08.02.2024

Afrika und die Palästinafrage

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Afrika und die Palästinafrage

von Alhadji Bouba Nouhou

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Nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und Israels militärischer Reaktion hüllten sich die meisten afrikanischen Regierungen in Schweigen. Togo, Kenia, die Demokratische Republik Kongo (DRK) und Senegal – Länder mit wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen zu Israel – verurteilten auf X die von der Hamas verübten Massaker. Ghana unterstützte Israel nachdrücklich (12. Oktober 2023), und Kamerun schickte ein offizielles Kondolenzschreiben nach Tel Aviv (8. Oktober).

Dschibuti, die Komoren, Somalia, Mali, Niger, Algerien, Tunesien und Mauretanien, die Israel bis heute nicht anerkannt haben, bekräftigten hingegen ihre Unterstützung für die palästinensische Sache. Als sich die humanitäre Lage in Gaza verschlechterte, zog Tschad, das seit einigen Jahren seine Beziehungen zu Israel normalisiert hat, als erster afrikanischer Staat seinen Botschafter zurück. Südafrika folgte diesem Beispiel und verklagte zudem Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH).

Die unterschiedlichen Reaktionen spiegeln den Wandel auf dem Kontinent wider, seit auf der afrikanisch-asia­tischen Konferenz von Bandung 1955 – unter Ausschluss Israels – die „Rechte des arabischen Volks von Palästina“ im Kontext von Menschenrechtsfragen erstmals auf der Agenda standen. Nach weiteren Gipfeltreffen der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und später der Afrikanischen Union (AU), in der die palästinensische Frage stets Thema war, setzte sich 1971 beim Gipfel von Dakar ein Komitee aus zehn Staatschefs1 unter der Leitung des senegalesischen Präsidenten Léopold Senghor für eine Zweistaatenlösung ein.

Seit den 1960er Jahren unterhielt Israel mit Äthiopien, Uganda, Zaire (der späteren DRK), Kenia, Ruanda, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik Kooperationsabkommen. Besucher aus diesen Ländern kamen nach Israel und studierten die Organisation der Kibbuzim. Nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 brachen fast alle afrikanischen Staaten (mit Ausnahme von Malawi, Botswana, Swasiland, Lesotho und Südafrika) die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. 1983 bezog die aus dem Libanon vertriebene PLO ein neues Hauptquartier in Hammam Chott in Tunesien, das 1985 von Israel bombardiert wurde. Tunis bezeichnet die Normalisierung von Beziehungen zu Israel bis heute als „Hochverrat“.

Diplomatenpass für Arafat

Die AU folgt in ihrer Haltung zu Gaza den UN. Ihr Vorsitzender Moussa Faki rief beide Seiten zu Verhandlungen auf. Faki hatte im Juli 2021 für einen diplomatischen Eklat gesorgt, als er Israel einen Beobachterstatus bei der AU gewährte. Die Entscheidung sei nicht gemäß der AU-Satzung geprüft worden, hieß es. Im Februar 2023 wurde die israelische Vertreterin auf dem AU-Gipfel in Addis Abeba des Saales verwiesen, und Faki erklärte Israels Beobachterstatus für ausgesetzt, bis eine Kommission darüber entschieden habe.2

Der Handel mit Afrika macht zwar nur 1,5 Prozent des israelischen Außen­handels aus, aber das Wachstums­potenzial schätzt die israelische Wirtschaft als beträchtlich ein, besonders in den Bereichen Cybersicherheit, ­E-Health und Telekommunikation.

Außerdem haben bilaterale Abkommen – etwa mit Kamerun, Togo, Senegal, Ghana, Kenia – dazu beigetragen, feindselige Positionen gegen Israel abzuschwächen; und die mit Israel in wirtschafts- oder sicherheitspolitischer Hinsicht verbundenen Staaten wie Uganda, Ruanda, Marokko und Ägypten halten sich mit Kritik zurück oder unterstützen die AU-Position.

Senegal hat nun eine Kehrtwende vollzogen, indem es die Massaker der Hamas entschieden verurteilte. 1967 hatte das Land PLO-Chef Arafat einen Diplomatenpass angeboten, und seit 1975 leitet Senegal das UN-Komitee für die unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes. Außerdem ini­tiier­te Senegal mit Neuseeland und Venezuela die Resolution 2334 des Sicherheitsrats, die den israelischen Siedlungsbau in Palästinensergebieten verurteilte. Israel brach daraufhin die di­plo­ma­tischen Beziehungen zu Dakar ab, nahm sie aber im Juni 2017 wieder auf.

Die Beziehungen zum Sudan sind wechselvoll: Lange Zeit beschuldigte Israel das Land, iranische Waffenlieferungen an die Hamas über den Sinai zu ermöglichen; der Sudan machte Israel für Bombenangriffe zwischen 2009 bis 2012 verantwortlich. Der Putsch gegen Präsident al-Bashir im April 2019 brachte eine unerwartete Wendung: Im Februar 2020 traf Netanjahu mit Staatschef al-Burhan zusammen und twitterte: „Israel und der Sudan haben Gespräche über eine Normalisierung ihrer Beziehungen aufgenommen.“

Vonseiten der PLO war daraufhin von einem „Dolchstoß in den Rücken des palästinensischen Volkes“ die Rede. Al-Burhan beteuerte, diese Normalisierung habe nichts mit dem Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat zu tun, es gehe um die Versöhnung des Sudan mit der internationalen Gemeinschaft, die auch Israel einschließe.

Am erfolgreichsten war Israel zuletzt in Marokko, das beim Arabischen Gipfel 1974 die PLO als „einzige und legitime Vertretung des palästinensischen Volkes“ anerkannt hatte. Das Land normalisierte seine Beziehungen zu Israel nach dem Oslo-Abkommen 1994, brach sie im Jahr 2000 aber wieder ab. 2016 initiierte es zusammen mit Algerien, Ägypten, Libanon, Katar, Oman und dem Sudan eine Unesco-Resolution, in der im Zusammenhang mit den archäologischen Ausgrabungen in Jerusalem die historische Verbindung zwischen dem Judentum und der Stadt bestritten wurde.

Unter dem Druck der USA und als Gegenleistung für die Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara nahm Rabat im Dezember 2020 wieder Kontakt mit Israel auf; im Juli 2023 erkannte Netanjahu Marokkos Anspruch auf die Westsahara ebenfalls an. Beide Länder wollen ihr Handelsvolumen auf über 500 Mil­lio­nen US-Dollar pro Jahr steigern und ihre Zusammenarbeit bei der Digitalisierung, der Automobil- und Lebensmittelindustrie, der Luftfahrt und erneuerbaren Energien ausbauen. Am 24. November 2021 unterzeichneten Tel Aviv und Rabat außerdem ein Sicherheitsabkommen.

Diese Annäherung wurde von Algerien, das im August 2021 die diplomatischen Beziehungen zu Marokko abgebrochen hat, heftig kritisiert. Unmittelbar nach dem Hamas-Anschlag vom 7. Oktober rief Marokko dazu auf, die „gefährliche Eskalation“ zu beenden, und forderte eine Dringlichkeitssitzung des Rats der Arabischen Liga auf Außenministerebene. Die marokkanische „Front zur Unterstützung Palästinas und gegen die Normalisierung“ organisierte daraufhin am 20. Oktober eine Kundgebung zur Unterstützung des Gazastreifens und forderte die Annullierung der Normalisierungsabkommen.

Anfang dieses Jahres spitzte sich die Palästinafrage für Afrika auf unerwartete Weise zu. Am 3. Januar berichtete die Times of Israel, Israel arbeite an einem Plan zur „freiwilligen“ Umsiedlung von Palästinensern aus Gaza in den Kongo (ohne ein konkretes Land zu nennen), den Tschad oder nach Ruan­da. Die Zeitung bezog sich dabei auf eine hochrangige Quelle im israelischen Sicherheitskabinett. „Unser Problem ist es, Länder zu finden, die die Bewohner von Gaza aufnehmen wollen, und daran arbeiten wir“, wurde Netanjahu in dem Bericht zitiert. Sowohl die betroffenen afrikanischen Regierungen als auch Israel bestritten, dass es solche Verhandlungen gegeben habe.

In Dakar, Kaduna und Kapstadt bekunden die Menschen derweil in großen Demonstrationen ihre Solidarität mit Palästina. Wohin die Diskrepanz zwischen den Völkern und ihren politischen Vertretern führen wird, ist noch nicht absehbar. Aber eines ist schon jetzt sicher: Der Krieg in Gaza hat den israelischen Bemühungen um eine Normalisierung seiner Beziehungen mit dem afrikanischen Kontinent einen schweren Schlag versetzt.

Alhadji Bouba Nouhou

1 Kamerun, Äthiopien, Elfenbeinküste, Kenia, Liberia, Mauretanien, Nigeria, Senegal, Tansania und Zaire.

2 Suraya Dadoo, „The African Union’s muddled posi­tion on Israel“, New Arab, 6. März 2023.

3 Mit Guinea, Mali, Namibia, Nigeria, Senegal, Sierra-Leone, Südafrika, Madagaskar und Tunesien und 16 weiteren Staaten.

Aus dem Französischen von Jakob Farah

Alhadji Bouba Nouhou ist assoziierter Wissenschaftler am Centre Montesquieu de recherche politique der Universität Bordeaux-Montaigne.

Le Monde diplomatique vom 08.02.2024, von Alhadji Bouba Nouhou