Fit für den Klimakollaps?
Technische Lösungen sollen eine Anpassung an die globale Erwärmung ermöglichen – eine fatale Illusion
von Fabienne Barataud, Laurent Husson und Stéphanie Mariette
Der französische Minister für ökologischen Wandel, Christophe Béchu, sorgte für einiges Aufsehen, als er im Februar 2023 erklärte, man müsse das Land auf einen Temperaturanstieg um 4 Grad vorbereiten. Noch größer war die Aufregung, als er diese Aussage nach der 28. UN-Klimakonferenz (COP 28) im Dezember wiederholte und seinen Plan vorstellte, Frankreich für die Klimakrise fit zu machen: „Ein Anstieg um 4 Grad ist nicht pessimistisch, sondern stützt sich auf genau das, was uns die Fachleute vom Weltklimarat sagen. Sie rechnen heute mit einer Klimaänderung, die weltweit zu einem Temperaturanstieg zwischen 2,8 und 3,2 Grad führt, was 4 Grad für unser Land bedeutet.“1
Ganz pragmatisch geht Béchu also davon aus, dass internationale Abkommen nicht eingehalten werden und dass sich eine hinreichende Beschränkung der Erwärmung durch die Reduktion von Treibhausgasen nicht durchsetzen lässt. Wer sich in diesem Maß auf Anpassung fokussiert, hat die Möglichkeit, kostspielige politische Entscheidungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Beschränkung und Anpassung werden vereinfachend so dargestellt, als handle sich um ein System kommunizierender Röhren, in dem Anpassung die Versäumnisse bei der Beschränkung ausgleichen könne.
Diese Strategie beruht auf Annahmen, die durch verschiedene Tatsachen widerlegt werden. Sie unterstellt eine Schritt-für-Schritt-Anpassung an die Auswirkungen der Klimakrise, so als würde man einen Deich nach und nach um eine Reihe Ziegelsteine erhöhen. Außer Acht bleibt, dass die Mittel dafür immer weniger aufzubringen sind, wenn sich das ökonomische, industrielle und politische Umfeld in bisher unbekanntem Ausmaß verschlechtert.
Die Arbeitsgruppe 2 des Weltklimarats (Auswirkungen, Anpassung, Verwundbarkeit) geht zwar als Arbeitshypothese von einer politischen und wirtschaftlichen Stabilität aus, erkennt aber indirekt an, dass jenseits der Erwärmung um 1,5 Grad ihre Prognose für die Anpassung nur eine spekulative Antwort auf ein schlecht definiertes Problem sein kann. Deshalb betonen die Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, Hans-Otto Pörtner und Debra Roberts, dass eine Anpassung an 4 Grad nicht möglich sei.2
Der Weltklimarat führt die politischen Entscheidungsträger jedoch in die Irre, wenn er sich als apolitisch ausgibt, in Wirklichkeit aber für sein Ziel einer nachhaltigen Entwicklung ein konstantes Wirtschaftsmodell voraussetzt und Risiken durch Brüche und Krisen ausschließt.
Auf dieser Grundlage haben vereinfachende Anpassungsstrategien Hochkonjunktur, die die globale Frage in eine Vielzahl lokaler, voneinander unabhängiger technischer Probleme aufspalten. Dabei sagt sogar die sehr bescheidene Abschlusserklärung der COP 28: „Die Auswirkungen des Klimawandels sind oft grenzüberschreitend und bergen die Gefahr von Dominoeffekten.“
Ein Beispiel: Immer häufiger auftretende Waldbrände zerstören den Boden, der leichter ausgewaschen wird und weniger Regenwasser speichert; was die Wasserreserven schrumpfen lässt, besonders in Hitzeperioden, die ebenfalls häufiger werden. Das wiederum bringt die Volkswirtschaften in Bedrängnis, die schlechter imstande sein werden, gegen die Umweltzerstörung vorzugehen.
Natürlich kann Technik eine Rolle spielen, um bestimmten Umweltproblemen zu begegnen. Eine Argumentation, die ausschließlich auf technischen Erwägungen beruht, unterschlägt aber, dass dem wirtschaftlichen Wachstum Grenzen gesetzt sind. Das hat der Club of Rome schon vor 50 Jahren festgestellt. Der Geologe Olivier Vidal weist außerdem darauf hin, dass „die Verfügbarkeit von Bodenschätzen und Energieressourcen die Energiewende, die ihrerseits zu einem Überkonsum führen wird, riskant macht“.
Die Energiewende erzeugt neuen Überkonsum
„Technosolutionismus“ ist das Wort der Stunde. Doch wenn Béchu „Bezugssysteme, Normen oder technische Vorschriften“3 zur Diskussion stellt, kann man darauf wetten, dass es darum geht, sie aufzuweichen. Die Geschichte zeigt zudem, dass die Nachteile bestimmter technischer Lösungen oft aus übertriebenem Optimismus ignoriert werden. Dabei bedeuten sie eine Anpassung der Menschheit und der Umwelt an komplexe Technologien, die – wie im Fall der Atomkraft – die Unsicherheiten für das Leben erhöhen.
Durch eine extrem schnelle semantische Verschiebung in den Medien wurde der ethisch unannehmbare Vorschlag des Geoengineering als eine vernünftige Lösung dargestellt. Die einflussreiche Climate Overshoot Commission, die die Bekanntheit ihrer Mitglieder, wie etwa ihres Vorsitzenden Pascal Lamy (ehemaliger WTO-Generaldirektor) nutzt, hat die Erwartungen an die Modifikation der Sonneneinstrahlung (Solar Radiation Modification, SRM) gesenkt. Doch obwohl sie angesichts der „Ungewissheiten und Risiken“ ein Moratorium für den Einsatz von SRM fordert, spricht sie sich dafür aus, „SRM weiterzuverfolgen und Governance-Ansätze zu erforschen“.4
Die Anhänger des Technosolutionismus verbreiten sensationelle, wenn auch wissenschaftlich nicht begründete Ankündigungen und lenken damit von den wahren Problemen ab. Die Entwicklung technisch plausibler, sozial gerechter und ethischer Lösungen werden so ausgebremst.
Mit dem Geoengineering betrifft die Technisierung heute nicht mehr nur den Menschen: Die gesamte Umwelt, die belebte und die unbelebte, soll beherrschbar werden. Nachdem der Mensch die Gesellschaft, Landschaften, Wasserläufe und Biosphäre geformt hat, sucht er jetzt einen „Wärmeregler“ für die Atmosphäre, damit sie an die Nachfrage „angepasst“ werden kann.
Hinter den Anpassungsplänen steckt eine prometheische Hybris, die auf einer frommen Fortschrittsgläubigkeit beruht. Die Aufklärung beförderte diese Entwicklung – nicht zuletzt mit der unglücklichen und oft verfälschten Formulierung von René Descartes, der uns auffordert, uns „zu Herren und Eigentümern der Natur zu machen“.
Demnach wären Wälder nur mehr ein Potenzial für die Dekarbonisierung der Atmosphäre und nicht Ökosysteme, die für das komplexe Gleichgewicht, von dem alles Leben abhängt, entscheidend sind. Der Plan, massiv Bäume zu pflanzen (in Frankreich bis 2030 eine Milliarde), wird durch den Mechanismus der CO2-Kompensation zur Rechtfertigung für die Unterstützung von Sektoren wie der Luftfahrt.
In der Geschichte wurde das mehrdeutige Darwins Konzept der Anpassung und Selektion oft genutzt, um menschliche Gesellschaften kolonial zu unterwerfen. In der Biologie bezieht sich der Terminus „Anpassung“ sowohl auf das unterschiedliche Verhalten verschiedener Subjekte als auch auf den Zustand, der durch das Vorhandensein vorteilhafter Eigenschaften in einer bestimmten Umgebung erreicht wird.
Für die extreme Rechte lag es nah, von der Darwin’schen Anpassung eine Parallele zur menschlichen Anpassung an die globale Erwärmung zu ziehen, um ein Medienthema daraus zu machen. Natürlich haben sich in der Vergangenheit menschliche Populationen durch die Selektion geeigneter Gene an unterschiedliche Umweltbedingungen angepasst, aber das geschah in ganz anderen Zeiträumen. Und wenn eine Spezies in einer bestimmten Umgebung existiert, heißt das noch lange nicht, dass sie ihr optimal angepasst ist. Überleben ist nicht gleich gut leben.
Im 20. Jahrhunderts wurde die evolutionäre Anpassung zu einem Mantra der Neoliberalen; doch die Umwelt, um die es ihnen ging, war nicht die physische, lebendige Welt, sondern die der Industriegesellschaft. Wohl wissend, wie wenig die menschliche Spezies an die industrielle Umgebung angepasst ist, erzwangen sie Anpassung durch politische Maßnahmen und fabrizierten einen Konsens in der öffentlichen Meinung. Der Historiker Jean-Baptiste Fressoz schreibt, dass die Industriestaaten seit den 1970er Jahren, „ohne es auszusprechen, Wachstum und Erderwärmung gewählt und sich auf die Anpassung verlassen“ haben.5
Die Atmosphäre soll sich der Nachfrage anpassen
Die Dampfwalze der Industriegesellschaft trifft auf freiwillige Unterwerfung. Sie assimiliert Kulturen, und macht sich die physische Welt und alles Lebende „passend“. Zwei Grenzen wurden überschritten: Erst wurde die menschliche Gesellschaft und dann die gesamte physische und lebende Welt zu bloßen Mitteln des technischen Systems. Die Umkehr der Unterordnungsverhältnisse vollendet das neoliberale Projekt durch die totale politische Kontrolle aller Sphären der Erde.
Es ist wenig überraschend, dass sich menschliche Gesellschaften der Zerstörung der Umwelt widersetzen. Und überall werden Umweltaktivist:innen zum Ziel von Repressionen, sowohl moralischen, wenn sie als „Ökoterroristen“ verunglimpft werden, als auch körperlichen, wenn sie getötet oder von Ordnungskräften schwer verletzt werden. Dies zeugt davon, dass die Industriegesellschaft, um weiterzumachen wie bisher, kein anderes Mittel hat als den Zwang, während der Niedergang der Umwelt und die Reaktion der Gesellschaft sich verstärken.
Die Analogie zur Physik ist naheliegend: Damit die Entropie (das Maß der Unordnung) eines thermodynamischen Systems, dessen Gesamtenergie zunimmt, nicht steigt, muss man den Druck erhöhen. Analog dazu hilft der autoritäre Durchmarsch, die gegenwärtige Strategie der Anpassung durchzusetzen.
Die französische Regierung tut so, als sei die Erderwärmung schicksalhaft, weshalb man sich anpassen müsse. Damit entpolitisiert sie die Diskussion und predigt autoritäre kapitalistische Lösungen für die unvermeidliche Umweltkatastrophe. Bis dahin ist es nicht mehr weit: Das von einer Reihe von französischen Wissenschaftler:innen vorangetriebene „Manhattan-Projekt für den ökologischen Wandel“, (eine Anspielung auf das US-Atomwaffenprojekt im Zweiten Weltkrieg) ist ein Vorbote dieses Ökoautoritarismus. Wenn die gemeinsame Zukunft von einer selbsternannten Elite beschlagnahmt wird und komplexes Wissen sich in den Händen von einseitig orientierten Experten konzentriert, dann haben wir allen Grund, uns Sorgen zu machen.
Die ehemalige Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe 1 des Weltklimarats, Valérie Masson-Delmotte, unterstreicht, dass „die große Herausforderung darin besteht, mögliche und wünschenswerte Alternativen aufzuzeigen“. Die gibt es bereits. In technischer Hinsicht sind Mechanismen zur „positiven Anpassung“ bekannt und verfügbar: Dazu muss man nur die Industrie und die Finanzmärkte disziplinieren und die Entwicklung eines Engineerings fördern, das in der Natur begründete Lösungen entwickelt. Aufforstung fängt das Kohlendioxid ein, Stadtbegrünung senkt die Temperaturen, ökologische Landwirtschaft schont die Ökosysteme.
Können wir nicht mutiger sein? Die Überlegungen zu einer Erwärmung von bis zu 4 Grad beruhen ja auf einer politischen und ideologischen Weichenstellung, die die Verschlimmerung der Umweltbedingungen akzeptiert oder externalisiert. Es gibt aber andere Modelle, die uns auffordern, die Gegensätze zwischen Gesellschaft und Natur aufzugeben.
Die Anpassung könnte die Form eines positiven Verzichts auf die kapitalistische Raserei annehmen. Bewegungen wie Earth Uprising International schlagen dergleichen vor: die zerstörerischen Gewohnheiten abzulegen und eine Zukunft zu gestalten, die weder durch Partikularinteressen noch durch Technikexperten festgelegt ist. Wenn sie richtig umgesetzt werden, könnten solche Vorschläge die sich selbst erfüllenden Prophezeiungen hinfällig machen, dass wir auf ein neues autoritäres Zeitalter zusteuern.
4 „Reducing the risks of climate overshoot“ (PDF), Climate Overshoot Commission, September 2023.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Fabienne Barataud (Geografin, Forschungsingenieurin am Inrae), Laurent Husson (Geophysiker, Forschungsdirektor Geowissenschaften am CNRS) und Stéphanie Mariette (Populationsgenetikerin, Forschungsbeauftragte am Inrae) sind Mitglieder des Kollektivs Scientist Rebellion.