09.05.2008

Der Mythos vom kleinen David

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Der Mythos vom kleinen David

Israels Neue Historiker hinterfragen die Legenden um die Staatsgründung von Eric Rouleau

In den 1980er-Jahren konnte man unter den Intellektuellen in Israel den Beginn eines bemerkenswerten Wandels beobachten. Eine neue Generation trat an, Männer und Frauen, die weder die Schoah noch die Entstehung des Staates Israel persönlich erlebt hatten. Damit gelangte auch die intellektuelle Elite zu einem reiferen Urteil. Fortan vermochte sie die Vergangenheit ohne Komplexe zu bewerten und sich von den Mythen und Tabus zu distanzieren, auf denen die politische Führung noch immer beharrt.

Diese Intellektuellen – Historiker, Soziologen, Philosophen, Schriftsteller, Journalisten, Filmemacher, Künstler – vertreten bereits seit dem Sechstagekrieg von 1967 antikonformistische Positionen. Das Besatzungsregime, der palästinensische Widerstand, die Machtübernahme von 1977 durch die nationalistische und religiöse Rechte, der wachsende Einfluss von Siedlern und Rabbinern mit expansionistischen Ideen und die wachsenden Spannungen zwischen dem religiösen und dem laizistischen Lager lieferten den Stoff für heftige Kontroversen. „Damals sprachen die Religiösen oft von Sodom und Gomorrha, wenn sie Tel Aviv meinten“, erinnert sich Michel Warschawski, ein prominenter Vertreter des radikalen Flügels der Friedensbewegung. „Und die Laizisten setzten Jerusalem mit dem Teheran der Ajatollahs gleich.“

Der Friedensvertrag mit Ägypten von 1979 weckte Hoffnungen auf eine umfassende Friedensregelung – die 1982 durch den israelischen Einmarsch in den Libanon zunichtegemacht wurden. Begründet wurde diese Invasion, die viele als ersten Angriffskrieg Israels sahen, mit Behauptungen, die sich als unwahr herausstellten: Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), deren Vernichtung das Ziel das Tandem Menachem Begin / Ariel Scharon war, hatte den Einmarsch keineswegs provoziert, wie die Regierung behauptete. Sie signalisierte sogar ihre Bereitschaft zu einem Kompromiss und stellte jedenfalls keine Bedrohung der Existenz des jüdischen Staates dar. Viele Israelis entrüsteten sich damals über das äußerst brutale Vorgehen ihrer Streitkräfte und die vielen Opfer unter der palästinensischen und libanesischen Zivilbevölkerung – vor allem über die abscheulichen Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, die mit Wissen und unter den Augen israelischer Armeeeinheiten stattfanden.

Was in der Folge dieses Krieges geschah, war beispiellos: 400 000 Menschen kamen zu einer Protestkundgebung im Zentrum von Tel Aviv, 500 Offiziere und Soldaten desertierten, es entstand die Bewegung der refusniks, als Wehrpflichtige den Dienst zunächst im Libanon und dann auch in den besetzten Gebieten verweigerten. Die „Reinheit der Waffen“, derer sich Israel seit seiner Gründung gerühmt hatte, schien mit einem Mal zweifelhaft.

Zur Diskreditierung dieser Formel trugen auch, gewollt oder ungewollt, die Arbeiten einiger junger israelischer Historiker bei. Sie werteten Materialien der staatlichen Archive aus, die 1978 nach Ablauf der dreißigjährigen Sperrfrist zugänglich wurden, und stellten fest, dass auch das Verhalten der jüdischen Streitkräfte vor und während des Krieges von 1948 keineswegs den schönen Propagandalegenden entsprach. Als Erster publizierte 1987 der Historiker Simcha Flapan, zeitlebens überzeugter Zionist und einer der Führer der Linkspartei Mapam, eine auf offiziellen Dokumenten basierende Arbeit über die jahrzehntelange Täuschung der Öffentlichkeit – die „sieben entscheidenden Mythen“.1

In dem neuen Buch von Dominique Vidal (unter Mitarbeit von Sébastien Boussois)2 werden die Befunde der Wissenschaftler, die inzwischen als die Neuen Historiker bekannt sind, noch einmal im Überblick dargestellt und bewertet. Diese haben, erstmals seit der Gründung Israels, Geschichte nicht aufgrund von Informationen aus zweiter Hand geschrieben. Sie stützen sich auf offizielle Dokumente aus den Archiven des Kabinetts, der Armee, der Palmach (der Kampfverbände der Mandatszeit), der zionistischen Organisationen, aber auch auf Tagebuchaufzeichnungen des Ministerpräsidenten und Verteidigungsministers David Ben Gurion.

Das Buch von Vidal erinnert noch einmal an die Umstände, die zum Krieg mit den Armeen der arabischen Staaten führten, und kritisiert die zumindest „zweideutige“ Rolle Ben Gurions. Ein ganzes Kapitel ist auch Benny Morris, dem „Anführer“ der Neuen Historiker gewidmet. Der wird als „schizophrene“ Figur dargestellt, weil er sich einerseits, als Historiker, der Wahrheitssuche verpflichtet hat, andererseits aber politische Positionen vertritt, die ihn in die Nähe der extremen Rechten rücken. Am Schluss wird auf das jüngste Werk von Ilan Pappe eingegangen. „Die ethnische Säuberung Palästinas“3 löste einen Skandal aus, an dessen Ende Pappe seine Lehrtätigkeit an der Universität Haifa aufgeben musste und Zuflucht an einer britischen Hochschule fand.

Pappe ist nicht der erste und sicher nicht der letzte Dissident aus den Reihen der Intellektuellen, der das Land verlassen musste, um der erstickenden Atmosphäre zu entgehen, von der sich ein „Nestbeschmutzer“ umgeben fühlt. Pappes Befunde sind wesentlich detaillierter belegt als die seiner Vorgänger und darum nicht leicht zu widerlegen. Tatsächlich hatte er Zugang zu neuen Dokumenten in den israelischen Archiven, die einen Zeitraum von sechzig Jahren abdecken und nicht nur von vierzig Jahren wie bei früheren Autoren.

Die Berichte palästinensischer Zeitzeugen wurden ignoriert

Zudem hat Pappe die Arbeiten palästinensischer Historiker einbezogen, von denen viele noch Augenzeugen der Ereignisse waren. Und er hat Berichte von Überlebenden jener ethnischen Säuberung gesammelt, die merkwürdigerweise bislang von seinen Kollegen nicht zur Kenntnis genommen wurden – weil sie entweder Augenzeugenberichte grundsätzlich ablehnen oder ihnen misstrauen oder weil sie einfach kein Arabisch können. Die Berichte der palästinensischen Zeitzeugen sind umso bedeutsamer, als die arabischen Staaten ihre Archive bis heute für die historische Forschung verschlossen halten.

Die Divergenzen zwischen den Befunden von Ilan Pappe und Benny Morris sind letztlich nicht grundsätzlicher Art. Beide gehen davon aus, dass der Krieg von 1948 keineswegs der vorgebliche Kampf zwischen „David und Goliath“ war: Die jüdischen Kampfverbände hatten die besseren Waffen und waren ihren Gegnern auch zahlenmäßig überlegen. Auf dem Höhepunkt des jüdisch-palästinensischen Bürgerkriegs hatten die Palästinenser nur einige tausend schlecht ausgerüstete Kämpfer aufzubieten, die von einem arabischen Freiwilligenkorps, der „Befreiungsarmee“ unter Führung von Fawzi al-Qawuqji, unterstützt wurden.

Auch als die arabischen Staaten am 15. Mai 1948 in den Konflikt eingriffen, waren ihre Streitkräfte denen der Hagana deutlich unterlegen, und Letztere erhielt immer neue Verstärkungen. Auch in einem weiteren Punkt sind sich Morris und Pappe einig: Die arabischen Staaten entsandten ihre Verbände nur im letzten Moment (und einige nur sehr widerwillig), und zwar nicht, „um den neuen Judenstaat zu vernichten“, denn sie wussten sehr wohl, dass sie das nicht konnten. Sie wollten vielmehr Israel und Transjordanien daran hindern, das im UN-Teilungsbeschluss vom 29. November 1947 den Palästinensern zugesprochene Territorium unter sich (und „einvernehmlich“, wie der Historiker Avi Schlaim meint) aufzuteilen.

Schon im Februar 1948, drei Monate vor dem israelisch-arabischen Krieg und einige Wochen bevor über Prag umfangreiche Waffenlieferungen aus der Sowjetunion eintrafen, schrieb Ben Gurion an seinen Stellvertreter Mosche Scharett: „Wir können ganz Palästina einnehmen. Daran hege ich keinerlei Zweifel.“ Dennoch wiederholte er unablässig die Behauptung, Israel müsse einen „zweiten Holocaust“ fürchten.

Bei Ilan Pappe findet sich dazu eine Passage aus dem Tagebuch des „Gründervaters“. In seiner Euphorie über die militärischen Erfolge der ersten Woche notierte Ben Gurion am 24. Mai 1948: „Wir werden einen christlichen Staat im Libanon schaffen (…). Wir werden Transjordanien zerschlagen, Amman bombardieren und seine Armee vernichten, (…) Syrien in die Knie zwingen (…). Dann bombardieren wir Port Said, Alexandria und Kairo. Das wird die Vergeltung sein für das, was sie (die Ägypter, die Aramäer und die Assyrer) unseren Vorfahren in biblischer Zeit angetan haben.“4

Auch die von der Staatsführung sorgsam gepflegte Legende, die Palästinenser seien nur aus ihren Wohnorten geflohen, weil ihre Führung sie über arabische Rundfunksender dazu aufgefordert hatte, wird von beiden Historikern widerlegt. Zum einen beweisen Mitschnitte der BBC, dass solche Sendungen reine Erfindung der israelischen Propaganda sind, zum anderen war schon seit den 1950er-Jahren bekannt, dass die israelische Führung die Palästinenser zum Exodus gezwungen hat, und zwar mittels Erpressung und Drohungen, aber auch mit Terror und Waffengewalt.

Morris und Pappe sind sich allerdings nicht einig, ob eine Strategie hinter diesen Vertreibungen stand. Benny Morris hält sie für „Kollateralschäden“, die in einem Krieg unvermeidlich seien. Vor vier Jahren meinte er zudem nicht ohne Zynismus, Ben Gurion hätte damals ganze Sache machen und alle Palästinenser vertreiben sollen.5 Während Morris also von einem Exodus ausgeht, „der durch den Krieg bewirkt wurde und nicht durch jüdische oder arabische Pläne“, macht Pappe deutlich, dass diese ethnische Säuberung geplant und umgesetzt wurde, um das Staatsgebiet Israels zu erweitern und zu „judaisieren“.

Dafür hatte die zionistische Führung ihre Gründe. Sie hatte zwar dem UN-Teilungsplan zugestimmt, aber nur aus taktischen Erwägungen. Dass sie diese Lösung für unannehmbar hielt, belegt Pappe mit zahlreichen Dokumenten aus den Archiven, unter anderem den Tagebucheintragungen Ben Gurions. Zwar wurde ihnen nach diesem Plan mehr als die Hälfte Palästinas zugesprochen, aber das restliche Gebiet sollte an die Araber fallen – eine autochthone Bevölkerung, die doppelt so groß war wie die jüdische.

Noch wichtiger war, dass die zionistische Führung ihr Staatsgebiet für zu klein hielt, um die erhofften Millionen von Einwanderern aufnehmen zu können. Im neuen Staat Israel wären zunächst nur 58 Prozent der Bevölkerung Juden gewesen – neben den 558 000 jüdischen Einwohnern hätte es 405 000 arabische Staatsbürger gegeben. Damit wäre der fundamentale zionistische Grundsatz gefährdet gewesen, den Chaim Weizmann, der erste Staatspräsident Israels, so formuliert hatte: „Palästina muss so jüdisch werden wie Amerika amerikanisch und England englisch ist.“

Der „Bevölkerungstransfer“ – so der gängige Euphemismus für die Vertreibung der palästinensischen Araber – war für die zionistischen Führer stets eine heikle Frage, auch wenn ihre ständigen Debatten über diese Frage kaum je an die Öffentlichkeit drangen. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts hatte Theodor Herzl dem osmanischen Sultan vorgeschlagen, die Palästinenser zu deportieren, um Platz für jüdische Siedler zu schaffen. 1930 trug Chaim Weizmann das gleiche Konzept der damaligen Mandatsmacht Großbritannien an.

Nachdem die britische Peel-Kommission 1938 die Schaffung eines kleinen jüdischen Staats und die entsprechende Umsiedlung der Araber empfohlen hatte, erklärte Ben Gurion: „Ich bin für die Zwangsumsiedlung, diese Maßnahme hat nichts Unmoralisches.“ Der Krieg von 1948 bot die Chance, dieses Vorhaben zu verwirklichen. Schon sechs Monate vor dem Angriff der arabischen Streitkräfte waren die Pläne für die Vertreibung der Palästinenser fertig. Ilan Pappe belegt, dass die entscheidende Basis dafür eine Sammlung von Dossiers über alle arabischen Dörfer bildete, welche die Jewish Agency 1939 begonnen und bis in die 1940er-Jahre immer wieder aktualisiert hatte, mit allen Informationen über Bevölkerung und Wirtschaft, politische Verhältnisse und militärische Stärke.

Die von Ilan Pappe in allen Details dargelegten Methoden der jüdischen Einheiten lassen einen erschauern, auch wenn sie in einer Reihe mit den grausamen Methoden der ethnischen Säuberungen stehen, die seit der Spätantike von anderen Völkern angewendet wurden. Pappes Bilanz ist präzise und eindeutig: Innerhalb weniger Monate gab es mehrere Dutzend Massaker und Massenerschießungen, wurden 531 Dörfer (von 1 000) zerstört oder an jüdische Siedler übergeben, wurden die arabischen Bewohner aus elf städtischen Gebieten mit gemischter Bevölkerung vollständig vertrieben.

So wurden Mitte Juli 1948 alle palästinensischen Einwohner von Ramleh und Lydda mit gezückten Bajonetten innerhalb von Stunden aus ihren Häusern vertrieben – etwa 70 000 Menschen, Alte und Kinder eingeschlossen. Diese von Ben Gurion angeordnete Vertreibungsaktion erwähnt der spätere Ministerpräsident Jitzhak Rabin in seinen (vom Verlag stark zensierten) Memoiren. Rabin leitete damals gemeinsam mit Jigal Allon die Militäroperationen. Viele der Vertriebenen starben auf dem Weg zur transjordanischen Grenze an Erschöpfung. Eine ähnliche Operation war schon Ende April in Jaffa abgelaufen. Hier flohen 50 000 arabische Bewohner der Stadt vor dem Artilleriefeuer der Irgun und aus Furcht vor Massakern.

Wie ungerechtfertigt diese Terrorpolitik war, zeigt auch eine Tatsache, die Ben Gurion selbst einräumt: Die Bevölkerung zahlreicher arabischer Dörfer hatte erklärt, sie werde sich einer Teilung Palästinas nicht widersetzen. Einige Ortschaften hatten sogar Nichtangriffspakte mit ihren jüdischen Nachbarn geschlossen. So etwa in Deir Jassin, wo dennoch Untergrundkämpfer der Organisationen Irgun und Lehi einen großen Teil der Einwohner umbrachten – nach Simcha Flapan in stillschweigender Übereinkunft mit der Hagana, der „regulären“ Armee der Jewish Agency.

Von 1947 bis 1949 mussten insgesamt 750 000 bis 800 000 Palästinenser den Weg ins Exil antreten. Ihre Grundstücke und ihre Habe wurden beschlagnahmt. Dominique Vidal zitiert die Schätzung eines israelischen Beamten, der Jüdische Nationalfonds habe sich damals etwa 300 000 Hektar arabisches Land angeeignet und großenteils an die Kibbutzbewegung übergeben.

Israel kann stolz auf diese Historiker sein

Die Operation war präzise geplant: Am 11. Dezember 1948 hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen die berühmte Resolution verabschiedet, in der das „Recht auf Rückkehr“ für die Palästinenser bekräftigt wird. Schon am 6. Januar 1949 erließ die israelische Regierung ein „Notstandsgesetz über das Eigentum von abwesenden Personen“, das im Verein mit dem Gesetz über die „Bewirtschaftung aufgegebener Grundstücke“ vom 30. Juni 1948 den Landraub nachträglich legalisierte. Die Beraubten verloren durch diese Gesetze das Recht, an ihre Heimatorte zurückzukehren oder eine Entschädigung zu verlangen.

Einige Mitglieder der damaligen israelischen Regierung waren über diese brutalen ethnischen Säuberungen empört. Doch Ben Gurion – der nie eine schriftliche Anweisung für diese Operationen gegeben hatte – verurteilte die Aktionen nicht und tat auch nichts, um sie zu stoppen. Er kritisierte nur die von einigen israelischen Soldaten begangenen Plünderungen und Vergewaltigungen, die allerdings straffrei blieben.

Am verwunderlichsten ist in diesem Zusammenhang zweifellos, dass die „internationale Gemeinschaft“ diese Gräueltaten über Jahrzehnte nie thematisiert hat, obwohl ausländische Beobachter und natürlich auch die UN sie nicht übersehen konnten. Angesichts dessen wird verständlich, warum die Palästinenser der „Katastrophe“ (al-naqba) gedenken und nicht des „israelischen Unabhängigkeitskriegs“.

In der Tradition der Arbeiten über den Krieg von 1948 hat der in Oxford am St. Antony’s College lehrende Historiker Avi Schlaim seine Arbeit „The Iron Wall: Israel and the Arab World“ veröffentlicht.6 Auch dieses Buch zerstört einen Mythos: die Legende vom Staat Israel, der nur Frieden will und sich der kriegslüsternen arabischen Staaten erwehren muss, um nicht vernichtet zu werden. Der Titel ist eine Anspielung auf die berühmte Doktrin von Ze’ev Jabotinsky. Der Ahnherr der ultranationalistischen Rechten hatte schon 1923 erklärt, die Araber verstünden nur die Sprache der Gewalt, daher dürfe man ein Friedensabkommen erst aushandeln, wenn Palästina kolonisiert und mit einer „Mauer aus Eisen“ umgeben sei.

Schlaim ist überzeugt, dass diese Doktrin für die politische und militärische Führung Israels, von rechts bis links, noch immer gilt, weshalb diese alle Friedenspläne sabotiert hat. In Jerusalem glaube man, dass die Zeit für Israel arbeitet und die Gegner am Ende resignieren und die territoriale Expansion Israels ebenso akzeptieren werden wie die Reduzierung eines zu bildenden Palästinenserstaats auf ein zersplittertes und demilitarisiertes Gebilde, das einem Mosaik isolierter „Bantustans“ gleicht. Bis dahin halte man sich an die Maxime des früheren Ministerpräsidenten Ehud Barak, dass Israel „keine Partner für den Frieden“ finde.7

Für Avi Schlaim steht dennoch die „Legitimität der zionistischen Bewegung und des Staates Israel in den Grenzen von 1967 außer Frage“. Entsprechend lehnt er „zionistische Siedlungsprojekte jenseits dieser Grenze“ entschieden ab. Bis auf wenige Ausnahmen darf man allen Historikern, Soziologen, Schriftstellern, Journalisten und Filmemachern, die der neuen intellektuellen Elite angehören, eine ähnliche Haltung unterstellen: Sie verkörpern einen neuen Typ von Zionisten – die sogenannten Postzionisten. Gemeinsam ist ihnen auch die Überzeugung, dass es dem Frieden dient, die historische Wahrheit ans Licht zu bringen und das Unrecht zuzugeben, das den Palästinensern zugefügt wurde.

Was dieses seit den 1980er-Jahren anhaltende Umdenken bedeutet, macht Sébastien Boussois in einem Beitrag zu Vidals Buch deutlich, der die Positionen der Neuen Historiker und die ihrer Widersacher gegenüberstellt.8 Manche Beobachter glauben, dass es weitgehend von der Überzeugungskraft abhängen wird, die diese kritischen Intellektuellen gegenüber der traditionellen Gesellschaft und Politik haben, ob Israel sich in einen „normalen“ Staat verwandelt, der in Frieden mit seinen Nachbarn lebt.

So hat es auch schon der frühere israelische Botschafter in Frankreich und den USA formuliert. Jehuda Lancry schreibt in seinem Vorwort zu Vidals Buch: „Die Neuen Historiker leuchten, auch wenn sie so radikale Positionen wie Ilan Pappe vertreten, einige dunkle Regionen des israelischen Kollektivbewusstseins aus. Sie sind die Vorreiter einer neuen Haltung, die zu gegenseitiger Anerkennung und Frieden mit den Palästinensern führen kann. Ihre Arbeiten sollten nicht als Ärgernis gesehen werden. Israel kann vielmehr stolz auf sie sein. Mehr noch: Ihre Leistungen erfüllen eine moralische Verpflichtung. Sie haben sich in bewundernswerter Weise der Aufgabe gewidmet, uns allen zu einer Befreiung zu verhelfen, indem sie die Brüche in der israelischen Normalität sichtbar machen und die notwendigen heilenden Eingriffe vornehmen, die wir brauchen, um den Diskurs mit dem Anderen zu beginnen.“

Fußnoten: 1 Simcha Flapan, „Die Geburt Israels: Mythos und Wirklichkeit“, Neu-Isenburg (Melzer) 2005. 2 Dominique Vidal, „Comment Israël expulsa les Palestiniens (1947–1949)“, Ivry-sur-Seine (L’Atelier) 2007; es handelt sich um eine erweiterte und aktualisierte Neuauflage von Dominique Vidal (zusammen mit Joseph Algazy), „Le Péché originel d’Israël“, Ivry-sur-Seine (L’Atelier) 1998. 3 Ilan Pappe, „Die ethnische Säuberung Palästinas“, Frankfurt am Main (Zweitausendeins) 2007. 4 Ilan Pappe (Anmerkung 3), S. 198. 5 Interview in Ha’aretz (Tel Aviv), 8. Januar 2004. 6 Avi Shlaim, „The Iron Wall: Israel and the Arab World“, New York (Norton) 2000. 7 Avi Schlaims Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Von der US-Erstausgabe wurden mehr als 50 000 Exemplare verkauft, doch in Israel erschien es mit fünf Jahren Verspätung: Ein Verlag fand sich erst 2005. 8 Sébastien Boussois in: „Comment Israël expulsa les Palestiniens“ (Anmerkung 2). Von Boussois erschien zuletzt: „Israël confronté à son passé“, Paris (L’Harmattan) 2008.

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Eric Rouleau ist Journalist und Nahostexperte. Er war unter der Mitterrand-Regierung Botschafter in Tunesien und in der Türkei.

Le Monde diplomatique vom 09.05.2008, von Eric Rouleau