologischen Extremismus“ aus dem öffentlichen Raum und allen staatlich geförderten Programmen zu entfernen. Der Staat sieht es als erwiesen an, dass es diese „Gender-Ideologie“ wirklich gibt. Doch was, wenn dieser Begriff in Wahrheit nur eine Verunglimpfung ist? Ein Schimpfwort, das erfunden wurde, um die komplexe, produktive, oft widersprüchliche, aber sicherlich unentbehrliche Arbeit klein zu machen und zu dämonisieren, die von sozialen Bewegungen und denjenigen, die sich in Forschung, Sozialpolitik und Rechtswissenschaft engagieren, geleistet wird?
Man kann vernünftigerweise fragen, ob nur die vermeintlich „extremistischen“ Formen der „Gender-Ideologie“ bekämpft werden müssen. Wenn ja, gibt es dann ein Kriterium, mit dem man „extremistische“ von „nichtextremistischer Gender-Ideologie“ unterscheiden kann? Da die US-Regierung sich hier gegen ein Phänomen wendet, das sie als real betrachtet, liegt es wohl nahe, dass sie uns auch erklärt, wie wir dieses Phänomen und den Unterschied zwischen seinen verbotenen und seinen potenziell erlaubten Formen erkennen können. Wie es momentan aussieht, stellt jeglicher „Gender“-Bezug in Anträgen auf finanzielle staatliche Unterstützung – vom Universitätsstipendium über medizinische Leistungen bis zum Schutz der Bürgerrechte – die Zuteilung dieser Mittel infrage.
Wenn es aber so etwas wie „Gender-Ideologie“ gar nicht gibt, wenn es sich um ein Phantasma handelt, das beschworen wird, um eine Reihe sozialpolitischer Maßnahmen infrage zu stellen, die Frauen, Kindern, trans, queeren, nichtbinären und intersexuellen Menschen zugutekommt, dann kann man auch sagen, dass die „Gender-Ideologie“ selbst „konstruiert“ ist. Natürlich hat die These, dass das Geschlecht „sozial konstruiert“ sei, die Gender-Gegner besonders aufgeregt – vor allem, wenn sie dem Missverständnis unterlagen, eine soziale Kategorie bringe das Ding, das sie benennt, erst hervor. Jetzt versuchen sie im Gegenzug, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, dass „Gender-Ideologie“ nicht nur existiert, sondern dass es sich dabei auch um eine gefährliche, ja zerstörerische Kraft handelt.
Um Trumps Verordnungswahn zu begegnen, brauchen wir neue Formen öffentlicher Bildung, zu denen auch eine sorgfältige Lektüre dieser Dekrete gehört, um besser zu erklären, was die Regierung mit den von ihr gewählten Worten sagt und tut. Welche Realitäten möchte sie schaffen und normalisieren? Bei einem derart hohen Tempo war es unmöglich, die Auswirkungen jeder einzelnen Verordnung zu verstehen; stattdessen schwanken wir unter der gesamten Last. Doch mit etwas mehr Zeit können wir gemeinsam jedes einzelne Dekret in der Öffentlichkeit auseinandernehmen und nach und nach einen Gegendiskurs aufbauen.
In Abschnitt 1 von Dekret Nr. 14168 wird sein Zweck erläutert: „Ideologen im ganzen Land, die die biologische Realität des Geschlechts leugnen, haben zunehmend rechtliche und andere gesellschaftliche Zwangsmittel genutzt, um Männern zu erlauben, sich als Frauen zu definieren und Zugang zu intimen, nur Frauen vorbehaltenen Räumen und Aktivitäten zu erlangen, von Frauenhäusern bis zu Frauenduschen am Arbeitsplatz. Das ist falsch.“
Das Dekret gibt vor, Frauen zu schützen, indem es gegen Gender-Ideologie vorgeht, und beruft sich dabei auf das transfeindliche Argument, trans Frauen seien keine Frauen oder sie stellten eine Bedrohung für Frauen dar (wobei als „Frau“ eine Person betrachtet wird, der bei der Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen wurde). Der Vorwurf, der Begriff „Gender“ oder Genderforschende seien eine Bedrohung für Frauen, blendet aus, dass Gender spätestens seit Simone de Beauvoirs Schriften in den späten 1940er Jahren ein zentrales Thema feministischer Theorie darstellt. De Beauvoir erklärte, die Biologie sei zwar Teil der Lebenssituation eines Menschen, bestimme jedoch nicht, in welchem Job diese Person später arbeiten, wen sie lieben wird oder gar welches „Schicksal“ sie ereilen wird.
Trans Personen unterziehen sich Operationen oder nehmen Hormone, weil sie ihre Anatomie verändern wollen: Auf jeden Fall ist ihnen klar, dass es hier eine Anatomie gibt, die sie verändern wollen. Das Dekret unterstellt Menschen, die ihr bei Geburt zugewiesenes männliches Geschlecht verändern wollen, eine instrumentelle Absicht: Sie würden die Transition nicht anstreben, weil sie auf ein lebenswerteres Leben hoffen, sondern weil sie – oder zumindest diejenigen, die ihre Identität als Frauen rechtlich gesichert haben – nur Zugang zu Frauenräumen suchten, um Frauen dort Schaden zuzufügen.
Es gibt zwar einige dokumentierte Fälle, in denen eine solche Zielsetzung eindeutig vorlag, doch wie kann man sie als Regel für alle Transitionen betrachten? Wir verweisen ja auch nicht auf Übeltaten einzelner Juden oder Muslime und schließen daraus, dass alle Juden oder Muslime auf diese Weise handeln. Nein, wir weigern uns, auf einer solchen Grundlage Pauschalurteile zu fällen, und wir vermuten, dass diejenigen, die es tun, Einzelfälle nutzen, um einen Hass, den sie bereits fühlen, zu rationalisieren und zu verstärken. Um sich eine Formulierung aus dem Dekret auszuborgen: Das ist falsch.
Wir müssen fragen, ob dieses Dekret nur eine im Namen des Feminismus betriebene Täuschung ist und eine weitere Form der Instrumentalisierung von Frauen, um die Staatsmacht zu stärken. Denn diese Initiative untergräbt mit Sicherheit die Ideale, auf die sich der Feminismus stets berufen hat: die Überwindung von Diskriminierung und Ungleichheit und die Zurückweisung beleidigender Äußerungen, wer als Frau gelten darf und wer nicht.
Die vermeintlich feministische Stoßrichtung des Dekrets wird Lügen gestraft durch die Tatsache, dass trans Männer noch nicht mal einer Erwähnung wert sind. Auch Intersexuelle tauchen nicht auf, die bei der Geburt nicht klar in eine der beiden Geschlechtskategorien passen; nach manchen Berechnungen handelt es sich dabei um 1,7 Prozent der US-Bürger:innen – das sind über 5 Millionen Menschen. Die Auslassung dieser beiden Personengruppen ist bedeutsam. Sie erinnert uns daran, dass Unterdrückung in vielen Formen auftreten kann: Zum einen kann sie auf eine bestimmte Gruppe zielen, wie hier auf trans Frauen, und zum anderen kann sie die Lebenswirklichkeit anderer Gruppen auslöschen, indem diese gar nicht genannt werden.
Weiter heißt es im Dekret: „Die Anstrengungen, die biologische Realität des Geschlechts auszumerzen, greifen im Grunde Frauen an, denn sie berauben sie ihrer Würde, ihrer Sicherheit und ihres Wohlergehens. Die Auslöschung des Geschlechts in Sprache und Politik hat zersetzende Auswirkungen nicht nur auf Frauen, sondern auch auf die Rechtsgültigkeit des gesamten amerikanischen Systems. Die Politik der Bundesregierung auf Wahrheit zu begründen, ist entscheidend für wissenschaftliche Forschung, öffentliche Sicherheit, Moral und Vertrauen in die Regierung selbst.“
Obwohl sich das Dekret hier denjenigen entgegenstellt, die „die biologische Realität des Geschlechts ausmerzen“ wollen, bestimmt es zugleich, welche Interessen Frauen haben, was für das Vertrauen in die Regierung nötig ist und was eine Herausforderung für das „gesamte amerikanische System“ darstellt.
Die Regelung der Geschlechtszuordnung und die Auslöschung der legalen Existenz von trans, intersexuellen und nichtbinären Personen ist damit eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung: Das „gesamte amerikanische System“ steht auf dem Spiel. Natürlich sollen Würde, Sicherheit und Wohlergehen von Frauen garantiert sein, aber wenn wir dieses Prinzip anerkennen, dann hat es keinen Sinn, die Würde, die Sicherheit und das Wohlergehen einer Personengruppe zu sichern, indem man eine andere Gruppe ihrer Würde, Sicherheit und ihres Wohlergehens beraubt.
Denn das Dekret liefert trans Personen tatsächlich einer radikalen Demütigung und Unsicherheit aus, wenn nicht gar der Nichtexistenz. Frauen, auch trans Frauen – ebenso wie trans, intersexuelle und nichtbinäre Personen – haben allesamt das Recht, keine Angriffe auf ihre Würde, ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen erleiden zu müssen; nicht nur, weil das Prinzip für alle gilt, sondern auch, weil sich die genannten Kategorien überschneiden.
Das Dekret will nicht nur Frauen vor genderideologischem Extremismus schützen, sondern auch das Primat der US-Regierung über die „biologische Wahrheit“ festschreiben. Doch was bedeutet das eigentlich? Und welche Konsequenzen hat das? Das Dekret will der Biologie der Geschlechter eine verbindliche Ordnung vorgeben: Es soll zwei und nur zwei Geschlechter geben, und jedes soll unverändert so bleiben, wie es zu Beginn zugewiesen wurde. Das heißt, ab jetzt ist „biologische Wahrheit,“ was auch immer die Regierung dazu erklärt. So viel zum Thema Entwicklungsbiologie oder der Forschung zur Geschlechtsbestimmung in Anthropologie, Neurologie, Endokrinologie oder anderen Wissenschaften. Die Keimzellen-Theorie hat gewonnen – heißt es jedenfalls vonseiten der Regierung.
Vorgeblicher Schutz von Frauen
Trump erließ das Dekret Nr. 14168 am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit. Neun Tage später unterzeichnete er das Dekret Nr. 14188: „Additional Measures to Combat Antisemitism“ (ergänzende Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus), das die Aufmerksamkeit auf eine „beispiellose Welle widerwärtiger antisemitischer Diskriminierung, auf Vandalismus und Gewalt gegenüber unseren Bürgern vor allem in unseren Schulen und auf unseren Universitätsgeländen“ lenkt.
Das Dekret will „die Täter verfolgen, entfernen oder auf andere Weise verantwortlich machen“. Am 8. März wurde Mahmoud Khalil, der dank einer Green Card eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich im letzten Jahr an Protesten gegen Israels Gazakrieg beteiligt hatte, von Beamten der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) verhaftet (siehe den Beitrag von Eric Alterman auf Seite 11). Trump schrieb online: „Das ist die erste Verhaftung, viele weitere werden folgen.“
Auf den ersten Blick hat die Verfolgung von Menschen, die für die Freiheit Palästinas demonstrieren, nichts mit der Kritik an der „Gender-Ideologie“ zu tun oder mit dem Bestreben der Regierung, trans Menschen ihrer Rechte zu berauben. Die Verbindung wird jedoch deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, wer oder was als Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft gilt.
Bildungseinrichtungen und gemeinnützige Organisationen, besonders progressive, laufen Gefahr, ihre Steuerbefreiung einzubüßen, wenn sie sich für Projekte mit Palästina-Bezug engagieren oder Studierende nicht exmatrikulieren, die sich an spontanen oder „nicht genehmigten“ Protesten beteiligen. Sollten die Pläne der Heritage Foundation in offizielle Politik umgesetzt werden, dann gelten fortan Institutionen oder Organisationen, die Projekte fördern, die den Staat Israel kritisieren – oder genauer: die als israelkritisch ausgelegt werden können –, als antisemitisch und als Terrorunterstützer. Wenn sie Projekte zu race oder Gender fördern, machen sie sich nicht nur des „Wokismus“ schuldig, sondern werden als Gegner der gesellschaftlichen Ordnung betrachtet, über die sich heute die USA definieren – mit anderen Worten: als Bedrohung der Nation.
Wie sähe diese wiederhergestellte „Ordnung“ aus, sollte die Trump-Regierung erfolgreich sein? Keine Mittel für Forschung und Bildung ohne Erfüllung autoritärer Vorgaben; keine Steuerbefreiungen für gemeinnützige Organisationen; kein Ort für Migrant:innen oder internationale Studierende, die ihre Rechte einzufordern wagen. Keine Gesundheitsversorgung für trans Jugendliche.
In der Annahme, sie müssten die heteronormative Familie schützen und die weiße Überlegenheit (White Supremacy) wiederherstellen, schüren rechte nationalistische Bewegungen Hass gegen eingewanderte ebenso wie gegen trans Menschen. Autoritäre Regime greifen zunehmend auf Gender als Angstmacher zurück, um von wirtschaftlicher, ökologischer und gesellschaftlicher Unsicherheit abzulenken. Die Argumente gegen die „Gender-Ideologie“ sind die gleichen, die in Deutschland gegen die postkoloniale Theorie oder in den USA gegen die „Critical Race Theory“ ins Feld geführt werden; dabei wird eine karikierte Darstellung eines komplexen Forschungsfelds angegriffen, während die tatsächliche Forschungsarbeit auf dem Gebiet ignoriert wird.
Wenn Autoritäre die Rückkehr zu einer imaginären Vergangenheit versprechen, dann schüren sie eine wütende Nostalgie bei denjenigen, die keine bessere Möglichkeit haben zu verstehen, was ihren Wunsch nach einer nachhaltigen und sinnvollen Zukunft in Wahrheit untergräbt. Wir finden das in den Diskursen der AfD in Deutschland, der Fratelli d’Italia, bei Bolsonaro-Anhängern in Brasilien, bei Trump, Orbán und Putin.
Wir können den Anti-Gender-Geist aber auch bei Protagonisten der politischen Mitte beobachten, die sich Unterstützung von rechts erhoffen, um sich an der Macht zu halten. Wenn Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion zu einer „Bedrohung“ der gesellschaftlichen Ordnung erklärt werden, macht man progressive Politik insgesamt für jedes gesellschaftliche Übel verantwortlich.
Wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, kann das Ergebnis sein, dass – unterstützt von Teilen der Bevölkerung – autoritäre Kräfte an die Macht kommen, die versprechen, die verletzlichsten Menschen ihrer Rechte zu berauben, um die Nation, die natürliche Ordnung, die Familie, die Gesellschaft oder gar die Zivilisation zu retten. Die Ideale des demokratischen Rechtsstaats und der Bürger- und Menschenrechte werden im Verlauf solcher Kampagnen als verzichtbar erklärt, weil die Rettung der Nation über allem steht: Es geht um Selbstverteidigung.
Jede wirksame Antwort auf die Anti-Gender-Bewegung braucht eine Kritik der neuen Formen des Autoritarismus und der Gefühle, die sie für sich ausnutzen. Es ist natürlich richtig, dass wir „Gender“ gegenüber denjenigen, die sich in einen Kampf der Ahnungslosen gestürzt haben, Punkt für Punkt verteidigen. Doch das wird nicht ausreichen.
Wir brauchen ein besseres Verständnis der Ängste, die Autoritäre nutzen und schüren: Wer ist dieser „Migrant“, der so gefährlich ist, dass man ihn ausweisen muss; wer dieser „Palästinenser“, dessen Tod die gesellschaftliche und politische Ordnung sichert? Was steckt in diesem „Gender“-Begriff, das so bedrohlich zu sein scheint für das Selbst, die Familie und die Gesellschaft?
Jede Alternative zum Autoritarismus muss diesen Ängsten mit einer überzeugenden Vision von einer Welt begegnen, in der es Sicherheit für all diejenigen gibt, die gerade befürchten müssen, dass sie selbst und ihre Communitys verschwinden. In dieser gemeinschaftlich begründeten, von demokratischen Idealen inspirierten, imaginierten Welt werden die Bürgerrechte nicht außer Kraft gesetzt, es gibt keine Unterdrückung und keine Zwangsenteignungen. Sämtliche Formen von Gewalt werden abgelehnt, auch die gesetzmäßigen, um die Gleichheit, den Wert und die gegenseitige Verbundenheit aller lebenden Wesen zu bekräftigen. Das ist zweifellos naiv und unrealistisch – aber nicht weniger nötig.
Aus dem Englischen von Sabine Jainski
Judith Butler lehrt Komparatistik, Gender Studies und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.
© London Review of Books; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin