Maskierte Dschihadisten im Westjordanland. HATEM MOUSSA/ap |
von Adam Shatz
Vor dem libanesischen Bürgerkrieg galt Beirut als das Paris des Nahen Ostens. Heute hat es zunehmend den Anschein, als sei Paris zum Beirut Westeuropas geworden – eine Stadt der aufgeheizten ethnischen Spannungen, der Geiselnahmen und Selbstmordattentate. Inzwischen gehen die Menschen in Paris wieder über die Straßen und setzen sich ins Café, mit derselben Bereitschaft zur Normalität, wie sie die Libanesen seit Mitte der 1970er Jahre wunderbarerweise an den Tag legen. weiter »
von Benoît Bréville
Am 8. Januar 2015, einen Tag nach dem tödlichen Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion, boykottierten ganze Schulklassen die landesweite Schweigeminute zu Ehren der Opfer. In Frankreich werde die Meinungsfreiheit „mit zweierlei Maß gemessen“, war eine der häufigsten Begründungen der jungen Störenfriede: Warum, fragten sie, reden alle nur über diese Morde und keiner über die vielen Toten des Nahostkonflikts? Warum darf Charlie Hebdo einen Islamheiligen beleidigen, aber der Comedian Dieudonné nicht die Juden schmähen? weiter »
von Alain Gresh
Es war eine Schlacht von homerischen Ausmaßen. Alle Medien weltweit berichteten laufend darüber. Der Islamische Staat (IS), der im Juni 2014 Mossul erobert hatte, setzte seinen rasanten Vormarsch sowohl in Richtung Bagdad als auch in Richtung der türkischen Grenze fort. Er beherrschte bereits 80 Prozent der syrischen Stadt Kobani. Die Kämpfe wüteten über mehrere Monate. Lokale kurdische Milizen, die von der US-Luftwaffe unterstützt wurden, erhielten Waffen und Hilfe von etwa 150 Soldaten, die die kurdische Regionalregierung im Irak entsandt hatte. Die militärischen Auseinandersetzungen, die von den westlichen Fernsehsendern mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit verfolgt wurden, endeten Anfang 2015 mit dem Rückzug des IS. weiter »
von Laurent Bonnelli
Der Film „La Prima Linea“ endet mit den Worten: „Heute sehe ich hinter jedem Toten eine Person, ein Individuum. All diese Opfer, selbst die indirekten, trage ich in mir. Denn ich war einer von denen, die Entscheidungen über Leben und Tod beantragt, getroffen und vollstreckt haben. Meine Verantwortung ist eine rechtliche, eine politische und eine moralische. Alle drei nehme ich auf mich.“ weiter »
von Julien Théron
Als sich Osama bin Laden und Abu Mussab al-Sarkawi 1989 in den afghanischen Bergen trafen, wo sie den sowjetischen Feind bekämpften, ahnten sie sicher nicht, welche Rolle sie einmal bei der Ausbreitung des radikalen Islamismus spielen würden. Der Saudi bin Laden sah seine Zukunft als Führer eines Weltislam. Der Jordanier al-Sarkawi wollte im Zentrum des Nahen Osten das haschemitische Königreich stürzen und den Salafismus durchsetzen. Diese Jahrtausendprojekte, vage und prophetisch das eine, präzise und konkret das andere, ließen die Zukunft der beiden Männer und die Entwicklung ihrer beiden Organisationen – al-Qaida und Islamischer Staat (IS) – bereits erahnen. weiter »
von Patrick Cockburn
Am 16. Juni eroberten kurdische Kämpfer, unterstützt durch US-Luftangriffe, die Stadt Tall Abyad im Norden Syriens, wo sich ein wichtiger Grenzübergang zur Türkei befindet. Der Fall von Tall Abyad ist für die Terrororganisation Islamischer Staat ein Rückschlag: Damit wird die Straßenverbindung zwischen Rakka, der inoffiziellen syrischen Hauptstadt des Kalifats (90 Kilometer südlich gelegen), und der Außenwelt abgeschnitten. Auf dieser Straße kamen bisher Tausende ausländischer Freiwilliger in das IS-Gebiet, von denen viele zu Selbstmordattentätern wurden. Heute zieht der Menschenstrom in die Gegenrichtung: Etwa 23 000 arabische und turkmenische Flüchtlinge sind vor den anrückenden Kurden in die Türkei geflohen. weiter »
von Tobias von Lossow
Am 7. August 2014 eroberte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tigris-Talsperre bei Mossul, die größte und wichtigste Wasserkraftanlage des Irak. Damals wurde befürchtet, die zu allem entschlossene Miliz könnte den ohnehin maroden Damm sprengen oder bersten lassen. Das hätte eine bis zu 20 Meter hohe Flutwelle ausgelöst, die Mossul buchstäblich fortgespült und das 200 Kilometer flussabwärts liegende Bagdad immer noch fünf Meter unter Wasser gesetzt hätte. Für die Bevölkerung der beiden Städte und entlang des Flusses, aber auch für den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortbestand des Irak wäre dies eine unvorstellbare Katastrophe gewesen. weiter »
von Alain Vicky
Nigeria, dieses kulturell und sozial so vielfältige Land, sei eine „Democrazy“, heißt es. Nun hat sich diese „verrückte Demokratie“ ein Monster geschaffen: Boko Haram. Vor zwölf Jahren noch war Boko Haram einfach eine religiöse Protestbewegung, die das von den progressiven Parteien hinterlassene ideologische Vakuum füllen wollte. Aber die nigerianische Regierung hat es inzwischen geschafft, diese Sekte zu einem geopolitischen Problem zu machen und eine spektakuläre und tödliche Spirale der Gewalt in Gang zu setzen. weiter »
von Rodrigue Nana Ngassam
Fotokol, Kolofata, Kusseri: In Kameruns nördlichstem Zipfel, nahe der Grenze zu Nigeria in der Region Extrême-Nord, verübt Boko Haram immer mehr tödliche Anschläge. Waren es im letzten Jahr noch vereinzelte Angriffe, nehmen inzwischen immer mehr Kämpfer an den Einsätzen teil. Nach Angaben des Kameruner Verteidigungsministeriums eroberten am 28. Dezember über tausend Kämpfer den grenznahen Militärstützpunkt Achigashiya, der daraufhin von der Luftwaffe bombardiert wurde. Am 27. Dezember waren bei einem Angriff auf ein Dorf in der Nähe allein 30 Menschen getötet worden. weiter »
von Vicken Cheterian
Vor einiger Zeit fragte mich ein Journalist in Beirut, ob in Europa ein neues Sykes-Picot-Abkommen vorbereitet werde. Er bezog sich auf das im Mai 1916 zwischen Frankreich und Großbritannien geschlossene Geheimabkommen, das den Nahen Osten neu aufteilen sollte (siehe Kasten). Die Frage des Kollegen ging von zwei Annahmen aus: erstens, dass das alte, nach dem Ersten Weltkrieg in der Region etablierte politische System unwiederbringlich zusammengebrochen sei; und zweitens, dass Europa sowohl das Interesse als auch die Fähigkeit habe, die Grenzen eines neuen politischen Systems in der Region festzulegen. weiter »
von Philippe Hugon
Die Terrorgruppe Boko Haram hat sich im März 2015 den Namen Islamic State’s West African Province (Iswap) zugelegt und seitdem ihre Strategie tödlicher Attentate in Nigeria und Tschad noch intensiviert. Auch in Libyen ist der Islamische Staat (IS) weiter auf dem Vormarsch. Die Organisation al-Qaida im Islamischen Magreb (AQMI), die bereits in Mali aktiv ist, hat sich zu dem Attentat in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou bekannt, bei dem am 15. Januar 26 Gäste des Splendid-Hotels getötet wurden. weiter »
von Camelia Entekhabifard
Nach seiner Rückkehr aus China Anfang November erklärte der frisch gewählte afghanische Präsident Aschraf Ghani: „Friede ist unser nationales Ziel. Wenn die Schaffung von Frieden in Afghanistan einfach wäre, wäre dieses Ziel schon vor Jahren erreicht worden.“ weiter »
von Peter Harling
Der Aufstieg einer dschihadistischen sunnitischen Kraft im Nordwesten des Irak ist eine spektakuläre Entwicklung – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber sie zeigt auch, welch üble Posse die Regierung in Bagdad lange aufzuführen pflegte: Jedes Mal, wenn der terroristische Bösewicht, der im Irak sozusagen ständig im Schrank sitzt, auf die Bühne sprang, tat Ministerpräsident Nuri al-Maliki überrascht. Dann schrie er Zeter und Mordio und rief seine Freunde zu Hilfe, die den Übeltäter wieder aus dem Haus schaffen sollten. Dabei war er es selbst gewesen, der den Dschihadisten die Tür geöffnet und sie stark gemacht hat. weiter »
© LE MONDE diplomatique, Februar 2015 |