09.07.2015

Afrikanische Chinesen

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Afrikanische Chinesen

Die Absichten der Konzerne und die Hoffnungen der Migranten

von Stephen W. Smith

Catrin Bolt, Skulpturenpfad Art Villa Garikula, Akhalkalaki 2005, Fotografie, 40 x 60 cm
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Ende der 1960er Jahre, kurz nach Beginn der Kulturrevolution, war China nicht nur ärmer als die meisten afrikanischen Länder, es durchlitt auch eine gigantische Hungersnot. Deshalb beschlossen Mao Zedong und seine Genossen, Riesenmengen von Weizen zu importieren. Sie wollten damit nicht nur die Krise bekämpfen, sondern auch eine radikale Umstellung der Ernährungsgewohnheiten von 800 Millionen Chinesen bewirken: Weizen hat einen höheren Proteingehalt und einen höheren Nährwert als Reis.

1969 reiste der 25-jährige französische Getreidehändler Jean-Yves Ollivier über Hongkong nach China. Die Fahrt über den Grenzfluss Sham-Chun war zu der Zeit die einzige Möglichkeit, ohne zu fliegen, in die Volksrepublik zu gelangen. Am anderen Ufer empfing ihn die Ortschaft Shenzhen, damals kaum mehr als ein Fischerdorf, mit roten Fahnen, Mao-Porträts und flatternden Spruchbannern. In den Straßen gab es nur eine einzige Ampel, allerdings mit ideologisch korrekter Farbgebung: Grün für Stopp und Rot für freie Fahrt, also Fortschritt. Ollivier verdiente gutes Geld und zog damit weiter nach Afrika, wo er ein Vermögen machen sollte.1

Zehn Jahre später entstand in Shenzhen die erste Sonderwirtschaftszone Chinas – eine Enklave, in der der angestrebte dirigistische Kapitalismus erprobt werden sollte. Im Laufe der 1980er Jahre erwies sich hier Deng Xiaopings Politik des „Reformierens und Öffnens“ als so erfolgreich, dass das Modell auch andernorts eingeführt ­wurde.

Doch nach einem Jahrzehnt ging der chinesischen Führung allmählich auf, dass ein paar kapitalistische Inseln niemals ausreichend Wohlstand und Beschäftigung schaffen konnten, um die inzwischen 1,1 Milliarden Chinesen aus der Armut zu befreien. Deshalb entwickelte man eine Art Staatskapitalismus, der zum Modus operandi der gesamten chinesischen Wirtschaft wurde. Zugleich begann die Partei, nach einer „Enklave“ in Übersee zu suchen, die helfen könnte, einige der auftauchenden Probleme zu lösen.

Zum Beispiel war China auf ergiebige Rohstoffquellen angewiesen, um die Industrialisierung des Landes voranzutreiben. Aber es brauchte auch Exportmärkte für seine industriell produzierte Massenware und einen großen Raum, der chinesische Auswanderer aufnehmen konnte, zudem Landflächen, die man unter den Pflug nehmen konnte. Denn China, wo ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt, verfügt nur über knapp 10 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Erde, seine Ernährungssicherung ist also stets latent gefährdet.

Als Zielgebiet bot sich Afrika an: ein Kontinent mit einer Milliarde – zumeist junger – Bewohner (2050 werden es 2 Milliarden sein), der über 60 Prozent der nicht erschlossenen landwirtschaftlichen Flächen und über 30 Prozent der Bodenschätze unserer Erde verfügt.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs kam für Peking die Gelegenheit, zu günstigen Bedingungen in Afrika einzusteigen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion zog sich auch der Westen immer mehr aus Afrika zurück. In Washington, London und sogar in der einstigen postkolonialen Metropole Paris wandte man sich lohnenderen Gebieten in der Golfregion und in Osteuropa zu.

Im Westen hörte kaum noch jemand hin, als 1996 in Peking ein neues Motto verkündet wurde: „zou chu qu“ (Schwärmt aus!). Nur wenige Ausländer haben damals verstanden, dass damit der Aufbruch nach Afrika gemeint war. Anders in China, wo die Parteikader in der Provinz sofort begriffen, dass Erfolge in Afrika eine politische Aufstiegsperspektive bis in höchsten Positionen in Peking eröffnen konnten. In einem Land, in dem „der Kaiser weit weg“ ist, waren sie darauf erpicht, in Afrika und damit in ihre eigene Kar­rie­re zu investieren.

Das Startsignal war eine Reise von Jiang Zemin 1996 zu Staatsbesuchen in sechs Länder südlich der Sahara. Der Staatspräsident und KP-Generalsekretär initiierte zunächst die Gründung des Forum on China-Africa Cooperation (Focac). Auf dem dritten Focac-Gipfel 2006 in Peking wurde die Gründung des China-Afrika-Entwicklungsfonds verkündet, dem China 10 Milliarden Dollar für zinsgünstige Anleihen zur Verfügung stellen wollte.2 Gleichzeitig sollten mit dem bewährten Instrumentarium, das im eigenen Lande (und besonders in Shenzhen) für ein Wirtschaftswunder gesorgt hatte, Infrastrukturen in ganz Afrika aufgebaut werden.

Es entstanden Straßen, Krankenhäuser, Stadien und Kongresszentren in Dimensionen und zu Konditionen, wie sie kein westlicher Geldgeber oder Auftragnehmer jemals hätte bieten können. Dabei wurden langwierige bürokratische Prozeduren umgangen und Bauvorhaben durch Verzicht auf Machbarkeitsstudien beschleunigt.3 Das ging auf Kosten der Umwelt, schaltete aber auch die gut vernetzten internationalen Consultingfirmen aus, die manche Ent­wick­lungs­pro­jekte für sich vereinnahmen und dann verzögern.

Zhang Yun wird reich in Dakar

Der Binnenstaat Tschad bekam auf diese Weise eine Ölraffinerie, die die Weltbank als „nicht profitabel“ begutachtet hatte. Mosambik errichtete ein 60 Millionen Dollar teures Fußballstadion. In der Republik Kongo wurde zwischen der Hauptstadt Brazzaville und der Hafenstadt Pointe-­Noire in Rekordzeit eine neue Autobahn gebaut, „nachdem man zehn Jahre auf unsere westlichen Partner gewartet hatte“, wie Präsident Sassou N’Guesso noch heute beklagt. In Mali scheint der Plan, 1,2 Millionen Hektar Ackerland zu bewässern (was schon die französischen Kolonialherren vorhatten), keine Fata Morgana mehr zu sein. Und Ghana bekam 2011 von China 3 Mil­liarden US-Dollar als erste Tranche eines 13-Milliarden-Kreditpakets bewilligt – das ist weit mehr als die 2,2 Milliarden Dollar, die das gesamte subsaharische Afrika im selben Jahr von der Weltbank erhalten hat.

Dass China in der Lage ist, die Konkurrenz bei Bauvorhaben auszustechen, hat allerdings eine Kehrseite: In Namibia zum Beispiel stellte die chinesischen Firma Nuctech für die Scannertechnik der Luftraumüberwachung 55 Millionen Dollar in Rechnung – viel mehr als die 40 Mil­lio­nen, die sie hätte kosten sollen. Firmenchef ist zufälligerweise der Sohn von Chinas Expräsidenten Hu Jintao.

Zu den großen Geschäften tragen auch üppige Darlehen der chinesischen Staatsbank bei, oder auch langfristige Kompensationsgeschäfte. So werden etwa öffentliche Bauprojekte mit Rohstoffen, vor allem Erdöl, bezahlt. Das ist einer der Gründe, warum Afrika heute ein Drittel des chinesischen Rohölbedarfs abdeckt.

Seit 2000 finden regelmäßig afrikanisch-chinesische Gipfeltreffen sowie hochrangige bilaterale Staatsbesuche statt, die die politischen Beziehungen festigen. Gleichzeitig hat China seine „soft power“ in Afrika über ein Netzwerk von rund 35 Konfuzius-Instituten gestärkt, die im Gegensatz zu westlichen Institutionen wie dem British Council, dem Institut Français oder dem Goethe-Institut innerhalb bestehender Universitäten und höheren Schulen arbeiten – was Besorgnisse um die akademische Freiheit weckt.

Seit die afrikanischen Kolonien ihre Unabhängigkeit erlangt haben, ist Frankreich die einzige westliche Macht, die dort eine vergleichbare Politik betrieben hat, vor allem in den postkolonialen „glorreichen 30 Jahren“ zwischen 1960 und 1990. Heute ist Frankreich dagegen kein ernsthafter Bewerber um einen Kontinent, dessen Bevölkerung seit 1960 von knapp 300 Millionen auf fast 1,2 Milliarden Menschen angewachsen ist.

Seit Mitte der 1990er Jahre ist das ehemalige Francafrique zerfallen und ein Chinafrique entstanden. Vor 25 Jahren lag China auf der Rangliste der Handelspartner Afrikas an 83. Stelle. Inzwischen ist China an Großbritannien (2005), Frankreich (2006) und zuletzt auch an den USA (2009) vorbeigezogen und heute die Nummer eins. Im Laufe dieser Zeit haben sich 1 Million Chinesen, vielleicht auch 2 Millionen, im subsaharischen Afrika niedergelassen.

Für Afrikas Verflechtung mit der Weltwirtschaft hat sich nichts Grundlegendes geändert: Chinafrique ist geprägt durch dieselbe Kumpanei der Eliten, denselben ungleichen Tausch und dieselbe Korruption, die auch das Verhältnis zwischen Frankreich und Afrika kennzeichnet, wenn auch in viel größerem Maßstab. Gleichzeitig hat die Beziehung mit China weder einen kolonialen Hintergrund noch ist sie durch den Ehrgeiz einer „zivilisierenden Mission“ belastet.

Howard French, langjähriger Korrespondent in Afrika und China, hat die Entstehung von „Chi­nas zweitem Kontinent“ aus nächster Nähe be­ob­achtet. In seinem gleichnamigen Buch beschreibt er die Entstehung der„neuen chinesische Interessensphäre“, die er als „ungeplantes Empire“ bezeichnet.4 Seit 2002 konnte er zusehen, wie die Autokolonnen von immer mehr afrikanischen Staatsoberhäuptern an seinem Pekinger Büro vorbeifuhren. Ab 2006 schrieb er aus Afrika unter anderem eine Artikelserie über den erstaunlichen Aufstieg Chinas in Äthiopien, im Tschad und in Malawi.

In seinem Buch berichtet French auch über die chinesischen „Pioniere“, denen er in 15 Ländern des südlichen Afrika begegnet ist. Einige von ihnen kamen ursprünglich als Angestellte chinesischer Staatsunternehmen und sind dann geblieben, aber die meisten haben sich aus eigenem Entschluss aufgemacht. In China gehörten sie zu den verarmten Massen, im fernen Afrika sahen sie die Chance eines raschen persönlichen Aufstiegs. Die meisten hatten nicht viel Startkapital, keine genaueren Informationen über das Land und vor allem keinerlei Kenntnis der einheimischen Sprachen, und dennoch haben sie einen Laden, ein Restaurant oder ein Hotel aufgemacht oder Land gekauft und einen Agrarbetrieb gegründet.

Über diese neuen Chinesen in Afrika weiß man sehr wenig, selbst Angaben über ihre Anzahl beruhen eher auf Spekulation als auf seriösen Statistiken. Vor allem aber gibt es kein klares Bild über die Faktoren, die diese Migranten beeinflussen, über ihren Bildungshintergrund und die Kriterien, nach denen sie sich für ein Zielland entscheiden. Unklar ist auch, ob und wie sie an Visa und Aufenthaltsgenehmigungen kommen und wie ihre Karrieren verlaufen.

Manches ist allerdings bekannt: Seitens der chinesischen Regierung gibt es praktisch keine Anreize für individuelle Migranten oder kleine Unternehmen, es existiert nicht einmal eine offizielle Darstellung der Auswanderung chinesischer Bürger nach Afrika. Flugtickets nach Afrika werden nicht subventioniert. In den meisten Fällen handelt es sich um Auswanderung auf den Spuren von Verwandten, die bereits in Afrika Fuß gefasst haben – und vorwiegend aus bestimmten Provinzen stammen, nämlich aus Guangdong, Hunan, Sichuan und Fujian.

Eine Studie des unabhängigen Migration Policy Institute über die chinesische Auswanderung nach Südafrika unterscheidet zwei Kategorien: erstens die Gruppe von „Individuen mit beruflicher Qualifikation, geschäftlichen oder politischen Beziehungen, Auslandserfahrung und vielleicht ein bisschen Kapital“, die bereits vor dem Jahr 2000 eingewandert sind. Die zweite Gruppe besteht aus später eingewanderten, meist weniger qualifizierten Leuten, von denen viele aus Fujian oder anderen Provinzen stammen, die „nicht als typische Entsenderegionen gelten“. Da die Zahl der nach Südafrika kommenden – oder sich illegal dort aufhaltenden – Chinesen ständig steigt, dürfte sie bereits bei über einer halben Million liegen.

Zhang Yun zum Beispiel gehörte in China zur unteren Mittelklasse. Er kam zunächst als Übersetzer für eine chinesische Staatsfirma nach Ma­da­gas­kar. Danach blieb er und lebte von der kleinen Gewinnspanne, die er als Zwischenhändler mit dem Verkauf chinesischer Waren erzielte. Damit baute er das Startkapital für ein Elektronikgeschäft auf, das sich zu einer der umsatzstärksten Verkaufsketten für Fernseher, Computer, Mobiltelefone und dergleichen auf der Insel entwickelte.

Zu Wohlstand gekommen, machte Zhang seinen Magister an einer französischen Wirtschaftsfakultät. Zufällig lernte er einen Senegalesen kennen, der ihm glänzende geschäftliche Möglichkeiten in seinem Land ausmalte. 2007 eröffnete Zhang dann ein Restaurant in Dakar; danach gründete er eine Importfirma für billige chinesische Waren und eröffnete ein Einzelhandelsgeschäft. 2011 besaß er eine Metallurgiefabrik und eine Baufirma, die gerade einen 32-stöckigen Wolkenkratzer am Meeresufer in Dakar errichtete. Es handelte sich um einen 200-Millionen-Euro-Auftrag, eines der pharaonischen Projekte des damaligen Präsidenten Abdoulaye Wade.

„Da muss im Vorfeld eine ganze Menge Geld verteilt worden sein“, schreibt French, obwohl Zhang ihm das nicht bestätigen wollte. Der sprach lieber von „Vertrauen“ und vom gegenseitigen Beistand der Auslandschinesen, was unter Afrikanern selten sei. Chinesische Landsleute in Ma­da­gas­kar hatten ihn bei seinem Aufstieg unterstützt, und er hatte umgekehrt anderen Chinesen geholfen. Die Partnerschaft mit Einheimischen dagegen ging „selten über die Mittlerdienste von gut vernetzten lokalen Eliten hinaus“.

Viele Leute wie Zhang arbeiteten sich von bescheidenen Ladenbesitzern in die Chefetage hoch. Was sie nach eigener Aussage nur schaffen, weil sie in China gelernt haben, hart zu arbeiten, zusammenzuhalten und zu leiden. Sie haben dafür den Ausdruck „bitter essen“ (chi ku), der auf die Kulturrevolution (1966 bis 1976) zurückgeht, als Millionen junge Leute aufs Land geschickt wurden, um an der Seite von Bauern zu arbeiten und ihren „bürgerlichen Dünkel“ zu überwinden.

Einer dieser aufs Land Verbannten war der heute 50-jährige Hao Shengli. French hat ihn auf einer Reise in den fernen Süden von Mosam­bik begleitet, wo Hao der Regierung 5000 Hektar Land für einen Spottpreis abgekauft hat. Die fruchtbaren Bodenflächen gehörten zu einer verlassenen Plantage aus der portugiesischen Kolonialzeit. Hier hofft Hao künftig das Süßkraut Stevia anzubauen. Die Blätter dieser aus Südamerika stammenden Pflanze enthalten einen kalorienfreien Süßstoff, der 150-mal intensiver ist als Zucker. Stevia ist in Japan seit einiger Zeit sehr verbreitet und seit 2011 auch in der EU als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen, nicht jedoch in den USA.

Aus der Sicht der lokalen Bauern in Mosambik sind die Flächen jedoch Gemeindeland, das die Regierung verscherbelt habe und das sie zurückhaben wollen. Hao hat sich überlegt, wie er dieser Bedrohung begegnen kann: Er wird seine Söhne und Töchter aus China nachholen und sie später mit Einheimischen verheiraten: „Sie verstehen schon, oder? Dann können sie uns nicht mehr als Ausländer behandeln, denn ihre Kinder werden Mosambiker sein. Wenn’s unbedingt sein muss, können wir das Land für alle Fälle auf ihren Namen eintragen lassen, aber es wird unser Besitz bleiben.“ Diese gewitzte Methode haben in den alten Zeiten schon die Portugiesen angewandt.

French räumt in seinen Berichten auch mit etlichen Stereotypen auf: zum Beispiel das vom „hässlichen Chinesen“, der sein umzäuntes Grundstück nie verlässt und sich nicht für seine neue Umgebung interessiert – wenn er nicht gar ein leibhaftiger Rassist ist. Stattdessen stellt er sehr unterschiedliche Migranten vor – Chinesen, die Afrikanerinnen geheiratet haben, und solche, die tiefe Vorurteile pflegen. Sie sind nicht besser und nicht schlechter als Angehörige vergleichbarer „Kompradoren“-Minderheiten, die schon viel länger in Afrika sind – wie etwa die Inder oder die Libanesen.

Einige der befragten Chinesen schwärmen von Afrika als einem Kontinent der Freiheit oder davon, dass hier die Umwelt noch nicht so verdreckt und belastet ist wie in ihrer Heimat. Aber nur für wenige ist es das gelobte Land, in dem sie auf die Dauer bleiben wollen. Die meisten zieht es zurück nach China oder weiter nach Europa oder Amerika. Nur bietet ihnen Afrika derzeit eben die besseren Bedingungen.

Der Mitarbeiter eines Zuckerraffinerieprojekts in Mali, Gao Yi, drückt so aus: „Wissen Sie, warum Chinesen hierherkommen und solche Jobs machen? Weil wir keine andere Wahl haben. Natürlich würden wie lieber wie Westler leben. Natürlich würden wir gern Urlaub machen und regelmäßig nach Hause fahren, aber wir können das nicht. Die Amerikaner sind clever. Sie suchen sich Jobs, die große Profite abwerfen. Aber wir sind eine arme Gesellschaft, und wir müssen uns hochkämpfen. Deshalb bleibt uns nur Arbeit, die nicht viel Geld bringt.“

Hao Shenglis Kinder sollen Afrikaner heiraten

Wie steht es um die antichinesischen Gefühle un­ter den Afrikanern? Erinnern wir uns an den Konflikt, der sich in Sambia zwischen den chinesischen Besitzern der Kohlengrube von Collum und der sambischen Regierung und den Gewerkschaften über drei Jahre hinzog. 2010 schossen chinesische Manager auf Arbeiter, die wegen mangelnder Sicherheitsmaßnahmen in einen Streik getreten waren, und im August 2012 stürmten 1200 Menschen – nicht nur Bergarbeiter – das Gelände der Kohlengrube, töteten einen chinesischen Aufseher und verletzten zwei weitere.

French zeichnet ein anderes Bild, das weitgehend bestätigt, was die zitierten Umfragen besagen. Eine Studie von 2010 in 20 afrikanischen Ländern kam zu dem Ergebnis, dass „fast in jedem der erfassten Länder die positiven Urteile die kritischen Stimmen bei Weitem überwiegen, und zwar mindestens im Verhältnis 2 zu 1.“

Eine Umfrage des Pew Research Center (mit Sitz in Washington) von 2013 belegt diese positiven Einschätzungen für Kenia (78 Prozent), Senegal (77 Prozent) und Nigeria (76 Prozent). Nur bei einer Umfrage des Ethics Institute of South Africa vom Februar 2014 überwogen die kritischen Stimmen; hier äußerten sich 43 Prozent der Befragten negativ und nur 35 Prozent positiv. Die Studie dieser südafrikanischen NGO beruht auf Interviews mit 1056 Afrikanern in den 15 Ländern mit dem höchsten Anteil chinesischer Einwanderer, doch sie dürfte kaum repräsentativ für ganz Afrika sein.

Dennoch könnte sich die Stimmung in Sambia als Krisenbarometer erweisen. Im ehemaligen Nordrhodesien wurde 2008 die erste steuerfreie Sonderwirtschaftszone für chinesische Investitionen in Afrika eingerichtet. Seitdem haben staatliche und private Unternehmen 2,5 bis 3 Milliarden Dollar in Sambia investiert, und zwar nicht nur in der Provinz Copperbelt,5 sondern in fast allen profitablen Wirtschaftsbereichen. So trifft man heute auf den traditionellen Dorfmärkten chinesische Geflügelhändler, die ihre Ware gleich neben den sambischen Händlern anbieten. Diese direkte Konkurrenz hat Sambia zu einer Brutstätte antichinesischer Ressentiments gemacht.

Die Pew-Studie belegt, dass die Chinesen umso negativer wahrgenommen werden, je stärker sie in der einheimischen Wirtschaft präsent sind und je mehr chinesische Waren das betreffende Land importiert. Sie zeigt darüber hinaus, dass Afrikaner, die Themen wie Menschenrechte und gute Regierungsführung wichtig finden, auch die Regierung in Peking kritischer sehen. So argumentiert Aziz Diop, Sprecher einer Gruppe zivilgesellschaftlicher NGOs in Guinea: „Das chinesische Geld fließt zu leicht; und das erlaubt es der Regierung, ihren unmittelbaren Bedarf zu decken und langfristig vernünftige Entscheidungen zu vermeiden.“

Politiker wie Simbabwes langjähriger Diktator Robert Mugabe nutzen Chinas Engagement in Afrika aus, um den einstigen Kolonialmächten eine lange Nase zu drehen. „Wir haben uns dem Osten zugewandt, wo die Sonne aufgeht, und dem Westen, wo die Sonne untergeht, den Rücken gezeigt“, erklärte Mugabe 2005. Doch außerhalb von Regierungskreisen betrachten die Afrikaner die chinesische Präsenz eher mit Realismus als mit Begeisterung – was in etwa der Einstellung entspricht, die chinesische Migranten gegenüber Afrika haben.

Im Allgemeinen sehen die Afrikaner in China eine willkommene Alternative zum Westen, beklagen aber zugleich, wie wenig sich beide unterscheiden und wie wenig Spielraum ihre Regierungen haben, um die beiden Giganten gegeneinander auszuspielen. French zitiert Joseph Rahal, der eine Umwelt-NGO in Sierra Leone leitet: „Unsere Regierung ist schwach beim Formulieren ihrer politischen Ziele, sie ist schwach beim Verhandeln, schwach bei der Kontrolle und schwach bei der Umsetzung. Im Grunde ist sie in allen Bereichen schwach.“

French sagt dem Kontinent weitere 40 Jahre unverminderten Bevölkerungswachstums voraus, bei gleichzeitiger Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Deshalb stehe Afrika vor einer „Ära ausgeprägter Divergenzen“, in der China für das Schicksal der einzelnen Staaten enorme Bedeutung gewinnen wird: „In Ländern, die ihre Volkswirtschaften diversifiziert und in ihre Bürger investiert haben, speziell im Bildungs- und Gesundheitswesen, werden wir einen Prosperitätsschub erleben.“

In den Ländern, die das versäumt haben, wird es dagegen die Hölle sein, ein Kampf ums Überleben. Wohlweislich ordnet er beiden Szenarien keine einzelnen Länder zu. Es gibt afrikanische Länder, die trotz scheinbar bester Perspektiven einen bösen Absturz erlebten, während sich andere mit bescheideneren Aussichten ganz gut geschlagen haben.

Dass 1 oder 2 Millionen Chinesen in Afrika bereits auf die Übernahme des gesamten Kontinents hinauslaufen, lässt sich kaum ernsthaft annehmen. Von den 2,2 Millionen Menschen, die in China geboren wurden und heute in den USA leben – zusammen mit fast 4 Millionen Chino-Amerikanern – würde das jedenfalls niemand behaupten. Zudem ist Afrika noch immer nicht der Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten, die sich viele ausmalen, wenn sie auf die übertriebenen Zahlen der Afrikanischen Entwicklungsbank starren, die 300 Millionen Menschen zur afrikanischen Mittelklasse zählt.6

Peking ist gewiss nicht im Begriff, ein „neues Reich“ in Afrika zu errichten. Man will auf einem Kontinent, auf dem man lange Zeit kaum vertreten war, vor allem aufholen, ähnlich wie auch die Türkei oder Brasilien. Und da hat China immer noch das Gefühl, dass es viel zu tun gibt. Zwar weist China als einzelner Staat das höchste Handelsvolumen mit Afrika auf, liegt aber noch immer hinter der EU, die nicht einmal halb so viele Einwohner hat wie China. Und Europa und die USA zusammen treiben immer noch doppelt so viel Handel mit Afrika und werden auch künftig und noch lange kräftig mitmischen.

Der vielleicht interessante Aspekt an der chinesischen Präsenz in Afrika ist die Frage, wie die Afrikaner die Chinesen wahrnehmen. Der Anblick von Weißen wird viele Afrikaner zwangsläufig an die koloniale Vergangenheit erinnern – und an die mannigfachen Belehrungen über wirtschaftliche Entwicklung, Menschenrechte, Demokratie und Gesundheitswesen, mit denen der Westen sie überschüttet. Wenn Afrikaner dagegen einem Chinesen begegnen, werden sie ihn – egal ob es sich um einen Schurken oder einen guten Menschen handelt – als ein Rollenmodell wahrnehmen. Als Bürger eines Landes, das einmal arm war, heute aber dem Westen ebenbürtig oder vielleicht sogar überlegen ist.

Mit anderen Worten: Afrikaner sehen in den Chinesen ihre eigene leuchtende Zukunft verkörpert. Solange allerdings chinesische Migranten anstelle von Afrikanern massenhaft unqualifizierte Jobs ausüben, solange sie das Land bestellen, solange chinesische Frauen auf den Straßen von Kinshasa Schmalzgebäck feilbieten, solange chinesische Händler den Sufis von Dakar religiösen Tand andrehen oder in Daressalam einzelne Zigaretten verkaufen, wird diese Zukunft in unerreichter Ferne liegen. Wenn Afrika tatsächlich dem Vorbild Chinas nacheifern will, wird es sein eigenes Shenzhen aufbauen müssen. Und zwar aus eigener Kraft.

1 Siehe Olliviers Memoiren „Ni vu ni connu: De Chirac et Foccart à Mandela“, Paris (Fayard) 2014.

2 Diese Summe ist bislang aber nur ein Versprechen: 2014 kündigte China an, den Fonds von 3 Milliarden auf 5 Milliarden Dollar aufzustocken. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Mai 2014.

3 Vgl. Nicola Liebert, „Zhing-zhong für Afrika. Chinas Süd-Süd-Kooperation: Investieren, Rohstoffe sichern, keine Fragen stellen“, Le Monde diplomatique, März 2009.

4 Howard French, „China’s Second Continent: How a Million Migrants Are Building a New Empire in Africa”, New York (Knopf) 2014.

5 Vgl. Jean-Christophe Servant, „Kupfer aus Sambia“, Le Monde diplomatique, Mai 2009.

6 Die Schätzungen der OECD gehen von einem Zehntel aus.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Stephen W. Smith ist Professor für Afrika-Amerika-Studien an der Duke University, North Carolina.

© London Review of Books; für die deutsche Übersetzung Le ­Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 09.07.2015, von Stephen W. Smith