11.09.2014

Der russische Freund

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Der russische Freund

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Der Staat Israel wurde am 14. Mai 1948 gegründet. Drei Tage später gehörte die UdSSR zu den ersten Staaten, die Israel anerkannten. Diese Geste, von den Zionisten als großer Sieg gefeiert, markierte den Erfolg jahrelanger Bemühungen. Zu ersten Kontakte kam es in London Anfang 1941, als die UdSSR noch Bündnispartner Nazideutschlands war: Chaim Weizmann, der Präsident der Zionistischen Weltorganisation, traf sich mit dem sowjetischen Botschafter Iwan Maiski.

Gleich zu Beginn wurde über die Zukunft Palästinas gesprochen. Weizmann setzte sich für die Schaffung eines jüdischen Staates ein. David Ben Gurion, der Führer der Jischuw, der jüdischen Gemeinde in Palästina, und spätere Ministerpräsident Israels, führte die Gespräche wenige Wochen später fort. Der neue Staat stand, trotz der Opposition der kommunistischen Bewegung gegen das zionistische Projekt, den sowjetischen Interessen nicht im Wege. Bis 1946 hielt Moskau sich jedoch mit jeder Unterstützung zurück.

Die Wende kam im Mai 1947. Großbritannien hatte 1922 vom Völkerbund das Mandat für Palästina erhalten und beschloss nun, das Thema den kurz zuvor gegründeten Vereinten Nationen vorzulegen, die über die Zukunft des Territoriums entscheiden sollten. Der junge sowjetische Vizeaußenminister Andrei Gromyko kündigte an, die UdSSR werde, falls eine Einstaatenlösung nicht möglich sein sollte, die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat unterstützen. Und das, obwohl Stalin zur selben Zeit die Repression gegen die Juden im Sowjetreich verschärfte.

Diplomatisch spielte die UdSSR am 29. November 1947 eine zentrale Rolle. Bei der Abstimmung über den UNO-Teilungsplan für Palästina organisierte sie auch die Stimmen ihrer Satellitenstaaten (mit Ausnahme von Jugoslawien). Darüber hinaus lieferte sie Israel, was das Land am meisten brauchte: Menschen und Waffen.

Die demografische Schlacht war für den Erfolg des Projekts der zionistischen Führer von zentraler Bedeutung. 1946 gab es 600 000 Juden in Palästina, ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Die Zionisten mussten dieses Verhältnis unbedingt zu ihren Gunsten verschieben.

Dazu trug die UdSSR in der Folge entscheidend bei. Zunächst lieferte sie Ausreisekandidaten für Palästina. Noch 1946 ließ sie mehr als 150 000 polnische Juden in die amerikanische und britische Besatzungszone in Deutschland ausreisen, wo sie in Camps für Displaced Persons landeten. Diesen Überlebenden der Konzentrationslager, die am Kriegsende ohne Heimat und Familie dastanden, blieb kaum eine andere Wahl, als nach Palästina zu gehen.

Durch den Zustrom der polnischen Juden verschärfte Moskau das Problem absichtlich, womit Großbritannien in Bedrängnis gebracht wurde. London stand damals unter starkem Druck nicht nur der zionistischen Bewegung, sondern auch vonseiten der USA. Die Amerikaner wollten diese Flüchtlinge nicht bei sich aufnehmen. Aber sie befürchteten auch, die Bilder von Schiffen, die Tausende illegale Einwanderer nach Palästina bringen wollten, aber von britischen Streitkräften zurückgeschickt wurden, würden in der Öffentlichkeit nicht gut ankommen.

Vor 1948 unterstützte die UdSSR direkt oder indirekt die von der Jewish Agency organisierte illegale Einwanderung aus Osteuropa und vor allem aus Rumänien und Bulgarien. Zwei Drittel der Juden, die zwischen 1946 und 1948 nach Palästina kamen, stammten aus diesen beiden Ländern.

Nach der Unabhängigkeitserklärung Israels am 15. Mai 1948 wurde das Thema Einwanderung noch wichtiger. Man brauchte jetzt Rekruten für die neue israelische Armee. Mit anderen Worten: Wer die Einwanderung unterstützte, trug damit auch zu den israelischen Kriegsanstrengungen bei. Zwischen 1948 und 1951 kamen mehr als 300 000 osteuropäische Juden nach Israel – immerhin die Hälfte der gesamten Einwanderer in diesem Zeitraum.

Moskau unterstützte den jungen jüdischen Staat auch im Hinblick auf ein anderes demografisches Thema: bei der Homogenisierung der Bevölkerung, sprich bei der Abwendung und vor allem Vertreibung von mehr als 700 000 palästinensischen Arabern. Die UdSSR sprach Israel damals von jeder Verantwortung frei und schob London den schwarzen Peter zu. So stimmte Moskau 1948 auch gegen die Resolution 194 der UN-Generalversammlung, die die Möglichkeit einer Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge vorsah.

Ohne tschechische Waffen hätte Israel 1947 nicht überlebt

Auf militärischem Gebiet kam die UdSSR den Zionisten noch vor der Staatsgründung zu Hilfe. Ab Mai 1947 hatten Waffenkäufe für Ben Gurion oberste Priorität. Auf sowjetischen Druck hin wurde die Tschechoslowakei zum wichtigsten Lieferanten. Von 1948 bis 1951 lieferte Prag leichte und schwere Waffen, darunter auch Panzer und Kampfflugzeuge, und half bei der Ausbildung der Truppe. 1968 erklärte Ben Gurion, diese Waffen hätten „das Land gerettet“. Sie seien für Israel „die wichtigste Hilfe“ gewesen: „Ich habe starke Zweifel, ob wir ohne sie den ersten Monat überlebt hätten.“1

Die sowjetische Hilfe, die Israel in dieser frühen Periode zwischen 1941 und 1951 bezog, übertraf in allen Bereichen sämtliche Erwartungen. Gleichzeitig hielt Israel aber auch an seinen Verbindungen zu seinen Helfern im Westen fest, also vor allem zu den USA. Doch dann sorgten verschiedene Ereignisse für Unstimmigkeiten, die im Februar 1953 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen führten. Zunächst wurde die Auswanderung der Juden aus Osteuropa, wo der Antisemitismus tobte, völlig gestoppt. Dann folgte im November 1952 der Slánsky-Prozess in Moskau. Auch die „Volksdemokratien“ Osteuropas erlebten seit 1948, also nach dem Bruch Stalins mit dem Jugoslawien Titos, massive Säuberungswellen. In der Tschechoslowakei wurde der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Rudolf Slánsky, im November 1951 verhaftet und eines „imperialistischen zionistischen“ Komplotts bezichtigt. Elf der vierzehn Angeklagten im Prozess waren Juden und wurden auch explizit als solche bezeichnet.

Dazu kam noch die sogenannte Ärzteverschwörung. Am 13. Januar 1953 veröffentlichte die Prawda einen Artikel, in dem eine Gruppe von „Ärztesaboteuren“, zum großen Teil Juden, beschuldigt wurde, Führer der Sowjetunion auf Befehl einer internationalen jüdischen Organisation ermordet zu haben. Mehrere Prominente wurden verhaftet. Zu ihnen gehörten auch Polina Schemtschuschina, die Ehefrau von Wjatscheslaw Molotow, Stalins rechter Hand, und Iwan Maiski, ein ehemaliger Diplomat, der eine Schlüsselrolle bei den Kontakten zur zionistischen Bewegung gespielt hatte, außerdem Maria Weizmann, die Schwester des israelischen Präsidenten Chaim Weizmann.

Mit Stalins Tod endete 1953 die Hetzkampagne gegen die sowjetischen Juden wie auch die Eskalation zwischen Israel und der UdSSR. Drei Monate später wurden die diplomatischen Beziehungen wiederaufgenommen, und es begann eine neue Ära. Das bedeutete jedoch keine Rückkehr zur Goldenen Zeit der Jahre 1947 bis 1949. Der Sechstagekrieg im Juni 1967, in dem Moskau Ägypten und dessen arabische Verbündete unterstützte, führte zum neuerlichen Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Sie wurden erst 1991 wieder aufgenommen, wenige Wochen vor der Auflösung der Sowjetunion.

Michel Réal

Fußnote: 1 Zitiert in: Uri Bialer, „Between East and West: Israel Foreign Policy Orientation 1948–1956“, Cambridge (Cambridge University Press) 1990. Aus dem Französischen von Sabine Jainski Michel Réal ist Historiker.

Le Monde diplomatique vom 11.09.2014, von Michel Réal