11.03.2005

Entführt, verhört, versteckt

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Entführt, verhört, versteckt

Dies ist eine unheimliche Geschichte. Sie handelt von einem Privatflugzeug, das auf einem Flughafen in Deutschland stationiert ist, von Entführungen, die sich auf offener Straße in Europa abspielen, und von Folterpraktiken, die schlimmer sind als die in Guantánamo und Abu Ghraib. In dieser Geschichte treten ganz unterschiedliche Akteure auf: Rechtsanwälte, Spione und Agenten, vor allem aber Menschen, die als Terroristen verdächtigt werden. Und es gibt diese Geschichte nur, weil das Wort „Menschenrechte“ – wie ein ehemaliger CIA-Agent es ausdrückt – „ein sehr flexibler Begriff geworden ist“.

Von STEPHEN GREY *

DIE Geschichte beginnt am Nachmittag des 18. Dezember 2001, nur zehn Wochen nach dem 11. September, als der schwedische Anwalt Kjell Jönsson, der sich für Immigranten einsetzt, mit einem seiner Klienten, dem ägyptischen Asylbewerber Mohamed al-Zery, telefonierte. „Plötzlich mischte sich am anderen Ende eine Stimme ein“, erinnert sich Jönsson, „die zu al-Zery sagte, er solle das Gespräch beenden. Es war die schwedische Polizei, die gekommen war, um ihn zu verhaften.“

Jönsson hatte von der schwedischen Regierung die Zusicherung verlangt, dass es keinen negativen Eilentscheid über den Flüchtlingsstatus seines Klienten geben würde, denn er befürchtete, dass al-Zery gefoltert würde, falls man ihn nach Kairo zurückschickte. Aber dann erfolgte die schnellste Ausweisung, die Jönsson in seinen dreißig Jahren als Asylanwalt erlebt hat. Fünf Stunden nach der Verhaftung wurde al-Zery zusammen mit einem zweiten Ägypter namens Ahmed Agiza vom Stockholmer Flughafen Brömma in Richtung Kairo ausgeflogen.

Das Geheimnis – das zwei Jahre lang nicht herauskam – war, dass in Brömma in jener Nacht ein US-amerikanisches Flugzeug bereitstand und ein Team amerikanischer Agenten, die sich die beiden Ägypter griffen, ihre Hände und Füße fesselten, sie in orangefarbene Overalls steckten, ihnen eine unbekannte Droge verpassten und sie in das Flugzeug verfrachteten.

Wer waren diese amerikanischen Agenten? „Sie hatten schwarze Kapuzen übergezogen und trugen keine Uniformen“, sagt Jönsson. „Sie trugen Jeans. Nach Auskunft der schwedischen Sicherheitspolizei waren sie äußerst professionell.“ Die ganze Operation hatte keine zehn Minuten gedauert: „Es war offensichtlich, dass sie so etwas nicht zum ersten Mal machten“, sagt Jönsson.

Über dieses Ereignis wurde monatelang Stillschweigen bewahrt, desgleichen über die Identität der Kapuzenmänner. Doch unter dem wachsenden Druck der verstörten Öffentlichkeit ordnete das schwedische Parlament eine Untersuchung an und veröffentlichte Dokumente, aus denen die Ereignisse auf dem Flughafen und die Identität der Agenten rekonstruiert werden können.

So erklärte etwa Arne Andersson, der die Abschiebung seitens der schwedischen Sicherheitsbehörden leitete, dass man in jener Nacht Probleme hatte, ein Flugzeug zu besorgen. Deshalb habe man sich an die CIA gewandt: „Am Ende gingen wir auf ein Angebot unserer amerikanischen Freunde ein – die CIA ist ja sozusagen unsere Partnerbehörde; sie besorgten uns ein Flugzeug, das für ganz Europa unbeschränkte Überflugrechte hatte, um die Deportation in kürzester Zeit abzuwickeln.“

Vor ihrer Entscheidung, einer Überstellung der beiden Verhafteten nach Ägypten zuzustimmen, hatte sich die schwedische Regierung offiziell zusichern lassen, dass die beiden Männer nicht gefoltert würden und dass sie in Kairo konsularisch betreut, also regelmäßig von schwedischen Diplomaten besucht werden dürften. Man verschwieg der Öffentlichkeit, dass sich die Häftlinge über ihre Behandlung beschwert hatten. Gegenüber dem schwedischen Parlament und einem Ausschuss der Vereinten Nationen erklärte die Regierung im Gegenteil, die Gefangenen hätten keinerlei Beschwerden. Tatsächlich aber hatten die beiden Männer gegenüber dem schwedischen Konsul schon bei dessen erstem Besuch geklagt, dass man sie schwer gefoltert hatte.

Jönsson sagt, sein Klient Mohamed al-Zery sei fast zwei Monate lang gefoltert worden: „Er war in einer sehr kalten, sehr kleinen Zelle untergebracht, und er wurde geschlagen. Am schlimmsten waren die elektrischen Foltermethoden, bei denen ihm wiederholte Male unter ärztlicher Aufsicht Elektroden an allen empfindlichen Körperteilen angebracht wurden.“

Mohamed al-Zery ist inzwischen freigelassen, ohne dass man ihm je etwas zur Last gelegt hätte. Aber er darf Ägypten nicht verlassen – und auch nicht über seine Gefängniszeit sprechen. Ahmed Agiza dagegen sitzt nach wie vor in einer ägyptischen Haftanstalt.

In Kairo erzählte mir Agizas Mutter, Hamida Schalibai, die ihren Sohn häufig im Gefängnis besucht, wie es ihm dort ergangen ist: „In Ägypten angekommen, brachten sie ihn, noch mit Kapuze und Handfesseln, in ein Gebäude und führten ihn in das Kellergeschoss, eine Treppe hinunter. Dann begannen sie mit den Verhören und den Folterungen. Wenn er eine Frage beantwortete, passierte ihm nichts. Aber sobald er auf eine Frage mit ‚Ich weiß nicht‘ antwortete, schlugen sie ihn und verabreichten ihm Elektroschocks. Die ganze Zeit war er völlig nackt, ohne jede Bekleidung! Nicht einmal Unterwäsche! In den ersten Monaten war er bei den Verhören ständig nackt, er wäre fast erfroren.“

Die Bestätigung, dass US-Agenten an dem schwedischen Fall beteiligt waren und dass die beiden Ägypter gefoltert wurden, belegte erstmals den schon länger existierenden Verdacht, dass die USA seit dem 11. September 2001 im globalen Maßstab an Gefangenenverschiebungen mitgewirkt haben. Heute kann man aufgrund der Ermittlungen von staatlichen Stellen und Journalisten aus aller Welt eindeutig sagen, dass die USA systematisch damit befasst sind, islamische Kämpfer in Länder der arabischen Welt und des Fernen Ostens zu verschicken, wo sie inhaftiert und mit Methoden verhört werden können, die US-Agenten selber nicht anwenden dürfen. Manche bezeichnen dieses System als „torture by proxy“, was so viel wie „Auftragsfolter“ heißt. In der Zeitschrift The New Yorker wird derselbe Vorgang auch „outsourcing torture“ genannt.

Festnahmen gab es nicht nur in Kriegsgebieten wie Afghanistan oder dem Irak, sondern überall auf der Welt, etwa in Bosnien und Kroatien, in Mazedonien und Albanien, in Libyen und im Sudan, in Kenia, Sambia und Gambia, in Pakistan, Indonesien und Malaysia. Die CIA hat für dieses System den offiziellen Begriff „extraordinary rendition“ erfunden, und natürlich würde sich kein US-Amerikaner, der eine offizielle Funktion bekleidet, über diese „Auslieferung der besonderen Art“ je öffentlich äußern.

Jetzt hat allerdings ein ehemaliger hochrangiger CIA-Mitarbeiter, der im November 2004 aus dem Geheimdienst ausgeschieden ist, sich ausführlich über diese spezielle Methode der „Auslieferung“ geäußert. Michael Scheuer leitete Ende der 1990er-Jahre die Spezialeinheit, die mit der Jagd auf Ussama Bin Laden betraut war. In einem Interview für das BBC- Radioprogramm „File on 4“ hat er mir bestätigt, dass die geschilderte Stockholmer Geschichte kein Einzelfall, sondern Teil eines sehr viel umfassenderen Systems gewesen ist.

Laut Scheuer stand die CIA, als sie vom Weißen Haus mit der Jagd auf al-Qaida betraut wurde, vor der Frage, was mit den gefangenen Terroristen geschehen solle: „Das ist euer Problem, antworteten uns die Auftraggeber. Also entwickelten wir dieses System, Ländern behilflich zu sein, die bestimmte Leute suchten, weil sie ihnen Verbrechen anlasteten oder sie bereits verurteilt hatten. Wir wollten diese Leute im Ausland festnehmen und in das entsprechende Land zurückschicken, in dem sie gesucht wurden.“

Barbara Olshansky gehört zu einer Gruppe von Leuten, die Licht in diese Sache zu bringen versuchen. Als Anwältin für das New Yorker Centre for Constitutional Rights untersucht sie nicht nur neuere Fälle von „Sonderausweisungen“, sondern auch deren juristische Rechfertigung. Sie glaubt, dass die US-Exekutive die Gefangenen nicht nur in Drittländern verhören lässt, sondern auch in ihren eigenen, von der CIA eingerichteten und betriebenen Offshore-Gefängnissen.

Die Juristin Olshansky sagt, dass es seit über hundert Jahren in den USA die Praxis gebe, Leute außerhalb des eigenen juristischen Zugriffsbereichs zu fassen, um sie in den USA vor Gericht zu bringen. Das prominenteste Beispiel ist Manuel Noriega, der Expräsident von Panama. Für diese Übung hat sich das Wort „rendition“ eingebürgert, obwohl es sich juristisch nicht um eine Auslieferung handelt. Doch seit die CIA mit dem Kampf gegen al-Qaida befasst ist und vor allem seit dem 11. September, gibt es auch das Konzept der „extraordinary rendition“, der Sonderauslieferung, bei der eine Person nicht an die USA, sondern an ein anderes Land überstellt wird.

Nach Barbara Olshansky wurde damit „die ganze Idee auf den Kopf gestellt“. Denn Sonderauslieferung bedeutet, „dass die USA Leute festnehmen und zum Verhören und Foltern verschicken. Man überstellt sie, um Informationen aus ihnen herauszukriegen. Das Ganze soll also gar nicht mit einem juristischen Verfahren enden.“

Sieht man sich die Praxis der Sonderauslieferungen an, kann man eine überraschende Entdeckung machen: Zum Transport ihrer Gefangenen benutzen die CIA und andere Agenturen der USA regelmäßig anonyme Privatflugzeuge. In meinem Besitz befinden sich die vertraulichen Logbücher eines Langstreckenjets vom Typ Gulfstream V, der für das Transportsystem der CIA offenbar eine zentrale Rolle spielt. Dieses Flugzeug hat seit 2001 über 49 Flughäfen außerhalb der USA angeflogen, darunter regelmäßig Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien, Marokko und Usbekistan – also durchweg Länder, in denen die USA ihre Gefangenen abliefern.

„Plane-spotters“ haben das Flugzeug schon mehrfach fotografiert. Es ist weiß angestrichen und trägt als einzige Aufschrift die zivile Registriernummer N379P, jedenfalls bis vor kurzem. Nach Dokumenten, die ich einsehen konnte, wurden die beiden Ägypter im Dezember 2001 in Schweden eindeutig mit diesem Flugzeug abgeholt. Dieselbe Maschine wurde im Oktober 2001 auch in Pakistan gesichtet, als Zeugen auf dem Flughafen von Karatschi beobachteten, wie eine Gruppe Maskierter einen Mann in ein Flugzeug schaffte. Der Mann landete schließlich in Jordanien.

Auch Robert Baer, dem die Logbücher vorlagen, hat keine Zweifel, dass dieser Gulfstream-Jet mit den Auslieferungen zu tun hat: „Er fliegt immer Orte an, wo gefoltert wird.“ Baer hat für die CIA 21 Jahre lang als Geheimagent im Nahen Osten gearbeitet, bevor er vor etwa zehn Jahren den Dienst quittierte. Er meint, ein solches Flugzeug sei für den Geheimdienst deshalb von Nutzen, weil es keine militärischen Kennzeichen trägt. Als formeller Besitzer fungiere eine Briefkastenfirma: „Die kann man praktisch über Nacht auflösen, wenn sie enttarnt wird. Und wenn’s sein muss, wechselt man einfach das Flugzeug. Das ist ziemlich üblich.“

Nach Baer geht es bei der Sonderauslieferungspraxis um mehr als nur darum, Terroristen in Länder wie Ägypten zu schicken, damit sie dort im Gefängnis sitzen. Manchmal geht es auch darum, sie ganz verschwinden zu lassen. Der angestrebte Zweck sei je nach Land verschieden: „Wenn du einen Gefangenen nach Jordanien schickst, bekommst du ein besseres Verhör. Wenn du aber einen etwa nach Ägypten schickst, wirst du ihn wahrscheinlich nie wieder sehen, und dasselbe gilt für Syrien.“

Nun könnte man ja Länder wie Syrien für Feinde der Vereinigten Staaten halten. Im Geheimkrieg gegen den militanten Islamismus sind sie jedoch Verbündete, versichert Baer: „Im Nahen Osten gilt die einfache Regel, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist, und genau so funktioniert das. All diese Länder haben auf diese oder jene Weise unter dem islamischen Fundamentalismus zu leiden.“ Die Syrer haben den USA schon seit Jahren eine Zusammenarbeit gegen den militanten Islamismus angeboten: „Zumindest bis zum 11. September wurden diese Angebote zurückgewiesen. Von den Ägyptern und den Syrern haben wir im Allgemeinen Abstand gehalten, weil sie so brutal waren.“

Die Genfer Konventionen zum alten Eisen

LAUT Baer hat die Sonderauslieferungspraxis der CIA erst nach dem 11. September eine viel umfassendere und systematische Dimension angenommen. Seitdem seien hunderte von Gefangenen an Gefängnisse im Nahen Osten überstellt worden, und zwar mehr als die Gefangenen, die in Guantánamo Bay gelandet sind. Der 11. September, meint Robert Baer, diente als Rechtfertigung, die Genfer Konventionen zum alten Eisen zu werfen: „Es war das Ende der rechtsstaatlichen Prinzipien, wie wir sie im Westen kannten.“

In der US-Regierung gibt es Leute, die diese Praxis verteidigen mit der Behauptung, es gehe nur darum, Terroristen aus dem Verkehr zu ziehen. Nachdem man einen Gefangenen beispielsweise nach Ägypten verfrachtet habe, ist es den USA offenbar völlig egal, was mit dem mutmaßlichen Terroristen danach passiert. Doch der Fall des Australiers Mamdouh Habib lässt erkennen, dass diese Sonderauslieferungspraxis auch noch einem anderen Ziel dienen soll: Man will sich Informationen verschaffen, an die man wohl nur mit Hilfe von Foltermethoden herankommt, die amerikanischen Agenten untersagt sind.

Mamdouh Habib, der früher ein Café in Sydney betrieb, wurde einen Monat nach dem 11. September 2001 in Pakistan nahe der afghanischen Grenze verhaftet. Obwohl er australischer Staatsbürger ist, wurde er an US-amerikanische Agenten übergeben, die ihn nach Kairo ausflogen. Hier hat man ihn, wie er seinem amerikanischen Anwalt, Professor Joe Margulies von der University of Chicago, berichtet hat, volle sechs Monate lang gefoltert. Mit unbeschreiblichen Methoden, die weit über regelmäßige Schläge hinausgingen: „Er wurde in einen Raum gebracht, wo man ihm Handfesseln anlegte und den Raum dann allmählich mit Wasser anfüllte, bis der Wasserspiegel knapp unter seinem Kinn stand. Stellen Sie sich die Angst vor, wenn man glaubt, dass es kein Entrinnen gibt!“

Ein anderes Mal wurde er an den Händen an einer Wand aufgehängt, wobei seine Füße auf einer Walze standen, die eine Metallachse hatte: „Wenn sie die Walze unter Strom setzten, bekam er einen elektrischen Schlag und musste die Füße anheben, sodass er nur noch an den Händen hing. Und das ging so lange, bis er ohnmächtig wurde.“

Aufgrund solcher Verhörmethoden gestand Habib, Kontakte zu al-Qaida gehabt zu haben. Er unterschrieb bereitwillig „jedes Dokument, das sie ihm vorlegten“, erzählt Joe Margulies. Danach wurde Habib wieder an die Amerikaner überstellt. Die schickten ihn nach Afghanistan und dann nach Guantánamo. Dort wurden ihm die durch Folter erpressten Geständnisse zum Verhängnis: „Die Militärtribunale, die über seinen Kombattantenstatus zu befinden hatten, stützten sich bei ihrer Entscheidung, Mr. Habib in Haft zu halten, auf das Beweismaterial aus Ägypten.“

Im Januar 2005 wurde Habib endlich freigelassen. Nachdem Margulies und andere gegen die Folterung ihres Mandanten protestiert hatten, wurde er von Guantánamo nach Hause geflogen. Die Regierung in Canberra hat zwar erklärt, dass man ihm kein Vergehen zur Last legt, doch aus Kreisen des australischen Geheimdienstes wird er nach wie vor beschuldigt, Verbindungen zu al-Qaida zu haben.

Die meisten Häftlinge, die von US-amerikanischen Geheimdiensten an Gefängnisse im Nahen Osten überstellt wurden, sind nicht in der Lage, zu berichten, was ihnen widerfahren ist und wie sie behandelt wurden. Nur einer kann heute frei darüber reden: ein kanadischer Staatsbürger, der von der CIA in einer syrischen Gefängniszelle abgeliefert wurde. Seine Geschichte untermauert die Behauptung, die einer der Anwälte aufgestellt hat: Wenn die Amerikaner ihre Gefangenen in andere Länder verschicken, liefern sie einen „Fragenkatalog“ gleich mit.

Maher Arar ist ein Handytechniker aus Ottawa. Im September 2003 machte er auf der Rückreise von seinem Urlaub in Tunesien nach Kanada einen Zwischenstopp auf dem Kennedy-Flughafen in New York. Er rechnete nicht mit Problemen, da er die USA häufig besucht und dort auch schon gearbeitet hatte. Aber dann wurde er bei der Ankunft herausgewinkt und in einen Verhörraum geführt. Schließlich landete er im Metropolitan Detention Centre in Brooklyn, einem Auffangzentrum für Immigranten. Bald wurde klar, dass seine Festnahme aufgrund von Informationen aus Kanada erfolgt war. Die kanadische Polizei hatte offenbar einen mutmaßlichen Terroristen im Visier, der in Ottawa lebte. Dessen Namen hatte Maher Arar einmal angegeben, als er bei der Anmietung einer Wohnung eine Kontaktadresse hinterlassen musste.

Arar ist gebürtiger Syrer, lebt aber schon seit siebzehn Jahren in Kanada und besitzt die kanadische Staatsbürgerschaft. Daher war er überrascht, dass man ihm in New York mit Fragen konfrontierte, die man ihm ohne weiteres auch zu Hause, in Ottawa, hätte stellen können.

Zwölf Tage nach seiner Festnahme auf dem JFK-Flughafen wurde Arar um drei Uhr morgens aufgeweckt und darüber informiert, dass er aus den USA abgeschoben werde. Man fuhr ihn nach New Jersey und setzte ihn – noch immer an Händen und Füßen gefesselt – in einen Privatjet.

Was ihm durch den Kopf ging, als er sich in einem Flugzeug mit Ledersesseln wiederfand, schildert Arar im Rückblick so: „Ich begann, über mich nachzudenken: Wer bin ich, dass sie mir das antun? Bin ich für die so wichtig? Welche Informationen könnte ich ihnen bieten? Als sie mir dann dieses schöne Essen servierten, da fiel mir die Tradition ein, die es in der muslimischen Welt gibt, die wir eid nennen, da schlachtet man ein Tier, und bevor man es schlachtet, füttert man es. Ich dachte nur darüber nach, wie ich der Folter entgehen könnte, denn zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass es nur einen einzigen Grund für meinen Abtransport geben konnte: Man würde mich foltern, um an Informationen heranzukommen. Darüber war ich mir sicher.“

Nach zwei Tankstopps landete das Flugzeug in der jordanischen Hauptstadt Amman. Von dort wurde Arar in einem Auto nach Damaskus gefahren und im Hauptquartier der syrischen Geheimpolizei abgeliefert. Dort wurde er in eine Zelle gesteckt, die nur wenig größer war als ein Sarg. In dieser Zelle, sagt Arar, hat er über zehn Monate verbracht.

Schon nach kurzer Zeit erwies sich seine Angst vor der Folter als berechtigt: „Der Verhörmensch sagte: ‚Weißt du, was das ist?‘ Ich sagte: ‚Ja, das ist ein Kabel.‘ Und er sagte: „Öffne deine rechte Hand.“ Ich öffnete die rechte Hand, und er schlug zu wie von Sinnen. Der Schmerz war so brennend, dass ich aufschrie; dann befahl er, meine linke Hand zu öffnen, und zuerst schlug er daneben, aber dann traf er mein Handgelenk. Und dann stellte er Fragen. Wenn er dir nicht glaubt, dass du die Wahrheit sagst, schlägt er wieder zu. Nach ein, zwei Stunden steckte er mich manchmal in einen Raum, wo ich hören konnte, wie andere Leute gefoltert wurden.“

Fast genau ein Jahr nachdem man ihn den Syrern ausgeliefert hatte, wurde Maher Arar freigelassen und nach Ottawa zurückgeflogen. Weder Kanada noch Syrien haben irgendeine Anklage gegen ihn erhoben. In Kanada hat sein Fall große Empörung ausgelöst und zu offiziellen Ermittlungen geführt. Wie bei vielen der jüngsten Folteropfer hat die Behandlung bei Arar keine sichtbaren Narben hinterlassen. Das passiert modernen Verhörprofis nicht, dazu sind sie zu clever.

Auch bei Arar sind die Narben vor allem psychischer Natur. Alex Neve, Chef der kanadischen Sektion von amnesty international, ist davon überzeugt, dass Arar die Wahrheit sagt: „Ich glaube das aus mehreren Gründen. Ich habe mich ziemlich ausführlich mit ihm unterhalten. In den vielen Jahren bei amnesty habe ich hier in Kanada viele überlebende Folteropfer interviewt – auch Menschen, die direkt aus Gefängniszellen kamen. Und für mich war das, was Arar geschildert hat, als Erfahrung glaubwürdig, denn es entsprach dem, was ich aus anderen Interviews weiß und erfahren habe.“

Doch wer trägt für dieses System von „Sonderauslieferungen“ die letzte Verantwortung? Und wer in Washington hat es abgesegnet? Um diese Fragen zu klären, musste ich nach Fall’s Church in Virginia fahren. Hier wohnt Michael Scheuer. Von ihm wollte ich mehr über die Praktiken des „Krieges gegen den Terrorismus“ erfahren. Ich wollte vor allem wissen, warum die CIA zu der Zeit, als Scheuer die auf Bin Laden angesetzte Einheit leitete, diese Art der Auslieferung als Taktik gegen die al-Qaida entwickelt hatte. Scheuer nimmt in der Regel kein Blatt vor den Mund. Er hat noch während seiner CIA-Zeit unter dem Pseudonym „Anonymus“ zwei kritische Bücher über al-Qaida verfasst. Das zweite trug den Titel „Imperial Hybris“.

Die CIA-Juristen haben keine Bedenken

DOCH nie zuvor hat er derart offen über derart heikle Fragen gesprochen. Scheuer versichert, jede „Auslieferungs“-Operation sei von Juristen gebilligt worden: „Innerhalb der Central Intelligence Agency gibt es eine große juristisch Abteilung, die mit der rechtlichen Interpretation der nachrichtendienstlichen Arbeit befasst ist. Und auch beim National Security Council des Präsidenten gibt es ein Team von Juristen. Und bei all diesen Entscheidungen sind diese Juristen auf die ein oder andere Weise beteiligt. Sie haben unser Vorgehen abgesegnet. Die Vorstellung, hier handle es sich um eine Schurkerei, die sich irgendjemand mal so ausgedacht hat, ist schlichtweg absurd.“

Scheuer erinnert sich, dass er solche Operationen früher – als Chef der Bin-Laden-Einheit – nur organisieren konnte, wenn sie vom Direktor der CIA oder von dessen Stellvertreter autorisiert waren: „Die das abzeichnen, sind die Nummer eins und die Nummer zwei des Geheimdienstes.“ Außerdem sagt Scheuer, dass er bei jeder einzelnen dieser Auslieferungsaktionen der Überzeugung war, dass „diese Leute zu Recht nicht mehr auf der Straße herumlaufen“. Aber Fehler passieren eben, das war schon immer so, und natürlich mag es vorkommen, dass Unschuldige festgenommen werden: „Es ist ausgeschlossen, dass im Spionage- und Geheimdienstgeschäft keine Fehler vorkommen. Aber hier wurde nie irgendwie leichtfertig oder unbedacht gehandelt. Wir haben das verdammt ernst genommen, und wenn wir uns vertan haben, dann haben wir uns vertan. Aber wir haben uns immer an die Beweise gehalten.“

Die Gefahr, dass die verhafteten Männer gefoltert werden könnten, bereitet Scheuer offenbar kaum Gewissensbisse: „Aber letzten Endes muss man sagen: Dass alle Leute aus dem Verkehr gezogen werden, bei denen man davon ausgehen muss, dass sie an Operationen oder an der Planung von Operationen beteiligt sind, bei denen Amerikaner getötet werden könnten – dass ist doch die Sache wert.“

„Selbst wenn sie womöglich gefoltert werden?“ Auch auf diese Frage hat Scheuer eine Antwort: „Es wären ja nicht wir, die sie foltern. Und ich glaube auch, bei dem, was wir da über die Folter in Ägypten und in Saudi-Arabien zu lesen bekommen, ist viel Hollywood dabei. Ich finde es ziemlich heuchlerisch, sich Sorgen zu machen, was die Ägypter mit solchen Terroristen anstellen, und nicht auch die Israelis zu verurteilen für das, was sie mit den Leuten tun, die sie für Terroristen halten. Menschenrechte – das ist doch ein sehr flexibler Begriff. Das hängt doch immer auch irgendwie davon ab, nach wie viel Heuchelei dir gerade zumute ist.“

Eines muss man Scheuer lassen: Er zerbricht sich durchaus den Kopf über die langfristigen Folgen der Sonderauslieferungspraxis. Er glaubt, dass autoritäre Regime wie in Ägypten und Jordanien zu Teilen mitverantwortlich sind für die Existenz des militanten Islamismus. Strategisch gesehen sei es daher wenig sinnvoll, mit ihnen so eng zusammenzuarbeiten: „Jeder Gefangene, den wir festnehmen, ist ein taktischer Erfolg, aber im strategischen Sinne sind wir dabei zu verlieren. Und einer der Hauptgründe ist, dass wir die Diktatoren in der muslimischen Welt unterstützen.“

Doch nach Scheuers Meinung gibt es für die USA kaum Alternativen. Was sollen sie mit diesen Gefangenen machen? Die Politiker wollen nicht, dass man Terroristen auf amerikanischen Boden zurückbringt und vor ein US-Gericht stellt. „Es gibt so viele Orte in aller Welt, wo uns schwerlich etwas anderes übrig bleibt, und manchmal muss man eben mit dem Teufel paktieren.“ So lange die US-Politiker sich nicht mit der Frage befassten, wie man nach amerikanischem Recht mit diesen Gefangenen umgehen könne, könne die CIA nur nach dem Motto handeln: „Man tut, was man kann, und mit dem, was man hat.“

Scheuer schätzt die Zahl der durch die CIA „ausgewiesenen“ sunnitischen Terroristen auf insgesamt etwa einhundert. Andere Experten wie Robert Baer glauben, dass die Zahl viel höher liegt. Sie gehen davon aus, dass seit dem 11. September auch das US-Verteidigungsministerium unter Donald Rumsfeld mit der globalen Verschiebung von Gefangenen befasst ist und dass das US-Militär seitdem hunderte mutmaßliche Terroristen in Gefängnissen des Nahen Ostens abgeliefert hat.

Doch im Pentagon wie bei der CIA ist niemand bereit, sich über das System der Auslieferungen und dessen Rechtsgrundlage zu äußern. Dagegen konnte ich ein Gespräch mit Danielle Pletka führen, der Vizepräsidentin des American Enterprise Institute. Dieser Think-Tank liegt auf der Linie der Bush-Administration, und Mrs. Pletka bekleidete früher eine hohe Position auf dem Capitol Hill, beim außenpolitischen Ausschuss des US-Senats. „Ich bin kein großer Anhänger von Folterpraktiken“, meint sie, und auch für Syrien hat sie nicht viel übrig, so wenig wie für das Gefängnis- und Sicherheitsregime in Ägypten.

Natürlich kann Daniella Pletka die Praktiken der Syrer und der Ägypter nicht gutheißen, aber dann meint sie doch: „Im Krieg gibt es leider Zeiten, da ist es notwendig, Dinge auf eine Art und Weise zu tun, die den meisten guten und ehrlichen Menschen absolut zuwider ist. Und obwohl ich damit nicht etwa sagen will, dass die Vereinigten Staaten solche Praktiken routinemäßig angewendet haben – weil ich nicht glaube, dass man das in irgendeiner Weise als Routine sehen darf –, dies also vorausgeschickt: Wenn es absolut notwendig ist, in diesem Moment etwas herauszufinden, dann ist es eben unumgänglich, etwas herauszufinden, und dafür ist nun mal der Club Méditerrannée bestimmt nicht der richtige Ort.“

Zum Schluss frage ich, wie sie – von Fragen der Moral und der taktischen Vorteile einmal abgesehen – die Legalität solcher Operationen beurteilt. Derartige Fragen, meint Daniella Pletka, könne sie als Nichtjuristin leider nicht beantworten.

Die Anti-Folter-Konvention der UN wurde von den USA ratifiziert und von Präsident Bush mehrfach gewürdigt. In dieser Konvention steht der Satz: „Kein Staat darf eine Person in einen anderen Staat ausweisen, zurückschicken oder an ihn ausliefern, wenn es substanzielle Gründe für die Annahme gibt, dass er in Gefahr ist, dort gefoltert zu werden.“ Das US-Außenministerium veröffentlich alljährlich einen Report, der Menschenrechtsverletzungen einschließlich Folter detailliert darstellt und verurteilt. Zu den regelmäßig aufgeführten Ländern gehören auch Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien. Im Bericht des letzten Jahres heißt es zum Beispiel, in Ägypten sei Folter „common and persistent“, eine übliche und verbreitete Praxis.

Wie um alles in der Welt können diese Sonderausweisungen legal sein? Zu dieser Frage erhält man vom US-Justizministerium keinen Kommentar. Die juristische Rechtfertigung der USA ist derzeit eine Art Staatsgeheimnis.

Die Tatsache, dass sich das offizielle Washington über die rechtliche Seite seiner Ausweisungspraxis weitgehend ausschweigt, dürfte auch mit der zunehmenden Angst zu tun haben, dass man diese Praxis demnächst einmal vor einem Gericht rechtfertigen muss. Diese Angst bezieht sich nicht nur auf die Gefahr von straf- und zivilrechtlichen Klagen vor amerikanischen Gerichten. Auch in Europa laufen rechtliche Ermittlungen gegen die CIA wegen des Verdachts auf Entführung. So befindet sich die zentrale Operationsbasis für die Ausweisungsflüge der CIA in Deutschland. Und die von mir eingesehenen Logbücher belegen, dass der genannte Gulfstream-Jet wie auch eine Boeing-737, die für andere Ausweisungen benutzt wurde, regelmäßig in Frankfurt gelandet sind.

Im weißen Privatjet nach Afghanistan

IN Deutschland laufen juristische Ermittlungen im Fall des Khaled al-Masri. Der deutsche Bürger aus Ulm hat ausgesagt, dass er am 31. Dezember 2003 in der mazedonischen Hauptstadt Skopje von Unbekannten gekidnappt wurde. Drei Wochen später habe man ihn nach Afghanistan ausgeflogen, wo er in einem von den USA unterhaltenen Gefängnis immer wieder mit Schlägen traktiert worden sei. Nach vier Monaten habe man ihn nach Europa zurückgeflogen und auf einer Landstraße in Albanien ausgesetzt.

Al-Masris Schilderungen klangen zunächst wild übertrieben und unglaubwürdig. Aber die Logbücher, die mir Luftfahrtexperten zugänglich gemacht haben, belegen eindeutig, dass es die Boeing-737 der CIA war, mit der er am 23. Januar 2004 aus Skopje ausgeflogen wurde. Aus dieser Quelle ergibt sich, dass dieses Flugzeug, das aus Mallorca kam, Khaled al-Masri von Skopje über Bagdad nach Kabul transportierte. Beweismittel wie diese könnten die CIA in eine schwierige Position gegenüber ihren Geheimdienstkollegen in Deutschland bringen. Denn die deutschen Behörden werden kaum umhinkommen, den Fall al-Masri als illegale Entführung zu behandeln.

In einem anderen Fall wird in Italien ermittelt. Um die Mittagszeit des 16. Februar 2003 verschwand in der Via Guerzona in Mailand ein Ägypter namens Abu Omar auf dem Weg von seiner Wohnung zu einer zehn Minuten entfernten Moschee. Ein Augenzeuge sah, wie er auf der Straße von drei Männern angehalten wurde und wie an dieser Stelle ein Lieferwagen auf den Gehsteig fuhr. Hier besteht der ungeheuerliche Verdacht, dass sich US-Agenten ohne den Hauch einer rechtlichen Legitimierung auf offener Straße eine von ihnen verdächtigte Person gegriffen haben – und das im Land eines ihrer engsten europäischen Verbündeten.

Abu Omar stand unter Beobachtung der italienischen Polizei, die aber bestreitet, mit seinem Verschwinden irgendetwas zu tun zu haben. Es besteht also der plausible Verdacht, dass er von US-Agenten gefasst, zur US-Luftwaffenbasis Aviano gebracht und von dort nach Ägypten geflogen wurde. Armando Spataro, der stellvertretende Oberstaatsanwalt von Milano, der mit den Ermittlungen betraut ist, hütet sich derzeit noch, die Amerikaner zu beschuldigen. Aber er geht von einer Entführung aus und ist davon überzeugt, das sich Abu Omar heute in Ägypten befindet. Auf die Frage, ob es sich, falls US-Amerikaner mit der Sache zu tun hätten, um ein Verbrechen handeln würde, gibt er eine eindeutige Antwort: „Wenn das zuträfe, wäre dies ein gravierender Verstoß gegen italienisches Recht. Es wäre absolut illegal.“

deutsch von Niels Kadritzke

© Le Monde diplomatique, Berlin

* Freier Journalist. Autor einer Dokumentation zum Thema in der BBC-Sendereihe „File on 4“.

Le Monde diplomatique vom 11.03.2005, von STEPHEN GREY