12.12.2008

Zurück im Libanon

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Zurück im Libanon

Auch der Libanon könnte zu einem Land werden, das Dschihadisten als logistische Basis für ihren „Heiligen Krieg“ in anderen Ländern nutzen.1 Ähnlich wie der Jemen, Algerien oder Afghanistan durchlitt der Libanon viele Jahre des Bürgerkriegs – mit Unterbrechungen dauerte er von 1975 bis 1990. Dazu kam die Besetzung des Südlibanon bis zum Jahr 2000 und der blutige Krieg zwischen Israel und den schiitischen Hisbollah-Milizen im Sommer 2006.

Spätestens damals rückte der Libanon ins Zentrum der Aufmerksamkeit dschihadistischer Gruppen. Während des Krieges von 2006 konnte man die Verwirrung der Dschihad-Anhänger in den einschlägigen Chatrooms ablesen, mussten sie doch registrieren, wie die Schiiten im Irak sich als Kollaborateure der US-Besatzer betätigten, während zugleich die Schiiten des Libanon gegen Israel kämpften (und sogar erfolgreich). Vollends frustriert fühlten sich diese sunnitischen Extremisten, weil es ihnen versagt war, sich dem antiisraelischen Widerstand anzuschließen, der von der Hisbollah monopolisiert und von dem alewitisch dominierten Syrien2 und dem schiitischen Iran unterstützt wurde.

Im Libanon tauchten die ersten ausländischen Dschihadisten in den Monaten nach dem Krieg vom Juli 2006 auf. Bereits im November kam es im Palästinenserlager Nahr al-Bared nahe Tripolis im Norden des Landes zu einem unblutigen Putsch, bei dem eine neue Gruppe namens Fatah al-Islam die Kontrolle übernahm. Ihr Anführer war Shakir al-Absi, ein ehemaliger Kämpfer der Fatah Jassir Arafats. Al-Absi hatte sich 1983 von der Fatah losgesagt und der radikaleren prosyrischen Organisation Fatah al-Intifada von Abu Musa und Abu Khaled al-Amleh angeschlossen. Nach der US-Invasion ging al-Absi in den Irak und schloss sich dem terroristischen Netz von al-Sarkawi an. In Jordanien war er wegen der Ermordung eines US-Diplomaten in Amman zum Tode verurteilt worden.

Nachdem al-Absi im Lager Nahr al-Bared das Sagen hatte, erklärte er selbstbewusst, seine Fatah al-Islam vereinige „die Besten der jungen Generation, die an ihre Religion glauben und an ihr Recht, nach Palästina zurückzukehren“.3 Seine Organisation profitierte stark von den dschihadistischen Netzwerken, über die sie Waffen, Geld und Freiwillige aus einer Reihe arabischer Länder bezog. Aber statt für ihre erklärten Ziele zu kämpfen, legten sich die Fatah-al-Islam-Kämpfer binnen weniger Monate – unter weitgehend ungeklärten Umständen – mit der libanesischen Armee an. Nach dreimonatigen heftigen Kämpfen, in denen Dutzende libanesische Soldaten und palästinensische Kämpfer getötet wurden, war das Lager, in dem vorher 30 000 Menschen gelebt hatten, vollständig zerstört.

Die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Fatah al-Islam wirft einiges Licht auf die politischen und ideologischen Verschiebungen und auf die neuen Sicherheitsrisiken, die sich seit dem Irakkrieg für den Nahen Osten abzeichnen. Im Libanon jedenfalls scheint der Einfluss dschihadistischer Gruppierungen immer stärker zu werden. Ein Grund dafür hat mit der Geschichte der palästinensischen Lager zu tun.

Seit dem Kairoer Abkommen von 1969 sind die zwölf Palästinenserlager der Kontrolle der libanesischen Sicherheitskräfte entzogen. Seit Beginn der 1990er-Jahre sind aber auch Einfluss und Präsenz der traditionellen Palästinenserorganisationen (wie Fatah oder PFLP) in den Lagern ständig zurückgegangen. Die Folge waren verschlechterte soziale und ökonomische Verhältnisse und ein Sicherheitsvakuum. Das wiederum begünstigte die Entstehung diverser dschihadistischer Gruppen, von denen Dschund al-Scham (Kämpfer des Großsyrien) und Asbat al-Ansar (Liga der Partisanen) die bekanntesten sind.4 In den vergangenen Monaten kam es vermehrt zu Zusammenstößen zwischen der Armee und dschihadistischen Gruppen, die einen Teil des Lagers Ain al-Hilweh in der Nähe von Saida im Süden des Landes kontrollieren. In diesem Lager sollen sich immer mehr ausländische Kämpfer eingefunden haben.5

Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen im Mai 2008 zwischen der Hisbollah und der regierungstreuen al-Mustakbal-Bewegung, die aus – vorwiegend sunnitischen – Anhängern des im Februar 2005 ermordeten Ministerpräsidenten Rafik Hariri besteht, hat sich die Situation noch gefährlicher zugespitzt. Diese Ereignisse führten zu einer verstärkten Mobilisierung der sunnitischen Volksgruppe, die sich durch den Erfolg der Hisbollah-Milizen und deren Vordringen in die traditionell sunnitischen Viertel von Beirut bedroht fühlt, zugleich aber feststellen muss, dass ihr die Hariri-Gefolgsleute keine wirksame und verlässliche Führung bieten können.6 Damit entstand bei den Sunniten ein Führungsvakuum, das die salafistischen Führer nutzen könnten, um ihre Machtbasis auszubauen und sich sogar als neue Führung anzubieten.7

Am stärksten macht sich die Ausbreitung der salafistisch-dschihadistischen Strömungen in der zweitgrößten Stadt Tripolis bemerkbar, wo der Einfluss der Hariri-Gruppe nie besonders groß war. In dieser 100 Kilometer nördlich von Beirut gelegenen Küstenstadt hatte schon in den 1980er-Jahren eine salafistische Organisation dominiert: die Islamische Einigungsbewegung (Harakat al-Tawhid al-Islamiya) von Scheich Saeed Shaaban. In den jüngsten Fehden zwischen sunnitischen und alewitischen Vierteln von Tripolis sind auf sunnitischer Seite nicht etwa die Hariri-Anhänger der aktivste Faktor, sondern autonome Gruppen sunnitischer Jugendlicher, die sich als Straßenkämpfer hervortun. Vicken Cheterian

Fußnoten: 1 Siehe Fidaa Atani, „Was macht al-Qaida im Libanon?“, Le Monde diplomatique, Februar 2008. 2 Das Regime der Familie Assad in Syrien stützt sich vor allem auf Angehörige der alewitischen Minderheit. 3 Zitiert nach dem Artikel von Omar Ibrahim in: al-Safir (Beirut), 29. November 2006. 4 Siehe dazu die ausgezeichnete Studie von Bernard Rougier, „Le Jihad au Quotidien“, Paris (Presses Universitaires de France) 2004. 5 Siehe den Artikel von Hazem al-Amin in al-Hayat, London, 13. Juni 2008. 6 Siehe Alain Gresh, „Es herrscht wieder Frieden im Libanon“, Le Monde diplomatique, Juni 2008. 7 Fidaa Itani in: al-Akhbar, Beirut, 14. Mai 2008.

Le Monde diplomatique vom 12.12.2008, von Vicken Cheterian