10.10.2008

Admiral Zheng He kehrt zurück

zurück

Admiral Zheng He kehrt zurück

Die Handelsmacht China sichert ihre Seewege und knüpft an alte maritime Traditionen an von Olivier Zajec

Vor zwei Jahren erzielte eine historische TV-Serie in China einen Zuschauerrekord. „Daguo Jueqi – Der Aufstieg der Großmächte“ hieß das Dokumentarwerk, das vom Zentralen Chinesischen Fernsehen (CCTV) produziert wurde.1 Die Beiträge basierten auf Interviews mit Historikern und Weltpolitikern und beschäftigen sich mit der Frage, wie Portugal, Spanien, die Niederlande, Frankreich, England, Deutschland, Japan, Russland und die USA im Lauf der Geschichte zu Weltreichen aufstiegen, prosperierten und wieder zerfielen. Die Serie wurde auch im amerikanischen History Channel auf Englisch gezeigt.

Für Professor Qian Chengdan von der Universität Peking ist klar, weshalb es ein so starkes Zuschauerecho gab: „Unser China, das chinesische Volk, die chinesische ‚Rasse‘ sind zurück auf der Weltbühne.“2

Die Autoren der Serie führen den Aufstieg der Staaten zu Weltmächten vor allem auf ihre maritime Stärke zurück. Und bei den meisten der dargestellten historischen Modelle waren dieselben Faktoren Teil der Strategie: Öffnung nach außen; Kontrolle der Hauptseewege und der sie sichernden Stützpunkte in den großen Ozeanen; technologisch modernste Schiffe, die einen maximalen Aktionsradius und größtmögliche maritime Macht sichern. Die Bevölkerungszahl oder die Größe des jeweiligen Staatsgebiets spielten dagegen keine Rolle.

Exakt dieselben Kriterien bestimmen offensichtlich die Prioritäten der chinesische Regierung. Das kann man dem „Plan für maritime Hochtechnologie“ aus dem Jahr 2000 entnehmen, und es zeigt sich auch in der massiven Aufrüstung der Kriegsmarine (People’s Liberation Army Navy – PLAN).

Die historische Weltsicht der Kommunistischen Partei Chinas war jahrzehntelang ideologisch eingefärbt. Umso bemerkenswerter ist der offene Pragmatismus einer aufstrebenden Weltmacht, wie er in der Serie „Daguo Jueqi“ zum Ausdruck kommt. Diese Weltmacht hat augenscheinlich aus den Fehlern gelernt, die das Reich der Mitte im 19. Jahrhundert geschwächt haben: Verblendung und Selbstüberschätzung. Zwei Schlüsselbegriffe der neuen chinesischen Politik unter Hu Jintao sind in diesem Zusammenhang wichtig: „Harmonisch“ und „friedlich“ soll Einfluss genommen werden, soll China sich für die Welt, vor allem aber auch die Welt sich für China öffnen.

Das Land verfolgt eine nie dagewesene, intensive Marinediplomatie. Chinesische Kriegsschiffe liefen im Jahr 2007 zu offiziellen Besuchen mehrere Marinebasen an, in Frankreich, Australien, Japan, Russland, Singapur, Spanien und den USA. Sie nahmen aber auch an internationalen Seemanövern zur Bekämpfung der neuen Piraterie teil.

Diese „Soft Power“-Strategie ist eine Antwort auf die Herausforderungen in der Region und insbesondere auf zwei für China entscheidende Zukunftsfragen. Bei der ersten geht es um die territorialen Ansprüche auf Taiwan und die Ausdehnung der Territorialgewässer im Südchinesischen Meer und die Definition der „ausschließlichen Wirtschaftszone“ (AWZ)3 . Für China hängt der freie Zugang zum Pazifischen Ozean sowie zu den Seekorridoren Südostasiens und damit zu Indochina von der Erfüllung dieser Ansprüche ab. Die zweite große Zukunftsfrage lautet, wie China als mittlerweile zweitgrößter Erdölimporteur der Welt die maritimen Versorgungswege für seine lebenswichtigen Energielieferungen schützen kann.

Aktuell geht es vor allem um die erste Frage. Peking hat sich mit dreizehn Nachbarländern4 geeinigt, ihre Streitfragen um Landesgrenzen gütlich beizulegen. Nur mit zwei Staaten, Bhutan und Indien, bestehen Konflikte mehr oder weniger offen fort. Aber auch entlang der 14 5000 Kilometer langen Seegrenzen Chinas gibt es potenzielle Spannungszonen; dafür gibt es tiefliegende Gründe.5 Insgesamt erhebt Peking unbeschränkte territoriale Souveränitätsansprüche auf 4 Millionen Quadratkilometer Meeresfläche.

Ansprüche auf die Blauen Gewässer

Die chinesischen Machthaber wollen natürlich auch die Souveränität über Taiwan, „notfalls mit Gewalt“. Das ist bis heute die offizielle Position Pekings, auch wenn die Rückkehr der Nationalpartei Kuomintang unter Ma Ying-jeou an die Regierung in Taipeh bereits eine Annäherung zwischen China und Taiwan bewirkt hat. Der enorme Ausbau der chinesischen Kriegsmarine, die den Vorsprung der US Navy – zumindest nach den Tonnagezahlen – schrumpfen lässt, soll die „unausweichliche“ Entwicklung, nämlich die freiwillige Rückkehr Taiwans zum Mutterland, psychologisch begleiten. Es ist eine doppelte Logik der Abschreckung und der Einbindung: Die auf Taiwan gerichteten Raketen verhindern, dass Taipeh die Unabhängigkeit erklärt, während die wachsende wirtschaftliche Verflechtung zwischen dem chinesischen Festland und der Insel eine eventuelle Reintegration nach dem Vorbild Hongkongs atmosphärisch vorbereitet. Die maritime Strategie Pekings ähnelt einem großformatigen Go-Spiel, bei dem es darum geht, ein möglichst großes Gebiet zu besetzen und die Steine des Gegners zu umzingeln.

Taiwan ist nur einer dieser Steine. Mit den Japanern streitet sich Peking um die Inselgruppe, die auf Chinesisch Diaoyutai und auf Japanisch Senkaku heißt. Sie liegt etwa 300 Kilometer südwestlich des Ryukyu-Archipels, dessen Hauptinsel Okinawa eine US-Militärbasis beherbergt. Tokio ist der Meinung, dass sich seine Wirtschaftszone (AWZ) bis 450 Kilometer westlich der Ryukyu-Inselkette erstreckt. Peking dagegen reklamiert den gesamten Festlandsockel im Ostchinesischen Meer für sich, zu dem dann die Diaoyutai-Inseln gehören würden. Bei diesem Konflikt geht es auch um ein Erdgasvorkommen von geschätzten 200 Milliarden Kubikmetern.

Außerdem streitet sich China mit Taiwan, Vietnam, den Philippinen, Malaysia, Brunei und Indonesien um die Spratly-Inseln (Chinesisch: Nansha) und die Pratas-Inseln (Dongsha). Ein weiterer Zankapfel mit Vietnam und Taiwan sind die Paracelsus-Inseln (Xisha). Darüber hinaus stellt China auch einige Abschnitte seiner Seegrenzen zu Japan und Vietnam infrage. Einen Konflikt gibt es auch mit Südkorea, Japan, Vietnam und den Philippinen wegen der Fischfangquoten in den ostasiatischen Gewässern.

In dieser Region hat Peking schon immer seine Muskeln spielen lassen. Seit den 1950er-Jahren Jahren eroberte die chinesische Kriegsmarine fast alle von den Nationalisten unter Tschiang Kai-schek kontrollierten kleinen Inseln vor dem Festland zurück. 1974 nutzte sie die Gunst der Stunde und besetzte nach der Niederlage Südvietnams die Paracelsus-Inseln. 1988 eroberte sie das von den Vietnamesen besetzte Riff Fiery Cross in der Nähe der Spratly-Inseln zurück. Durch diese Vorgeschichte fürchten die ehemaligen Vasallenstaaten des Reichs der Mitte – zu Recht oder Unrecht – den neuerlichen maritimen Ehrgeiz Pekings.

Wichtiger als die fossilen Brennstoffvorkommen und die Fischbestände ist den Chinesen jedoch zweifellos der freie Zugang der chinesischen Flotte zur Hochsee nach den Plänen, die der Chef der Kriegsmarine Liu Huaqing in den 1980er-Jahren entwickelt hat.6 Dabei geht es als Erstes um die – möglichst konfliktfreie – Absicherung einer Zone westlich der sogenannten grünen Linie, die von Malaysia nach Japan verläuft und die Philippinen aus-, Taiwan jedoch einschließt. Hauptrivale in diesem Gebiet ist die japanische Kriegsmarine, die von Peking bereits wiederholt „getestet“ wurde, indem chinesische U-Boote in japanische Hoheitsgewässer eindrangen (2004 sogar erstmals mit einem atomgetriebenen U-Boot).

In einer zweiten Phase will China diese imaginäre Verteidigungslinie aufbrechen und seinen Einfluss von den nicht sehr tiefen Gewässern des Ost- und Südchinesischen Meers zu den Blauen Gewässern ausdehnen, dem zweiten, deutlich tieferen Becken des Chinesischen Meers, das sich zwischen Japan und Indonesien erstreckt. Dort liegt auch die Insel Guam, Standort der gigantischen US-Luftwaffen- und -Marinebasis im westlichen Pazifik. Der Ausdehnung der chinesischen Macht über die „grüne Linie“ hinaus in Richtung „blaue Linie“ steht ein großes Hindernis entgegen: In diesen Gewässern patrouilliert die VII. US-Flotte mit der Aufgabe, Taiwan zu schützen. Im Januar 2008 beklagte sich Taiwans damaliger Vizeverteidigungsminister Ko Chen-heng über die intensive Manövertätigkeit der chinesischen Kriegsmarine in der Nähe der Bashistraße, der strategischen Passage zwischen Taiwan und den Philippinen.

Wäre dieser Riegel einmal geknackt, könnte die chinesische Marine wesentlich ungehinderter ihrer zweiten Aufgabe nachgehen: der Sicherung der Versorgungsrouten für Erdöl und Gas. Die erste dieser Routen – für kleinere Öltanker bis zu 100 000 Bruttoregistertonnen – führt durch die Straße von Malakka. Der Ölversorgung aus Afrika und Nahost dient auch die zweite Route für die Großtanker, die durch die Sunda- und die Gasparstraße führt. Die dritte Route aus Lateinamerika verläuft durch die philippinischen Inseln. Die vierte schließlich ist eine Ausweichroute für Tanker aus dem Nahen Osten und Afrika und führt durch die Straßen von Lombok und Makassar und die Sulusee zu den chinesischen Häfen.

Stützpunkte an den Tankerrouten

Innerhalb dieses Routennetzes ist die Straße von Malakka von herausragender Bedeutung – und ein gefährlicher Flaschenhals. 80 Prozent der chinesischen Erdölimporte kommen durch diese Meerenge, weshalb ein Konflikt in dieser Region für Peking ein Albtraum ist.

Es ist also naheliegend, über eine Diversifizierung der Versorgungsrouten nachzudenken: zum Beispiel über ein Schienennetz, das die Asean-Länder verbindet, oder das bereits seit längerem geplante chinesisch-birmesische Projekt einer Ölpipeline zwischen Sittwe und Kunming. Die chinesische Regierung unterstützt außerdem den Ausbau der Offshoreproduktion von Flüssiggas in Südostasien (besonders in Birma und Thailand). Und sie denkt sogar über den Bau eines Kanals durch den Isthmus von Kra im Süden Thailands nach (wo allerdings immer wieder islamistische Aufstände stattfinden).7

Aber solche schwer zu realisierenden Projekte werden die Abhängigkeit von den vier Seerouten nur teilweise verringern können. Es ist die Notwendigkeit, diese Routen sowohl vor der zunehmenden Piraterie als auch gegenüber den – vermeintlichen oder tatsächlichen – Ambitionen der USA, Japans oder Indiens in der Region zu sichern, die hinter der Politik des ZK in Peking steht, die Kriegsmarine „hochseefähig“ zu machen.

Demselben Ziel dient der Bau einer Kette dauerhafter chinesischer Marinestützpunkte entlang den Küsten des Indischen Ozeans und den Routen in Richtung Malakkastraße. Solche Basen entstehen auf der Malediveninsel Marao, auf den birmesischen Kokosinseln, in Chittagong (Bangladesch) und in Gwadar (Pakistan). Weitere Stützpunkte sind an der Ostküste Afrikas geplant, wo Staaten wie der Sudan sich zunehmend für chinesische Investitionen öffnen. Diese Anlagen werden auf chinesische Rechnung und von chinesischen Arbeitern gebaut, und auch Ausstattung und Unterhalt der Basen werden von Peking finanziert. Zudem bietet es einzelnen Ländern wie Kambodscha großzügig chinesische Kriegsschiffe an, damit diese ihre Ölfördergebiete besser schützen können.8

Abgesehen von den USA, die für die nächsten 50 Jahre den Pazifik als wichtigste strategische Konfliktregion ansehen, hat China dort zwei ernstzunehmende Rivalen: Indien und Japan. Zwischen Peking und Delhi herrscht noch immer tiefes Misstrauen. Indien hat nicht vergessen, dass China lange Zeit Pakistan in der Kaschmirfrage unterstützt und mit Waffen versorgt hat. Heute fühlt sich das Land – ebenso wie China – als Regionalmacht mit globalen Ambitionen auch zur See. Die indische Kriegsflotte wird mit dem strategischen Ziel ausgebaut, den Indischen Ozean zum „Ozean der Inder“ zu machen. Die Chinesen mit ihrer Kette von Flottenbasen werden folglich als Eindringlinge betrachtet.

Derzeit baut Indien, um den Anspruch auf sein mare nostrum zu unterstreichen, zwei große Flugzeugträger, von denen der erste 2010 in Dienst gestellt werden soll. Ein dritter, der gebraucht von Russland gekauft wurde, wird gerade modernisiert. Die indische U-Boot-Flotte ist mit Booten der Scorpene-Klasse (gebaut von der französischen DCN und der spanischen Navantia) qualitativ besser ausgerüstet als die chinesische. Dennoch vermeiden Indien und China in der jetzigen Phase jegliche offene Rivalität zu See. Im April 2005 hielten beide Staaten nach Unterzeichnung einer „strategischer Partnerschaft“ sogar gemeinsame Marinemanöver ab.

Dagegen herrscht in den chinesisch-japanischen Beziehungen gerade eine Phase extremer Spannungen. Die mächtige und wesentlich modernere japanische Marine hält schon seit Jahren gemeinsame Manöver mit der US Navy ab. Beim Konflikt um die Senkaku-Inseln reagierte die japanische Regierung auf die chinesische Herausforderung allerdings unsicher, zumal sie durch ihre pazifistische Verfassung in ihren Möglichkeiten eingeschränkt ist. Der chinesische Vorstoß hat aber nicht nur Delhi und Tokio beunruhigt, sondern auch kleinere Länder wie Malaysia, Singapur und Indonesien, die ihre Kriegsmarine jetzt ebenfalls rasch verstärken. Sie fürchten, dass die in Irak und Afghanistan gebunden Amerikaner den Chinesen in der Region freie Hand lassen und dass dies nicht nur vorübergehend so sein wird.

Die Chinesen haben die schwierige Lage der USA klar erkannt und tun alles, um ihre Positionen vom Gelben bis zum Südchinesischen Meer weiter auszubauen. Überall werden neue Marinebasen, Flusshäfen, Deiche und U-Boot-Stützpunkte (wie in Sanya auf der Insel Hainan) gebaut oder modernisiert. Es ist das militärische Begleitprogramm zum Wirtschaftsaufschwung einer Nation, die 90 Prozent ihres Außenhandels über die Seewege abwickelt. 2006 erwirtschafteten die chinesischen Reedereien gut 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; 7 der 20 weltweit umschlagstärksten Häfen liegen heute in China.

Auf dem Weg zur größten Schiffbaunation der Welt

Die Investitionen fließen dabei ebenso in zivile wie in militärische Programme. Der Boom im Schiffbau war begleitet von einem Programm für den Ausbau der maritimen Hochtechnologie, aus dem zum Beispiel das satellitengestützte Navigationssystem Beidou und Instrumente zur Überwachung der Meere, aber auch der Ausbau der Werften finanziert wurden.

Im zivilen Schiffbau ist China seit 1995 an die dritte Stelle nach Japan und Korea vorgerückt. Und bis 2020 könnte es dank seiner zwei Unternehmenskolosse China State Shipbuilding Corporation (CSSC) und China Shipbuilding Industry Corporation (CSIC) zur weltweiten Nummer eins im Schiffbau werden. Das ist keineswegs harmlos, denn im nationalen Wirtschaftsplan sind ziviler und militärischer Schiffbau – und die entsprechenden Werften – weitgehend miteinander verflochten.

Der Ausbau der chinesischen Kriegsmarine setzte mit Beginn der 1990er-Jahre ein. In welche konkrete Richtung die neu erwachten maritimen Ambitionen gehen, ist am Verteidigungs-Weißbuch von 2006 abzulesen.9 Oberste Priorität hat demzufolge der Ausbau nicht mehr der Landstreitkräfte, sondern die der Marine und der Luftwaffe. Auch im Zentralkomitee und seiner mächtigen Zentralen Militärkommission sitzen immer mehr Vertreter dieser Waffengattungen. Die Luftwaffe zum Beispiel stellt heute 25 Prozent dieser militärischen Elite, gegenüber 14 Prozent im Jahr 1992.10

Investiert wurde in alle wichtigen Waffensysteme. Jede der drei Flotteneinheiten (das Marinekommando Ost mit Sitz in Schanghai, das Kommando Süd in Zhanjian und das Kommando Nord in Qingdao) verfügt über eine Marinefliegerdivision mit Kampf- und Jagdflugzeugen. Die Flotte selbst wurde modernisiert, zum Beispiel durch Anschaffung von vier Zerstörern der Luyang-Klasse und von Ma’anshan-Schnellbooten, die die Jiangwei-Fregatten der 1990er-Jahre ablösen. Und während die Kriegsmarine noch Ende der 1970er-Jahre über mehr als 500 Küstenpatrouillenschiffe verfügte, sind es heute nur noch 250. Dagegen ist die Zahl der hochseegängigen Schiffe auf 60 angewachsen.11

Die Flotte der Landungsschiffe wurde um hundert neue Einheiten vergrößert. Diese gezielte Aufrüstung soll die Ansprüche Chinas auf die Spratly-Inseln oder Taiwan unterstützen. Außerdem werden Minenräumer, mit See-See-Raketen bestückte Patrouillenboote und neue Versorgungsschiffe in Auftrag gegeben, auch etliche im Ausland: In Australien bestellte man Hochgeschwindigkeitskatamarane, in Russland Zerstörer der Sowremenny-Klasse und U-Boote der Kilo-Klasse; dazu Waffensysteme in Italien und in Frankreich und Schiffsgeschütze in Holland.12

Die Rüstungsgüter, die China am meisten interessieren, werden importiert, kopiert, adaptiert und – zur großen Überraschung der Lieferantenstaaten – häufig auch verbessert. Dennoch bleibt Peking in einigen Bereichen – wie elektronische Ausrüstungen oder Schiffsmotoren oder seegestützte Waffensysteme – von Importen abhängig, insbesondere aus Russland.

Die U-Boot-Flotte steht bei diesem Modernisierungsprogramm im Mittelpunkt. China besitzt bislang keinen einzigen Flugzeugträger, obwohl ab und zu Gerüchte auftauchen, dass Peking den in der Ukraine gekauften Flugzeugträger „Varyag“ instand gesetzt habe. Doch das Schiff liegt noch immer im Trockendock und kann nach chinesischen Angaben frühestens 2010 in Dienst gestellt werden. Heute können allenfalls moderne U-Boote eine gewisse Abschreckung auf die VII. US-Flotte ausüben, die mit ihren Stützpunkten in Guam, Japan und Südkorea noch immer die Selbständigkeit Taiwans garantiert. Die chinesische Flotte verfügt über fünf atomar betriebene Jagd-U-Boote und ein Raketen-U-Boot (mit zwischen 12 und 16 ballistischen Atomraketen von 3 500 Kilometern Reichweite) sowie über rund 30 konventionelle U-Boote; über 20 neue U-Boote sollen sich im Bau befinden.

Diese Entwicklung macht die US Navy nervös. Die Admiräle der VII. Flotte haben den Kongress und das Weiße Haus gewarnt, die chinesische U-Boot-Flotte könnte bis zum Jahr 2020 die eigene pazifische Unterwasserflotte überholt haben.13 Die chinesischen Atom-U-Boote sollen allein 2007 mehr Patrouillenfahrten absolviert haben als in den fünf Jahren zuvor. Die Besorgnis über diese Entwicklung der chinesischen Militärstärke wird im Jahresbericht des Pentagon14 deutlich formuliert.

Diese Sorge ist allerdings stark zu relativieren: Tatsächlich dürften selbst die besten chinesischen U-Boote nicht so leistungsfähig sein wie befürchtet. Zudem verfügt die US-Kriegsmarine über 53 moderne Atom-U-Boote (mehr als doppelt so viele wie der Rest der Welt) und 12 von weltweit 15 Flugzeugträgern, dazu über eine einzigartige überlegene Luftflotte für die U-Boot-Bekämpfung. Die letzte Ausgabe der „Quadrennial Defense Review“15 der USA betont im Übrigen mehr die Kooperation als die Konfrontation mit den chinesischen Streitkräften.

Gedenktag für die alten Seefahrer

Auch im Südchinesischen Meer sieht es nicht unbedingt nach einem erklärten Rüstungswettlauf aus. Hier stehen sich vielmehr – in sehr variabler Geometrie – das Quartett aus indischer, amerikanischer, australischer und japanischer Kriegsmarine und das Duo China/Pakistan gegenüber.

Der Hauptantrieb für die maritimen Ambitionen der Chinesen ist offenbar das Gefühl der Frustration, das eine stolze Macht empfindet, die vor 400 Jahren versäumt hat, einen Kurs einzuschlagen, mit dem sie die Weltmeere hätte dominieren können. Nur deshalb konnten, aus chinesischer Sicht, die Barbaren aus dem Westen diese erste Epoche der Globalisierung für sich nutzen. Dabei hatten die Chinesen damals einen weiten Vorsprung: Sie beherrschten die astronomische Navigation, besaßen den Kompass, hatten Anker mit Ankerwinde erfunden und das einholbare Kielschwert; sie hatten gedruckte Seekarten und bauten riesige Schiffe mit mehreren Masten und beweglicher Takelage16 . Ihre Dschunken verfügten über ein wasserdichtes Schottensystem und ein Heckruder. All diese Errungenschaften wurden von den Westlern perfektioniert und trugen so dazu bei, das Reich der Mitte zu demütigen.

Mit dem Ende der Ming-Dynastie (1358 bis 1644) verschloss sich China nach außen und vergaß seine große Seefahrtstradition, wie etwa die Expeditionen des großen Admirals Zheng He, der im 15. Jahrhundert mit der mehr als 300 Schiffe starken kaiserlichen Flotte die Weltmeere erforscht hatte.17 Der Bau von hochseetauglichen Schiffen wurde sogar unter Todesstrafe gestellt. Dass dies ein schwerer politischer Fehler war, weiß die heutige chinesische Führung, die wieder an die alte maritime Tradition anknüpfen will.

Und so gibt es heute eine regierungsamtliche Website, die für die chinesische Präsenz in Afrika wirbt.18 Da kann man zum Beispiel die rührende Geschichte des kenianischen Mädchens Mwamaka Shariff nachlesen, deren Vorfahren angeblich chinesische Seeleute waren, deren Schiff vor über 500 Jahren an der Küste Kenias zerschellte. Aufgrund ihrer Abstammung darf sie nun kostenlos an einer chinesischen Universität studieren. Ihren ersten Auftritt hatte sie bereits bei den Feiern zum Gedenktag für Zheng Hes Seefahrten, der alljährlich in Taikang begangen wird.19

Wie wird es weitergehen in den unruhigen Gewässern Südostasiens? Die USA intensivieren den Austausch und die Zusammenarbeit mit der indischen und der japanischen Kriegsmarine, aber auch mit der chinesischen Flotte. Dahinter steht zweifellos die Absicht, deren beunruhigende Expansion so weit wie irgend möglich zu kontrollieren. Der letzte Schachzug war die „Global Maritime Partnership Initiative“, 2007 angeregt von der US Navy. Sie zielt auf eine globale Allianz zur Bekämpfung der Seepiraterie und will konkret den Aufbau einer „Thousand Ship Fleet“, für die jedes Bündnismitglied – also auch China – Schiffe abstellen soll. Der Direktor des Instituts für strategische Studien an der chinesischen Militärhochschule, Yang Yi, betont jedoch, es sei noch offen, ob man auf solche Vorschläge eingehen werde. Zunächst müsse man prüfen, welche Hintergedanken Washington mit solchen Projekten verfolge und welche langfristigen Implikationen eine Beteiligung für Peking hätte.20

Das heutige China scheint entschlossen, sich bei seiner zweiten Chance, zur souveränen maritimen Weltmacht zu werden, durch keinerlei Störmanöver aufhalten zu lassen. Auch wenn die Rede von der „gelben Gefahr“ ein Hirngespinst sein dürfte, will China, das weder die Opiumkriege noch die Plünderung und Zerstörung des Sommerpalasts in Peking21 vergessen hat, sich offensichtlich nicht mehr bedrohen oder zwingen zu lassen. Also hat Peking gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Die erneuerte Kriegsmarine kann es noch lange nicht mit der Übermacht der US Navy aufnehmen, aber sie orientiert sich erkennbar an der eigenen glorreichen Geschichte. Das erste Schiff der Volksbefreiungsarmee, das 1989, fast 20 Jahre vor dem fulminanten Ausbau der chinesischen Kriegsflotte, zu einem offiziellen Besuch in die USA entsandt wurde, war ein Ausbildungsschiff. Damals interessierte sich niemand für seinen Namen. Es hieß „Zhang He“.

Fußnoten: 1 finance.cctv.com/special/C16860/01/index. shtml. 2 Joseph Kahn, „China, Shy Giant, Shows Signs of Shedding Its False Modesty“, New York Times, 9. Dezember 2006. 3 Seegebiet, in dem der angrenzende Küstenstaat in begrenztem Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse wahrnehmen kann; auch als 200-Meilen-Zone bezeichnet. 4 Afghanistan, Burma, Bhutan, Nordkorea, Russland, Mongolei, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Pakistan, Nepal, Laos, Vietnam. 5 Siehe Loic Frouart in La Revue de défense nationale et de sécurité collective, Paris, Mai 2007, S. 31. 6 Vgl. Alexandre Sheldon-Duplaix, „La Marine de l’armée populaire delibération de 1949 à nos jours“, in: Revue historique des armées, Nr. 230, Paris, 2003. Liu Huaqing war auch der erste chinesische Marinechef, der 1985 offiziell die USA besuchte. 7 Sittwe liegt an der Westküste Birmas; Kunming ist ein Binnenhafen am Oberlauf des Xi-Jiang und zugleich Hauptstadt der südchinesischen Provinz Yunnan. Zu den alternativen Verkehrsprojekten siehe: Xavier Monthéard, „Laos – ein Land wird Brücke“, Le Monde diplomatique, August 2008. 8 Im Oktober 2007 offerierte China Kambodscha neun Patrouillenboote zum Schutz der Erdölanlagen im Golf von Siam, siehe Defense News, internationale Ausgabe, Springfield, 18. Februar 2008, S. 1. 9 Das erste Weißbuch erschien 1998. 10 Li Cheng und Scott Harold, „China’s new military elite“, China Security, Washington, Band 3, Nr. 4, Herbst 2007, S. 72. 11 Ein Schiff gilt ab einer Größe von 2.000 Bruttoregistertonnen als hochseetauglich. 12 Bernard Dreyer, „La montée en puissance maritime de la Chine“, Défense, Paris, Dezember 2005. 13 Am lautesten Alarm schlägt der kalifornische Kongressabgeordnete Duncan Hunter, der sich stets für neue Rüstungsaufträge einsetzt. 14 www.defenselink.mil/pubs/pdfs/070523-China-Military-Power-final.pdf. Zahlreiche amerikanische und europäische Analysten halten den Bericht für alarmistisch und ungenau, bestätigen allerdings die Fortschritte bei der chinesischen Marine. 15 In der „Quadrennial Defense Review“ (QDR) stellt das Pentagon die US-Verteidigungsstrategie für jeweils 20 Jahre vor. Das Papier wird alle vier Jahre aktualisiert. 16 Vgl. Ucla Center for Chinese Studies, www.international.ucla.edu/china/. 17 Zheng He unternahm als Admiral von 1405 bis 1433 sieben Seereisen. 18 www.chinafrique.com. 19 Von dieser Hafenstadt in der Nähe von Schanghai brach die kaiserliche Flotte stets zu ihren Fahrten auf. Das kenianische Mädchen soll bei der Feier ausgerufen haben: „Es kommt mir vor, als sei ich nach Hause zurückgekehrt!“ Die Website bietet weitere erbauliche Geschichten (auf Englisch, Französisch und Chinesisch) mit Titeln wie: „Chinas Ministerpräsident schüttelt afrikanischen Aids-Kranken die Hand“, „Das glückliche Leben eines Kongolesen in Peking“, oder „Erst die Freundschaft, dann das Geschäft“. 20 China Security, siehe Anmerkung 3. 21 Die Kriege sollten China zwingen, den Opiumhandel im eigenen Land zu dulden. Kriegsgegner waren zunächst nur die Engländer (1839 bis 1842), danach eine Allianz aus Franzosen und Briten (1858 bis 1860). Sie war auch verantwortlich für die Zerstörung des Kaiserpalasts im Oktober 1860; vgl. „Brief an Captain Butler“ von Victor Hugo, abgedruckt in Le Monde diplomatique, Oktober 2004.

Aus dem Französischen von Veronika Kabis

Olivier Zajec ist Berater der Compagnie Européenne d’Intelligence Stratégique (CEIS), einer privaten Consultingfirma für Sicherheits- und Marktstrategien mit Sitz in Paris und Brüssel.

Le Monde diplomatique vom 10.10.2008, von Olivier Zajec