Made in Türkiye

Das Erdoğan-Regime verfolgt ein ehrgeiziges Aufrüstungsprogramm, um ein Drohpotenzial auch weit jenseits der Landesgrenzen aufzufahren

von Günter Seufert

 

türkische Kriegsmarine besucht Kyrenia

Konvoi der türkischen Kriegsmarine besucht Kyrenia ("Türkische Republik Nordzypern") anlässlich des 50. Jahrestags der türkischen Invasion, 20. Juli 2024.
EMIN SANSAR | ANADOLU/PICTURE ALLIANCE
 

Recep Tayyip Erdoğan kam in der Pose eines Eroberers. Am 20. Juli 2024 traf der türkische Staatspräsident in der »Türkischen Republik Nordzypern« ein. In drei Flugzeugen hatte er seine gesamte Regierung mitgebracht, dazu die Kommandeure aller Teilstreitkräfte und 80 Abgeordnete des türkischen Parlaments. Mit dem triumphalen Auftritt feierte die Türkei den 50. Jahrestag der Invasion im Norden der Insel, der seitdem auch als türkische Militärbasis dient.

Auf X verbreitete das türkische Verteidigungsministerium einen Tag vorher ein Video, das zeigt, wie die türkischen Luft- und Seestreitkräfte, untermalt von Militärmusik, auf eine Küste vorrücken. Den Schluss bildet ein Gemälde, das den osmanischen Sultan Mehmet II. bei der Eroberung Konstantinopels zeigt. Die Botschaft ist unmissverständlich: »Wir können jederzeit erneut auf Zypern intervenieren.« Zwei Tage zuvor hatte das türkische Parlament alle Welt aufgerufen, den von Ankara wirtschaftlich und politisch abhängigen türkischen Teilstaat offiziell anzuerkennen.

So martialisch wie das Video war die reale Szenerie am 20. Juli. Die Türkei wollte ihren europäischen Nachbarn nicht nur mit militärischer Stärke imponieren, sondern auch die atemberaubenden Fortschritte ihrer Rüstungsindustrie demonstrieren. Vor der Nordküste Zyperns kreuzten 50 Schiffe der türkischen Kriegsmarine, um ihr ehrgeiziges Flottenbauprogramm vorzuführen.

Das Programm trägt den Namen »MiLGEM« (Nationales Schiff). Türkische Werften haben die Kooperation mit der deutschen Blohm & Voss eingestellt und bauen eigenständig Korvetten und Fregatten auf hohem technischem Niveau. Die Gefechtstürme der Schiffe, ihre Geschütze und die teilweise intelligente Munition sind vorwiegend Produkte der eigenen Rüstungsindustrie.¹ Das erste »Nationale Schiff« wurde bereits 2008 in Dienst gestellt, heute produziert man auch für den Export. Die Abnehmer sind bislang Pakistan, die Ukraine und ein nicht genannter Nahoststaat.²


Angeführt wurde der Flottenverband vor Zypern von der »TCG Anadolu«. Das Flaggschiff der türkischen Kriegsmarine ist ihr erstes amphibisches Angriffsschiff: Ursprünglich als Flugzeugträger konzipiert, soll es in naher Zukunft auch als Start und Landebahn für die nächste Generation türkischer Kampfdrohnen dienen. Die »Anadolu« ist baugleich mit dem spanischen Landungsschiff »Juan Carlos I.« und mit Dieselmotoren von MAN ausgestattet. Der deutsche Motorenbauer produziert seit Jahrzehnten auch in der Türkei.

Vor Zypern kreuzte die »Anadolu« bestückt mit neun Kampfhubschraubern aus türkischer Produktion. Der T129 Atak basiert auf dem gleichnamigen Hubschrauber der italienischen Firma Augusta/Westland. Seine Motoren werden von der türkischen Tusaş En gine Industrie (TEI) gebaut, unter Lizenz der Firmen Rolls-Royce und Honeywell. Die Computer und die Bordelektronik sind türkische Eigenentwicklungen, desgleichen die Waffensysteme und das sogenannte Selbstschutzarrangement (self protection suite), eine Kombination aus Radarwarnanlagen, elektronischen Tarnkappen, Störsendern und Signalen, die den Hubschrauber gegen Infrarot erkennung und feindliche Lenkwaffen schützen sollen.³ Der Atak verfügt über ein Radarsystem, das von einem Konsortium entwickelt wurde, an dem die private Universität Bilkent, die Technologiefirma Meteksan und der staatliche Türkische Rat für Naturwissenschaften und Technologie (Tübitak) beteiligt sind. Das ist nur ein Beispiel für die Vernetzung von sowohl privaten als auch staatlichen Universitäten, Forschungseinrichtungen, Technologie- und Rüstungsfirmen. Auch der Atak ist bereits Exportprodukt, die ersten Käufer sind die Philippinen und Nigeria.

Neben den Hubschraubern führte die »Anadolu« zwei Kampfdrohnen mit. Auch die Drohnen sind eigenständige Entwicklungen der türkischen Rüstungsindustrie, die in dieser international boomenden Sparte inzwischen Weltklasse ist. Eine der Drohnen, die Bayraktar TB3, ist eine für die Marine konzipierte Weiterentwicklung der Bayraktar TB2, die längst zu einem Exportschlager geworden ist.

Der Exporterfolg der TB2 beruht auch darauf, dass sie ihre Fähigkeiten in realen Kampfeinsätzen demonstriert hat. Das türkische Militär hat die Drohne bei Angriffen auf Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Irak und auf die Milizen der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien eingesetzt, aber auch in Libyen, wo türkische Truppen die Regierung in Tripolis unterstützen.

Im Ausland wurde die TB2 von der aserbaidschanische Armee in Bergkarabach und von der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland eingesetzt. In der arabischen Welt gehören Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Algerien, Marokko und Tunesien zu den Abnehmern türkischer Kampfdrohnen; in Asien sind es Pakistan, Bangladesch und nahezu alle zentralasiatischen Länder, in Europa der Kosovo, Polen und Rumänien.

Die militärische Effektivität wie der wirtschaftliche Erfolg der TB2, die auf dem internationalen Rüstungsmarkt mit israelischen, US-amerikanischen, chinesischen, russischen und iranischen Kampfdrohnen konkurriert, beruht nicht auf irgendwelchen technischen Qualitäten. Die türkische Kampfdrohne ist weder besonders schnell, noch fliegt sie besonders hoch, noch kann sie sich besser dem feindlichem Radar entziehen. Der größte Vorteil der TB2 ist ihr hoher Grad an digitaler Vernetzung mit anderem Kriegsgerät. Dadurch lässt sie sich ideal in ein übergreifendes Gefechtskonzept (Concept of Operations, Conops) einbinden, das jeder Waffe spezifische Aufgaben zuweist.⁴

Konkurrenzfähig ist die TB2 außerdem durch ihren günstigen Preis; vergleichbare Kampfdrohnen aus Israel oder den USA sind doppelt so teuer.⁵ Für viele Staaten spielt auch eine Rolle, dass die Türkei von den Käufern ihrer Produkte nicht die Einhaltung menschen- oder völkerrechtlicher Standards verlangt. Schließlich gibt es noch einen sehr speziellen Grund für die Exporterfolge der Drohne: Das Unternehmen Baykar Technology gehört Erdoğans Schwiegersohn Selçuk Bayraktar. Das garantiert volle diplomatische Unterstützung bei den Exportverhandlungen.

Die zweite von der »Anadolu« in Zypern vorgeführte Kampfdrohne ist – anders als die TB2 – ein technisch extravagantes Produkt. Die TB3 gilt als die erste Drohne, die mit einer extrem kurzen Start- und Landebahn auskommt, zudem kann sie platzsparend ihre Flügel einklappen. Beides machte sie für den Einsatz auf Flugzeugträgern besonders tauglich.

Im Grunde macht die TB3 die »TCG Anadolu« zum ersten Flugzeugträger der Türkei. Die schwimmende Plattform wird es ermöglichen, militärisches Drohpotenzial weit jenseits der türkischen Grenzen aufzufahren, etwa vor Libyen, im Roten Meer, am Persischen Golf oder am Horn von Afrika. Und Erdoğan hat bereits den Bau eines zweiten Flugzeugträgers angekündigt.⁶ Damit ist die Transformation der türkischen Seestreitkräfte von einer besseren Küstenwache zu einer Hochseemarine in vollem Gange.

Ebenso bedrohlich wie ein Flugzeugträger muss für die Nachbarländer Griechenland und Zypern das erste unbemannte Kampfboot der Türkei sein. Dieses USV (Unmanned Surface Vessel) mit Namen »Ulaq« wurde direkt für den Einsatz in der Ägäis und im Mittelmeer entwickelt und hat bereits 2021 – als weltweit erste Plattform dieser Art – lasergelenkte Raketen zielsicher abgefeuert. Das nächste Projekt der türkischen Marine sind unbemannte Klein-U-Boote.

Was die Entwicklung von Kampfdrohnen betrifft, hat Ankara noch viel ehrgeizigere Ziele. Das nächste Projekt von Erdoğans Schwiegersohn heißt »Kızılelma«. Das Wort bedeutet »Roter Apfel«, was ein Symbol imperialer Herrschaft ist. Die ersten Testflüge hat der neue Drohnentyp bereits absolviert. Es ist die erste türkische Kampfdrohne mit Turbinenantrieb und mit Stealth-Fähigkeit, die sie für feindliches Radar weitgehend unsichtbar macht. Weitere Kızılelma-Versionen, die Überschallgeschwindigkeit erreichen sollen, sind in Planung.

Stealth-Fähigkeit hat auch die bewaffnete Drohne Anka-3, die Ende 2023 ihren ersten Testflug absolvierte. Der Tarnkappen-Typ wird – parallel zur TB3 – vom Staatskonzern Turkish Aerospace Industries (TAI) entwickelt, der 2010 die allererste türkische Drohne (Anka-A) produziert hat.

Am Jahrestag der Zypern-Invasion waren auch türkische Jets vom Typ F-16 im Einsatz. Doch die türkische Luftwaffe will das US-amerikanische Mehrzweckkampfflugzeug mittelfristig durch den ersten selbstständig entwickelten Tarnkappen-Jet Kaan (Deutsch: Führer) ersetzen. Das sogenannte Nationale Kampfflugzeug der Türkei ist das ehrgeizigste aller von Ankara betriebenen Rüstungsprojekte: ein Jet, der sich durch Überschallgeschwindigkeit, intelligente Munition, Stealth-Fähigkeit und einen extrem hohen Grad an Gefechtsvernetzung auszeichnet.

In welche Dimensionen die rüstungs- und militärpolitischen Ambitionen der Türkei gehen, zeigt die Tatsache, das Kampfflugzeuge dieser Art – der sogenannten 5. Generation – bisher nur von den USA, China und Russland entwickelt wurden. Die Kaan-Jets sollen die Stelle der US-amerikanischen F-35-Jets einnehmen, die Ankara von den USA erwerben wollte. Doch die kündigten die Liefervereinbarung, nachdem die Türkei das russische Luftabwehrsystem S-400 gekauft und vorübergehend aktiviert hatte.

In Nordzypern ließen die türkischen Streitkräfte auch ihre Bodentruppen paradieren und neu entwickelte Waffensysteme vorführen. Der mittelschwere Kampfpanzer Daghan ist mit einem geräuscharmen hybriden Antrieb ausgestattet, mit ferngesteuerten Geschützen bestückt und von feindlichem Radar kaum zu erfassen. Mit dabei war auch Gürz, ein brandneues, raketengestütztes Verteidigungssystem gegen Flugzeuge, Drohnen und nichtballistische Raketen.

Noch nicht vorführbar ist der neue Main Battle Tank namens Altay, der in einigen Jahren die deutschen Leopards und die amerikanischen M60 ersetzen soll. Der Altay basiert auf einem in Südkorea gebauten Rumpf, der großenteils mit türkischer Elektronik und türkischen Waffen bestückt wird. Das Geschütz sollte jedoch die deutschen Rheinmetall liefern, den Motor die deutsche MTU oder die österreichische AVL.

Nicht nur beim Altay wird allerdings die Produktion durch Exportrestriktionen stark verzögert. Seit Jahrzehnten beschuldigen die Politiker und Rüstungsmanager in Ankara insbesondere die USA, aber auch Deutschland, durch offene und verdeckte Waffenembargos die Verteidigungsfähigkeit der Türkei zu untergraben und ihren geopolitischen Aktionsraum einzuschränken. Deshalb müsse man militärtechnisch autark werden und die Rüstungsindustrie unter nationale Kontrolle bringen.

In diesem Diskurs spielt Zypern eine zentrale Rolle. Als die türkischen Truppen 1974 auf der Insel landeten, reagierten die USA – wie angekündigt – mit einem Lieferstopp für alle militärischen Güter, einschließlich Ersatzteilen. Damals waren die türkischen Streitkräfte rüstungstechnisch vollständig von den USA abhängig und binnen weniger Monate nicht mehr aktionsfähig. In dieser Zeit gründete die Regierung die Waffenschmieden, die seitdem die türkische Rüstungsszene dominieren.⁷

In den 1980er Jahren ermunterte der Ministerpräsident – und spätere Präsident – Turgut Özal private Unternehmen, in die Waffenproduktion einzusteigen. Doch erst seit Anfang der 2000er Jahre entstand unter der Ägide Erdoğans jener Kosmos der türkischen Rüstungsindustrie, den wir heute kennen. Als Kommandozentrale fungiert das Präsidium der Nationalen Verteidigungsindustrie (SSB), das direkt dem Staatspräsidenten untersteht. Das SSB koordiniert die private und staatliche Forschung und Subventionierung. Es stimmt den Bedarf der türkischen Streitkräften mit den technischen und wirtschaftlichen Kapazitäten der Industrie ab, und es unterstützt die Industrie bei der Suche nach Absatzmärkten.

Wie dynamisch sich die türkische Rüstungsproduktion seitdem entwickelt, belegen die Zahlen des Stockholmer Sipri-Instituts. Während die Umsätze vieler führender Waffenproduzenten westlicher Länder zwischen 2021 und 2022 zurückgegangen sind, stieg der kumulierte Umsatz der vier größten türkischen Rüstungskonzerne um 22 Prozent.⁸ Auch hatte die türkische Rüstungsindustrie den höchsten Anteil am Anstieg der Exporte in den Nahen Osten, der 2022 den weltweit größten Aufrüstungsboom verzeichnete.

Zu den international 100 größten Rüstungsunternehmen zählen vier türkische Konzerne. Von diesen hat der Drohnenproduzent Baykar die höchste Umsatzsteigerung zu verzeichnen, und zwar von 2021 auf 2022 um 94 Prozent. Das umsatzstärkste türkische Unternehmen ist jedoch die staatseigene Aselsan (militärelektronische Industrie). Sie entwickelt und liefert die elektronische Ausrüstung aller Plattformen (Rümpfe) für die Armee, die Luftwaffe und die Kriegsmarine, also für Panzer, Flugzeuge und Schiffe. Zudem fertigt die Aselsan die Satelliten der Reihe Göktürk.

Das drittgrößte türkische Unternehmen auf der Sipri-Liste ist, nach Bayrak, die Turkish Aerospace Industries (TAI). Sie entwickelt den Fighter-Jet Kaan, produziert den Hubschrauber Atak und arbeitet mit Anka an den Kampfdrohnen der nächsten Generation. Die vierte türkische Firma unter den 100 größten Rüstungsproduzenten ist die ebenfalls staatliche Roketsan (Raketenindustrie).

Weitere Indikatoren für das Wachstum der türkischen Rüstungsindustrie sind die Zahl der Beschäftigten und die Exporterlöse. 2014 waren 31242 Personen im Rüstungsbereich tätig, 2022 bereits 81132.⁹ Der Wert der türkischen Rüstungsexporte stieg innerhalb von zehn Jahren (2013–2023) von 1,6 Milliarden auf 5,5 Milliarden US-Dollar.¹⁰

Doch trotz dieser atemberaubenden Dynamik äußern Rüstungsmanager und regierungsnahe Experten die Befürchtung, die türkischen Waffenschmieden könnten an ihre finanzielle Grenzen stoßen. Denn je größer und technisch anspruchsvoller die geplanten Projekte werden, desto mehr Staatsgelder werden dafür benötigt.¹¹

Zwar ist das türkische Verteidigungsbudget in den letzten 40 Jahren kontinuierlich gewachsen: von durchschnittlich 2,5 Milliarden US-Dollar im Zeitraum von 1982 bis 1986 auf 18,2 Milliarden im Zeitraum von 2017 bis 2020 (für 2024 sind sogar 40,5 Milliarden vorgesehen).¹² Doch die Rüstungsausgaben von Staaten wie den USA, China und Russland liegen in ganz anderen Dimensionen. 2023 betrug das Verteidigungsbudget der USA 900 Milliarden Dollar, das chinesische 292 Milliarden und das russische 140 Milliarden. Weit vor der Türkei lagen auch Indien mit 81,4 Milliarden, Saudi-Arabien mit 75 Milliarden und Großbritannien mit 68,5 Milliarden Dollar.

Probleme hat die türkische Rüstungsindustrie also nur angesichts der hochgesteckten Pläne der Regierung. Die will das eigene Militär in den Stand versetzen, eine Art »Kanonenbootpolitik« nicht nur in der eigenen Region, sondern weit darüber hinaus zu betreiben. Gemäß der Erdoğan-Rhetorik der letzten Jahre muss die Türkei ihre Sicherheit jenseits der Grenzen verteidigen können: auf Zypern, im Nordirak, in Nordsyrien und in Libyen. Doch inzwischen gehen die Ambitionen viel weiter.

Als aufstrebende Mittelmacht formuliert die Türkei globale strategische Interessen. Laut Ex-Admiral Cem Gürdeniz, dem Vater der Doktrin vom »Blauen Vaterland« (Mavi Vatan), muss die Türkei in den Klub der Seemächte aufsteigen, die ihre weltweiten Interessen auch militärisch geltend machen können. Vor allem aus diesem Grund müsse sich die Rüstungsindustrie der Türkei aus ihrer Abhängigkeit vom Westen befreien.¹³

Wie weit das Land beim Aufbau einer autonomen Rüstungsindustrie gekommen ist, zeigen die Zahlen: 2022 stammten bereits 73 Prozent der Neuanschaffungen des türkischen Militärs aus einheimischer Produktion, bis 2025 sollen es 80 Prozent werden. Dieser Erfolg beruht zum Teile darauf, dass türkische Unternehmen in den letzten 20 Jahren die Anteile ausländischer Kapitaleigner auf- oder zurückgekauft haben.

Doch diese Strategie stößt neuerdings an ihre Grenzen, weshalb Ankara erneut die Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen suchen muss. Das jüngste Beispiel ist der Vertrag mit den USA über die Lieferung von vierzig F-16-Jets der Klasse Falcon Fighter, der auch die Modernisierung des Quelltextes (source code) für den Bordcomputer von 80 älteren türkischen F-16 einschließt.

Die Türkei verspricht sich davon nicht nur die Stärkung ihrer Luftwaffe, primär gegenüber Griechenland, so lange man nicht über das eigene Kampfflugzeug Kaan verfügt. Der Kauf der F-16 dient auch dazu, die eigene Software Özgür an der neuesten Version der US-Software Viper zu messen und dadurch weiterzuentwickeln.¹⁴

Ankara drängt außerdem darauf, möglichst viele Komponenten der neuen F-16 in Kooperation mit Lockheed Martin in der Türkei zu produzieren. Damit würde man nicht nur Kosten sparen und die eigene Industrie auslasten, sondern auch vom Wissenstransfer profitieren.

Vor diesem Hintergrund ist der Versuch zu sehen, den Widerstand Deutschlands gegen den Erwerb von Eurofightern Typhoon zu überwinden. Dabei geht es Ankara weniger um echtes Kaufinteresse, als vielmehr darum, die eigene Position in den F-16-Verhandlungen mit den USA durch Verweise auf eine alternative Option zu verbessern.

Ankara ist zudem verstärkt bemüht, ausländisches Kapital erneut für den türkischen Rüstungssektor zu interessieren. Unter anderem lockt man mit der Befreiung von der Körperschaftssteuer, kostenlosen Baugrundstücken, staatlicher Projektfinanzierung und Beihilfen zur Sozialversicherung der Beschäftigten.¹⁵

An zwei Stellschrauben zur Effektivitätssteigerung seiner Rüstungsindustrie hat Ankara bislang noch nicht gedreht. Die erste betrifft den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Das bekannteste Beispiel für die Begünstigung bestimmter Firmen ist die wechselvolle Geschichte des Panzers Altay.

Das Projekt wurde bereits Mitte der 1990er Jahre gestartet, doch die Serienproduktion begann erst im Mai 2024. Hauptgrund für die Verzögerung war, dass die Regierung Erdoğan der privaten Unternehmensgruppe Koç, deren Inhaber für ihre säkulare Einstellung bekannt sind, den Auftrag für die Serienproduktion verweigerte.

Die Koç-Firma Otokar hatte bereits erfolgreich zwei Prototypen des Panzers entwickelt, als Erdoğan 2013 behauptete, die Koç-Familie habe die breite Istanbuler Protestbewegung gegen die Bebauung des Gezi-Parks unterstützt. Der Auftrag zur Produktion des Altay ging an das Privatunternehmen BMC, das weder technisch noch personell für die Panzerproduktion gerüstet war – aber einem engen Vertrauten Erdoğans gehörte.¹⁶

Die zweite Stellschraube ist der Brain Drain aus der Rüstungsindustrie. Das Problem hat ein solches Ausmaß angenommen, dass der Verband der Verteidigungsindustrie im Januar 2023 von der Regierung Maßnahmen zur Verhinderung der Abwanderung forderte.¹⁷ Hauptursache für diesen Brain Drain ist sicher das inflationsbedingte Sinken der Realeinkommen, aber auch das Gefühl, dass für das berufliche Fortkommen die persönlichen Leistungen und fachlichen Qualifikationen weniger zählen als politische Affinitäten und persönliche Verbindungen.


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Edition 36 Produktkachel

1 »MiLGEM Project«, Website der Firma STM.
2 »Ada Class Corvete«, Wikipedia, letzter Abruf: 6. August 2024.
3 Massimo Annulli, »Self Protection Suite«, emsopedia.org.
4 Barın Kayaoğlu, »As wars rage, Turkey’s military industry sees boom in fighter jets, drone sectors«, Al-Monitor, 12. Mai 2024.
5 Paul Iddon, »Cheap And Combat-Tested: The Growing Market For Turkish Drones«, Forbes, 10. Dezember 2021.
6 »Erdoğan: Uçak gemilerimizin sayısını 2’ye çıkaracağız« (auf Türkisch), TRT Haber, 29. Oktober 2023.
7 Mahmut Durmaz, »The U.S. Arms Embargo of 1975–1978 and Its Effects on the Development of the Turkish Defense Industry«, Naval Postgraduate School Monterey, September 2014.
8 »Rise in SIPRI Top 100 arms sales revenue delayed by production challenges and backlogs«, Sipri, 4. Dezember 2023.
9 »Defense and Aerospace Industry Report 2022«, Investitionsbüro des türkischen Präsidenten, 1. September 2023.
10 »Good news about MURAD AESA Radar from ASELSAN«, Turkish Defence News, 31. Dezember 2023.
11 Siehe Sıtkı Egeli und andere, »From Client to Competitor: The Rise of Turkiye’s Defence Industry«, The International Institute for Strategic Studies (IISS), Mai 2024.
12 Siehe Anmerkung 7; sowie Barın Kayaoğlu, »Turkey’s military scorecard: Naval and aerial advances but lacks money, speed«, Al-Monitor, 24. März 2024.
13 Siehe »Blue Homeland ›shows Turkey has become a maritime power‹«, Hürriyet, 4. März 2019.
14 Barın Kayaoğlu, »What will Turkey gain from F-16 deal with United States?«, Al-Monitor, 23. Juni 2024.
15 Siehe Anmerkung 7.
16 Siehe Anmerkung 9.
17 Ayşegül Ilgın, »Savunma sanayisinde beyin göçü engellenebilir mi?« (auf Türkisch), DW, 21. Januar 2023.

Dieser Beitrag ist eine Veröffentlichung aus der neuen LMd-Edition No.36 "Im Kriegszustand. Die Welt rüstet auf"
Günter Seufert ist ehemaliger Leiter des Centrums für angewandte Türkeistudien bei der SWP.
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