12.08.2005

Zigaretten, Bakschisch und Limonade

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Zigaretten, Bakschisch und Limonade

Seit dem Ende der Diktatur im Jahr 1991 sind in Bangladesch abwechselnd zwei clanartige Parteien an der Macht: die Awami-Liga (AL), angeführt von Sheikh Hasina, und die Bangladesh National Party (BNP) unter der derzeitigen Premierministerin Khaleda Ziaur. Hasina ist die Tochter von Sheikh Mujibur Rahman, der nach der Unabhängigkeit des Landes 1971 erster Regierungschef war und 1975 bei einem proamerikanischen Putsch mitsamt seiner Familie ermordet wurde. Khaleda Ziaur ist die Witwe von General Ziaur, der von 1976 bis zu seiner Ermordung 1981 an der Macht war. Beide Frauen betrachten sich als Erbin ihres ermordeten Familienpatriarchen, den sie jeweils als Gründervater von Bangladesch ansehen.

Der Hass auf das Oberhaupt des gegnerischen Clans ist das Hauptkriterium, Die Jugendorganisationen beider Parteien machen mit ihren Einschüchterungsmethoden die Straßen und den Campus unsicher. Politisch ist die BNP mit den Islamisten verbündet, während die AL sich laizistisch gibt. In der Praxis unterscheiden sie sich jedoch wenig, beide treten für eine neoliberale Wirtschaftspolitik ein. Und natürlich werfen sich beide Witwen gegenseitig Korruption und Verletzung der Menschenrechte vor.

In Bangladesch bedeutet Macht, dass man sich bereichern kann, ohne eine strafrechtliche Verfolgung zu riskieren. Eine Wahlniederlage hat für die Abgewählten und ihren Clan den Verlust ihrer Einkünfte zur Folge, weshalb sie sich stets weigern, einen Machtwechsel zu akzeptieren. Die Opposition boykottiert das Parlament und organisiert hartals (das sind Streiks, bei denen zuweilen die Läden derer, die nicht mitmachen, in Flammen aufgehen), um vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen.1 Aber es gibt auch Bombenattentate auf Parteiveranstaltungen der Opposition und von Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Stimmenkauf ist an der Tagesordnung. Nach einer Untersuchung, die Politologen 1999 in einem Elendsviertel von Dhaka durchführten, gaben 17 Prozent der Wähler ihre Stimmer der Partei, die Zigaretten ausgeteilt hatte; 10 Prozent hatten Limonade erhalten, 9 Prozent Bakschisch und 12 Prozent Drohungen.2 „In dem Dorf, wo ich arbeite, kostet eine Stimme 100 Takas [1,40 Euro]“, bestätigt der Vertreter einer Menschenrechtsorganisation. „Wenn das Ergebnis nicht den eingesetzten Stimmenkaufsummen entspricht, machen die mastaan diejenigen ausfindig, die sich nicht an die Spielregeln gehalten haben, und bestrafen sie.“ Unwissenheit besorgt den Rest. „Das Hauptargument der Gegenseite im Wahlkampf war mein angeblicher Atheismus“, klagt der Armenanwalt Firuz Ahmed, der 2001 in Khulna für die Linke kandidierte. Die Alphabetisierungsrate – nach UN-Statistiken können nur 41 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben – ist so niedrig, dass manche sie für politisch gewollt halten: „Dass die Leute nicht lesen und nicht schreiben können, ist im Interesse der Eliten: So können sie mit den Bürgern machen, was sie wollen“, meint ein einheimischer Journalist. Politikwissenschaftler identifizieren die Mittelschicht mit ihrem Streben nach Stabilität und sozialem Aufstieg als wichtigsten Faktor der Demokratie. In Bangladesch machen die Armen vier Fünftel der Bevölkerung aus: Das Straßenbild von Dhaka bietet abgewrackte Busse oder klimatisierte Luxuslimousinen, dazwischen gibt es nichts. Die Eliten lähmen die Gesellschaft, sind aber gewählt. Formell ist Bangladesch damit sogar eine Demokratie.

Fußnoten: 1 Rounaq Jahan, „Bangladesh, promise and performance“, Dhaka (University Press Ltd.) 2002. 2 Untersuchung der Association for rural development and studies: „Poverty and migration: slums of Dhaka city“, Dhaka 1999.

Le Monde diplomatique vom 12.08.2005