Sherwood Forest ist überall
Verteidigen, was uns allen gehört von Bernhard Pötter
Es ist der Stoff, aus dem Heldengeschichten gemacht sind: die Verteidigung der Gemeingüter gegen den Zugriff eines Einzelnen. Anfang des 13. Jahrhunderts begann der König von England, den Wald für seine Jagden und für die Versorgung seiner Günstlinge zu seinem exklusiven Eigentum zu machen. Bis dahin hatten alle Menschen das Recht, im Wald zu jagen, Holz zu sammeln und in den Gewässern zu fischen, auch wenn das Land dem König gehörte. Dieser kalten Aussperrung widersetzte sich nicht nur der Adel mit der Magna Charta, dem wichtigsten Verfassungsdokument Englands, mit der 1215 der englische Herrscher in seine Schranken gewiesen wurde – sondern auch ein Mann, dessen Taten legendär wurden: Rob Hod, besser bekannt als Robin Hood.
Der „Rächer der Enterbten“ zog sich der Legende nach mit seinen Getreuen in die Wälder zurück, lebte vom Ertrag des Gemeinguts und organisierte den Widerstand gegen die Obrigkeit, die eben dieses Gemeingut nur noch von Privatpersonen für deren Profit ausnutzen lassen wollte. Ein besseres Vorbild als den weltweit bekannten und beliebten Robin Hood könnten also die heutigen Vorkämpfer für die „Commons“, die Gemeingüter, nicht haben. Denn am Beginn des 21. Jahrhunderts erreicht die Auseinandersetzung darüber, welche Güter öffentlich und welche privat sind, wer von ihnen profitiert und wer ausgesperrt bleibt, einen neuen Höhepunkt.
Das Tauziehen findet zwischen Zivilgesellschaft und Unternehmen innerhalb von Staaten statt, ebenso in globalen Verhandlungen: Welche Güter werden der kapitalistischen Profitlogik unterworfen, welche nicht? Worauf hat der Einzelne ein Anrecht, worauf die Gemeinschaft? Vor 800 Jahren kämpften die „Helden in Strumpfhosen“ für Freiheit und Zugang zu den Gemeingütern in England. Heute ist Sherwood Forest überall.
Die öffentlichen Güter, um die es dabei geht, gelten in der Wirtschaftswissenschaft als „nicht exklusiv“, sie sind ohne Unterschied und konkurrenzlos für alle offen: wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Kultur. Wenn jemand von ihnen profitiert, bedeutet das nicht, dass andere von ihnen ausgeschlossen sind – so zumindest die Theorie.
Solche öffentlichen Güter gibt es auch im internationalen Maßstab: „Global Public Goods“ sind etwa das Internet und Abkommen über Transport zu Wasser und in der Luft, die Artenvielfalt, der Genpool, die „Freiheit der Meere“, die Atmosphäre und die Ozonschicht. „Gemeinressourcen“, schreibt die Publizistin Silke Helfrich in ihrem Buch „Wem gehört die Welt“, sind „die Grundlage aller produktiven, reproduktiven und kreativen Prozesse. Ohne Gene keine Vielfalt. Ohne Land keine Nahrung. Ohne Licht kein Wachstum. Ohne Töne keine Musik. Ohne Sprache keine Kommunikation. Ohne Wissen kein Fortschritt. Ohne Wasser kein Leben. Kurz: Eine Form des Wirtschaftens, das nicht aus der Fülle der Gemeinressourcen schöpft, ist undenkbar.“1
Häufig wird für die Nutzung einer Gemeinressource allerdings nicht angemessen bezahlt. Vormals Zugangsberechtigte werden auf einmal gezwungen, sich den Gebrauch des Gemeinguts teuer zu erkaufen, wie es bei Wasser oder Saatgut der Fall ist. Die Privatisierung bislang öffentlicher Güter schreitet voran.
Andererseits hat die Diskussion um die Gemeingüter gerade Konjunktur: Der Bankrott des neoliberalen Denkmodells führt zur Besinnung auf traditionelle Werte, das ungeahnte Tempo von Ressourcenvernichtung und Klimawandel drängt auf eine neue Organisation des Wirtschaftens. Manchen Experten gilt „Commonismus“ schon als der lang gesuchte Dritte Weg zwischen der Unantastbarkeit des Privateigentums im Kapitalismus und der staatlichen Bevormundung im Sozialismus. Die Verwaltung der Gemeingüter soll sogar zu besserer Administration und mehr Demokratie führen: Wo Menschen gelernt haben, ihre Güter gemeinsam zu verwalten, untereinander zu kommunizieren und mit Bürgergruppen und Regierungen zusammenzuarbeiten, gibt es „mehr effektives Feedback, Lernprozesse und letztlich die Entwicklung neuer und besserer Lösungen“.2
Nüchtern zu konstatieren ist aber erst einmal der Siegeszug des Privateigentums, auch an bislang öffentlichen Gütern: Weltweit werden ursprünglich öffentliche Aufgaben zunehmend von privaten Firmen übernommen. Zeitweilig waren 48 000 Soldaten auf der Seite der USA im Irak nicht dem US-Verteidigungsministerium unterstellt, sondern Angestellte von privaten Sicherheitsfirmen wie Blackwater.
Das neoliberale Denken, möglichst alle öffentlichen Dienste geldwert zu machen und dann privat zu organisieren, zieht große Vorteile für wenige und schwere Nachteile für viele nach sich. Profitorientierte Unternehmen gefährden durch höhere Preise die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Wasser, das Handeln von Polizei und Sicherheitskräften entzieht sich der direkten staatlichen Kontrolle. Die Unsicherheit für die Bürger wächst.
Doch die erste Einsicht bei der Verwaltung von öffentlichen Gütern muss wohl heißen: Ein Patentrezept gibt es nicht. „Privateigentum, staatliches Eigentum und Gemeineigentum haben allesamt ihre Wirksamkeit und ihr Scheitern zugleich bewiesen“, schreibt Helfrich. Der berühmte „Wasserkrieg“ wegen der Privatisierung des Trinkwassers im bolivianischen Cochabamba zeugt davon ebenso wie die vernichtende Umweltbilanz der DDR und anderer staatssozialistischer Länder.
Eine differenzierte Sichtweise muss auch für die einzelnen Gemeingüter gelten. Je nach ihrer Natur unterliegen sie unterschiedlichen Anforderungen: Das innerstaatliche Gewaltmonopol ist anders zu betrachten als freie Software im Internet oder das Recht, Schadstoffe in die Atmosphäre zu blasen.
Die Theorie der Gemeinschaftsgüter muss schließlich auch in der Praxis umsetzbar sein. Es kann gut sein, dass eine gemeinschaftliche Verwaltung des tropischen Regenwalds die beste Lösung für Umwelt und soziale Gerechtigkeit wäre – ob eine solche Maßnahme gegen die bewaffneten Banden der Holz- und Sojamafia durchzusetzen ist, ist dann die nächste Frage. Aber sie muss beantwortet werden, um das Konzept der Gemeingüter aus dem Elfenbeinturm zu holen.
Privatisieren oder sozialisieren
Die beste Art der Verwaltung öffentliche Güter muss an Effektivität und Gerechtigkeit orientiert sein. Dafür ist es hilfreich, die „common goods“ nach ihren Wirkungsbereichen zu unterscheiden:
Innerstaatliche Gemeingüter umfassen Bereiche wie Bildung, Sicherheit, Gesundheitsversorgung. Hier regeln die einzelnen Staaten den Zugang zu öffentlichen Gütern. In der täglichen politischen Auseinandersetzung wird eine Lösung dafür gefunden, ob etwa die Universitäten Studiengebühren erheben sollen oder ob eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt werden soll. Solange die Entscheidungen nicht zulasten Dritter gehen (etwa beim Import von Biotreibstoffen, die Regenwälder vernichten), sollte jede Gesellschaft selbst in einem demokratischen Prozess bestimmen, wie sie diese Güter verwalten will.
Internationale Gemeingüter, die vom Menschen geschaffen sind – das Internet, das globale Handelsregime, die Vereinbarungen zum Seerecht und zum Flugverkehr –, regeln den Umgang mit Bereichen, die allen zugänglich sind. Sie basieren auf menschlichen Erfindungen und zwischenstaatlichen Regeln, die die Güter erst herstellen oder erst nutzbar machen.
Andere internationale Gemeingüter, die wir vorfinden, nur gebrauchen und nicht verbrauchen sollten, weil wir sie nicht herstellen oder ersetzen können – die Atmosphäre, die Ozeane, die Ozonschicht, die Artenvielfalt –, sind Gemeingüter der Welt, an denen die gesamte Menschheit Nutzungsrechte genießt, allerdings mit anderen Lebewesen als Nutzern konkurriert. Diese ökologischen Lebensgrundlagen sind überwiegend frei und für alle verfügbar – der Hauptgrund für die momentane Umweltkrise.
Wie sollten nun diese verschiedenen Arten von Gemeingütern verwaltet werden? Privat oder öffentlich?
Innerstaatliche Gemeingüter dienen offensichtlich am ehesten der Gerechtigkeit und Gleichheit, wenn sie öffentlich verwaltet werden: Ein Bildungssystem, das über hohe Gebühren die Armen ausschließt, raubt ihnen Lebensperspektiven, vergrößert die Risse in einer Gesellschaft und vergeudet die Talente eines großen Teils der Bevölkerung, was sich kein Gemeinwesen auf Dauer leisten kann. Ähnliches gilt für das Gesundheitssystem und das Gewaltmonopol: Privatisierung fördert den Ausschluss ganzer Gruppen von der gesellschaftlichen Teilhabe und unterminiert die Akzeptanz der staatlichen Autorität ebenso wie die Finanzierung des Sozialstaats: Wozu Steuern zahlen, wenn man für Sicherheit dann doch selbst sorgen muss?
Für die von Menschen geschaffenen internationalen Gemeingüter gilt ein Zwischenstatus: Sie werden öffentlich verwaltet, sind im Kern aber privatwirtschaftlich organisiert. Erst das Profitstreben transnationaler Konzerne hat das Internet in kürzester Zeit weltweit verbreitet, erst die Gewinnchancen für globale Unternehmen machen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO und deren globales Patentschutzabkommen „Trips“ nötig, und erst Renditen für Reeder und Fluglinien machen ein weltweites Verkehrsnetz möglich. Die Einsicht, dass es neben all der Konkurrenz auch übergeordnete gemeinsame Interessen gibt, hat zu den Regeln und Standards im Internet, im Handel und im Verkehr geführt und damit aus den exklusiven Beziehungen einzelner Akteure (derjenigen, die sich ein eigenes Flugzeug leisten können) erst ein Gemeingut (den globalen Flugverkehr) geschaffen. Die öffentliche Verwaltung privat erzeugter Gemeingüter ist ein Gebiet, auf dem sich die meisten Fragen ergeben, was den Zugang zu Ressourcen, aber auch Gerechtigkeit für ihre Schöpfer angeht.
Nur für den Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen gelten kaum Regeln. Sie sind für alle und jeden frei zugänglich. Und so sehen sie auch aus: Die Artenvielfalt steht vor ihrer sechsten großen Ausrottungswelle, die Meere sind leergefischt, und die Atmosphäre ist so mit Abfallstoffen aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe vollgepumpt, dass das Klima aus dem Gleichgewicht gerät. Anders als bei den innerstaatlichen Gemeingütern ist es nicht die Privatisierung, die hier die Katastrophe heraufbeschwört, sondern ihr genaues Gegenteil: die freie Verfügbarkeit der Naturgüter, gekoppelt an die irrige Ansicht, sie seien unerschöpflich.
Ein wichtiger Grund für die kollektive Irrationalität, endliche Ressourcen bis zum Kollaps zu übernutzen, ist die individuelle Rationalität dieses Verhaltens: Solange es keine bindenden Regeln für alle etwa beim Fischfang gibt, hat es keinen Sinn, wenn ein einzelner Fischer sich zurückhält – das ändert nichts an der Überfischung. Also plündern alle die Ressourcen, bis nichts mehr übrig ist.
Das Problem ist altbekannt. Oft wird es in den Satz gefasst: Was nichts kostet, ist nichts wert. In einem berühmt gewordenen Aufsatz schrieb der Biologe Garret Hardin 1968 von der „Tragedy of the Commons“ (dt.: „Tragödie der Allmende“). Kern des Arguments: Wenn Menschen ein Stück Land gemeinsam nutzen, wird es unweigerlich übernutzt. Bauern, die ihr Vieh auf die Allmende, die gemeinschaftliche genutzte Weide, treiben, tun dies so lange und so oft, bis die Weide erschöpft und die Allmende zerstört ist. Aus dem jeweils individuell rationalen Verhalten entspringt kollektiv die irrationale Zerstörung des Gemeinguts.
Hardins These wurde auch deshalb berühmt, weil sie in der Umweltdebatte auf viele andere Diskussionen um Gemeingüter ausgeweitet wurde. Egal ob bei der Verteilung von Weideland, bei der Sicherung der letzten Tropenwälder, dem Fischfang oder der Belastung der Atmosphäre – immer schien klar: Ohne privatwirtschaftliche Eigentumstitel oder ohne strikte staatliche Ausführungsbestimmungen ruinieren sich die Menschen ihr Gemeingut.
Preisschilder für Pflanzen und Tiere
Da niemand ein Preisschild an wilde Tiere und Pflanzen, an den Genpool des tropischen Regenwalds oder an die Mülldeponie namens Atmosphäre klebt, wird auch kein Preis dafür gezahlt. Und das heißt, den Preis zahlen alle. Deshalb ist das Projekt „Economics of Ecosystems and Biodiversity“ von Bundesumweltministerium und EU-Kommission3 , den Wert der Artenvielfalt auch monetär festzulegen, nicht so kritisch zu sehen, wie es etwa die Deutsche Umwelthilfe (DUH) getan hat. Sie glaubt, dass Pflanzen und Tiere bei einer Rechnung in Cent und Euro gegenüber den Konsumwünschen der Weltwirtschaft nur verlieren können und dass deshalb die „völlige Ökonomisierung der Natur das Artensterben beschleunigen und nicht etwa aufhalten wird“.4
Doch der kapitalistischen Verwertungslogik unterliegt die Natur ohnehin. Das ist zu bedauern, aber eine Tatsache. Ebenso wie die Einsicht, dass unser Wirtschaftssystem etwas für wertvoller hält und dafür Umgangsregeln findet, wenn es auf Cent und Euro berechnet werden kann. Auch für die Nutzung als Gemeinressource ist es also von Vorteil, den materiellen und immateriellen Wert der Natur für den Markt genau zu kennen – ob und wie man diesen Markt dann gestaltet, muss politisch ausgekämpft werden.
Doch die These von der zwangsläufigen „Tragödie der Allmende“ stimmt offenbar bei näherem Hinsehen gar nicht unbedingt. Hardins Kritiker weisen nach, dass die Verwaltung der Allmende durch eine Gemeinschaft sehr wohl auch über lange Zeit stabil und nachhaltig glücken kann. Zu den überwiegend erfolgreichen Beispielen gehören, wie der Journalist David Bollier schreibt, etwa die Systeme der Waldwirtschaft in Mexiko, der Umgang mit dem Amazonas-Regenwald der Kommune Gurupà im Bundesstaat Parà oder die Milchwirtschaftskooperativen im nordindischen Rajasthan.5
Er und andere weisen darauf hin, dass Hardins Beispiel kein Gemeingut zeige, sondern ein Niemandsland: Zu dieser Allmende gebe es freien Zugang, keine Regeln, und jeder könne sich nehmen, so viel er wolle. „Commons, also Gemeingüter, sind etwas anderes: Sie sind ein soziales System der Selbstverwaltung und von auf Konsens beruhenden Rechten zur Regelung der Nutzung und des Zugangs zu einer Ressource. Erfolgreiche Gemeingüter haben meistens klar definierte Grenzen. Sie haben Regeln, die den Teilnehmenden wohl bekannt sind. Und es herrscht ausreichende Transparenz, so dass Trittbrettfahrer identifiziert und bestraft werden können.“ Offenbar ist der Unterschied folgender: Für Hardin ist die Allmende ein Schlaraffenland, das leergefressen wird. Für seine Kritiker sind Gemeingüter eher ein gemeinsames Picknick, zu dem jeder etwas beiträgt und wo sich jeder in Maßen bedient.
Was aber bringt Menschen dazu, sich nicht wie im Schlaraffenland zu verhalten? Handeln sie nicht irrational, wenn sie anderen helfen, für sich selbst aber nicht das Maximale aus einer Situation herausholen? Das haben Wissenschaftler der Universität von Indiana untersucht, im Labor und in der Realität. Ihr Fazit: Menschen tendieren dazu, Gemeingüter zu übernutzen, wenn sie sich nicht kennen. Aber „Gruppen, die regelmäßig miteinander kommunizieren können, sind in der Lage, fast optimale Ergebnisse zu erzielen, anstatt die Ressourcen zu übernutzen“, fasst Elinor Ostrom, eine der Protagonistinnen der Gemeingüterbewegung, diese Forschungen zusammen. Individuelle Wertmaßstäbe seien dafür zuständig, den Verlockungen des Commons-Dilemmas zu widerstehen, aber auch Institutionen, die Vertrauen aufbauen und sicherstellen, dass die eigene Beschränkung auch vom Gegenüber honoriert wird.6 Das zeigt: Die Bewirtschaftung von Gemeingütern ist ein sozialer Prozess und stellt andere Ansprüche als das Käufer-Verkäufer-Verhältnis nach dem kapitalistischen Konzept der Warenverteilung. Doch eines haben beide Ideen gemeinsam: die Notwendigkeit von Vertrauen.
Ebenso wie der Nutzer einer Gemeinressource darauf vertrauen muss, dass er nicht übervorteilt wird, ist auch zwischen Kaufleuten das Wichtigste das Vertrauen, dass der jeweils andere den vereinbarten Preis zahlen beziehungsweise die vereinbarte Leistung erbringen wird. Schwindet dieser Glauben (lat.: credit), kommen die Geschäftsbeziehungen zum Erliegen – wie man es bei der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich sehen kann. Der US-Publizist Jeremy Rifkin sagt: „Man braucht Vertrauen, um Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen. Erst kommt die Kultur und dann der Handel, nicht andersherum.“7 Und die Deutsche Bank warb in den 90ern mit dem Slogan: „Vertrauen ist der Anfang von allem“ – auch wenn das heute wie Hohn klingt.
Für die Anhänger der Gemeingutidee ist diese Art des Wirtschaftens viel mehr als nur die Verwaltung einer Ressource. Sie ist schlicht die Wirtschaftsweise der Zukunft: „Die Rede von den Gemeingütern birgt das Potenzial, zu einem zentralen Begriff in der Auseinandersetzung um die durchgehende Ökologisierung der Gesellschaft und der Transformation zur Wissensgesellschaft zu avancieren“, schreiben Jörg Haas und Silke Helfrich. Gemeingüter würden demnach „eine neue große Erzählung für eine Zukunft des sozialen Zusammenhalts, getragen von Bindungen an unsere natürlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen“.8
Das klingt gut. Es sollte aber erwähnt werden, dass die bisherigen Konzepte zur Verwaltung der Gemeingüter gerade bei der erwähnten Transformation zur Wissensgesellschaft und der Ökologisierung der Gesellschaft auf Schwierigkeiten stoßen. Bislang ungeklärt ist etwa die Frage, wie sich der offene Zugang zu Bildung, Wissenschaft und Kulturgütern mit dem Urheberrecht der Autoren vertragen soll. Auch wer zustimmt, dass Musik, bildende Künste oder Literatur immer auf einem Erbe der gesamten Menschheit aufbauen und daher Gemeingüter sind, wird die Frage beantworten müssen, wovon der einzelne Komponist, Sänger, Autor oder Verlag leben soll, wenn seine Werke zum Gemeingut erklärt werden.
Wie weit die Ansichten hier auseinanderliegen, zeigen die unterschiedlichen Wahrnehmung des Internets: Während sich Gemeingutfans darüber beschweren, wie hart und unverhältnismäßig die Entertainment-Industrie auf Raubkopien öffentlich zugänglicher Inhalte wie Musik reagiert,9 gilt vielen Autoren die kostenlose Zweitverwertung ihrer Artikel und Beiträge durch Verlage und Rundfunkanstalten als großes Ärgernis: Was die eine Seite als Zensur betrachtet, nimmt die andere als Diebstahl an ihrem kreativen Potenzial war.
Abhilfe könnten hier wohl Vorschläge wie der einer Art Flatrate schaffen, bei der jeder Nutzer von Musikdownloads eine geringe Summe abführt, die dann an die Künstler verteilt wird. Ähnliches wird diskutiert, um die Verteilung von freier Software zu finanzieren: eine Abgabe auf Computer und andere Produktionsmittel des Wissenszeitalters, um diejenigen zu finanzieren, die die Programme dafür schreiben. Denn wenn man nicht mehr abhängig sein will von den großen Konzernen, die über ihre Programme diktieren, wer wie kommuniziert, muss man die Alternativen finanzieren. Sich darauf zu verlassen, dass es schon genug Programmierer gibt, die so etwas aus Freude an der Arbeit tun, ist eine fragwürdige und in der Tendenz ausbeuterische Sache. Es stellt zum Beispiel nicht in Rechnung, wie viel Zeit, Geld und Aufwand der Programmierer für seine Ausbildung investiert hat.
Auch ein anderes Erfolgsbeispiel der Gemeingutgemeinde im Internet ist zu hinterfragen: Wikipedia, die freie Enzyklopädie, sammelt das Wissen von Millionen von Menschen zu einer frei zugänglichen Datenbasis. Das ist oft hilfreich. Gleichzeitig ist Wikipedia aber eben auch anfällig für Desinformationskampagnen, etwa von multinationalen Konzernen.10
Am drängendsten ist aber sicher die Regelung der Gemeingüter bei der notwendigen Ökologisierung der Gesellschaft. Bisher ist eher das Gegenteil zu beobachten: die Vergesellschaftung der Ökologie mit allen negativen Folgen. Wie in der klassischen „Tragödie der Allmende“ werden die Meere weiter leergefischt, die Wälder gerodet und die Atmosphäre vergiftet.
Erst jetzt regt sich neues Denken, das über die gültige Sichtweise der klassischen Ökonomie aus dem vorletzten Jahrhundert hinausgeht, wonach die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft keinen eigenen Wert haben und nach Belieben ge- und verbraucht werden können. Von der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, von Bodenknappheit und Klimawandel war eben noch nichts bekannt, als die Theoriegebäude von Kapitalismus und Sozialismus errichtet wurden. Allerdings schürt auch die Idee eines „grünen Wachstums“ die Illusion, dass es in einem endlichen physikalischen System wie dem Planeten Erde unendliches Wirtschaftswachstum geben könne.
Wären Wälder, Fischgründe und Atmosphäre mit einem Eigentumstitel besser geschützt? Die Theorie sagt ja: Wenn die Ressourcen jemandem gehören, ist er bestrebt, sie zu erhalten. Die Praxis dagegen hält andere Beispiele parat: Beim Fischfang wachen alle Staaten eifersüchtig über die Bestände ihrer Hoheitsgewässer, Großbritannien und Island waren in den 1960er- und 1970er-Jahren dafür sogar mehrfach zu militärischen Konfrontationen bereit. Trotzdem sind die Bestände überall überfischt – der Druck der heimischen Industrie und der Fischereilobby verhindert die nachhaltige Bewirtschaftung, auch wenn diese Ressource, die potenziell fischreichen Küstengewässer, nicht internationales Allgemeingut ist.
Auch der europäische (und wohl bald auch der US-amerikanische) Emissionshandel mit Verschmutzungslizenzen für die Atmosphäre will etwas an der scheinbaren Wertlosigkeit globaler Ressourcen ändern, bringt aber fragwürdige Ergebnisse. Im Ergebnis hat diese Privatisierung der Atmosphäre und die teilweise kostenfreie Zuteilung der Lizenzen dazu geführt, dass die Verschmutzer an ihrem Schmutz auch noch Geld verdienten, weil sie damit handeln konnten oder die Preise erhöhten. „Das Umweltprinzip ‚Der Verschmutzer zahlt‘ wurde auf den Kopf gestellt, denn jetzt heißt es: ‚Der Verschmutzer wird bezahlt‘ “, empört sich die indische Aktivistin Vandana Shiva.11
Das System der Emissionsbegrenzungen, wie es bei den UN-Klimaverhandlungen entworfen und geformt wird, zeigt, wie das Gemeingut Atmosphäre durch Übernutzung seinen Charakter gewandelt hat: Von einem Gut, das ursprünglich allen offenstand (gewissermaßen als Zwischenlager für die Abfälle fossiler Brennstoffe) hin zu einer eng begrenzten, endlichen Ressource, die gemanagt werden muss. Jetzt, da die Schwellenländer 150 Jahre nach den Industrieländern das Gemeingut auf die gleiche Weise wie diese nutzen wollen, finden sie sich mit massiven Einschränkungen konfrontiert – ein nachvollziehbarer Grund dafür, dass China und Indien bei den Klimaverhandlungen so zögerlich mit Emissionsverpflichtungen sind.
Das zeigt: So gut die Theorie der Gemeingüter ist, muss doch ihr Management den Praxistest bestehen, um die Idee nicht zu diskreditieren. Solange wir in einem kapitalistischen Umfeld leben, muss die Allmende ökonomisch und politisch attraktiv genug sein, um sich dennoch durchzusetzen. Es hilft ja nichts, den Regenwald als Gemeineigentum verwalten zu lassen, wenn der brasilianische Staat Recht und Gesetz nicht durchsetzen kann. Dann sind Privat- oder Staatseigentum möglicherweise die besseren Ideen. Es hat keinen Sinn, die Arktis als Gemeingut zu betrachten und sich gleichzeitig ein Wettrennen um die dortigen Bodenschätze zu liefern. Es hilft ja nicht einmal, das Elbtal offiziell als Weltkulturerbe der Unesco zu deklarieren (eine höhere formelle Art des globalen Gemeinguts gibt es kaum!), wenn die Autofahrer von Dresden aber meinen, sie müssten dort eine Brücke haben.
Dabei gibt es sie ja, die Vorschläge, wie ein Gemeingut effektiv, fair und praxisnah verwaltet werden kann: Ein Beispiel ist die Idee des „Sky Trust“, einer gerechteren Variante des Emissionshandels. In ihm wird die Atmosphäre nicht als Niemandsland begriffen, von dem die Staaten willkürlich Anteile verteilen oder verkaufen können.12 Sondern die Luft, die wir atmen, ist nach diesem Modell ein Gemeingut der gesamten Menschheit. Wer es nutzt, muss dafür zahlen, und das Geld den Eigentümern, also allen Menschen, erstatten.
Dass die EU ihre Lizenzen ab 2012 grundsätzlich vollständig zu Geld machen will, ist ein Schritt in diese Richtung – dass die Finanzminister der Mitgliedstaaten das Geld kassieren und es nur zur Hälfte für Klimaschutzmaßnahmen nutzen wollen, ein halber Schritt zurück.
Dies zeigt exemplarisch, wie hart die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Verwaltung der Gemeingüter geführt werden. Und wie groß die Verantwortung der reichen und mächtigen Nationen für die Armen der Welt ist, die zum Klimawandel am wenigsten beitragen und am meisten unter ihm leiden. Unter einem System des Sky Trust hätte auch der Subsistenzfarmer in Burundi und der Slumbewohner in Dhaka ein Anrecht auf seine Dividende aus der Nutzung des Gemeinguts Atmosphäre.
Doch solange der Sky Trust nicht politisch durchgesetzt ist, gucken sie in den Mond – der übrigens seit 1984 laut UN-Weltraumvertrag ein „gemeinsames Erbe der Menschheit“ ist.
Bernhard Pötter ist freier Journalist in Paris und Autor unter anderem von „Tatort Klimawandel: Täter, Opfer und Profiteure einer globalen Revolution“, München (oekom) 2008.
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