08.05.2009

Krisengewinnler IWF

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Krisengewinnler IWF

Der totgesagte Weltwährungsfonds bekommt frisches Geld von Arnaud Zacharie

Am 2. April 2009 verständigte sich der G-20-Gipfel in London auf ein 1 100-Milliarden-Programm für Investitionen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. In der Abschlusserklärung verkündeten die Staats- und Regierungschefs „einen globalen Plan“, der das Wirtschaftswachstum mit Summen von nie dagewesenem Umfang wieder ankurbeln soll.

Der größte Gewinner bei diesem Plan ist der Internationale Währungsfonds (IWF). Seine Ressourcen für Kredite an Krisenländer sollen sich von 250 auf 750 Milliarden Dollar verdreifachen. Zunächst erhält er Soforthilfen in Höhe von 250 Milliarden Dollar; mittelfristig sollen sie dann auf bis zu 500 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Das Geld soll durch zusätzliche Sonderziehungsrechte (siehe Kasten) aufgebracht werden. Außerdem genehmigte der Gipfel dem IWF den Verkauf eines Teils seiner Goldreserven. Dadurch will man den ärmsten Ländern in den nächsten drei Jahren 6 Milliarden Dollar in leicht zugänglichen Fonds zur Verfügung stellen. Und schließlich soll es dem IWF künftig gestattet sein, Kredite am Markt aufzunehmen, während er sich bislang ausschließlich aus Zinseinnahmen finanzierte. Der Totgesagte erwacht zu neuem, seinem dritten Leben.

Der IWF wurde 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods gegründet, um nach dem Zweiten Weltkrieg das internationale Währungssystem zu stabilisieren. Dafür waren zwei Instrumente vorgesehen: Erstens sollte eine weltweite währungspolitische Zusammenarbeit einen Abwertungswettlauf verhindern1 ; zweitens wollte man für mehr internationale Liquidität sorgen, indem der IWF Kredite an Mitgliedstaaten vergeben konnte, die vorübergehend in Zahlungsschwierigkeiten waren. Mehr als zwei Drittel der während der Bretton-Woods-Ära ausgezahlten IWF-Kredite gingen an Industriestaaten.2

Dieses System brach zusammen, als die USA am 15. August 1971 beschlossen, die Gold-Konvertibilität des Dollar abzuschaffen. Damit stand der IWF vor der absurden Aufgabe, Regeln zu überwachen, die faktisch nicht mehr existierten. Erst als 1982 die Schuldenkrise der Dritten Welt einsetzte und viele Länder ihre Auslandsschulden nicht mehr bezahlen konnten, begann für den IWF sozusagen das zweite Leben. In den folgenden zwanzig Jahren versorgte er hoch verschuldete Länder mit Krediten, für die sie sich im Gegenzug zu Strukturanpassungsmaßnahmen verpflichten mussten. Damit wurde der IWF zum Vollzugsorgan des neoliberalen Programms, das seitdem unter dem Begriff „Washington Consensus“ läuft.

Die Methoden des IWF wurden von vielen Seiten harsch kritisiert. Für den Nobelpreisträger und früheren Chefökonomen der Weltbank Joseph Stiglitz ist die Strategie des IWF gescheitert: „Wir haben gesehen, wie eine Handelsliberalisierung, die mit hohen Zinsen verbunden ist, mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und zur Erzeugung von Arbeitslosigkeit führt – auf Kosten der Armen. Eine Liberalisierung des Finanzmarkts ohne geeignete Aufsichtsstrukturen bewirkt mit hoher Sicherheit wirtschaftliche Instabilität. Eine eiserne Sparpolitik der öffentlichen Hand kann, wenn sie blind verfolgt wird, hohe Arbeitslosigkeit herbeiführen und den Gesellschaftsvertrag unterminieren.“3

Als dem IWF die Kundschaft ausging

In den 1990er-Jahren war das Image des IWF auf den Nullpunkt gesunken. Als Asien und Lateinamerika von einer Finanzkrise in die andere schlitterten und in Afrika immer mehr Menschen in dauerhafte Armut absanken, war diese Politik nicht mehr durchzuhalten. Eine grundlegende Reform sollten die 1999 vollmundig angekündigte „neue internationale Finanzarchitektur“ und der „neue Konsens“ von Monterrey im März 2002 bringen. Doch der Berg kreißte und gebar eine Maus. Und die Schwellenländer konnten inzwischen dank hoher Rohstoffpreise und niedriger Zinsen ihre Devisenkassen auffüllen. Damit waren etliche Länder in der Lage, ihre Schulden vorzeitig und auf einen Schlag zurückzuzahlen. Den Anfang machte Thailand (2003), gefolgt von Argentinien und Brasilien (2006).

Die Folge war, dass dem IWF die Kunden und damit die Einnahmen ausgingen. Die Summe der ausstehenden Kredite schmolz von 110,3 Milliarden Dollar im Jahr 2003 auf 17,7 Milliarden Ende September 2008, von denen allein zwei Drittel an die Türkei vergeben waren.4 Als Dominique Strauss-Kahn am 1. November 2007 zum neuen IWF-Direktor wurde, stand er vor einem Haushaltsdefizit. Einige Monate zuvor hatte der Crockett-Bericht als Konsolidierungsmaßnahmen empfohlen, die laufenden Ausgaben zu senken und einen Teil der Goldreserven zu verkaufen. Im Frühjahr 2008 entließ Strauss-Kahn 380 der 2 634 Angestellten.

Mit Beginn der weltweiten Liquiditätskrise im Herbst 2008 erschien plötzlich ein Silberstreif am Horizont. Zwischen Oktober 2008 und Januar 2009 beantragten nicht weniger als neun Länder5 Kredite mit einem Gesamtvolumen von 48,673 Milliarden Dollar. Während die Liste der Antragsteller immer länger wurde (Rumänien, Libanon, Türkei usw.), zeigte sich rasch, dass die IWF-Reserven nicht ausreichten, um alle Länder zu bedienen. Deshalb hat der G-20-Gipfel dem Fonds die stolz publizierte Verdreifachung seiner Mittel zugesagt.6

Nicht so laut verkündet wurden die ersten Schritte zu einer Strukturreform des IWF. Dabei wurden in London durchaus wichtige Neuerungen beschlossen: Künftig sollen nicht mehr nur Europäer in die Spitzenämter des IWF gewählt werden dürfen, die Posten sollen vielmehr in einem „offenen, transparenten, auf Leistung orientierten Auswahlprozess“ vergeben werden. Außerdem beschloss der G-20-Gipfel eine Revision der Abstimmungsquote bis 2011. Mit der vorgesehenen Verstärkung des Stimmengewichts der Schwellenländer wird die Demokratisierung einer Institution eingeleitet, deren Quotenstruktur die weltwirtschaftlichen Gegebenheiten der 1950er-Jahre abbildete. Bislang verfügen die Industrieländer als größte Beitragszahler über das größte Stimmengewicht.7 Doch der neue Beschluss betrifft (nach der kosmetischen Reform von 2006) nur 10 Prozent der Stimmrechte.

Viel wichtiger ist, dass sich die Konditionen der Kreditvergabe kaum verändern sollen. Der G-20-Gipfel begrüßte zwar das am 29. Oktober 2008 beschlossene neue Instrument der „flexiblen Kreditlinie“ (Flexible Credit Line, FCL), wonach von der Finanzkrise betroffene Länder Kredite für drei Monate ohne jede Auflage bekommen können. Zugriff auf Gelder aus diesem 100-Milliarden-Dollar-Topf haben allerdings nur Länder, denen eine „nachhaltige vernünftige Wirtschaftspolitik“ bescheinigt wird.8

Mexiko war das erste Land, das am 17. April 2009 aus dieser neuen Kreditlinie 47 Milliarden Dollar in Anspruch genommen hat (der größte Kredit in der Geschichte des IWF). Polen nimmt 20,5 Milliarden Dollar in Anspruch. Wie das unabhängige Evaluierungsbüro des IWF betont, sollten künftig höchstens noch vier oder fünf Bedingungen an die Kreditvergabe geknüpft werden.

Kredit als Belohnung für Reformen

Am 24. März 2009 kündigte der IWF eine „umfangreiche Revision“ seiner Vergabepolitik sowie „das Ende der an Strukturreformen gekoppelten Leistungskriterien“ an. Allerdings handelt es sich um ein „Ende“ der besonderen Art: Bislang mussten die Leistungskriterien während der Kreditlaufzeit erfüllt werden. Künftig sollen die Kredite erst vergeben werden, wenn bestimmte Reformen bereits erfolgt sind, was auf die Bevorzugung „leistungsstarker“ Länder hinausläuft. Es wird also keineswegs auf Strukturanpassungsmaßnahmen verzichtet; es ändern sich lediglich der Vergabezeitpunkt und die Art der Programmevaluation.

Führende Vertreter des Fonds haben jüngst als Rezept gegen die Rezession des Öfteren eine „antizyklische Fiskalpolitik“ nach keynesianischem Modell gefordert. Und doch bindet der IWF seine Kredite noch immer an „prozyklische“ Auflagen wie Zinserhöhung, Senkung der Staatsausgaben, Einfrieren der Gehälter.

Nach einer Analyse des Third World Network, das die Kreditvergabe an neun Länder zwischen Oktober 2008 und Januar 2009 untersucht hat, fielen dabei die haushalts- und geldpolitischen Auflagen nicht weniger restriktiv aus als in der Vergangenheit.9 So mussten Island und Lettland auf Druck des IWF ihre Leitzinsen um 6 Prozentpunkte anheben, Pakistan immerhin um 2 Prozentpunkte; Ungarn musste sein Haushaltsdefizit von 3,4 auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken, Georgien von 6 auf 3,75 Prozent; die Ukraine musste eine Rückführung des Haushaltsdefizits auf 0 Prozent des BIP nachweisen. Das Prinzip ist nach wie vor dasselbe: Die Rettung des Bankensystems geht einher mit einem harten Spar- und Sanierungskurs, unter dem in erster Linie die Bevölkerung vor Ort zu leiden hat.

Und wie um seine alten Prinzipien zu bekräftigen, hat der IWF ausgerechnet am 2. April 2009 – dem Tag, an dem die G 20 die Verdreifachung ihrer Mittel ankündigte – seinen Kredit für Lettland ausgesetzt, bis deutlichere Fortschritte bei der Senkung der Staatsausgaben sichtbar würden. Die lettische Regierung hatte vergeblich gebeten, diese Auflagen zu modifizieren und ein Haushaltsdefizit von 7 statt von 5 Prozent einzuräumen. Dabei argumentierte Riga ganz plausibel, dass man die Staatsausgaben keineswegs erhöht habe, dass aber das BIP stark geschrumpft sei. Nur wegen der veränderten Bemessungsgrundlage sei das Budgetdefizit von 5 auf 12 Prozent des BIP gestiegen.10

Im Übrigen verlor die G 20 kein Wort über das weltweite Ungleichgewicht im Finanzsektor, das aus der Tatsache resultiert, dass die USA ihr Haushaltsdefizit weitgehend durch Kreditaufnahme bei den Schwellenländern finanzieren. Dadurch ist China inzwischen der größte Eigentümer von US-Staatsanleihen. Das heißt, dass die internationale Finanzarchitektur nicht nur instabil ist, sondern auf einer Währung basiert, deren Wert aufgrund inflationärer Geldschöpfung zu verfallen droht. Das System tendiert also zur Selbstzerstörung, weil die internationale Reservewährung die eines Landes ist, das sich immer stärker verschuldet.

Dabei würden China und andere Schwellenländer, die hunderte Milliarden Dollar für die Finanzierung des US-Haushaltsdefizits aufbringen, diese Mittel dringend brauchen, um ihre eigene Entwicklung voranzutreiben. So aber gehen sie ein hohes Risiko ein: Stürzt die US-Währung ab, sind ihre Dollarreserven verbrannt. Nicht zufällig hat sich der Präsident der Chinesischen Zentralbank wenige Tage vor dem G-20-Gipfel für ein neues System ausgesprochen, das auf einer neuen supranationalen Währungseinheit basieren sollen.

Wiederbelebung einer alten Idee

China denkt dabei offenbar an Sonderziehungsrechte, wie sie auch schon von der UN-Expertenkommission zur Reform des Internationalen Geld- und Finanzsystems11 , der Unctad12 und Schwellenländern wie Brasilien, Russland, Südafrika und Südkorea ins Gespräch gebracht wurden. Dieses Konzept geht auf eine Idee von John Maynard Keynes zurück, der bereits 1944 vorschlug, das Bretton-Woods-System auf einer supranationalen Reservewährung (dem „Bancor“13 ) statt auf dem US-Dollar und dem Gold aufzubauen.

Keynes fand damals kein Gehör. Würde man heute eine solche supranationale Währung einführen, hätte der IWF auf einmal eine Aufgabe, wie sie bislang nur in Keynes’ Fantasie existierte: den Aufbau eines unabhängigen System, das ein globales finanzielles Gleichgewicht garantiert: auf der Basis einer globalen Reservewährung, die nicht mehr an einen bestimmten Staat gebunden ist und deshalb nicht mehr Gefahr läuft, wegen wachsender Defizite dieses Staates an Wert einzubüßen.

Kurzfristig wird diese Maßnahme politisch nicht umsetzbar sein. Dafür müssten die USA nämlich hinnehmen, dass der Dollar seinen bisherigen Status verliert. Das könnte allerdings bei einem Kurssturz des Dollar rasch anders aussehen. Die Rettungspläne und Konjunkturprogramme Washingtons zur Bekämpfung der Krise bedeuten laut OECD einen Anstieg der Staatsverschuldung um fast 40 Prozent innerhalb der nächsten drei Jahre. Ohne wirksame Maßnahmen gegen die Finanzspekulation wird dies zu neuen Spekulationsblasen führen. Eine solche Blase entsteht gerade vor aller Augen durch den Verkauf der US-Staatsanleihen. Und ganz gewiss wird über kurz oder lang auch diese Blase platzen.

Fußnoten: 1 Ein „Abwertungswettlauf“ ist der Unterbietungswettbewerb von Ländern, die ihre Währung gezielt verbilligen, um sich Exportvorteile zu verschaffen. 2 16,692 Milliarden Dollar von einer Gesamtsumme von 24,666 Milliarden zwischen 1947 und 1972. Vgl. Michel Aglietta und Sandra Moatti, „Le FMI: De l’ordre monétaire aux désordres financiers“, Paris (Economica) 2000. 3 Joseph E. Stiglitz, „Die Schatten der Globalisierung“, München (Goldmann TB) 2004, S. 119. 4 Martin A. Weiss, „The Global Financial Crisis: The Role of the IMF“ (CRS Report for Congress), htpp://digital.library.unt.edu/govdocs/crs/permalink/meta-crs-10813:1. 5 Georgien (750 Millionen Dollar), Ukraine (16,4 Milliarden), Ungarn (15,7 Mrd.), Island (2,09 Mrd.), Lettland (2,35 Mrd.), Pakistan (7,6 Mrd.), Serbien (523 Mio.), Weißrussland (2,46 Mrd.), El Salvador (800 Mio). 6 Siehe Martin Khor, „Reality behind the hype of the G 20 Summit“, in: Suns – South-North Development Monitor, Genf, 7. April 2009. 7 Die USA verfügen mit 16,77 Prozent sogar über eine Sperrminorität, da alle wichtigen Entscheidungen eine Mehrheit von 85 Prozent erfordern. 8 Siehe IMF Independent Evaluation Office, „An IEO evaluation of structural conditionality in IMF-supported programs“, IEO, Washington, Dezember 2007. 9 Third World Network, „The IMF financial crisis loans: No change in conditionalities“, Genf, 11. März 2009. 10 Financial Times, London, 3. April 2009. 11 Diese Kommission unter Vorsitz von Joseph Stiglitz soll bis zum UN-Gipfel vom 1.–3. Juni 2009 Lösungen für die Finanzkrise vorschlagen. 12 Unctad-Report, „The global crisis: Systemic failures and multilateral remedies“, United Nations, New York und Genf, 2009. 13 Siehe Susan George, „Zurück zu Keynes in die Zukunft“, Le Monde diplomatique, Januar 2007.

Aus dem Französischen von Veronika Kabis

Arnaud Zacharie ist Generalsekretär des Nationalen Zentrums für Entwicklungszusammenarbeit (Belgien) und Hochschullehrer an den Universitäten Brüssel und Lüttich.

Sonderziehungsrechte

Das Instrument der Sonderziehungsrechte (SZR) wurde 1969 eingeführt, um zusätzliche Liquidität für das internationale Finanzsystem zu schaffen. Es handelt sich um eine Rechnungseinheit, die zugleich die „Währung“ des Internationalen Währungsfonds (IWF) darstellt. Der Wechselkurs eines Sonderziehungsrechts ist durch einen Währungskorb wichtiger Weltwährungen definiert. Der Wert des SZR wird täglich als Summe der Werte der vier Referenzwährungen (Dollar, Euro, Pfund, Yen) berechnet und in US-Dollar ausgedrückt. Auf ihrem Londoner Gipfel beschlossen die G-20-Staaten eine neue Ausgabe von Sonderziehungsrechten über 250 Milliarden Dollar. Sie sollen der Wirtschaft als Liquiditätshilfe dienen. Diese Sonderziehungsrechte stehen den 186 Mitgliedstaaten des IWF entsprechend ihren Stimmenanteilen zur Verfügung. Damit gehen allein 44 Prozent an die G-7-Länder. Die Entwicklungsländer teilen sich weniger als ein Drittel, während den ärmsten Ländern lediglich 7,6 Prozent (19 Milliarden Dollar) zustehen.

Le Monde diplomatique vom 08.05.2009, von Arnaud Zacharie