08.03.2018

Ein Anruf von Frau Li

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Ein Anruf von Frau Li

Chinas Auslandspropaganda ist plump, aber effektiv

von David Bandurski

Paco Knöller, ohne Titel, 2015, Ölkreide und Lack auf Holz, 155 x 98,5 x 4 cm
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Im Oktober letzten Jahres lief auf dem Kabelfernsehsender Discovery Channel die gut gemachte Dokumentarserie „China: Time of Xi“. Darin wurde China unter der Führung seines gütigen und visionären Präsidenten Xi Jingping als ein dynamisches Land präsentiert, das an der Spitze des Fortschritts marschiert.

Als Moderatoren traten namhafte internationale Persönlichkeiten auf, darunter der US-Architekt Danny Forster und der vietnamesisch-australische Biomediziner Jordan Nguyen. Produziert hatte die von Discovery in Auftrag gegebene Serie Meridiane Line Films, eine „unabhängige Produktionsfirma mit Sitz im Vereinigten Königreich“. Sie lief in 37 Ländern in ganz ­Asien und erreichte Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich.1

Den meisten Kommentatoren zufolge war die Serie einfach ein Beweis für gute Programmplanung – eine geschickt platzierte Reaktion auf das politische Großereignis des vergangenen Jahres in China, den 19. Parteitag der Kommunistischen Partei, der wenige Tage nach der Ausstrahlung begann. The Straits Times, die englischsprachige Tageszeitung in Singapur, zitierte Liz McLeod, die Mitgründerin von Meridian Line Films und heutige Kreativdirektorin, mit den Worten, „dies ist natürlich ein Zeitpunkt, zu dem das Publikum von Discovery mehr über Präsident Xi und die chinesische Politik erfahren will, und deshalb war das eine sehr guter Moment, um diese Serie zu drehen“.2

Bei einem genaueren Blick auf die Umstände der Entstehung von „China: Time of Xi“ wird jedoch schnell klar, wie die Sache wirklich abgelaufen ist. Die Serie war in Wahrheit das Ergebnis eines Dreijahresvertrags, unterzeichnet im März 2015 von der asiatisch-pazifischen Discovery-Tochter und dem China Intercontinental Communication Center (CICC), einer Firma, die vom Presseamt des chinesischen Staatsrats (State Council Information Office, SCIO) betrieben wird – und bei der wiederum handelt es sich um eine Regierungseinrichtung, die dieselbe Adresse hat wie das Büro für Auslandspropaganda der Zentralen Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Chinas (Central Propaganda Department’s Office of Foreign Propaganda, OFP).3

Aufgabe des OFP ist es, die offi­ziel­len Parteibotschaften im Ausland zu verbreiten. Die Berichterstattung rund um die Serie fand fast ausschließlich in chinesischen Staatsmedien statt, die sich allerdings große Mühe gaben, die Leserschaft von ihrer Unabhängigkeit zu überzeugen.4 Selbst der Artikel in der Straits Times mit dem Zitat von Liz McLeod war aus China Daily übernommen, der offiziellen englischsprachigen Tageszeitung des SCIO.

Die Meridian Line Films mit Sitz in Großbritannien ist nur eines von vielen Beispielen für die verschachtelten Strukturen der chinesischen Aus­lands­agitation, die am Ende allesamt zum CICC und zum Presseamt des Staatsrats führen.

In ihrem Geschäftsbericht vom Juli 2015 nennt Meridian Line als Direktoren Jing Shuiqing, den stellvertretenden Leiter des CICC, sowie dessen Kreativdirektor Wang Yuanyuan. Dem Bericht ist weiter zu entnehmen, dass 85 Prozent der Anteile an Meridian Line der „China International Communication Center Ltd.“ gehören. Aus Unterlagen über chinesische Unternehmen geht hervor, dass sich das CICC unter seinem Chef Jing Shuiqing vollständig im Besitz einer Firma ähnlichen Namens befindet, die wiederum der „Zentralen Propagandaabteilung (Presseamt des Staatsrats)“ gehört. Der gesetzliche Vertreter dieser Firma ist Chen Lujun, gegenwärtig stellvertretender Direktor des Nachrichtenbüros der Zentralen Propagandaabteilung – und damit einer der wichtigsten Aufseher des Landes für Film und Medien (obwohl er regelmäßig als „Manager der Filmbranche“ auftritt).

Vorauseilender Gehorsam westlicher Verlage

Der kurze Überblick über die Hintergründe dieses cleveren Propagandamanövers soll deutlich machen, auf welch handfeste Weise die Kommunistische Partei (KPCh) versucht, die Debatten über die Rolle Chinas und seinen Einfluss in der Welt an sich zu reißen, während das Land seine Rolle als interna­tio­nale Großmacht weiter ausbaut.

Während die Welt im vergangenen Jahr verwundert und besorgt auf die USA blickte, die unter Donald Trump schnell von ihrer internationalen Führungsrolle abrückten und damit ein womöglich gefährliches Machtvakuum hinterließen, propagierten Chinas Politiker eine führende Position für ihr Land. Sie sprachen von einer „chinesischen Lösung“ für globale Probleme, einer stabilisierenden Alternative zu dem Chaos, vor dem die westlichen Demokratien angeblich stehen.5

Aber wenn Chinas Erfolge etwas Wesentliches zur Lösung der aktuellen Probleme in der Welt beitragen sollen, wenn sie den Weg zu dem weisen sollen, was chinesische Politiker mittlerweile als „eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit“ bezeichnen, dann muss man diese Erfolge zunächst unvoreingenommen und genau unter die Lupe nehmen. Und da zeigt die chinesische Lösung ihr wahres Gesicht: dass nämlich Kontrolle der Information und der öffentlichen Meinung für die KPCh unverzichtbar sind. Schließlich sind das seit jeher die wichtigsten Instrumente gewesen, mit denen sie ihre Legitimität im Einparteiensystem auch nach innen absichert. Um das zu verstehen, genügt ein Blick auf Chinas aggressive Bemühungen, der eigenen Version der Wahrheit Geltung zu verschaffen und alle widersprechenden und komplexeren Ansichten von Ökonomen, Sozialwissenschaftlern, Journalisten und anderen zum Schweigen zu bringen.

Im vergangenen Jahr erschütterten zwei Skandale die akademische Welt. Im August 2017 wurde bekannt, dass das renommierte britische Verlagshaus Cambridge University Press gegenüber der chinesischen Regierung eingeknickt war und den chinesischen Onlinezugang zu 315 Artikeln aus China Quarterly6 gesperrt hatte. China Quarterly ist eine wissenschaftliche Zeitschrift, in der weltweit führende China-Experten veröffentlichen und deren Beiträge durch ein unabhängiges Gutachterverfahren geprüft werden. Die Blockade traf auch das Journal of Asian Studies.

Die blockierten Artikel behandeln viele unterschiedliche Themen, die in den Augen der chinesischen Regierung als heikel gelten, darunter die Kulturrevolution, die Demokratie in Hongkong und die Demonstrationen auf dem Tia­nan­menplatz 1989. Nach einem internationalen Proteststurm hob Cambridge University Press die Sperre wieder auf. Doch der Fall ist für den Verlag damit wahrscheinlich noch nicht erledigt: weil er sich der Zensurbehörde am Ende doch nicht gebeugt hat, wird er das Geschäft in China womöglich komplett einstellen müssen.

Im Herbst 2017 deckte die Finan­cial Times einen weiteren Fall von Zensur auf.7 Diesmal ging es um den deutschen Wissenschaftsverlag Springer Nature, der auf Druck der Regierung in Peking einen Teil seines Angebots für Internetnutzer in China gesperrt hatte. Anders als Cambridge University Press blieb Springer Nature bei seiner Entscheidung, sich den Zensoren Chinas zu beugen. „Diese Maßnahme ist zutiefst bedauerlich“, hieß es in einer Stellungnahme des Verlags. „Sie wurde jedoch ergriffen, um deutlich gravierendere Auswirkungen auf unsere Kunden und Autoren zu verhindern, und steht im Einklang mit unseren Regularien.“8

Wenn die chinesische Führung mit Zuckerbrot nicht weiterkommt, setzt sie auf Behinderung und Einschüchterung. Im Juni 2017 kündigte die Stadt Weimar an, den von ihr jährlich vergebenen Menschenrechtspreis an Ilham Tohti zu verleihen, einen Wirtschaftswissenschaftler, der 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, nachdem er die Repressionen der chinesischen Regierung gegen die – mehrheitlich muslimischen – Uiguren in der nordwestlichen Provinz Xinjiang angeprangert hatte. Nach der Bekanntgabe des Preisträgers wurde die Internetseite der Stadt gehackt, die Hacker entfernten alle Informationen zur Preisverleihung. Außerdem rief eine „Frau Li“ von der chinesischen Botschaft in Berlin beim Preiskomitee in Weimar an und protestierte gegen die Preisvergabe an einen „chinesischen Kriminellen“.

Was besagt die Situation in Xin­jiang über die Wirksamkeit von chinesischen Lösungen? Aus Berichten, die seit der Verhaftung von Ilham Tohti vor vier Jahren in internationalen Medien erschienen sind, geht hervor, dass sich die Situation der Uiguren in Xinjiang dramatisch verschlechtert hat. Sie sind Bürger zweiter Klasse, werden aufgrund ihrer Kultur und Religion verfolgt, mit Überwachungskameras und Computerprogrammen kontrolliert oder bekommen ihren Ausweis abgenommen.9

Doch die Regierung hält an ihrem offiziellen Narrativ fest: Ende August erklärte einer der wichtigsten Verantwortlichen für Auslandspropaganda in der Region, Ailiti Saliyev, „in Xin­jiang leben die glücklichsten Muslime der Welt“. Und am 20. Oktober 2017 meldete China Daily, das Wirtschaftswachstum in Xinjiang habe über dem Landesdurchschnitt gelegen.

Wenn westliche Medien auf solche Widersprüche aufmerksam machen, wirft Peking ihnen unweigerlich Voreingenommenheit und ungerechte Behandlung vor. Dabei ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass interna­tio­nale Medien kaum Zugang zum chinesischen Markt haben und dass die Arbeit ausländischer Korrespondenten immer schwieriger wird, während gleichzeitig Chinas Staatsmedien ungehinderten Zugang zu den Medienmärkten in Europa und den Vereinigten Staaten genießen. Partei- und Staatsmedien wie beispielsweise People’s Daily oder China Daily können ihre Geschichten ungehindert über Facebook und Twitter verbreiten, die beide in China seit 2009 verboten sind.

China gibt schätzungsweise jedes Jahr die ungeheuerliche Summe von 10 Milliarden US-Dollar für Außenpropaganda aus – und findet überall auf der Welt willige Märkte und Partner. Der staatliche Fernsehsender China Central Television (CCTV) betreibt seit 2012 einen englischsprachigen Ableger in den USA. Die Berichterstattung der kürzlich in CGTN America umbenannten Dependence folgt der Linie der chinesischen Regierung, besonders wenn China selbst das Thema ist. China Daily, das Flaggschiff des SCIO, erscheint weltweit, wird in 34 Druckereien außerhalb des Landes gedruckt und oft als kostenlose Beilage von einflussreichen Zeitungen wie der Washington Post und dem Daily Telegraph in Umlauf gebracht.

Gleichzeitig gelten für die Berichterstattung ausländischer Medien in China nach wie vor strenge Einschränkungen. 2016 hieß es in einem Bericht des Clubs der Auslandskorrespondenten in China, die chinesischen Behörden drohten oft damit, ­ Korrespondenten

kaltzustellen, wenn ihnen deren Berichterstattung nicht passte. Ein Korrespondent wurde mit den Worten zitiert: „Das Außenministerium spricht laufend vage Drohungen aus, unsere ‚Beziehung‘ werde Schaden nehmen, falls ihm unsere Berichterstattung nicht gefallen sollte.“ Die New York Times, die Financial Times, der Economist, der Guardian und die BBC durften im Oktober keine Vertreter zur Abschlusspressekonferenz von Xi Jinping beim 19. Parteitag schicken. Dabei lud der Präsident die Journalisten lächelnd ein, sie sollten doch „herkommen und sich mehr von China anschauen“.10

China will die Welt überzeugen, dass seine Erfolge den Weg „zu einer Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft“ weisen. Doch wir sollten hartnäckiger nachfragen, wie sein Narrativ zustande kommt und verkauft wird.

In der angeblich unabhängigen Serie auf dem Discovery Channel sagt ein chinesischer Experte, „Präsident Xi stellt auf ganz und gar einzigartige Weise das Volk in den Mittelpunkt“. Er kümmere sich um die Armen. Es folgt eine Szene, die Xi bei einem Besuch auf dem Land zeigt. Lächelnd verspricht der Staatschef den Bewohnern eines Dorfs: „Die Partei und die Regierung werden allen helfen!“ Die Leute applaudieren begeistert.11

Einen Monat nach dem Ende des 19. Parteitags, bei dem Xi mit einer Machtfülle ausgestattet wurde, wie es sie seit Mao Tse-tung nicht gegeben hatte, ordneten Pekings Behörden die brutale Vertreibung von zehntausenden Wanderarbeitern an, um die Hauptstadt von „illegalen Strukturen“ zu säubern. Viele dieser Menschen, die in offiziellen Dokumenten abfällig als „low-end population“, Bodensatz der Gesellschaft, bezeichnet werden, blieben danach in der eisigen Winterkälte obdachlos zurück.

Das war wieder einmal eine typisch chinesische Lösung für ein Problem, das die Stadtplanungsfunktionäre loswerden wollten. In den sozialen Medien weckten die Vertreibungen für kurze Zeit Mitgefühl und dann Zorn. Doch die endgültige Lösung bestand nicht darin, das Problem anzugehen, sondern die Diskus­sion zu begraben.

1 PR Newswire, „Discovery Channel Delves into Time of Xi“, 13. Oktober 2017.

2 „Documentary by Discovery Channel highlights Xi Jinping’s key role in China’s growth“, The Straits Times, 16. Oktober 2017.

3 David Gitter, „The CCP Plants the China Dream Abroad. The CCP’s arms of influence are targeting foreign societies in ways that have seldom been fully considered“, The Diplomat, 9. Dezember 2017.

4 Zhang Niansheng, Hu Zexi, „China was on the brink of entering a new chapter“, Interview mit Vikram Channa, Vizepräsident von Discovery Networks Asia-Pacific, People’s Daily, 19. Oktober 2017.

5 Will Edwards, „The ‚China Solution‘: Beijing Aims for Global Leadership“, The Cipher Brief, 2. Mai 2017.

6 Maev Kennedy, Tom Phillips, „Cambridge University Press backs down over China censorship“, The Guardian, 21. August 2017.

7 Ben Bland, „Outcry as Latest Global Publisher Bows to China Censors“, Financial Times, 1. November 2017.

8 Benedicte Page, Natasha Onwuemezi, „Springer Nature blocks journal articles in China“, The Bookseller, 2. November 2017.

9 Siehe unter anderem „China Uighurs: Ban on long beards, veils in Xinjiang“, Al Jazeera, 1. April 2017; Josh Chin, Clément Bürge, „Twelve days in Xinjiang. How China’s surveillance state overwhelms daily life“, The Wall Street Journal, 19. Dezember 2017.

10 Sue-Lin Wong, „China says foreign media welcome, as some media outlets excluded from key event“, Reuters, 25. Oktober 2017.

11 www.youtube.com/watch?v=xrV5GpogjDg.

Aus dem Englischen von Ursel Schäfer

David Bandurski ist Kodirektor des China Media Project, eines unabhängigen Forschungs- und Austauschprogramms, das mit der Universität Hongkong zusammenarbeitet. Derzeit ist er Fellow an der Robert Bosch Academy.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 08.03.2018, von David Bandurski