Das Land der Bergbauriesen
Kanada bietet internationalen Rohstoffkonzernen maßgeschneiderte Bedingungen von Alain Deneault und William Sacher
Das Risikokapital im Bergbau kommt im Allgemeinen aus Kanada, erklärt der belgische Ingenieur René Nollevaux, Geschäftsführer einer Kupfermine in der kongolesischen Provinz Katanga, mit größter Selbstverständlichkeit.1
In der Tat wählen 75 Prozent aller Bergbauunternehmen Kanada als Firmensitz. Von den Aktiengesellschaften der Branche sind 60 Prozent an der Börse von Toronto (TSX) notiert, die allein zwischen 2007 und 2011 rund 220 Milliarden kanadische Dollar absorbierten – mehr als ein Drittel der Investitionen in dieser Branche weltweit. Damit rangiert Toronto weit vor seiner direkten Konkurrentin, der Londoner Börse LSE. 2011 wurde die Finanzierung von Bergbauprojekten in aller Welt zu 90 Prozent über die TSX abgewickelt.2
Die kanadische Bundesregierung preist die Bergbauindustrie als „einen Motor des Wohlstands“.3 Leider steht das in Widerspruch zu dem freundlichen Bild, das Kanada von sich selbst seit Jahrzehnten zeichnet: das eines friedlichen Landes, wo man für das Wohl der ganzen Menschheit arbeitet.
In aller Welt sind Gerichte, Parlamentsausschüsse, UN-Experten, Nichtregierungsorganisationen und Journalisten damit beschäftigt, die Verfehlungen und Verbrechen kanadischer Bergbaufirmen aufzudecken. Korruption, Steuerhinterziehung, Ressourcenplünderung, Umweltverschmutzung, Gefährdung der öffentlichen Gesundheit, gewaltsame Enteignungen, die Ermordung von Demonstranten, Komplizenschaft bei Misshandlungen und Morden an Gegnern von Bergbauprojekten, Einschüchterung, Kriminalisierung des Protests, Waffenhandel – eine Liste ohne Ende.
Gleichwohl empfängt Kanada die Bergbauunternehmen mit offenen Armen. Mehr noch: Mit maßgeschneiderten Gesetzen und Steuerregeln bietet der Staat den Firmen finanzielle Vergünstigungen und Schutz vor juristischen Nachstellungen.
Genau deshalb haben Australier und US-Amerikaner, Belgier, Schweden, Israelis und andere ihre Unternehmen für Erkundung und Abbau von Rohstoffen in Kanada eingetragen. Es geht ihnen längst nicht nur darum, die kanadischen Bodenschätze auszubeuten. Vielmehr wollen sie von Kanada aus von Rohstoffvorkommen in Ecuador, Chile, Sambia, Burkina Faso, Indonesien, Griechenland und Rumäniens profitieren. Fast die Hälfte der an der TSX notierten Bergbaufirmen arbeitet außerhalb von Kanada. Viele der in Toronto registrierten Firmen haben gar keine Konzession für das Land.
Die Bergbaufirmen werden nicht zuletzt dadurch angelockt, dass die Notierung an der TSX und die notwendigen Genehmigungen so einfach zu bekommen sind. Die meisten der 1 600 Rohstofffirmen in Toronto sind sogenannte Juniors, die auf die Suche nach neuen Vorkommen spezialisiert sind. Sie sind oft klein und verfügen weder über die finanziellen noch die technischen und personellen Ressourcen, um industriellen Bergbau zu betreiben. Gewinne machen sie vielmehr in erster Linie mit der Börsenspekulation rund um mutmaßliche Lagerstätten.
Die Juniors profitierten stark von den Reformen, die die Weltbank seit den 1980er Jahren in den Entwicklungsländern durchgesetzt hat. Dadurch ist das System der Bergbaufreiheit entstanden, das den Unternehmen uneingeschränkten Zugang zu Bodenschätzen garantiert. Wenn ein Junior nach mühseliger Suche – oder immer öfter dank der Informationen, die es von Einheimischen gekauft hat – ein rentables Vorkommen entdeckt hat, wird es häufig von einem Major übernommen, einem Großkonzern, der das Vorkommen ausbeutet. Diese Methode, mit der das Major-Unternehmen an ein abbaureifes Projekt kommt, ist weltweit gängige Praxis. Juniors mit Sitz in Toronto werden von chinesischen Staatskonzernen ebenso gekauft wie von Majors aus westlichen Ländern .
Seit die kanadischen Bergbauunternehmen Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Plan getreten sind, hat es in Toronto zahlreiche Betrügereien und Skandale rund um Juniors gegeben. So lösten in den 1960er Jahren Gerüchte über ein angebliches Vorkommen von Kupfer, Silber und Zink erst einen Run auf Papiere des Unternehmens Windfall aus – als sich die Gerüchte dann als haltlos erwiesen, kam es zu heftigen Börsenturbulenzen. In den 1990er Jahren besserte Bre-X, eine Erkundungsgesellschaft aus Toronto, Gesteinsproben mit etwas Goldstaub auf, um den Eindruck eines reichen Goldvorkommens zu erwecken. Die Betrüger wurden von der kanadischen Justiz nie zur Verantwortung gezogen.
Straffreiheit für Korruption
Toronto erweist sich damit als ein wahres Eldorado für das Risikokapital – mit anderen Worten: für den Kasinokapitalismus. Der Bergbau ist definitionsgemäß eine spekulative Unternehmung: Man weiß nie genau, was sich im Untergrund verbirgt, bis die Stollen gegraben sind. Branchenspezialisten schätzen die Erfolgsaussichten für ein Erkundungsprojekt auf zwischen 1 zu 500 und 1 zu 1 000. Der Erfolg hängt natürlich von den geologischen Gegebenheiten ab, aber auch von weltweiten Kursschwankungen, technischen Fortschritten oder den politischen Zuständen vor Ort. Einen Anteil an einem Junior zu erwerben ist etwa so erfolgversprechend wie ein Einsatz am Roulettetisch.
Die Franzosen mussten diese Lektion erst unlängst auf schmerzhafte Weise lernen. Der staatliche Atomkonzern Areva kaufte 2007 die in Toronto ansässige Juniorgesellschaft UraMin. Alsbald stellte sich heraus, dass die versprochenen Uranvorkommen viel schwerer als erwartet auszubeuten und zudem noch um 20 Prozent zu hoch geschätzt worden waren. Das Ganze passierte ausgerechnet in einer Periode sinkender Uranpreise. Es ist schwer zu sagen, wie viel genau diese Fehleinschätzung den französischen Steuerzahler kosten wird. Bislang weiß man nur, dass Areva für UraMin 1,8 Milliarden Euro bezahlt hat und für das Jahr 2010 Abschreibungen in Höhe von 426 Millionen Euro vornehmen musste.
Es lässt sich auch deshalb so schön mit den Bergbauaktien an der TSX spekulieren, weil die Börse Toronto den Unternehmen immer erlaubt hat, die Investoren über das wahre Potenzial der Lagerstätten im Ungewissen zu lassen. Sie dürfen zum Beispiel frei mit den Begriffen „Reserven“ und „Ressourcen“ jonglieren, obwohl der Ausweis von „Reserven“ detaillierte und präzise Aussagen über das Potenzial erfordert, während „Ressourcen“ nur eine grobe Hochrechnung anhand der geologischen Befunde voraussetzen.
Die außerordentlich diffusen Regeln begünstigen auch die Erschließung neuer Bergbaugebiete. Dies ist besonders interessant angesichts des Aufstiegs der Schwellenländer, der die Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen geradezu explodieren ließ. In China zum Beispiel ist der Verbrauch in den letzten 20 Jahren um das Siebzehnfache angestiegen. Da kommt es schon vor, dass Juniors mehr Geld für Werbung bei potenziellen Investoren ausgeben als für die Suche nach neuen Lagerstätten. Das öffnet Betrügereien Tür und Tor.
Die Bergbauunternehmen profitieren außerdem davon, dass die kanadischen Bundesbehörden und die Behörden in den Provinzen durch passende Steueranreizprogramme Kleinsparer motivieren, in ihren Wirtschaftssektor zu investieren. Steuerbegünstigte „Flow-through“-Aktien – die Erlöse aus dem Verkauf dieser Aktien müssen direkt in die Exploration fließen – sind das wichtigste Instrument, mit dem der Staat die Branche fördert.
Auf diese Weise investieren Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften und Banken, denen die kanadischen Sparer ihr Geld anvertrauen, wie auch Einzelpersonen mit Unterstützung des Staats massiv in den Bergbau. Sie stellen den Konzernen das Geld zur Verfügung, mit dem diese Explorations- und Abbauprojekte in der ganzen Welt finanzieren. Rund 185 Gesellschaften mit Sitz in Toronto sind in Afrika aktiv, 286 in Lateinamerika, 315 in Europa und 1 275 in den Vereinigten Staaten.4
Auch die kanadische Außen- und Entwicklungspolitik ist der Bergbauindustrie zu Diensten. So machen Diplomaten und Berater in den Ländern, in denen die Firmen aus Toronto tätig sind, Druck auf die Behörden, um die erforderlichen Enteignungen durchzusetzen, notfalls mit staatlicher Gewalt. Oder sie helfen bei der Formulierung maßgeschneiderter Bergbaugesetze und setzen durch, dass den Unternehmen Energie, Wasser und Transportnetze zur Verfügung gestellt werden.
Das ganze Ausmaß der Einflussnahme ist schwer abzuschätzen, doch einige Beispiele sind aufschlussreich genug. So hat der staatliche kanadische Entwicklungsdienst finanzielle Hilfe für die Reform der Bergbaugesetze in Peru und Kolumbien bewilligt, desgleichen für einen großen Staudamm in Mali, der die Energie für die Minen im Westen des Landes liefert.
Und schließlich ist Kanada auch ein juristisches Paradies für die Bergbauunternehmen. Nach den Regeln der Börse von Toronto müssen die Firmen zwar alle Informationen über politische Instabilität oder Umweltschäden in Zusammenhang mit ihren Aktivitäten öffentlich machen – aber nur soweit die Fakten für den Aktienkurs relevant sind.
Auffallend ist auch, dass Kläger, die gegen eine Bergbaufirma vorgehen, vor kanadischen Gerichten selten Recht bekommen. Das empört immer wieder internationale Organisationen: Oxford Pro Bono Publico, eine Vereinigung von Juristen und Jurastudenten an der Universität Oxford, wundert sich, warum Bürger es so schwer haben, außerhalb ihrer Landesgrenzen Klage gegen kanadische Firmen zu erheben.5 Die Industrieländerorganisation OECD wirft der kanadischen Regierung vor, nicht mit der gebotenen Härte gegen Unternehmen mit Sitz in Toronto vorzugehen, die sich im Ausland der Korruption verdächtig gemacht haben.
UN-Experten haben Kanada explizit aufgefordert, Untersuchungen gegen Unternehmen anzustrengen, die gegen den Verhaltenskodex der OECD für multinationale Unternehmen verstoßen haben: „Die OECD-Leitlinien bieten […] einen Mechanismus, den Regierungen der Sitzländer der Unternehmen Verletzungen dieser Grundsätze durch ebendiese zur Kenntnis zu bringen. Die Regierungen, deren Gerichtsbarkeit die Unternehmen unterstehen, machen sich der Komplizenschaft schuldig, wenn sie nicht die notwendigen Sanktionen verhängen“, stellten die UN-Beobachter unzweideutig fest.6
Die einzige Antwort der kanadischen Regierung unter Premierminister Stephen Harper bestand darin, dass im März 2009 eine Richtlinie mit dem Titel „Den kanadischen Vorsprung stärken“ herausgegeben wurde, die die Berufung eines „Ethikberaters“ vorsieht. Allerdings hat der keinerlei Macht.
Die Bergbauwirtschaft ist so organisiert, dass die Juniorgesellschaften das Terrain erschließen, nicht nur im wörtlichen Sinn, sondern auch politisch und wirtschaftlich. Diese kleinen Unternehmen sind richtige „Pilotfische“. Sie merken als Erste, welche Widerstände Anwesenheit und Aktivität der Bergbaufirmen wecken. Die kanadische Gesetzgebung schützt sie vor eventueller Strafverfolgung. Aber sie bietet auch den Majors einen sicheren Hafen: Sie erlaubt ihnen, auf den Trend zu immer gigantischeren Bergbauvorhaben aufzuspringen und ungestraft die schwerwiegenden Folgen dieser Produktionsweise für Gesellschaft, Umwelt und die Gesundheit zu ignorieren.
Vor allem die riesigen Tagebauprojekte produzieren massenhaft toxische Abfälle und können damit ganze Regionen über Jahrhunderte vergiften. Die Investoren an der Börse von Toronto erfahren davon nichts. Und wenn es den Bürgern nach einem erbitterten Kampf schließlich gelingt, die Fakten in den internationalen Medien publik zu machen, können die Minenriesen sicher sein, dass die kanadischen Gerichte den Anschuldigungen nicht nachgehen.
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
Alain Deneault und William Sacher sind die Autoren von „Paradis sous terre. Comment le Canada est devenu la plaque tournante de l’industrie minière mondiale“, Montréal/Paris (Écosociété) 2012.