07.01.2016

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Jahresbilanz

Im Lauf des Jahres 2015 wurden weltweit 110 Journalisten getötet, davon 67 wegen oder in Ausübung ihrer Arbeit. In 43 Fällen waren die Tatmotive nicht eindeutig zu klären. 27 der Todesopfer waren Bürgerjournalisten. Besonders viele Medienarbeiter starben im Irak, in Syrien, im Jemen, wo Kriege im Gange sind, aber auch in Frankreich. Der Pariser Anschlag gegen Charlie Hebdo war insofern bezeichnend für die globale Entwicklung, als fast zwei Drittel der weltweit getöteten Journalisten außerhalb militärischer Konfliktzonen ums Leben kamen.

Ende des Jahres 2015 gibt es laut Reporter ohne Grenzen (RoG) weltweit 54 entführte Journalisten (in Syrien, Libyen, im Jemen, Irak), das ist ein Drittel mehr als Ende 2014. Überdies sind seit Jahresbeginn acht Journalisten verschwunden, ohne dass über ihr Schicksal Informationen vorliegen. Im Gefängnis sitzen Ende 2015 weltweit 153 hauptberufliche Journalisten (25 weniger als Ende 2014). Weit über die Hälfte von ihnen ist in China, Ägypten, Eritrea, im Iran und in der Türkei inhaftiert.

Schlechte Nachrichten

Am 27. Dezember wurde im Südosten der Türkei der syrische Journalist Naji Jerf ermordet. Der Gründer und Herausgeber des Magazins Henta, der ein Kritiker sowohl der Regierung Assad als auch des „Islamischen Staats“ (IS) war, wurde in der türkischen Großstadt Gaziantep auf offener Straße niedergeschossen. Seit Sommer 2015 erhielt Jerf immer wieder Drohungen seitens des IS, über dessen grausames Regime er in Zeitungen geschrieben und auch einen Film gedreht hatte. Der Journalist wollte wegen dieser Bedrohung durch den IS mit seiner Familie nach Frankreich auswandern.

Die französische Journalistin Ursula Gauthier musste zum 31. Dezember China verlassen. Die Nichtverlängerung ihres Visums begründete die Regierung in Peking mit einem kritischen Artikel über die chinesische Antiterrorpolitik, die Gauthier am 18. November in der Wochenzeitung L’Obs veröffentlicht hatte. Darin warf sie der Regierung vor, die dschihadistische Bedrohung als Vorwand zu benutzen, um gegen Gruppen vorzugehen, die sich für der Unabhängigkeit der westlichen Provinz Xinjian einsetzen. Wegen dieses Textes hatten staatsnahe Presseorgane die Journalistin scharf attackiert; zudem haben Internet-Websites, die von der Regierung kontrollierten werden, auch noch ihr Foto und ihre Privatadresse veröffentlicht.

In Aserbaidschan wurde am 28. Dezember der unabhängige Journalist Rauf Mirkadyrow zu einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Anklage vor einem Gericht in Baku lautete auf „Hochverrat“ und „Spionage“. Mirkadyrow ist nur der letzte in einer Reihe von Kritikern, die das Alijew-Regime zum Schweigen bringen will. Bei der aserbaidschanischen Regierung hat sich der Journalist vor allem durch seine Berichte über Berg-Karabach und seinen Einsatz für eine Lösung des langjährigen Konflikts mit Armenien unbeliebt gemacht. Mirkadyrow hatte die letzten Jahre in der Türkei gelebt. Im April 2014 wurde er an Baku ausgeliefert und bei seiner Ankunft umgehend festgenommen.

Le Monde diplomatique vom 07.01.2016