11.02.2016

Die Freiheit der iranischen Frauen

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Die Freiheit der iranischen Frauen

von Florence Beaugé

Akram ist Champion im Poolbillard TIMA/reuters
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Eine Gruppe lachender junger Mädchen steigt in den Zug und lässt sich, weil keine Sitze frei sind, ungeniert auf dem Boden nieder. Durch das Ruckeln des Zugs rutschen ihre Schleier auf die Schultern und entblößen ihr Haar. Kein Problem, hier gibt es nur weibliche Fahrgäste. In der U-Bahn von Teheran, die Ende der 1990er Jahre in Betrieb genommen wurde, sind die ersten und letzten Wagen für Frauen reserviert. Dort steigen sie ein, „um Ruhe zu haben“. Die Atmosphäre ist entspannt. In den anderen gemischten Wagen halten sich die jungen Paare an der Hand. Es stört niemanden.

Nur in den fünf Linien der modernen, sauberen U-Bahn von Teheran kann man den Staus und der Umweltverschmutzung entgehen. Die Stationen tragen die Namen von „Märtyrern“ des Kriegs gegen den Irak mit seiner halben Million Toten.

In der U-Bahn begegnet man eleganten Gewändern, lebhaften Farben und abgetragenen Arbeitskleidern. Auf zwei farbige Schleier kommen fünf strenge schwarze Tschadors – für die weiblichen Verwaltungsangestellten sind sie Pflicht. Man sieht keine vollständig bedeckten Gesichter, dafür fliegende Händlerinnen, die Büstenhalter, Slips und Handtaschen anbieten.

36 Jahre nach der islamischen Revolution drängen Frauen in alle Bereiche. Sie sind Architektinnen, Managerinnen oder Ministerinnen. Im Parlament gibt es neun weibliche Abgeordnete (alle Konservative), und im November 2015 hat Marzieh Afkham als erste Botschafterin ihren Posten in Malaysia angetreten. Richterinnen aber dürfen Frauen nicht werden und auch keine heiligen Texte auslegen.

Um zu heiraten, zu arbeiten, zu reisen, ein Bankkonto zu eröffnen oder zu erben, müssen sie sich Gesetzen unterwerfen, die sie benachteiligen, und sind von der Zustimmung des Familienvorstands abhängig. Um sich scheiden zu lassen, muss eine Ehefrau, im Unterschied zum Ehemann, vor dem Richter erscheinen und seine Zustimmung einholen. Söhne werden ihr bis zum Alter von zwei Jahren, die Töchter bis sieben Jahre anvertraut, danach bekommt der Vater das alleinige Sorgerecht, falls er es nicht ablehnt. Die elterliche Autorität liegt stets beim Vater, auch wenn die Kinder bei der Mutter leben. „Vor dem Gesetz ist der Mann König“, fasst es Azadeh Kian, Professorin für politische Soziologie, zusammen.

Nach offiziellen Zahlen haben nur 14 Prozent der Frauen eine Anstellung. In Wirklichkeit arbeiten 20 bis 30 Prozent, wenn Schwarzarbeit und Landwirtschaft mitzählen. Und die Zahl wächst rasant. In den Universitäten sind 60 Prozent der Studierenden weiblich. „Sie haben den Kampf um Diplom und Master gewonnen. Bald werden sie auch den um die Doktortitel gewinnen“, meint der Anthropologe Amir Nikpey. Jahr für Jahr erobern sie neue Bastionen. Der Iran ist das Land, das die meisten Ingenieurinnen ausbildet; und die erste Frau die 2014 die Fields-Medaille1 erhielt, war die Iranerin Maryam Mirzahani.

In den südlichen Provinzen, besonders im mehrheitlich sunnitischen Belutschistan (während der Iran zu 90 Prozent schiitisch ist) überwiegt die arabische Kultur. Dort gibt es auch zahlreiche Fälle von Polygamie, während die Iraner überall sonst monogam sind. Aber selbst dort verändert sich die Stellung der Frauen. „Die wichtigste Veränderung im Iran ist das wachsende Bewusstsein, wie wichtig die Bildung ist, um Unabhängigkeit zu erlangen“, meint Kian.

Der Schulbesuch für Mädchen ist – das wird oft übersehen – wahrscheinlich die wichtigste Errungenschaft der islamischen Revolution von 1979. „Paradoxerweise haben die traditionellen Familien zugestimmt, weil er von der Islamischen Republik durchgesetzt wurde! Wenn ich in entlegene Dörfer komme, sagen mir die Männer: ‚Ajatollah Chomeini hat die Frauen an die Front und die Mädchen in die Schule geschickt. Ich mache es auch so!‘ “, berichtet die Religionssoziologin Sara Shariati, die an der Universität Teheran lehrt.

Heutzutage heiraten die Frauen später und haben im Durchschnitt nur zwei Kinder. In den ersten Jahren der islamischen Revolution mit ihrer geburtenfördernden Politik waren es sieben. Der Staat mahnt regelmäßig, 100 Millionen Iraner seien besser als die gegenwärtigen 78 Millionen, aber die Frauen stellen sich taub.

Wilde Ehen gibt es viele in Teheran

„Sogar in den Jahren unter Ahmadinedschad2 sind wir nicht zurückgewichen. Wir sind weiter vorangekommen – wie ein Auto, das unbeleuchtet durch die Nacht rollt“, scherzt Shahla Sherkat, Chefredakteurin von Zanan Emrouz. Die Frauenzeitschrift hat gerade ein sechsmonatiges Verbot hinter sich, weil sie ein „heißes“ Thema angepackt hatte: unverheiratete Paare, von denen es in Teheran mehrere zehntausend geben soll. Die wilde Ehe unterscheidet sich von der „Zeitehe“, die für die Schiiten erlaubt, aber nicht gern gesehen ist. Im Iran wird sie wenig praktiziert. „Wir haben in unserem Beitrag jede Wertung vermieden! Wir haben überhaupt nicht für die wilde Ehe geworben, vielmehr vor den Risiken gewarnt“, verteidigt sich Sherkat. Doch die Konservativen protestierten und das Verbot wurde verhängt.

Als die Chefredakteurin vor Gericht erschien, musste sie sich vorwerfen lassen, „Feministin“ zu sein – im Iran eine Beschimpfung. Zu ihrer Verteidigung beteuerte sie, dass sie nur die Realität der iranischen Gesellschaft abbilde. Vergeblich. „Das Problem im Iran ist: Wenn wir unsere Rechte einfordern, denken die Institutionen und die Männer, wir werden unsere Rollen als Ehefrauen und Mütter vernachlässigen“, sagt Sherkat bedauernd.

Das Art Up Man ist ein angesagtes Café im Zentrum Teherans. In der Hauptstadt gibt es viele Hotspots, wo sich junge Leute „abreagieren“, wie eine Jurastudentin mit Blick auf ihre Zigarette sagt. Jungen und Mädchen sitzen an kleinen Tischen, unterhalten sich und tippen dabei auf ihren Smartphones. Im Hintergrund singt Elvis Presley. Yeganeh K., Studentin der Mikrobiologie mit himbeerfarbenem Lippenstift und schwarz lackierten Fingernägeln, verkündet laut und vernehmlich, dass das Regime „kein Vertrauen verdient“, dass man „alles verändern muss, angefangen beim Namen ‚Islamische Republik‘ “. Für die Wahl am 26. Februar hat sie nur Verachtung übrig. „Woanders kann man seine Vertreter wählen. Hier nicht. Es gibt immer jemanden, der bei allem ein Kontrollrecht hat und uns ‚lenkt‘. Ich finde, hier ist es so ähnlich wie in Nordkorea!“, schimpft sie.

Ihre beiden Freunde zucken zusammen. Rahil H., mit Punkfrisur, protestiert: „Auf keinen Fall! Hier sind die Menschen frei, auch wenn es teilweise ein Polizeiregime ist. Man hat nicht allzu viel Redefreiheit, auch nicht die Freiheit der Kleidung, aber sonst machen wir, was wir wollen!“ Nun mischt sich Sorrosh T. ein, die ihre Sonnenbrille auf den Schleier geschoben hat, um ihn festzuhalten: „Lustig sind diese ganzen Verbote nicht. Jedes Mal, wenn ich fortgehe, sagen meine Eltern: ‚Sei bloß vorsichtig!‘ Nicht, dass sie es gut finden, aber sie meinen, man muss sich dem System, der Gesellschaft anpassen.“ Eines nervt sie besonders: „Hier können die Leute immer und überall kontrollieren, was du tust.“

Der Schleier ist bei Weitem nicht die größte Sorge der Iranerinnen. „Wir kommen damit klar“, sagen sie. Es lohnt nicht, sich deshalb Ärger einzuhandeln. Arbeitslosigkeit, Inflation oder die Aufnahmeprüfung für die Universität beschäftigen sie viel mehr.

Yeganeh K. und ihre Freundinnen haben ihren Spaß daran, die Regeln zu umgehen. Im Sommer trägt sie Sandalen, die Füße, Knöchel und vor allem die mit lebhaften Farben lackierten Nägel frei lassen, obwohl das alles strikt verboten ist. Im Winter trägt sie Leggings und darüber einen kurzen Rock. Wenn sie dann noch hohe Stiefel anzieht, riskiert sie eine ernsthafte Ermahnung der Sittenpolizei, die an Kreuzungen und in den Einkaufszentren im Norden der Hauptstadt patrouilliert, wo sich die wohlhabende Jugend trifft. „Einmal haben sie mich mit aufs Kommissariat genommen. Dort wurde ich fotografiert und meine Personalien wurden aufgenommen. Sie haben mich gewarnt: Wenn das in den nächsten zwei Monaten noch einmal vorkommt, kriegst du eine Akte!“, erzählt Yeganeh lachend. Sie träumt davon, dieser erstickenden Atmosphäre zu entfliehen. Bei der ersten Gelegenheit will sie nach Europa oder in die Vereinigten Staaten auswandern.

Behnaz fährt Motorradrennen

Behnaz Shafiei hat sich entschieden, „zu bleiben und zu handeln“. Sie ist klein, zierlich, sehr weiblich, unter ihrem Schleier stark geschminkt – und die erste Frau, die die Erlaubnis bekommen hat, professionell Motorrad zu fahren. Frauen dürfen nicht einmal ins Stadion gehen, um ein Fußballspiel von Männern zu sehen, sie aber hat die Erlaubnis bekommen, im Teheraner Azadi-Stadion auf ihrer 1000-Kubikzentimeter-Maschine zu trainieren. „Behnaz begeistert die Welt!“, titelte eine konservative Zeitung letzten Herbst nach ihrer Rückkehr aus Mailand, wo sie Ehrengast einer Zusammenkunft von Motorradfahrerinnen war.

Aber die junge Frau weiß, dass nichts sicher ist. Morgen kann ein Religiöser verlangen, dass sie aufhört, sich in Männerkreisen wie ein Mann zu benehmen. Bis dahin will sie „den Weg für die Frauen öffnen“, ohne zu brüskieren und im Rahmen der Gesetze. „Und ich bin stolz, Iranerin zu sein“, fügt sie hinzu. In Karaj, dem Vorort von Teheran, wo sie wohnt, fährt sie manchmal mit ihrem Motorrad herum. Wenn die Männer merken, dass sie eine Frau ist, hupen sie, um ihr zu gratulieren, oder sie rufen: „Geh zurück an deine Waschmaschine!“

Im Vorfeld der Wahlen ist das Klima in Teheran derzeit bedrückend. Fast jeden Abend erteilt der oberste Religionsführer im Fernsehen seine Anweisungen. Die Bevölkerung solle sich „vom Westen nicht anstecken lassen“ und den Kontakt zu Ausländern vermeiden. Seit dem Atomabkommen mehren sich solche Warnungen, ein Zeichen der Sorge, dass den Konservativen mit der Aufhebung der Sanktionen und der bevorstehenden Öffnung die Zügel entgleiten könnten. Vor einigen Monaten hat der 88-jährige Vorsitzende des Wächterrats, Ajatollah Dschannati, ein ultrareligiöser Hardliner, gewarnt: „Passt auf, dass nicht morgen die Frage der Frauen und der Gleichheit der Geschlechter gestellt wird!“

Fariba Hachtroudi gehört zu denen, die sich davon nicht einschüchtern lassen. „Ich provoziere nicht, aber ich sage laut, was ich denke“, versichert die in Frankreich bekannte Schriftstellerin,3 die lachend sagt, sie trage in ihrer DNA „den Wahnsinn dieser Erde“. Sie pendelt zwischen ihrem Geburtsland und Frankreich, wohin sie in ihrer Jugend ausgewandert ist. Hachtroudi hat darauf verzichtet, Politik zu machen, und sich für den Widerstand mit der Feder entschieden. Jedes Mal, wenn sie in den Iran kommt, stellt sie fest, dass die Frauen an Boden gewonnen haben. „In einem Dorf in Belutschistan hat der ausschließlich männliche Gemeinderat vor Kurzem eine Bürgermeisterin gewählt. Solche Beispiele gibt es überall!“, erzählt sie begeistert.

Hat die brutale Niederschlagung der „Grünen Bewegung“ zur Zeit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad 2009 jedes Engagement zunichtegemacht, wie viele denken? Hachtroudi bestreitet es. „Die Frauen sind immer da, und sie kämpfen weiter, allen Widerständen zum Trotz. Sie lassen nicht locker!“

Organisationen von Frauen sind überall aktiv. In den Vororten von Teheran sind mit Zustimmung der Regierung Aufnahmestellen für Straßenkinder und für Aidskranke und Zentren zur Entwöhnung für Alkoholiker entstanden. Auch das ist eine Wende, denn bis dahin hatte die Staatsmacht Aids und Alkoholismus stets geleugnet.

Doch Frauen, die diesen Kampf an vorderster Front führen, wie die regimekritische Anwältin Nasrin Sotoudeh und die Regisseurin Rakhshan Bani-E’temad, werden streng überwacht; die Menschenrechtlerin Narges Mohammadi wurde wegen „Propaganda gegen das Regime“ zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.

„Wir können nicht erklären, warum wir nicht glücklich sind“, seufzt eine vierzigjährige Hausfrau und Mutter, die wir Farah nennen wollen. „Die Atmosphäre ist nicht gut. Wir lieben unser Land, aber uns fehlt einfach die Luft!“ In der Universität für Wissenschaft und Technologie Elm-o-Sanat, wo ihr Sohn studiert, verbreiten Lautsprecher jeden Tag Koranverse und moralisierende Vorschriften. Die Studenten müssen mehrmals im Jahr Gedenkwochen über sich ergehen lassen: Es gibt die Woche des Kriegs, die Woche der Bassidsch, die Woche der Märtyrer. „Das ist Gehirnwäsche! Wir haben es satt!“, schimpft Farah.

Mahboubeh Djavid Pour hingegen würde gar nicht auf die Idee kommen, sich über die Atmosphäre der ständigen Trauer zu beschweren. Sie ist Mitglied der Bassidsch („Mobilisierte der Unterdrückten“), einer von Ajatollah Chomeini gegründeten Hilfsorganisation der Revolutionswächter. Ihre Zahl wird heute auf 10 Millionen Mitglieder geschätzt. Ihr Status bringt ihnen zahlreiche Vorteile wie Stipendien, Arbeitsplätze, Zugang zur Universität. Von der Bevölkerung werden sie gefürchtet, ja gehasst. Die wohlhabenden Klassen verachten sie. Djavid Pour ist Mitglied der Verwaltung der Moschee des Imams Reza in Teheran. Sie geht nur in ihrem langen, eng gewickelten schwarzen Tschador hinaus. Die Vierundfünfzigjährige, Mutter von drei Kindern, ist stolz, Bassidsch zu sein. Sie sieht darin „eine Form der Umsetzung des Islam“. Das Atomabkommen missfällt ihr nicht, aber gegenüber den USA ist sie misstrauisch. „Sie werden ihre Kampagne der Verunglimpfung der Islamischen Republik fortsetzen, nur hinterhältiger als zuvor“, vermutet sie. „Glücklicherweise wissen wir jetzt Bescheid und sind besser in der Lage, ihren Manövern zu widerstehen.“ Dankbar fügt sie hinzu: „Und wir haben unseren Führer, er erleuchtet uns und zeigt uns den Weg.“

Farah, die Hausfrau, bezeichnet sich als Atheistin und sorgt sich wegen der „Scheinreligiosität“. Das Stirnmal, das die Männer vom vielen Beten tragen oder das sich selbst zufügen, um fromm zu erscheinen, der Perlenkranz, den man demonstrativ in den Händen hält, das alles regt sie auf. „Wir sind eine kranke Gesellschaft, in der Schein und Heuchelei regieren. Ich weiß nicht, wohin uns das noch führt.“

Fariba verteidigt den Hidschab

Eine paradoxe Bestätigung ihres Pessimismus ist die verblüffende Anzahl von Gesichtsoperationen unter Iranerinnen. Achtzehnjährige Abiturientinnen bekommen von ihren Eltern eine Rhinoplastik geschenkt. In Teheran schauen kleine Stupsnäschen und übertrieben geschminkte Barbiepuppen-Gesichter unter Schleiern hervor. Manche davon sind zum Weglaufen. Woher kommt dieses Phänomen, das seit fünf, sechs Jahren förmlich explodiert und alle sozialen Schichten betrifft? Niemand kann sich das wirklich erklären. Sind die Frauen von ihrem Gesicht besessen, weil man ihnen verbietet, ihren Körper und ihre Haare zu zeigen?

In Qom, der heiligen Stadt des Iran, fällt das Atmen leichter als in Teheran. Wir sind 150 Kilometer südwestlich von Teheran und mitten in der Wüste. Qom ist das theologische Zentrum des Landes, 5000 Frauen studieren hier. Außerdem ist es ein bedeutender Wallfahrtsort: Hier ist Fatima Masuma, die Schwester des achten Imams Reza, in einem riesengroßen schönen Mausoleum begraben. Riesige Fresken an den Fassaden erinnern daran, dass Revolutionsführer Ajatollah Chomeini lange in Qom gelebt hat. Farbige Kleidung sieht man praktisch keine. Ausnahmslos alle Frauen tragen den Tschador. Wenn sie hinter ihren Männern sitzend auf Mopeds herumfahren, wehen ihre Schleier.

80 000 Frauen mit theologischer Ausbildung verkünden heute im Iran das Wort Allahs. Die sechzigjährige Fariba Alasvand ist Dozentin am Forschungszentrum für Familie und Frauen, weibliche und männliche Studenten hören bei ihr. „Die Frauen im Iran unterscheiden sich sehr von denen der arabischen Welt. Wir legen größten Wert auf unsere Freiheit. Das liegt an der iranischen Kultur und am schiitischen Glauben“, sagt sie gleich zu Beginn. Bei der Frage nach dem obligatorischen Tragen des Hidschabs zögert sie eine Sekunde, wahrscheinlich sind ihr solche Fragen allzu vertraut. „Ein Vers aus dem Koran sagt uns: ‚Tragt den Hidschab.‘ Er schützt die Frauen. Wenn wir diese Regel des Islams aufgeben, werden wir bald auch andere aufgeben“, sagte sie schließlich.

Manchmal reist Fariba Alasvand zu Konferenzen nach Europa oder in die Vereinigten Staaten. Jedes Mal spürt sie „den negativen Blick der Westler“ und leidet darunter, wie alle Iraner. ­Ihrer Meinung nach sind vor allem die Medien für dieses Unverständnis verantwortlich. Sie befürchtet, dass die Aufhebung der Sanktionen, „die von der gesamten Bevölkerung wie von unserem Führer gewünscht wird“, auf die Dauer zu einer Unterwerfung des Iran führt. „Der Westen will, dass er in den Iran eindringen kann, aber nicht umgekehrt“, bedauert sie. Sie möchte, dass ihr Land seine Besonderheiten behält. „Unsere Religion gibt uns eine Kultur und einen Rahmen. Unsere Art der Freiheit muss im Rahmen des Korans gelebt werden.“

Zahra Aminmajd ist jünger, aber ebenso prinzipienfest. Sie hat ein Diplom in islamischem Recht und lehrt in Qom. Mit freundlichem Lächeln erklärt sie uns, dass Christentum und Islam „viele Gemeinsamkeiten haben“, und bedauert, dass man im Westen „eine so schlechte Wahrnehmung vom Islam hat, insbesondere in Bezug auf Frauen“. Was sie am meisten beunruhigt? Der westliche Konsumismus, von dem, so sagt sie, die Iraner träumen. „Anstatt alles von der Aufhebung der Sanktionen zu erwarten, sollten sie lieber mehr arbeiten!“

Farah hat die Gehirnwäsche satt

Sanaz Minai dagegen ist begeistert von der Rückkehr des Iran auf die internationale Bühne, damit „das Ansehen des Irans wiederhergestellt wird. Damit die verlorenen Werte zurückkommen“. Sie trägt Jeans, Schuhe mit Pfennigabsätzen, ein weiches Tuch und ist der Inbegriff des Erfolgs. Mehr als zwanzig Bücher hat sie über iranische Küche und Kultur geschrieben, eine Schule für die Kunst der Bewirtung, den Culinary Club, ins Leben gerufen und eine der meistverkauften Kochzeitschriften, Sanazsania, gegründet. Die Aufhebung der Sanktionen eröffnet für sie unendliche Perspektiven. Sie will aus dem Iran einen „kulinarischen Pol“ machen, „mo­dern und schick“. Auch eine andere Erfolgsunternehmerin scheint nichts aufhalten zu können.

Faranak Askari ist in London aufgewachsen. Im Juni 2013 hörte sie dem Aufruf des neuen Präsidenten Hassan Rohani: „Kommt in den Iran!“ Zwei Monate später landete sie in Teheran und gründete Toiran („To Iran“) ein Serviceunternehmen für VIP-Touristen und Geschäftsleute. Parallel dazu richtete sie eine Website ein, die alle möglichen Informationen über etwa fünfzig iranische Städte erfasst – eine Art Reiseführer online. Ein durchschlagender Erfolg. Seit dem Abkommen vom Juli 2015 verdoppeln sich die Reservierungen von Toiran jeden Monat. Die meisten Kunden sind Europäer. Besonders dringlich für Faranak Askari ist die Wiederherstellung des Bankenverkehrs zwischen dem Iran und dem Ausland, der wegen der Sanktionen unterbrochen war. Die Einnahmen von Toiran, wie die von vielen iranischen Unternehmen, sind in Dubai blockiert. „Uns fehlt Liquidität. Wir müssen uns mit Tauschgeschäften behelfen! Aber das geht nicht lange gut. Wir brauchen Kredite, wir müssen investieren!“

Shahindokht Molaverdi ist bekannt für ihre offenen Worte und scheut sich nicht, westliche Journalisten zu treffen, aber heute gibt sie lediglich Phrasen von sich. Sie ist allerdings auch in ­einer ziemlich schwierigen Situation und muss auf der Hut sein. Vor zwei Jahren wurde die vierzigjährige Juristin von Präsident Rohani zur Vizepräsidentin berufen und ist für Frauen und Familie zuständig. „Es muss mehr Frauen in den Volksvertretungen geben“, sagt sie. Oder: „Wir müssen den Frauen Zugang zu allen Bereichen der Macht ermög­lichen.“ Kein Wort ist lauter als das andere. Das ist nur allzu verständlich: Die Wahlen nahen heran, die Sank­tio­nen werden aufgehoben und das Verhältnis zu Saudi-Arabien ist kritisch. Sie kann sich nicht die geringste Abweichung erlauben, da sie als Feministin gilt und den Reformkräften nahesteht. Von den Ultra­konservativen wird sie gehasst.

Spielen die Frauen eine entscheidende Rolle im Iran? Zweifellos. „Das Regime hat Angst vor ihnen. Sie stellen seine größte Bedrohung dar“, versichert ein Akademiker, der anonym bleiben will. „Es weiß nicht, wie es mit ihnen umgehen soll, wie es sie bekämpfen und daran hindern kann, immer neue Wege zu öffnen.“ Die Frage des Schleiers, im Grunde ohne praktische Bedeutung, ist da ein Symbol. Wie sagen die Theologinnen von Qom? „Wenn man da erst einmal nachgibt, gibt man überall nach.“

1 Für die Mathematik das Äquivalent des Nobelpreises.

2 Erzkonservativer Präsident der Islamischen Republik von 2005 bis 2013.

3 Autorin unter anderem von „Iran, les rives du sang“ (2001) und „A mon retour d’Iran“ (2008), beide erschienen bei Seuil, Paris.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Florence Beaugé ist Journalistin.

Le Monde diplomatique vom 11.02.2016, von Florence Beaugé