Dreckiger Zement
Der Fall Indonesien
von Anett Keller und Marianne Klute
Weltweit wird heute jährlich dreimal so viel Zement hergestellt wie im Jahr 2001. Das liegt vor allem an der massiven Bautätigkeit in China, wo die Hälfte (2,36 von 4,6 Milliarden Tonnen) der global produzierten Zementmenge verbraucht wird.
Zement ist ein Bindemittel zur Herstellung von Beton.1 Chemisch ausgedrückt ist es ein Gemisch von an Siliciumdioxid (Quarz) gebundenem Calciumoxid (gebranntem Kalk) mit Anteilen von Aluminium, Eisen und Sulfaten. Grundstoffe für die Herstellung von Zement sind Kalkstein und Lehm beziehungsweise Mergel, die mit Sand und Eisenerz bei 1450 Grad gesintert und dann mit weiteren Materialien wie Sand, Asche oder Gips zu Zement vermahlen werden.
Zement ist beständig und belastbar. Schon vor 4000 Jahren wurde ein Vorläufer des modernen Zements beim Bau der Pyramiden eingesetzt. Die Römer stellten mit gebranntem Kalk und Steinen dauerhaftes Mauerwerk her. Im 18. Jahrhundert entdeckte man, wie groß die Bedeutung von Ton für die Zementmischungen ist; und seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird Zement so, wie wir ihn heute kennen, hergestellt.
Zementwerke gelten als Dreckschleudern, denn jeder Einzelschritt der Herstellung belastet die Umwelt erheblich: Für die Gewinnung des Kalkgesteins in Steinbrüchen werden Berge abgetragen, Ökosysteme und Wasserkreisläufe zerstört. Bei der Herstellung gelangen Staube und giftige Gase in die Umwelt. In Deutschland gelten hohe Umweltstandards, doch trotz ausgeklügelter Filtertechnik ist der Ausstoß an Staub sowie Stick- und Schwefeloxiden noch immer hoch.2
Zudem wird beim Prozess des Sinterns enorm viel Energie verbraucht. Das trägt dazu bei, dass die Energiekosten bei der Zementherstellung etwa 50 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung entsprechen,3 und dies, obwohl die Produzenten in den westlichen Industrieländern inzwischen bevorzugt Industrieabfälle statt fossiler Brennstoffe verfeuern.
Bei der Erzeugung einer Tonne Zement werden 600 Kilogramm CO2 freigesetzt: 400 aus dem Kalkstein plus 200 beim Brennvorgang. Weltweit werden über 4 Milliarden Tonnen Zement produziert, was insgesamt rund 3 Milliarden Tonnen Treibhausgase verursacht – viermal so viel wie der gesamte internationale Flugverkehr und 6 bis 9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.
Seit die Produktion in den europäischen Industrieländern stagniert, engagieren sich Zementkonzerne wie LafargeHolcim (Frankreich, Schweiz), HeidelbergCement (Deutschland) und Italcementi (Italien) zunehmend in Asien, Lateinamerika, aber auch im weiterhin wichtigen Standort USA. Die Produktion wurde in Schwellenländer verlegt, wo die Europäer mit Produzenten wie Anhui Conch Cement und CNBM (China), Taiwan Cement und Cemex (Mexiko) konkurrieren.
Dreckiger Zement
von Anett Keller und Marianne Klute
Ein wichtiges Herstellerland ist Indonesien.4 Mit 74 Millionen Tonnen Jahresproduktion steht es an fünfter Stelle der Zement produzierenden Länder, nach China (2482 Millionen), Indien (286 Millionen), USA (80 Millionen) und dem Iran (78 Millionen). Präsident Joko Widodo hat eine Vision: Indonesien soll zu einer „globalen maritimen Achse“ werden, mit 24 großen Seehäfen und 1500 kleineren Hafenprojekten. Insbesondere der „rückständige“ Ostteil des Inselreichs soll mithilfe ehrgeiziger Infrastrukturprojekte „entwickelt“ werden. Wie seine Vorgänger setzt Widodo auf Wirtschaftswachstum. Die anvisierten 7 Prozent sollen zum großen Teil durch inländischen Konsum und Investitionen erreicht werden.
Die Begriffe „Investition“ und „Wirtschaftswachstum“ verweisen nicht zuletzt auf den Stoff Zement. Ohne Zement sind Infrastrukturmaßnahmen nicht denkbar; der Jahresverbrauch ist ein Index für die Bautätigkeit eines Landes.
Den indonesischen Markt beherrschen bisher vor allem drei Produzenten: der staatliche Konzern Semen Indonesia mit über 45 Prozent Marktanteil (Stand 2013), gefolgt von Indocement, bei dem die deutsche HeidelbergCement5 mit 51 Prozent Mehrheitseigner ist (31 Prozent Marktanteil), und Holcim Indonesia (14 Prozent). Seit 2009 ist die indonesische Zementproduktion um 50 Prozent gestiegen, desgleichen der Pro-Kopf-Verbrauch (von 166 auf 250 Kilogramm). Das sind im Vergleich zu den Nachbarstaaten und China noch sehr niedrige Werte. Doch bis 2019 geht die Branche von einer weiteren Produktionssteigerung um über 30 Prozent aus.6
Entsprechende Investitionsvorhaben sind bereits in Gang. Semen Gresik, Tochter des Staatskonzerns Semen Indonesia, baut ein neues Werk mit einer Kapazität – im Fachjargon: einer Ofenleistung – von 3 Millionen Tonnen, zwei weitere sind geplant. Insgesamt will der Konzern seine Jahresproduktion von 32 Millionen Tonnen (2015) bis 2018 auf 40 Millionen Tonnen steigern. HeidelbergCement will ihre Tochter Indocement zu einem Weltmarktführer machen und plant eine neue Anlage im Distrikt Pati, die nicht nur für den Eigenbedarf Indonesiens produzieren soll.
Der Rohstoff für Zement ist nicht leicht und billig zu haben. Um ihn zu gewinnen, müssen Berge abgetragen, Dörfer umgesiedelt und deren Bewohner beschäftigt und besänftigt werden. Das alles macht in Indonesien weniger Probleme, weil hier die Umweltgesetze, etwa zum Schutz der Biodiversität, häufig nur auf dem Papier stehen. Die letzte Entscheidung über die Nutzung der Landschaft liegt bei den Konzernen und lokalen Potentaten.
Im Norden der Insel Java, etwa auf halber Strecke zwischen den kegelförmigen Vulkanen Muria und Lawu, liegt zwischen den imposanten Dreitausendern das Kendeng-Gebirge. Die verkarstete Kalksteinformation erstreckt sich über die Distrikte Blora, Rembang, Grobogan, Pati und Kudus (Zentraljava) sowie Tuban (Ostjava). Die knapp 1000 Meter hohe Bergkette schirmt das Innere der Insel wie eine Festung ab.
Hinter dem Grün der Teakbäume und dem Gelb erntereifer Reisfelder ragen Felsen auf, darunter liegen Höhlen, aus denen unterirdische Flüsse zahlreiche Quellen speisen. Das Wasser aus dem Karstgebiet ist ein Segen für die lokale Landwirtschaft, aber auch für die weitere Region und ganz Java. Die Insel ist eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Erde; mit 141 Millionen Menschen auf knapp 130 000 Quadratkilometern hat sie eine viermal so hohe Bevölkerungsdichte wie Deutschland.
Heute ist der Kendeng-Karst akut gefährdet. Seine Kalk- und Gipsgesteine sind Grundmaterialien für die Baustoffe, die für alle großen Infrastrukturprojekte wie Häfen, Flughäfen, Hochhäuser, Autobahnen und Fabriken benötigt werden.
Karst ist eine Geländeformation aus wasserlöslichen Gesteinen – meist Kalkstein, aber auch Gips und Salzstein –, die durch Regen und CO2 verwittern, sodass mit der Zeit Höhlen und bizarr geformte Landschaften mit Dolinen, Türmen oder Kegeln entstehen.
Karste sind nicht einfach Ablagerungen toter Steine. Sie sind aktiv, ähneln einer Lunge mit vielen Lungenbläschen: Sie nehmen Regenwasser und Kohlendioxid auf, speichern einen Teil und geben einen Teil wieder ab, was wiederum zur weiteren Verkarstung beiträgt.
Was das bedeutet, erklärt der Höhlenforscher Petrasa Wacana vom Acintyacunyata Speleological Club auf Java: „Pro Jahr nehmen die Karstgebiete der Welt 0,41 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und geben im Verkarstungsprozess 0,3 Milliarden Tonnen ab. Sie speichern also jährlich 0,11 Milliarden Tonnen, was ihre Bedeutung für den globalen Kohlenstoffkreislauf ausmacht.“
Die Zementwerke fressen fruchtbaren Lehmboden
Die Gesteine verändern ihre chemische Zusammensetzung und ihre Struktur in einem andauernden Prozess. Es bilden sich Höhlen, die den Wasserkreislauf regulieren, Quellen versorgen und Flüsse speisen.7 Wissenschaftler warnen vor einem Eingriff in Karste vor allem im Hinblick auf die Gefährdung der Wasserversorgung, aber auch auf andere Folgen wie Überschwemmungen und Dürren.
Der Ornithologe Karyadi Baskoro von der Universität Diponegoro erklärt zudem, dass der Kendeng-Karst allein wegen seiner Bedeutung als Vogelmigrationsgebiet strikt geschützt werden müsste. Eine Zerstörung der Karstlandschaft würde das Ende der kleinbäuerlichen Landwirtschaft bedeuten, wie es an manchen Orten am Kendeng-Gebirge bereits zu beobachten ist.
Aber genau in dieser Region sollen vier große Zementwerke entstehen. Allein schon das Projekt der HeidelbergCement-Tochter Indocement würde 2025 Hektar des Karstgebiets fressen. Zusätzlich gehen mehrere hundert Hektar fruchtbaren Lehmbodens am Fuß der Berge für die Gewinnung von Ton verloren.
„20 Prozent der Karste Javas sind bereits zerstört“, sagt Eko Haryono von der Gajah-Mada-Universität in Yogyakarta und Vorsitzender der Asiatischen Union für Höhlenforschung. Abbaulizenzen für Karste seien leicht zu erhalten, auch wenn diese als Schutzgebiete ausgewiesen sind; der Einfluss der Zementlobby auf die Lokalpolitiker sei eben stärker als die geltenden Umweltgesetze.
Indocement betreibt in Citeureup (Westjava) bereits eines der größten Zementwerke der Welt, dazu zwei kleinere Anlagen in Cirebon (Westjava) und in Tarjun (Kalimantan). Ein weiteres Werk in Zentraljava will das Unternehmen über eine Tochter mit dem klangvollen Namen Sahabat Mulia Sakti (edler heiliger Freund, kurz PT SMS) errichten.
Die Pläne für das Projekt PT SMS wurden bereits 2010 eingereicht, der Planungsstab rechnete mit einer Genehmigungsphase von sechs Monaten. Seitdem sind Jahre ins Land gegangen, die das Zusammenleben der Menschen in Zentraljava schon tiefgreifend verändert haben. Die Unternehmer und Regierungsvertreter sprechen von Wohlstand und Arbeitsplätzen. Viele der Bäuerinnen und Bauern befürchten dagegen Umsiedlungen und die irreparable Zerstörung der Natur.
Der Streit über die Industrieansiedlung und die Verheißung schnellen Geldes trägt aber auch Streit in die Familien und sät Feindschaft in den Dörfern. Und die Maßnahmen, die das Unternehmen als Ausdruck seiner corporate social responsibility (CSR) anpreist, sind für Kritiker lediglich Versuche, die Leute zu bestechen, damit sie dem Zementhersteller ihr Land abtreten.
Seit Generationen ist das fruchtbare Gebiet am Fuß des Gebirges von Bauern bewohnt. Eine der lokalen ländlichen Gemeinschaften ist die der Samin oder Sedulur Sikep (die freundlich Gesinnten), wie sie sich selbst nennt. Diese naturnah lebende Gemeinschaft ist traditionell skeptisch gegenüber jeder Obrigkeit. Die sogenannte Grüne Revolution, mit der die Suharto-Diktatur (1966–1998) den indonesischen Bauern im ganzen Land den landwirtschaftlichen „Fortschritt“ gewaltsam aufgezwungen hat, erreichte die Samin damals nicht.
Die freundlich Gesinnten verzichten bis heute beim Anbau von Reis und Gemüse auf chemischen Dünger. Sie bewahren das Wissen über Pflanzenheilkunde. Sie kaufen überwiegend auf traditionellen Märkten ein und meiden die neuen Supermärkte, die überall aus dem Boden schießen. Sie schicken ihre Kinder nicht auf staatliche Schulen. Finanzielle Abgaben an den Staat verweigern sie schon seit der Kolonialzeit. Sie gehören auch keiner der sechs offiziell anerkannten Religionen an. Das führt immer wieder zu Problemen, wenn sie ihre Religionszugehörigkeit angeben sollen, um die staatlichen Ausweispapiere zu erlangen, auf die sie selbst keinen Wert legen.
Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Gründer dieser Gemeinschaft, Samin Surosentiko, mehrere tausend Anhänger um sich geschart. Sein gewaltfreier Widerstand im Kampf gegen koloniale Unterdrückung und für soziale Gerechtigkeit brachte ihm große Sympathien in der armen Bevölkerung ein. Für die holländischen Besatzer wurde er gefährlich. Sie verbannten ihn 1907 auf die Insel Sumatra, von wo er nie zurückkehrte.8 Die Erinnerung an ihn wird bis heute lebendig gehalten. Sie spiegelt sich in Erzählungen oder in einem alten Lied, in dem es heißt: „Beschuldige andere nicht, stehle nicht, hasse nicht.“
Zu den freundlich Gesinnten gehört auch die dreifache Mutter Gunarti, die im Landkreis Pati lebt. Gunarti bestellt ihre Felder, unterrichtet aber auch die Kinder mehrerer Samin-Familien. „Bauern sind die Hüter der Erde“, sagt sie. „Wir tun alles, um diese Tradition zu erhalten.“ Wenn sie Gebete spreche, sagt sie, dann spreche sie zur Erde. „In ihr ist alle Kraft vereint.“9
Die Samin lieben ihr Land. Und sie verteidigen es, gewaltfrei. Nicht in einem einsamen Kampf gegen den Rest der Welt, sondern als Teil eines breiten Bündnisses, das 2005 entstanden ist, als das Staatsunternehmen Semen Gresik (heute Semen Indonesia) die Errichtung eines Zementwerks am Kendeng-Gebirge ankündigte.
Als sich die lokalen Behörden und die Semen-Vertreter weigerten, nähere Informationen herauszurücken, schlossen sich die Bäuerinnen und Bauern zu einer Bürgerinitiative zusammen und gaben ihr den Namen „Netzwerk der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt“ (JM-PPK). Sie knüpften Kontakte zu Wissenschaftlern und begannen, akribisch Daten zu Quellen und unterirdischen Flüssen im Kendeng-Karst zu sammeln, von denen Millionen Menschen abhängig sind. Diese Daten machten sie unter der Bevölkerung bekannt und präsentierten sie selbstbewusst bei den Beratungen über die Umweltverträglichkeitsprüfung des geplanten Zementwerks.
Obwohl Mitglieder der Bürgerinitiative immer wieder von der Polizei und bezahlten Schlägertrupps eingeschüchtert wurden, wuchs der Widerstand ständig an. Am Ende trug die JM-PPK den Kampf auch auf die juristische Ebene – und gewann. Denn nach der offiziellen Planung, die zum Zeitpunkt der Genehmigung der Fabrik gültig war, war die Entwicklung der Region in Richtung Landwirtschaft und Tourismus vorgesehen. Der Sieg des Netzwerks JM-PPK war für Indonesien ein Novum in der Geschichte der sozialen Bewegungen: Der Verlierer war ein Großunternehmen, das die volle Unterstützung der Regierung besaß.
Allerdings haben die Behörden aus dieser Schlappe gelernt. 2010 wurde der Status der attraktiven Region am Kendeng-Gebirge per Gesetz umgewidmet, sodass die Provinzregierung auch Bergbauaktivitäten genehmigen konnte. Aber das verstoße gegen nationale Gesetze, kritisiert Mokh Sobirin von der indonesischen Umweltschutzorganisation Desantara: „Nach diesen Gesetzen sind die Karstgebiete geschützte geologische Zonen.“
Dennoch hielt Semen Gresik, inzwischen Semen Indonesia, an den Plänen zum Abbau von Kalkstein im Kendeng-Karst fest. 2012 bekam das Unternehmen von der Provinzregierung in Zentraljava grünes Licht für den Bau eines Werks in Rembang – ebenfalls am Fuß des Kendeng. 2014 wurde der Grundstein gelegt, 2017 soll der Betrieb aufgenommen werden. JM-PPK protestiert gegen die Fabrik. Luftaufnahmen von der Baustelle, die der Filmemacher Dandhy Dwi Laksono für den Dokumentarfilm „Samin vs. Semen“ gemacht hat, zeigen ein riesiges graues Loch inmitten einer grünen Landschaft.10
Seit der Grundsteinlegung campieren Frauen vor den Toren der Baustelle. Der Film dokumentiert ihren friedlichen Widerstand – und die Repressionen, denen sie und ihre Unterstützer ausgesetzt sind. Denn obwohl eine Klage von JM-PPK durch mehrere Instanzen gegangen und jetzt beim obersten Gerichts anhängig ist, gehen die Bauarbeiten in Rembang einfach weiter – unter dem Schutz der örtlichen Polizei.
Auch die Pläne von HeidelbergCement mit ihrem Ableger PT SMS werden von der Provinzregierung befürwortet. Doch im Landkreis Pati fühlen sich viele Anwohner übergangen. Das Netzwerk JM-PPK kritisierte das Vorgehen bei der obligatorischen Umweltverträglichkeitsprüfung und klagte vor Gericht: Die lokale Bevölkerung sei zu wenig einbezogen worden, und die Berichte des Unternehmens enthielten falsche Angaben zur Ökologie des Kendeng-Karsts. Im November 2015 gewann das Netzwerk den Prozess. Die PT SMS legte Revision ein und bekam im Juli 2016 recht.
„HeidelbergCement ist der festen Überzeugung, dass das Pati-Projekt umweltverträglich ist und die lokale Bevölkerung vom Bau des Werks profitieren wird“, heißt es aus der Konzernzentrale. Bei den Details bleiben die Antworten vage. Die Laufzeiten für Zementwerke betrügen „in der Regel 20 bis 30 Jahre“, könnten aber auch „deutlich darüber hinausgehen“. „Nach dem Abbau einer gewissen Fläche“ werde die Renaturierung „Schritt für Schritt“ und nach den „Vorgaben der lokalen Regierungen für zukünftige Verwendungen“ erfolgen.
Zum Wasserbedarf der Fabrik erklärt die Unternehmenszentrale, den werde man durch Oberflächenwasser decken, „das in eigens dafür angelegten Auffangbecken gespeichert wird“. Deshalb werde die Wasserversorgung der Anwohner „nicht beeinträchtigt“. Die Frage, woher dieses Oberflächenwasser kommen soll, ob aus Flüssen, Seen oder dem Regenwasser, lässt das Unternehmen unbeantwortet.
Kritik am Genehmigungsverfahren kommt auch von wissenschaftlicher Seite. Der Höhlenforscher Petrasa Wacana bemängelt, bei der Umweltverträglichkeitsprüfung sei die spezielle Schutzwürdigkeit des Kendeng-Karsts als Speicher für Regenwasser vernachlässigt worden. Mit dem Karst würden auch diese Wasserspeicher verschwinden, wie Studien am bereits bestehenden Werk von HeidelbergCement in Citeureup beweisen. Deshalb sind laut Wacana häufigere Überschwemmungen zu erwarten. Außerdem sei der Nitratwert im Grundwasser zwischen 1999 und 2009 um mehr als das 13-Fache gestiegen, eine Folge des sauren Regens, der durch die Verfeuerung von Kohle verursacht wird.
Bauen geht auch ohne Zement: Die Bürgerinitiative JM-PPK errichtete im Landkreis Pati ein großes Holzhaus im alten javanischen Stil. Es dient als Ort des Informationsaustauschs, aber auch für Kindergruppen, die etwa traditionelle javanische Instrumente spielen lernen. Ihr Kampf gegen das Zementwerk hat den Bauern vom Kendeng viel Aufmerksamkeit und Solidarität verschafft: Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler protestierten auf kreative Weise, etwa mit Schweigemärschen zu den Gerichtsverhandlungen und Kundgebungen auf den Dörfern wie in der Hauptstadt.11
Am 12. April 2016 zogen neun Frauen aus dem Kendeng-Gebirge in ihrer Festtagstracht vor den Präsidentenpalast in Jakarta. Zu den geflochtenen Hüten der Landarbeiterinnen trugen sie farbenfrohe Blusen und Sarongs mit traditionellen javanischen Mustern. Sie sangen die Lieder zum Lob der Natur, die sie normalerweise bei der Feldarbeit singen.
Präsident Widodo macht Versprechungen
Dabei standen sie mit ihren Fußen nicht in der Erde von Zentraljava, sondern in Bottichen, die mit Zement aufgefüllt waren. Als Regierungsvertreter meinten, das sei für sie doch gefährlich, lautete ihre Antwort: Diese Gefahr sei weitaus kleiner als die Bedrohung, die der Bau der Zementfabriken für ihre Kinder und Enkel bedeuten würde.
„Mutter Erde liebt uns, sie behandelt uns gut“, sagte Murtini, eine der protestierenden Frauen. „Was wir pflanzen, lässt sie wachsen, die Böden sind fruchtbar.“ Die Regierung müsse der Landwirtschaft höchste Priorität einräumen. „Wie kann es sein, dass unser schönes, fruchtbares Land derart zerstört wird? Land kann man nicht gegen Geld tauschen. Es ist unser Vermächtnis an unsere Kinder und Enkel.“
Die Frauen harrten einen Tag und eine Nacht aus – gefilmt, fotografiert und interviewt von zahlreichen Medien.12 Nachdem ein Präsidentenberater zugesagt hatte, dass sie den Staatschef treffen würden, um ihre Anliegen persönlich vorzutragen, beendeten sie die Aktion. Einen Monat später zogen die Frauen wieder nach Jakarta, wo sie vor der Deutschen Botschaft forderten: „Deutsche Investitionen sollen nicht nur auf den Profit aus sein, sie müssen auch Mensch und Natur achten.“
Am 21. Juni feierten die Frauen aus dem Kendeng gemeinsam mit anderen Aktivisten in Jakarta den 55. Geburtstag von Präsident Widodo. Als Geschenk hatten sie vor dessen Amtssitz eine Festtafel mit Reis und Gemüse von ihren Feldern aufgebaut. Sie wollten den Präsidenten dazu bringen, sich endlich ihre Sorgen anzuhören. Doch das Geburtstagskind war da leider gerade außer Landes. So ließen sich die „Mütter von Kendeng“ etwas Neues einfallen und bauten Ende Juli ein Protestzelt vor dem Präsidentenpalast auf. Als die Polizei das Aufstellen von Zeltstangen untersagte, hielten sie die Zeltplanen einfach mit den Händen über ihre Köpfe.
Am 2. August wurden sie schließlich von Widodo empfangen. Das Ergebnis des Treffens war die Zusicherung, es werde eine umfassende Umweltstudie geben, die Grundlage für die Raumplanung in Zentraljava sein werde. Diese Studie hätte eigentlich vorliegen müssen, bevor die Planung im Jahr 2010 so verändert wurde, dass sie Bergbauaktivitäten am Kendeng-Karst zuließ. Jetzt versprach Widodo, dass alle Genehmigungen für Zementfabriken am Kendeng-Gebirge für ein Jahr auf Eis gelegt seien, bis die Untersuchung der Umwelt abgeschlossen ist. Diese Zusage müsste eigentlich für alle entsprechenden Projekte in der Region gelten, also auch für das schon im Bau befindliche Werk des Staatskonzerns Semen Indonesia und das geplante Werk der HeidelbergCement-Tochter PT SMS.
Doch die Worte des Präsidenten blieben bislang ohne Folgen. „Wir warten noch immer auf den entsprechenden Präsidentenerlass“, sagte Gunarti Ende September. „Die Realität in Rembang ist, dass die Bauarbeiten weitergehen, die Fabrik von Semen Indonesia dort ist schon zu 90 Prozent fertig.“ Anfang September hat die Bürgerinitiative auch den Fall PT SMS vor das oberste Gericht gebracht. Das alte Urteil soll kassiert und die Baupläne sollen gestoppt werden. „Wir sind optimistisch“, sagt Gunarti. „Wenn die Richter auch nur ein Fünkchen von Umweltschutz verstehen, dann können sie nur in unserem Sinne entscheiden.“
3 www.vdz-online.de/themen/energieverbrauch-zementindustrie.
7 Karte und Geologie des Kendeng-Karsts: ptbudie.wordpress.com/2009/01/03/pegunungan-kendeng.
9 Siehe Anett Keller, „Hüter der Erde“, in: natur 2/2014.
10 youtube.com/watch?v=1fJuJ28WZ_Q.
12 www.youtube.com/watch?v=N3HtAhdoJao.
Marianne Klute ist Diplomchemikerin und beschäftigt sich seit Langem mit Indonesien. Anett Keller ist freie Journalistin und Herausgeberin von „Indonesien 1965ff. – Die Gegenwart eines Massenmordes“, Berlin (regiospectra) 2015.
© Le Monde diplomatique, Berlin