08.05.2009

Unser schönes Geld

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Unser schönes Geld

von Heiner Ganßmann

In der Finanzkrise geben sich die Politiker gern als Retter des Geldwesens. Sie bürden den Steuerzahlern große Opfer auf, mit der Begründung, Geld sei ein öffentliches Gut. Die aber ist nicht zwingend. Denn was ist ein öffentliches Gut?

Nach der Wirtschaftstheorie zeichnen sich öffentliche gegenüber privaten Gütern durch zwei Merkmale aus: Erstens kann niemand von ihrem Konsum ausgeschlossen werden. Zweitens besteht keine Rivalität im Konsum. Beides lässt sich am Beispiel des Leuchtturms als einem öffentlichen Gut darstellen.

Leuchttürme sind extrem nützlich für nachts vorbeifahrende Schiffe, aber für diese Dienstleistung kann man nicht abkassieren (jedenfalls nicht vor Erfindung der elektronischen Maut). Kein Schiff kann von der Nutzung der nächtlichen Markierung einer sicheren Seeroute ausgeschlossen werden. Zugleich hindert ein Schiff, das sich am Leuchtfeuer orientiert, andere Schiffe nicht daran, das ebenfalls zu tun.

Dass öffentliche Güter diese doppelte Eigenschaft haben, erklärt, warum gewinnorientierte private Produzenten sie nicht anbieten: Ihr Eigentumsrecht wäre nicht in Geld umzumünzen.

Deshalb ist das Problem der Versorgung mit öffentlichen Gütern das Paradebeispiel für Marktversagen. Wenn die Koordination unserer wirtschaftlichen Aktivitäten nur über Märkte liefe, müssten wir auf sämtliche dieser Güter verzichten. Selbst ein freiwilliger Zusammenschluss aller, die an öffentlichen Gütern interessiert sind, führt normalerweise nicht zu deren Produktion, denn alle selbstsüchtigen rationalen Akteure würden auf die Option des Trittbrettfahrens setzen: die Güter nutzen, ohne sich – dank der Nichtausschließbarkeit von ihrem Konsum – an den Kosten beteiligen zu müssen.

Wenn alle merken, dass man auch mit Trittbrettfahren durchkommt, werden nur Altruisten die Kosten für öffentliche Güter auf sich nehmen. Deshalb kann nur ein kollektiver Akteur mit hinreichender Kontrolle über das Verhalten der Beteiligten – sprich der Staat mit seinem Monopol legitimer Gewaltausübung – eine stabile Versorgung mit öffentlichen Güter gewährleisten. Der Staat sorgt mit anderen Methoden als dem Tausch auf dem Markt dafür, dass die Nutzer sich an den Kosten beteiligen. Das klassische Mittel sind Zwangsabgaben, etwa in Form von Steuern.

Was heißt das für das Geld? Offensichtlich kann die Behauptung, Geld sei ein öffentliches Gut, nicht im Sinne der dargelegten gängigen Definition gemeint sein. Dass das Geld, so wie wir es in Form von Münzen und Scheinen benutzen, kein öffentliches Gut ist, liegt tagtäglich auf der Hand. Der Witz am Geld besteht gerade in seiner Ausschlussfunktion. Die Alltagspraxis lehrt: Jedes Stückchen Geld hat einen Eigentümer, der auf exklusiver Nutzung besteht. Wer kein Geld hat, kann auf dem Markt nicht mitmachen und steht zuallererst unter dem Zwang, sich Geld zu verschaffen, sozusagen als Eintrittskarte zum Markttheater.

Für die meisten von uns, geldlos ins Dasein geworfen, heißt dies, dass wir für andere arbeiten müssen, um an deren Geld zu kommen. Weil man sich nur mit Geld die meisten nützlichen und angenehmen Dinge des Lebens beschaffen kann und vor dem Geldzugang der Arbeitszwang steht, etabliert die Geldwirtschaft eine enorme soziale Disziplin – ganz ohne andere, gewaltgestützte Herrschaftsmittel.

Dabei erlaubt das Geld feinere Differenzierungen. Es geht ja nicht nur darum, ob man überhaupt welches hat, sondern auch darum, wie viel man hat. Anhand der (außer bei Kreditschwindlern) leicht erkennbaren Verfügung über Geld weisen wir uns die Rangplätze in der gesellschaftlichen Ordnung zu. Der Kampf um die besseren Plätze äußert sich als Kampf ums Geld.

Dagegen gab es schon immer Proteste, unter anderem in Form der demonstrativen Geldverachtung von Snobs und Dandys, wie sie in dieser Anekdote geschildert wird: Einem reichen Finanzier fällt eine Münze zu Boden. Als er sich bückt, um sie zu suchen, kniet der Dandy neben ihm nieder und zündet eine Banknote an, damit der Reiche besser sehen kann.1

Im täglichen Kampf um das liebe Geld zeigt sich, dass diesem auch das zweite Merkmal eines öffentlichen Gutes abgeht: Statt Nichtrivalität im Gebrauch herrscht hier gerade schärfste Rivalität. Technisch handelt es sich also um ein Nullsummenspiel: Des einen Gewinn ist des andern Verlust. Oder, wie der arme BB es ausdrückte: Der Arme spricht zum Reichen bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

Man kann natürlich Geld verleihen und insofern die Nutzung seines eigenen Geldes anderen überlassen. Aber dann kann man es eben nicht selbst benutzen, wobei dieser Verzicht normalerweise mit Zinszahlungen entgolten wird. Wegen der Rivalität im Gebrauch besteht eine Eigenart des Geldes darin, dass man sich so gut wie immer von ihm trennen muss, wenn man es benutzt: „When money talks, it says good-by …“

Die jedem Kind bekannte Ausnahme ist natürlich Onkel Dagobert. Er genießt sein Geldbad wohl zuvorderst deshalb, weil dabei nichts von seinem Geld abfließt. Sein Badewasser heißt Liquidität. Hingegen bedeutet der normale Gebrauch des Geldes als Kaufmittel, dass es den Platz mit den Gütern tauscht, die man dafür erwirbt. Das einzelnes Geldstück wandert dabei von Person zu Person, was jedes Mal die Rivalität im Geldgebrauch bestätigt.

Ersichtlich sind also die Geldobjekte, die wir alltäglich benutzen, keine öffentlichen Güter. Mit der Rede vom Geld als öffentlichem Gut soll offenbar nur gesagt werden, dass ein geordnetes Geldwesen, das heißt vor allem eine stabile Währung, für die Funktionsfähigkeit einer Geldwirtschaft extrem wichtig ist. Das ist sicher richtig, wie uns die Geschichte nachdrücklich lehrt. Denken wir etwa an die Klage des Bischofs von Lisieux, Nicolas von Oresme, aus dem 14. Jahrhundert: „Ein großes Ärgernis ist es … und verachtenswert für den Fürsten, das Geld des Landes niemals auf demselben Stand zu halten, sondern von Tag zu Tag zu verändern: an diesem Orte stärker als an jenem zu gleicher Zeit.“ Deshalb wisse man oft nicht, „ob man Waren kaufen oder verkaufen oder Geld ausgeben, oder den Preis ändern soll … So besteht hinsichtlich der Sache, der man sich ganz sicher sein müsste, keine Sicherheit mehr, sondern vielmehr größere und allgemeinste Verwirrung, zum Tadel des Fürsten.“2

Bis heute ist richtig geblieben, dass unerwartet große und schnelle Veränderungen in der Kaufkraft des Geldes das Wirtschaftsleben lahmlegen. Deshalb war für Nicolas von Oresme das Geld – und nicht der Glaube, wie von einem Bischof zu erwarten – die „Sache, der man sich ganz sicher sein müsste“.

Verantwortlich für diese Sicherheit sollte der Fürst, also heute der Staat sein. Weil man damit häufig Böcke zu Gärtnern machte, die den Versuchungen einer Ausnutzung des Geldwesens für persönliche oder politische, häufig kriegerische Zwecke nicht widerstehen konnten, haben wir heute Institutionen wie die unabhängigen Zentralbanken. Die Währungshüter sollen gegen die Versuchungen der Geldmanipulation abgeschottet werden. Nur so kann die breite Masse der Geldbenutzer überhaupt annehmen, das Geld sei im alltäglichen Durcheinander eine Konstante.

Wir rechnen damit, basteln uns Strategien und bauen ganze Lebenspläne in Geldgrößen, offenbar unter der Annahme, dass ein Euro ein Euro ist und bleibt. Das ist natürlich eine Fiktion, ob mit oder ohne unabhängige Europäische Zentralbank. Aber erstaunlicherweise ist es eine Fiktion, die immer eine Zeit lang funktioniert. Wie könnten wir sonst mit Geld in der Zukunft rechnen und zum Beispiel Verträge mit 40 Jahren Laufzeit abschließen?

Als Akteure in einer Geldwirtschaft müssen wir mit der illusorischen Annahme arbeiten, dass der Geldwert einigermaßen stabil bleibt. Wir gehen heute Verpflichtungen für morgen ein oder erwerben heute Ansprüche für morgen – alles kalkuliert und festgelegt in Geldmengen. Müssten wir damit rechnen, dass diese künftigen Geldgrößen real – in ihrer Kaufkraft – total unbestimmt sind, würde das gesamte Geschäftsleben zu einer Art Lotterie.

Der Effekt des gemeinsamen Glaubens an die monetäre Invarianz ist überraschend: Der Glaube stützt sich quasi selbst – wenigstens für begrenzte Zeit. Das Geschäftsleben kann blühen und gedeihen, der Wohlstand steigen und vielleicht sogar durch die sozialen Schichten bis nach unten durchsickern. Das meinen wohl die Ökonomen, wenn sie vom Geld als öffentlichem Gut sprechen: Es fördert das Gemeinwohl. Genau genommen ist damit allerdings vom Geldsystem die Rede und nicht von dem Geld, was die eine hat und der andere nicht. Denn von den allgemeinen Nutzeffekten des Geldsystems kann tatsächlich niemand ausgeschlossen werden, und es besteht auch keine Rivalität im Konsum. Geld erleichtert den Warenverkehr, spart Transaktionskosten, erhöht die Rechenhaftigkeit im Wirtschaftsleben und anderes mehr. Allerdings wirkt hier die Rede von einem „Gut“ leicht verquast, wie bei der Ernennung der öffentlichen Sicherheit zu einem „Gut“. Gemeint sind vielmehr soziale Ordnungsleistungen, die unter bestimmten Bedingungen zwar herstellbar, nicht aber handelbar sind. Und konsumiert werden sie allenfalls in übertragenen Sinne.

Ungenaues Reden kommt häufiger vor und ist nicht unbedingt schädlich. Dass „Geld als öffentliches Gut“ in Wirklichkeit das Geldsystem meint, wird uns derzeit täglich bei der Zeitungslektüre bewusst. Denn dieses entpuppt sich in unschöner Regelmäßigkeit als das Gegenteil von gut: als öffentliches Übel. Der soziale Prozess des Geldgebrauchs bringt immer wieder Krisen hervor (und mit ihnen Leute, die immer schon die Krise vorausgesehen haben). All die vielen schönen Projekte, wie man aus Geld mehr Geld macht, die soeben noch funktioniert haben, entpuppen sich plötzlich als Luftschlösser. Die Wirtschaft legt sich selbst lahm, mit den bekannten Folgen von Arbeitslosigkeit, Armut, Vermögensverlusten, aus denen sich heftige politische und soziale Konflikte entwickeln können.

Diese Art von Krise ist ohne Geld nicht denkbar. In Wirtschaften ohne Geld gab es Produktionsausfälle aufgrund von Katastrophen, Kriegen und ihren Folgen, aber keine endogenen Krisen. Dagegen ist ein Geldsystem aus zwei Hauptgründen immer krisenanfällig. Denn erstens muss in einer Geldwirtschaft jeder verkaufen, um an Geld zu kommen, aber wer Geld hat, muss nicht unbedingt gleich wieder kaufen. Wenn genügend Akteure nicht kaufen, stockt der ganze Prozess. Und zweitens gehören Geld und Kredit zusammen. Kredit erlaubt den Vorgriff auf künftige Einnahmen: Man kann kaufen, ohne gleich zu zahlen, oder man zahlt mit einem Zahlungsversprechen.

Wer Geld oder Güter gegen ein Versprechen auf die Zukunft weggibt, vertraut allerdings auf künftige Einnahmen des Schuldners oder auf (vermeintliche) Sicherheiten. Weil aber immer gilt: „The future is unwritten“, geht in jede Kreditvergabe ein Element der Spekulation ein. In einem Boom nimmt der Anteil der spekulativen Geschäfte ständig zu. Wenn sich dann einige maßgebliche Akteure verspekulieren und nicht mehr zahlen können, bricht die ganze Kette von Zahlungen und Zahlungsversprechen ab. Plötzlich zählt nur noch Bares, und alle Schuldner brauchen dringend Bargeld. Deshalb müssen reale Vermögensbestände, die zuvor als hinreichende Sicherheiten galten, unter schlechten Bedingungen schnell verscherbelt werden. Damit werden sie drastisch entwertet und reichen zur Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen nicht mehr aus. Die Krise dreht sich in eine Abwärtsspirale.

Das Geld in Form von Bargeld thront über allem – bis sich unter den wirtschaftlich Überlebenden wieder mehr Kreditwürdigkeit einstellt. James Tobin, einer der würdigeren Nobelpreisträger für Ökonomie, hat die zwei Seiten des Geldwesens treffend beschrieben: „Die Vorzüge, die der Institution Geld als öffentliches Gut zukommen, sind nicht ganz billig zu haben. Zu ihren Kosten gehören sowohl die Schwankungen des wirtschaftlichen Tätigkeitsniveaus als auch des Geldwerts selbst.“3

In der Krise zeigen sich diese Kosten, die brutale Kehrseite des Geldes als öffentliches Gut, vor allem in den asymmetrischen Auswirkungen. Nur weil wenige Akteure das Rad der Spekulation eine Idee zu weit gedreht haben, müssen fast alle leiden, auch wenn viele grundsolide gewirtschaftet haben. Deshalb ist die Formel vom Geld als öffentlichem Gut zu allgemein. Tatsächlich ist es für einige gut und für viele ganz in Ordnung, für ganz viele aber manchmal ganz schlecht.

Fußnoten: 1 Nach: Emilien Carassus, „Le Mythe du Dandy“, Paris (Armand Colin) 1971. 2 Nicolas von Oresme, „Tractatus de Mutatione Monetarum. Traktat über Geldabwertungen“, Berlin (Kadmos) 1999. 3 James Tobin, „Money“, in: „The New Palgrave Dictionary of Money and Finance“, Basingstoke (Palgrave Macmillan) 1992, S. 770 ff.

Heiner Ganßmann ist Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin und Autor von „Politische Ökonomie des Sozialstaats“, Münster (Westfälisches Dampfboot, 2. Auflage) 2009.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 08.05.2009, von Heiner Ganßmann