13.02.2009

Wie der Iran zum Feind wurde

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Wie der Iran zum Feind wurde

Koordinaten der israelischen Außenpolitik von Ben Gurion bis Peres von Alastair Crooke

Kurz nach der iranischen Revolution von 1979 bekannte ein leitender Beamter im israelischen Außenministerium: „Wir hatten mit dem Iran sehr enge Beziehungen, die tief in den beiden Völkern verwurzelt waren.“

Für israelische Diplomaten war der Iran damals ein natürlicher Gesprächspartner, jede andere Vorstellung hätten sie (und ihre US-amerikanischen Kollegen) für verrückt gehalten. Dreißig Jahre später sieht die politische Führung des Westens – und vor allem die Israels – den Iran als eine wachsende Bedrohung. Der Ursprung dieser Angst dürfte in einer falschen Wahrnehmung der iranischen Revolution liegen.

Für Israels ersten Ministerpräsidenten David Ben Gurion gehörte sein Land nicht etwa zum Nahen Osten, sondern zu Europa. Seit 1952 betonte er immer wieder, dass es die Israelis in die Nahostregion verschlagen habe, sei ein „geografischer Zufall“, im Grunde seien sie ein europäisches Volk: „Zu den Arabern haben wir keinen Bezug. Unsere Regierungsform, unsere Kultur, unsere Beziehungen sind nicht aus dieser Region erwachsen. Zwischen uns gibt es keine politische Affinität und auch keine internationale Solidarität.“1

Ben Gurion wollte die USA vom strategischen Nutzen Israels im Nahen und Mittleren Osten überzeugen. Doch Präsident Eisenhower wehrte das israelische Ansuchen immer wieder ab, denn er glaubte, dass die USA ihre Interessen ohne Israel besser wahrnehmen könnten. Daraufhin entwickelte Ben Gurion die Idee einer „Allianz der Peripherie“:

Die prekäre Lage Israels in der Nachbarschaft feindlicher arabischer Staaten sollte durch Bündnisse mit dem Iran, der Türkei und Äthiopien kompensiert werden. Eine solche Allianz sollte das Abschreckungspotenzial Israels verstärken, seine Isolierung abbauen und seinen strategischen „Wert“ für die USA erhöhen. Parallel dazu verfolgte Ben Gurion die Idee einer „Allianz der Minderheiten“. Dieses Konzept ging davon aus, dass die Mehrheit der Bewohner der mittelöstlichen Region keine Araber seien – wobei er nicht nur an Iraner und Türken dachte, sondern auch an religiöse Minderheiten, also Juden, Drusen, Christen – wie die libanesischen Maroniten – und andere mehr. Diese Minderheiten müsse Israel in ihren nationalistischen Aspirationen unterstützen, damit es in dem Riesenmeer des arabischen Nationalismus über einzelne Inseln von Verbündeten verfügte.

So wurde der Iran gegen Ende der 1950er-Jahre zum „natürlichen Verbündeten“ Israels im Mittleren Osten. In dem Buch „Treacherous Alliance“ (Trügerisches Bündnis)2 hat Trita Parsi die israelische Kooperation mit dem Schahregime breit dokumentiert. Die umfasste auch die gemeinsame Ausbildung und Bewaffnung kurdischer Aufständischer im Nordirak von 1970 bis 1975, die das Regime in Bagdad schwächen sollten. Parsi schildert auch eine mentale Gemeinsamkeit von Israelis und Iranern, nämlich ihr Gefühl der kulturellen Überlegenheit gegenüber den Arabern. Diese Affinität hatte allerdings Grenzen: Die Israelis waren irritiert und verärgert, weil der Schah die Beziehungen strikt unter der Decke hielt, während Israel ein öffentliches Bekenntnis zu dieser neuen Liebe erwartete.

Dieses Gefühl starker Affinität überdauerte auch die iranische Revolution und motivierte selbst rechte Hardliner – wie den Likud-Ministerpräsidenten Menachem Begin –, sich um Kontakte mit der neuen iranischen Führung zu bemühen. Die pragmatische Außenpolitik, die Ajatollah Chomeini einschlug, bestätigte die falsche Wahrnehmung der Israelis, dass die Revolution der Mullahs nur eine vorübergehende Verirrung sei. Den Iranern war angesichts der feindseligen arabischen Umgebung nur zu bewusst, dass sie auf die Freundschaft der Israelis angewiesen waren – wie auch auf die technologische Unterstützung, die diese Freunde gewähren konnten.

Nach Ansicht von Jossi Alpher, der hohe Positionen im israelischen Geheimdienst Mossad bekleidet hat, war die Doktrin der „Allianz der Peripherie“ so fest im israelischen Denken verankert, dass sie nachgerade instinktiv geworden war.3 Diese Überzeugung lag auch dem Bemühen zugrunde, nach 1983 Fühlung mit den „moderaten Kräften“ aufzunehmen, die als künftige Erben Chomeinis betrachtet wurden. In dieser Zeit brachten die Israelis die USA dazu, sich an dem Geschäft zu beteiligen, das später als „Iran-Contra-Affäre“ publik wurde. Unter Nutzung ihrer Kontakte zum „gemäßigten“ iranischen Lager überredeten sie das Pentagon, Waffen an den Iran zu verkaufen.4 Die Iraner waren allerdings in Wirklichkeit mehr an Kontakten mit den USA interessiert. Die Hoffnung der Israelis, dank ihrer Vermittlerrolle mit Teheran ins Geschäft zu kommen, haben sich deshalb nie erfüllt.

Mit dem Wahlsieg Menachem Begins von 1977 hatte sich allerdings die politische Sichtweise Wladimir Jabotinskys Geltung verschafft, die radikaler war als die der abgelösten Regierung der Arbeitspartei. Der Anführer der zionistischen „Revisionisten“ hatte schon 1923 in seinem einflussreichen Aufsatz „Eiserne Mauer“ argumentiert, mit den Arabern könne man niemals zu einem Abkommen gelangen. Begin war wie Jabotinsky der Ansicht, dass die Araber nur dann, „wenn sie nicht mehr die Hoffnung haben, uns loszuwerden … ihre extremistischen Führer fallen lassen werden“. Erst dann würden sich gemäßigte Kräfte herausbilden, die sich auf „wechselseitige Zugeständnisse“ einlassen und anschließend von dem „500-jährigen kulturellen Vorsprung“ der Zionisten profitieren könnten.

Ben Gurions „Allianz der Peripherie“ sah Begin mit Skepsis; in seinen Augen hatte Israel keine andere Wahl, als die militärische Vorherrschaft über die Region anzustreben, und zwar mit Hilfe der USA. Durchaus vereinbar war diese Strategie mit Ben Gurions anderer Idee von einer „Allianz der Minderheiten“, und die israelische Invasion im Libanon 1982 war ein Versuch, sie umzusetzen. Verteidigungsminister Ariel Scharon verfolgte damit das Ziel, die PLO aus dem Libanon zu vertreiben und in Beirut die Hegemonie der israelfreundlichen christlichen Maroniten zu etablieren. Das hätte zugleich eine vernichtende Niederlage für Syrien – eine der wichtigen Stützen des Arabismus – bedeutet.

Die Rechnung ging nicht auf. Das israelische Eingreifen führte zum Machtverlust der Maroniten und zur politischen Mobilisierung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Süden und im Bekaa-Tal, die zugleich den Aufstieg eines ernstzunehmenden neuen Feindes bedeutete: der radikalen Hisbollah. Die politische Mobilisierung der Schiiten hatte sich allerdings bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren angebahnt, während der Iran erst seit 1982 im Libanon präsent ist.5 Die Invasion der Israelis stärkte das syrisch-iranische Bündnis – und mit der Affinität, die man im Iran zu Israel empfunden haben mochte, war es für immer vorbei.

Die große Fehleinschätzung der islamischen Revolution

Der tiefere Grund für das Scheitern der Annäherung an Teheran war jedoch eine Wahrnehmung, die bei den Israelis wie bei ihren US-Verbündeten und im Westen insgesamt vorherrschte: Man sah in der iranischen Revolution lediglich eine kurze Unterbrechung des historischen Prozesses, der das Land aus orientalischer Rückständigkeit befreien und in eine säkulare Modernität westlichen Musters überführen würde. Die Revolution als Aufstand gegen diese Modernität war demzufolge eine vorübergehende Verirrung. Die „Pragmatiker“ würden das Land rasch wieder auf den rechten, also den Weg des materiellen westlichen Fortschritts bringen.

Tatsächlich war es genau die materialistisch definierte Modernität des Westens, die auf die iranischen Führer am abschreckendsten wirkte. Deren Vision für die politische und gesellschaftliche Entwicklung ihres Landes sah ganz anders aus. Doch obwohl sie die israelische und amerikanische Vision einer säkularen und marktliberalen Gesellschaftsordnung für den gesamten Mittleren Osten (als eine in den Augen vieler Iraner archaische und sogar kolonialistische Konzeption) ablehnten, hatten sie keinerlei aggressive regionalen Absichten. Eine militärische Bedrohung Israels oder der USA war in der Außenpolitik der iranischen Revolution nicht vorgesehen.

1988 schloss der Iran nach einem verheerenden achtjährigen Krieg Waffenstillstand mit dem Irak. Dann folgten zwei Ereignisse mit entscheidenden Auswirkungen auf die gesamte Region: die Auflösung der Sowjetunion und die Niederlage Saddam Husseins im ersten Golfkrieg (1990/91). Sie bedeuteten für den Iran das Ende der russischen und für Israel das Ende der irakischen Bedrohung. Damit waren der Iran und Israel als einzige Konkurrenten um die Führungsrolle und die Vorherrschaft in der Region übrig geblieben. Und das genau zu einer Zeit, in der die USA zur einzigen, konkurrenzlos überlegenen Weltmacht avancierten.

Angesichts dieser neuen geopolitischen Landkarte des Nahen und Mittleren Ostens bedurfte die strategische Beziehung Israels zu den USA einer neuen Begründung. Während des ersten Golfkriegs war es die größte Angst der Israelis, dass ihr großer Verbündeter sie mehr als politische Belastung denn als Freund sehen könnte. Zugleich befürchteten sie nach der irakischen Niederlage, dass sich der Iran zur stärksten regionalen Macht entwickeln könnte. Aber noch größer schien aus ihrer Sicht die Gefahr, dass die eigene militärische Abschreckung nicht mehr funktionierte. Ein Machtzuwachs des Iran konnte die militärischen Überlegenheit Israels gefährden, auf der die Existenz dieses Staates beruht.

Die israelischen Wahlen von 1992 brachten die Arbeitspartei an die Regierung, die auf einen Frieden mit den Arabern setzte. Das war ein radikaler und weitreichender Strategiewechsel, aber auch eine innenpolitisch sehr riskante Entscheidung. Die „Allianz der Peripherie“ hatte auf einem breiten Konsens der Bevölkerung beruht, für die neue Strategie – Friedenspartner unter den unmittelbaren arabischen Nachbarn zu suchen – galt das nicht. Die israelische Rechte glaubte nach wie vor wie Jabotinsky, die Araber würden den Staat Israel nur akzeptieren, wenn sie psychologisch besiegt wären. Der Widerstreit zwischen dieser Vorstellung und Rabins Idee, den Frieden mit „unbesiegten“ Palästinensern anzustreben, prägt und belastet die israelische Politik seit 1992.

Dabei beinhaltete Rabins Konzept allerdings auch die Dämonisierung des Iran und vollzog damit eine drastische und unerwartete Neubewertung. Jossi Alpher, einer der engsten Berater Rabins, erklärte vier Tage nach dem Wahlsieg Bill Clintons im November 1992 laut New York Times: „Der Iran muss als Feind Nummer eins identifiziert werden.“ Seither beschuldigen Israel und seine Verbündeten in Washington den Iran immer wieder, nach Nuklearwaffen zu streben. Schon im Oktober 1993 warnte Rabins Außenminister Schimon Peres die internationale Gemeinschaft, der Iran werde bis 1999 im Besitz einer Atombombe sein.

Die iranische Bombe kommt immer in fünf Jahren

Viele Mitarbeiter in der Clinton-Regierung hielten diese Warnung für überzogen, und auch im israelischen Establishment gab es Zweifler. Schlomo Brom, ein hochrangiger israelischer Geheimdienstler, meinte dazu gegenüber Trita Parsi ironisch: „Es ist schon bemerkenswert, dass die Iraner immer fünf bis sieben Jahre von der Bombe entfernt sein sollen. Egal wie viel Zeit vergangen ist, die Iraner haben immer fünf bis sieben Jahre bis zur Bombe.“6

Als Rabin und Peres die Verhandlungen mit dem nach dem ersten Golfkrieg politisch geschwächten Jassir Arafat begannen, eignete sich die Dämonisierung des Iran auch zur Ablenkung der proisraelischen Lobby in den USA: Die konnte sich jetzt auf die existenzielle Bedrohung durch den Iran fixieren, statt sich darüber aufzuregen, dass die Regierung Rabin mit dem Feind – Arafat und den Arabern – aus demselben Topf löffelte.

Zugleich suchten die USA unter den arabischen Staaten Verbündete gegen den neuen barbarischen Feind, der alle Werte, Institutionen und Freiheiten der westlichen Zivilisation vernichten wollte. Mit einem Sieg über den Iran konnte man die arabisch-muslimische Psyche und gleichzeitig den islamistischen Widerstand brechen; dann würden die Staaten des Mittleren Ostens wie Dominosteine dem Westen zufallen.

Trotz der iranischen Kooperationsbereitschaft bei den Kriegen in Afghanistan (2002) und Irak (2003) wies die Bush-Administration die Versuche Teherans zurück, ins Gespräch über einen umfassenden Handel („grand bargain“) zu kommen. Eine Legende ist allerdings, die iranische Seite habe 2003 eingewilligt, die Unterstützung von Hisbollah und Hamas zu beenden, ihr Atomprogramm einzustellen und Israel anzuerkennen.7 Es handelte sich vielmehr um die leicht veränderte Version eines früheren Vorstoßes, mit dem Teheran eine Partnerschaft (im Hinblick auf Afghanistan und den Irak) und eine offene Diskussion über alle bilateralen Streitpunkte angeregt hatte.

Der Iran ist auch heute noch bereit, alle Fragen zu diskutieren, die für sein Verhältnis zu den USA von Belang sind. Doch die Annahme, man könnte ihn durch Druck zu mehr Zugeständnissen zwingen, dürfte auf einen möglicherweise katastrophalen politischen Irrweg führen. Und die alte Idee der Regierung Bush, prowestliche moderate Kräfte gegen islamistischen Extremismus in Stellung zu bringen, läuft auf eine Polarisierungsstrategie hinaus, die in der islamischen Welt viel eher die antiwestlichen Gefühle verstärken. Dann könnten die eingebildeten Antipathien bald ganz reelle Folgen haben.

Fußnoten: 1 Avi Shlaim, „Israel, the Great Powers and the Middle East Crisis of 1958“, Journal of Imperial and Commonwealth History, London, Mai 1999. 2 Trita Parsi, „Treacherous Alliance. The secret dealings of Israel, Iran and the US“, New Haven (Yale University Press) 2007. 3 Trita Parsi (siehe Anmerkung 2), S. 91. 4 Die „Affäre“ bestand darin, dass US-Offiziere (wie Oliver North) im Auftrag der CIA Gelder aus dem Irangeschäft abzweigten, um dafür Waffen für die „Contra“-Guerilla in Nicaragua zu kaufen. 5 Die iranisch-libanesischen Beziehungen haben aber Tradition: Seit dem 12. Jahrhundert ist der Südlibanon Zentrum schiitischer Gelehrsamkeit und das Vorbild, an dem sich die persische Safawi-Dynastie orientierte, als sie 1501 die Schia zur Basis ihres Staates machte. 6 Trita Parsi (siehe Anmerkung 2), S. 167. 7 Den ersten Punkt hat mir gegenüber ein hoher Hamas-Repräsentant, der es wissen muss, entschieden bestritten. Das hat mir auch ein iranischer Vertreter erläutert: In Bezug auf Israel war man lediglich bereit, sich mit den „Realitäten“ abzufinden. Falsch ist auch die Annahme, der Iran sei damals durch die Besetzung Afghanistans und des Irak unter Druck geraten.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Alastair Crooke war Berater des EU-Chefdiplomaten Javier Solana in Nahost-Angelegenheiten (1999–2003) und Mitglied der von Clinton initiierten Mitchell-Kommission, die im Jahr 2000 die Ursachen der zweiten Intifada untersuchte.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2009, von Alastair Crooke