Die Rückkehr der Generäle
Die französische Politik im Sahel wird zunehmend von Militärs bestimmt. Diplomaten haben kaum noch etwas zu melden
von Rémi Carayol
Vergangenen Februar bombardierte die französische Luftwaffe eine Panzerkolonne der bewaffneten Oppositionsgruppe UFR im Tschad. Französische Zeitungen erinnerten daraufhin daran, dass sich die einstige Kolonialmacht Frankreich im Tschad immer wieder eingemischt hat.1
Die Militäroperation vom Februar, bei der vermutlich mehrere Mitglieder der UFR getötet wurden, war jedoch etwas Besonderes: Zum ersten Mal seit langer Zeit bekannte sich Frankreich offen dazu, in innenpolitische Auseinandersetzungen eingegriffen und Gewalt angewendet zu haben, um seinen Verbündeten, den Präsidenten Idriss Déby, nicht gerade ein lupenreiner Demokrat, zu stützen.
Die Journalistin Marielle Debos bemerkte dazu, Frankreich begnüge sich „nicht mehr damit, günstige Bedingungen für einen Sieg der tschadischen Armee zu schaffen. Es bombardiert die Rebellen jetzt selbst.“ Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian übernahm die propagandistische Sprachregelung des Regimes in N’Djamena und bezeichnete die Rebellen als Terroristen. Die Intervention der französischen Luftwaffe vom Februar verglich er mit der Operation Serval in Mali vom Januar 2013, die den Vormarsch der Dschihadisten auf Bamako aufgehalten hatte.
Im Nachbarland Niger herrscht seit 2011 Präsident Mahamadou Issoufou, 2016 wurde er im Amt bestätigt. Obwohl auch er die Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt hat, scheint er genauso unantastbar zu sein wie sein Amtskollege im Tschad. Den französischen Streitkräften lässt er freie Hand; von der französischen Basis in Niamey starten Drohnen, die offiziell die terroristischen Bewegungen in der Sahelzone überwachen.
„Weil es in der militärischen Kultur so verankert ist, denken die Offiziere, man brauche einen starken Mann an der Spitze des Staates, um einer terroristischen Bedrohung zu widerstehen“, erklärt ein französischer Diplomat, der in dieser Gegend tätig ist und lieber anonym bleiben möchte. „Sie wollen nicht begreifen, dass ihre Unterstützung für Autokraten auch dazu führen kann, dass Menschen sich den Terrorgruppen anschließen oder zumindest mit ihnen sympathisieren.“
Seit dem verstärkten militärischen Engagement Frankreichs in der Sahelzone seit 2013 wachse der Einfluss des französischen Generalstabs in Politik und Diplomatie. „Im Sahel verdrängt der Sicherheitsaspekt inzwischen jede andere Erwägung“, stellt er verbittert fest. „Deshalb ist das Militär für die Regierung zum unverzichtbaren Ansprechpartner geworden. Seine Analysen zählen mehr als unsere.“
In manchen Ländern der Sahelzone reden die Staatschefs inzwischen erst mit den französischen Offizieren, bevor sie sich an die Botschafter wenden. Évelyne Decorps, von 2013 bis 2016 französische Botschafterin in N’Djamena, und von 2016 bis 2018 in Bamako, machte ihrem Unmut über diese „Konkurrenz“ öffentlich Luft. Prompt wurde sie 2018 vorzeitig nach Paris zurückberufen und zur Verwaltungsdirektorin für die Französischen Süd- und Antarktisgebiete (TAAF) ernannt – ein diplomatisches Abstellgleis.
Im Außenministerium wird gemunkelt, dass es die Armeeführung war, die dafür gesorgt hat, dass Decorps abgesägt wurde. Ihre Versetzung illustriert den sinkenden Stellenwert der Diplomatie, die nur noch die militärischen Entscheidungen begleitet und quasi als deren Kommunikationsagentur fungiert. So kollaboriert man etwa mit bewaffneten Milizen, beziehungsweise Rebellengruppen (wie in Niger und in Mali), oder weigert sich kategorisch, Verhandlungen mit dem „Feind“ aufzunehmen.
Zwei gewichtige Tendenzen haben diese Entwicklung seit 2013 beschleunigt. Zum einen wurde das Außenministerium geschwächt. „Das Militär besetzt nur den Platz, den die Diplomaten aufgegeben haben“, betont Laurent Bigot, der als stellvertretender Ressortleiter für Westafrika im Außenministerium tätig war und 2013 nach einer Meinungsverschiedenheit mit dem damaligen Minister Fabius kaltgestellt wurde. In den letzten 30 Jahren hat das Ministerium die Zahl seiner Mitarbeiter um 53 Prozent reduziert, die meisten Stellen wurden auf dem afrikanischen Kontinent gestrichen. Ein Parlamentsbericht von 2017 schätzt den Rückgang des diplomatischen Personals in der Region Afrika und Indischer Ozean in den letzten zehn Jahren auf knapp 40 Prozent.2
Diese Reduzierung erklären die Diplomaten damit, dass man Afrika am Quai d’Orsay nicht als noblen Einsatzort betrachte. „In einer militärischen Karriere hingegen ist ein Afrikaeinsatz Beweis für die Erfahrenheit – und gilt sogar als Auszeichnung“, meinen die Politikwissenschaftlerinnen Aline Lebœuf und Hélène Quénot-Suarez. So sei es zu erklären, dass „die Armee weniger Schwierigkeiten hat, Personal zu finden, das in manchen Fällen dann auch Diplomaten ersetzt“.3
Aufstandsbekämpfung wie in der Kolonialzeit
Parallel zum schwindenden Engagement des Außenministeriums lässt sich als zweite Tendenz der zunehmende Einfluss der Armee aufs öffentliche Leben und sogar bei politischen und diplomatischen Entscheidungen beobachten. Grégory Daho, Politikwissenschaftler an der Sorbonne, nennt das die „Rache der Generäle“.4
Seiner Meinung nach verlieren die Offiziere, die sich nach dem Algerienkrieg lange mit ihrer Meinung hatten zurückhalten müssen, nach und nach ihre Hemmungen, wenn es darum geht, sich in die Politik einzumischen. Seit den 1990er Jahren hätten „die gestiegenen technischen Voraussetzungen der Operationen und die Bürokratisierung der Verfahren die Einbeziehung der Generäle in außenpolitische Entscheidungsprozesse begünstigt“. Ihre Expertise werde immer mehr gebraucht. Und wenn es ein Gebiet gebe, mit dem die Armee nie den Kontakt verloren hat, dann sei das Afrika. Seit der Unabhängigkeit der einstigen Kolonien sei Frankreich dort stets technisch und militärisch präsent geblieben.
„Die Interventionsprofis für Afrika bilden heute die Reserve an verfügbarer Kompetenz“, so Daho weiter. Und diese befürworten eine offensive Strategie anstelle des im Kalten Krieg üblichen Abwartens. Sie profitieren von einem „neuen Gleichgewicht von Abschreckung und Intervention“, wie es in den letzten 20 Jahren besonders bei der Nato zu beobachten gewesen ist, und vom Wiedererstarken der Doktrinen zur Aufstandsbekämpfung aus der Kolonialzeit.
Ex-Diplomat Laurent Bigot sorgt sich, dass die Verdrängung der Diplomaten „zu einem Qualitätsverlust der Analysen“ führen könnte, „besonders wegen der fehlenden Erfahrung vor Ort, aber auch wegen Fehlern bei der Anwerbung“. Bigot weiter: „Aus dem Quai [d’Orsay] kommen keine Vorschläge mehr. Das Militär besetzt das Terrain. Es bringt viel mehr Ideen ein als die Diplomaten. Und das sind unweigerlich Ideen von Militärs.“
So lässt sich auch Frankreichs blinde Unterstützung für Malis Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta erklären: Der französischen Armee gegenüber ist er äußerst entgegenkommend und gewährt ihr in seinem Land jede Freiheit.5 Auch im Élysée-Palast wächst der Einfluss der Militärs. Das ist umso entscheidender, als der Präsident nach der französischen Verfassung als oberster Befehlshaber auch die Auslandseinsätze anordnet.6 So trieb der persönliche Generalstabschef der Präsidenten Sarkozy (2007–2012) und Hollande (2012–2017), General Benoît Puga, die Entscheidung für die Operation Serval 2013 maßgeblich voran und überzeugte Hollande, unverzüglich den Einsatz von Spezialkräften zu befehlen. Puga, auch „Monsieur Afrique“ genannt, hat seine militärische Ausbildung bei der Marine erhalten, deren Geschichte eng mit der Kolonisierung verbunden ist.
Auch der damalige Verteidigungsminister Le Drian spielte eine entscheidende Rolle. „Damals war Fabius Außenminister, aber er interessierte sich nicht besonders für Afrika“, erinnert sich ein Diplomat. „Und er hatte nicht das Ohr des Präsidenten. Ganz anders Le Drian, ein Vertrauter Hollandes. Ohne ihn lief nach dem Beginn der Operation Serval in Mali und der Operation Sangaris in Zentralafrika im Dezember 2013 gar nichts mehr.“ Le Drian wurde mit der Zeit zum wichtigsten Ansprechpartner der afrikanischen Staatschefs und übernahm damit faktisch Zuständigkeiten der Afrikaabteilung des Élysée und des Quai d’Orsay. 2017 machte Präsident Macron ihn dann tatsächlich zum Außenminister.
Le Drian pflegt nicht nur persönliche Beziehungen zum tschadischen Präsidenten Déby, sondern auch zum Präsidenten von Kongo-Brazzaville, Denis Sassou-Nguesso, und zum ägyptischen Machthaber Abdel Fattah al-Sissi. An der Einhaltung der Menschenrechte ist er nicht sonderlich interessiert.
Mit dem Erstarken der dschihadistischen Bewegungen bestimmt der Sicherheitsaspekt den Blick auf die Sahelregion und bringt ein Schwarz-Weiß-Denken hervor, das alles auf einen Kampf zwischen Gut und Böse reduziert. Doch manche der bewaffneten Gruppierungen sind eher als lokale Bewegungen mit konkreten sozialen und ökonomischen Anliegen zu betrachten denn als terroristische Gotteskrieger. Solange man diese Realität ausblendet, bleibt es undenkbar, mit ihnen zu verhandeln.
2017 begrub Le Drians Vorgänger Jean-Marc Ayrault die Verhandlungsinitiative der malischen Regierung, der eine Konferenz der nationalen Einigung vorausgegangen war, mit den Worten: „Wir befinden uns in einem Kampf ohne Wenn und Aber gegen diejenigen, die sich dem Terrorismus verschrieben haben. Und da gibt es nur einen Weg, keine zwei.“
Seit einigen Jahren steht auch die französische Entwicklungsagentur (Agence française de développement, AFD) zunehmend unter dem Einfluss der Armee. Bei einer Anhörung vor Parlamentsabgeordneten am 22. Mai 2019 bestätigte AFD-Generaldirektor Rémy Rioux, er versuche seit seinem Amtsantritt „das Thema Sicherheit und Entwicklung zusammen mit dem Generalstab der Armee voranzubringen“.
Konkret bedeute das zum Beispiel den Austausch von Verbindungsleuten: Ein Offizier wird für die AFD abgestellt, während ein AFD-Beamter zum Generalstab der Operation Barkhane7 nach N’Djamena entsandt wird. Jeden Monat treffen sich Diplomaten, Entwicklungshelfer und Offiziere im Außenministerium. Zunehmend knüpfen auch Forschungsinstitute und Universitäten Verbindungen zur Armee.
Die Generäle reiben sich die Hände. Für sie ist die zivil-militärische Zusammenarbeit (Cimic), die sämtliche Aktivitäten in einem Interventionsgebiet steuert und die Beziehungen zwischen militärischen Organisationen und zivilen Akteuren koordiniert, von großer Bedeutung. Ihrer Meinung nach trägt sie dazu bei, „die Akzeptanz der Streitkräfte durch die lokale Bevölkerung zu erhöhen“, wie Grégory Daho meint.
Weil die Generäle militärischen Interessen gegenüber allen anderen Erwägungen den Vorrang geben, würde die AFD immer öfter aufgefordert, Projekte in Gebieten zu finanzieren, in denen die Armee aktiv ist. Entwicklungsexperten und -helfer knirschen angesichts dieser Zusammenarbeit mit den Zähnen. „Es ist nicht einfach“, konstatiert ein AFD-Mitarbeiter nüchtern. „Militärische und zivile Akteure haben nicht dieselbe Kultur. Entwicklungshelfer müssen langfristig denken, das Militär denkt kurzfristig.“
Brunnen bohren, eine Krankenstation oder einen Markt aufbauen, Lebensmittel verteilen: Das Militär verlangt sichtbare Projekte, um dort, wo es operiert, so schnell wie möglich „die Herzen und die Köpfe“ zu gewinnen. Für die „Entwickler“ ist eine solche Strategie, die ohne die Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen vor Ort auskommt, äußerst zweischneidig. Besonders in abgelegenen Regionen besteht die Gefahr, dass das ohnehin große Misstrauen der örtlichen Bevölkerung gegenüber der Zentralregierung weiter wächst.
Dahinter steht das sogenannte 3D-Konzept („diplomatie, défense, développement“ – Diplomatie, Verteidigung, Entwicklung). Lange stand es in Frankreich auf dem Abstellgleis, unter Macron erhielt es wieder Priorität. Die Anhänger dieses „integrierten Ansatzes“ legen Wert darauf, ihn vom „globalen Ansatz“ abzugrenzen, den die USA im Irak und in Afghanistan verfolgen. In der Theorie sollen beim 3D-Konzept militärische, ökonomische, soziale und diplomatische Strategien zusammenwirken. Hierfür werden zivil-militärische Teams gebildet, die die anerkannten lokalen Autoritäten unterstützen.
Für Jean-Marc Châtaigner, den französischen Sondergesandten für die Sahelzone, der gern mal hohle Phrasen drischt, zielt die US-amerikanische Methode in erster Linie auf die Akzeptanz der militärischen Präsenz in der Zivilbevölkerung ab.
Bei der integrierten Herangehensweise à la française gebe es hingegen „keine übergeordneten Ziele“; stattdessen suchen man „nach einer optimalen Kombination, um die Rückkehr zu einem dauerhaften Frieden“ zu erreichen.
Chaos und Gewalt statt Befriedung
Die Wirksamkeit dieses Ansatzes ist allerdings nicht bewiesen. Seit Frankreich 2013 in Mali interveniert hat, hat die Armee mehrere hundert mutmaßliche Dschihadisten getötet, darunter einige Anführer. Sie hat Dutzende Verstecke mit Fahrzeugen und Waffen zerstört und zahlreiche Brunnen für die Zivilbevölkerung gebaut. Dennoch nimmt die Gewalt in der gesamten Sahelzone von Jahr zu Jahr zu, und die Zahl der zivilen Opfer ist besonders in den letzten beiden Jahren stark gestiegen.
Die bewaffneten Gruppen sind weit über die Grenzen ihrer angestammten Gebiete im Norden Malis und im Süden Libyens hinaus aktiv. Sie haben ihren Einfluss auf das Zentrum Malis, den Norden und Osten Burkina Fasos und den Nordwesten Nigers ausgedehnt und bedrohen inzwischen sogar westafrikanische Küstenstaaten wie die Elfenbeinküste und Benin.
Mancherorts sind Selbstverteidigungsmilizen entstanden, die wechselseitig Massaker an der Zivilbevölkerung anderer Volksgruppen anrichten. In Mali haben sich die Angriffe auf Dörfer in den letzten 18 Monaten vervielfacht. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte kamen dabei zwischen März 2018 und März 2019 mehr als 600 Menschen ums Leben und über 66 000 wurden vertrieben. Am 23. März 2019 überfiel eine Dogon-Miliz namens Dan Na Ambassagou das Peul-Dorf Ogossagou im Zentralmali, brannte es nieder und ermordete 157 Bewohner. Am 10. Juni wurden in derselben Region bei einem Überfall auf ein Dorf 35 Menschen getötet, diesmal waren die Opfer Dogon. In Burkina Faso und im Tschad kam es ebenfalls zu Massakern.
Auch die nationalen Armeen werden beschuldigt, im Verlauf ihrer „Befriedungsoperationen“ Zivilisten erschossen zu haben. Generalleutnant Bruno Clément-Bollée, ehemaliger Direktor für Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung des französischen Außenministeriums, konstatierte kürzlich: „Trotz der Entsendung einheimischer und ausländischer Streitkräfte und der Verstärkung der Kontingente, trotz umfassender Maßnahmen, die im Sinne von Sicherheit und Entwicklung wirksam werden sollen, und gewaltiger finanzieller Aufwendungen versinkt die Region im Chaos.“8
Der Sicherheitswahn komme in der Sahelzone an seine Grenzen, räumt Clément-Bollée ein. In Mali sind im Rahmen der Minusma-Mission über 13 000 Blauhelme im Einsatz.9 Zusätzlich sind in der gesamten Region, insbesondere aber im Niger, neben den nationalen Streitkräften noch 4500 französische und einige hundert US-amerikanische, italienische und deutsche Soldaten aktiv. Dennoch sind sie weit davon entfernt, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Sehr weit.
1 Marielle Debos, „Que fait l’armée française au Tchad“, Libération, Paris, 8. Februar 2019.
5 Siehe Rémi Carayol, „Viele Fronten in Mali“, LMd, Juli 2018.
6 Siehe Philippe Leymarie, „Der Präsident befiehlt“, LMd, März 2008.
8 Bruno Clément-Bollée, „Au Sahel, arrêtons le(s) massacre(s)!“, Jeune Afrique, Paris, 6. Juni 2019.
9 Seit Beginn der Mission 2013 wurden 122 UN-Soldaten getötet.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Rémi Carayol ist Journalist.