13.05.2005

Ein Film als Behältnis von Bedeutung

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Ein Film als Behältnis von Bedeutung

„Star Wars III“ oder Die Rache des globalen Kapitals von Slavoj Zizek

Wenn uns die dritte Episode der „Star Wars“-Serie endlich mit dem entscheidenden Moment der ganzen Saga konfrontiert, der Verwandlung des „guten“ Ken Anakin in den „bösen“ Darth Vader, dann geschieht dies vor dem Hintergrund der Parallele von Individuellem und Politischem. Auf der individuellen Ebene spielt die „Erklärung“ auf eine Pop-Form des Buddhismus an: „Er verwandelt sich in Darth Vader, weil er den Dingen verfällt. Er kann nicht von seiner Mutter lassen, er kann nicht von seiner Freundin lassen. Er kann nicht von den Dingen lassen. Das macht gierig. Und wenn man gierig ist, dann ist man schon auf dem Weg auf die finstere Seite, weil man befürchtet, etwas zu verlieren.“1

Der Orden der Jedi-Ritter wird uns also als eine geschlossene Männergemeinschaft präsentiert, die ihren Mitgliedern romantische Bindungen untersagt, als eine Art Neufassung der Gralsrunde aus Wagners „Parsifal“. Doch noch aufschlussreicher ist die politische Parallele: „Wie wurde aus der Republik das Imperium? Dem entspricht die Frage: Wie wurde Anakin zu Darth Vader? Wie wird aus einem guten Menschen ein schlechter, und wie wird aus einer Demokratie eine Diktatur? Nicht das Imperium hat die Republik erobert, sondern das Imperium ist die Republik.“ Das Imperium ist also aus der inhärenten Korruption der Republik hervorgegangen. „Eines Tages wachten Prinzessin Leila und ihre Freunde auf und sagten: ‚Das ist nicht mehr die Republik, das ist das Imperium. Die Bösen sind wir.‘ “

Die politischen Konnotationen des „Star Wars“-Universums sind vielfältig und widersprüchlich, und genau darin besteht die „mythische“ Macht dieses Universums: die freie Welt gegen das Reich des Bösen; der Rückzug der Nationalstaaten, dem man eine gewisse politisch rechtslastige Note nach Art des französischen Populisten Le Pen zuschreiben kann; der symptomatische Widerspruch von Personen von ADEL (die Prinzessin, die Mitglieder des elitären Ordens der Jedi-Ritter), die die „demokratische“ Republik gegen das Reich des Bösen verteidigen; und schließlich die richtige und entscheidende Einsicht, dass „wir die Bösen sind“. (Das Reich des Bösen ist nicht irgendwo „da draußen“, sondern es entsteht gerade durch die Art und Weise, wir wir, die „Guten“, den Feind „da draußen“ bekämpfen. Analog besteht das Problem des heutigen „Kriegs gegen den Terror“ darin, wie dieser Krieg die USA verändern wird.) Das aber bedeutet: Ein politischer Mythos im eigentlichen Sinne ist weniger eine Narration mit einer bestimmten politischen Bedeutung als vielmehr eine leeres Gefäß mit einer Fülle widersprüchlicher, sogar einander ausschließender Bedeutungen.

Bereits in der „Star Wars“-Episode I – „Die dunkle Bedrohung“ – gibt es einen entscheidenden Hinweis, der es möglich macht, uns in diesem Durcheinander zurechtzufinden: die „christusähnlichen“ Züge des jungen Anakin. (Seine Mutter behauptet, durch eine unbefleckte Empfängnis mit ihm schwanger geworden zu sein.) Da das ideologische Universum von „Star Wars“ das heidnische New-Age-Universum ist, ist es nur konsequent, dass die zentrale Figur des Bösen ein Echo auf Christus ist, denn innerhalb des heidnischen Horizonts IST das Christus-Ereignis der Skandal schlechthin. Die Figur des Teufels ist nicht nur spezifisch für die jüdisch-christliche Tradition. Sondern Christus selbst ist – insofern diabolo (altgriechisch: „ich trenne“, „ich reiße das Eine entzwei“) das Gegenteil von symbolo („ich sammle“ und „ich eine“) ist – die eigentliche diabolische Gestalt, weil er „nicht gekommen“ ist, „den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“, und die gegebene harmonische Einheit stört: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,26). Christus selbst ist also die „diabolische“ Gründungsgeste der eigentlich „symbolischen“ Gemeinschaft, der Versammlung der Gläubigen.

Man muss im Auge behalten, wie heterogen der christliche Standpunkt im Vergleich zu dem der heidnischen Weisheit ist. Denn in deutlichem Unterschied zu deren umfassendem Horizont, sprich: der Vereinbarkeit der Gegensätze (das Universum ist der Abgrund des Ur-Grundes, in dem alle „falschen“ Gegensätze sich vereinen – von Gut und Böse, von Erscheinung und Wirklichkeit, bis hin zu dem Gegensatz zwischen der Weisheit selbst und der Narrheit, die darin besteht, in der Illusion des maya gefangen zu sein), erklärt das Christentum genau das zur höchsten Tat, was die heidnische Weisheit als die Quelle des Bösen verdammt, das heißt, die Geste des TRENNENS, des Ziehens einer Grenze, des Festhaltens an einem Element, das das Gleichgewicht des Ganzen stört.

Dies aber bedeutet, dass das buddhistische (und auch das hinduistische) allumfassende Mitleid der christlichen, intoleranten, gewaltsamen Liebe entgegengesetzt werden muss. Der buddhistische Standpunkt ist letztlich einer der Indifferenz, einer des Abtötens aller Leidenschaften, die danach streben, Unterschiede zu machen; während die christliche Liebe die gewaltsame Leidenschaft ist, einen Unterschied, eine Kluft in die Ordnung des Seins zu bringen und das eine Objekt auf Kosten der anderen zu erhöhen. Liebe ist Gewalt – schon die Liebeswahl an sich, die ihr Objekt aus seinem Kontext reißt und ihn zu einem Ding erhebt.

Im März 2005 veröffentlichte keine geringere Institution als der Vatikan eine von den Medien stark beachtete Erklärung, in der dieser aufs schärfste Dan Browns Roman „Sakrileg“ als ein Buch verurteilte, das auf Lügen beruhe und Falschaussagen verbreite (dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet gewesen sei und sie Nachkommen gehabt hätten und die wahre Identität des Grals Marias Vagina sei). Der lächerliche Aspekt dieser Intervention des Vatikans, die von einer kaum verhohlenen Sehnsucht nach den guten alten Zeiten zeugt, als es noch den berühmt-berüchtigten Index verbotener Bücher gab, sollte uns nicht den Blick auf die Tatsache verstellen, dass zwar die Form dieser Äußerung falsch war (man vermutet fast eine Verschwörung zwischen dem Vatikan und dem Verlag, um die Verkaufszahlen des Buches noch weiter in die Höhe zu treiben), doch ihr Inhalt im Prinzip richtig ist, denn „Sakrileg“ schreibt tatsächlich das Christentum neu in das New-Age-Thema des Gleichgewichts von männlichen und weiblichen Prinzipien ein.

Und um nochmals auf den Film „Star Wars III“ zurückzukommen: Der Preis, den der Film dafür zahlt, dass er an diesen selben New-Age-Motiven festhält, ist nicht nur der einer ideologischen Konfusion, sondern auch der seiner narrativen Mittelmäßigkeit. Denn diese Motive sind der eigentliche Grund dafür, dass Anakins Verwandlung in Darth Vader, also der entscheidende Moment der ganzen Serie, kein wirklich tragisch-erhabener ist, wie er dies eigentlich sein müsste. Statt sich auf Anakins Hybris zu konzentrieren, die in seinem übermächtigen Wunsch besteht, einzugreifen, Gutes zu tun, und für die, die er liebt (Amidala), bis zum Äußersten zu gehen und SO auf die finstere Seite zu geraten, wird Anakin einfach als ein unentschlossener Krieger präsentiert, der allmählich ins Böse abgleitet, weil er der Versuchung der Macht erliegt und zum Opfer des bösen Herrschers wird. Mit anderen Worten, Lucas besaß nicht das Format, WIRKLICH die Parallele zwischen dem Übergang von der Republik zum Imperium und von Anakin zu Darth Vader zu ziehen, die er selbst nahe gelegt hat: Anakin hätte gerade aufgrund seiner überzogenen Neigung, überall Böses zu sehen und zu bekämpfen, ein Ungeheuer werden müssen.

Wohin bringen uns solche Überlegungen? Die ultimative postmoderne Ironie besteht in dem seltsamen Tausch, der zwischen Europa und Asien vor sich geht: Genau zu dem Zeitpunkt, da auf der Ebene der „ökonomischen Infrastruktur“ die „europäische“ Technologie und der Kapitalismus weltweit triumphieren, ist auf der Ebene der „ideologischen Metastruktur“ das jüdisch-christliche Erbe im europäischen Raum durch das „asiatische“ New-Age-Denken bedroht, das sich, in unterschiedlicher Gestalt, vom „westlichen Buddhismus“ (dem heutigen Kontrapunkt zum westlichen Marxismus, im Gegensatz zum „asiatischen“ Marxismus-Leninismus) bis zu verschiedenen „Taos“, als vorherrschende Ideologie des globalen Kapitalismus etabliert. Hierauf beruht die höchst spekulative Identität der Gegensätze in der heutigen globalen Zivilisation: Der „westliche Buddhismus“ präsentiert sich zwar als das Heilmittel gegen die nervenaufreibende Spannung der kapitalistischen Dynamik, das es uns erlaubt, uns auszuklinken und unseren inneren Frieden und unsere Gelassenheit zu wahren, doch tatsächlich funktioniert er als die perfekte ideologische Ergänzung zur Dynamik des Kapitalismus. Man denke an das notorische Phänomen des „Zukunftsschocks“, also die Tatsache, dass die Menschen heute in psychologischer Hinsicht nicht mehr in der Lage sind, mit dem ungeheueren Tempo der technologischen Entwicklung und der damit einhergehenden sozialen Veränderungen mitzuhalten; alles geht einfach zu schnell, und bevor man sich an eine Erfindung gewöhnt hat, ist diese bereits durch eine neue ersetzt, sodass einem zunehmend selbst die elementarsten „kognitiven Zuordnungen“ fehlen.

Die Zuflucht zum Taoismus oder zum Buddhismus bietet einen Ausweg aus dieser Zwangslage, der deutlich besser funktioniert als die verzweifelte Zuflucht zu alten Traditionen. Statt zu versuchen, mit dem ständig schneller werdenden Rhythmus des technologischen Fortschritts und der sozialen Veränderungen mitzuhalten, sollte man lieber ganz auf Bemühungen, das Geschehen zu kontrollieren, verzichten und solches Bemühen als Ausdruck der modernen Beherrschungslogik zurückweisen. Stattdessen sollte man „sich gehen lassen“, dahintreiben und zugleich einen inneren Frieden und Gelassenheit gegenüber dem irren Tanz des beschleunigten Prozesses wahren, einen Abstand, der auf der Einsicht beruht, dass dieser ganze soziale und technologische Umbruch letztlich nur eine nichtsubstanzielle Vermehrung von Erscheinungen ist, die den innersten Kern unseres Seins nicht betrifft.

Man ist hier fast versucht, das alte berühmt-berüchtigte marxistische Klischee von der Religion als dem „Opium für das Volk“, als imaginäre Ergänzung zum irdischen Elend, wieder zu beleben: Die „westlich-buddhistische“ meditative Einstellung ist die für uns wohl effizienteste Methode, vollständig an der kapitalistischen Dynamik teilzunehmen und gleichzeitig den Anschein geistiger Gesundheit zu wahren. Würde Max Weber heute leben, er schriebe mit Sicherheit einen Fortsetzungsband zu seiner „Protestantischen Ethik“, der den Titel trüge: „Die taoistische Ethik und der Geist des globalen Kapitalismus“.

Das eigentliche Pendant zu „Star Wars III“ ist „Sandcastles, Buddhism and Global Finance“, ein Dokumentarfilm von Alexander Oey (2005) – ein wunderbar mehrdeutiger Ausdruck der Bredouille, in der wir uns derzeit befinden, mit Kommentaren des Wirtschaftswissenschaftlers Arnoud Boot, der Soziologin Saskia Sassen sowie des Lehrers des tibetischen Buddhismus, Dzongzar Khyentse Rinpoche. Sassen und Boot diskutieren das gewaltige Ausmaß, die Macht und die sozialen und ökonomischen Auswirkungen des globalen Kapitals. Die Kapitalmärkte, deren Volumen heute auf 83 Billionen Dollar geschätzt wird, existieren innerhalb eines Systems, das auf schierem Eigeninteresse beruht, in dem ein häufig durch Gerüchte genährter Ausbruch des Herdentriebs den Wert von Unternehmen – oder ganzen Ökonomien – in wenigen Stunden in die Höhe treiben oder vernichten kann. Khyentse Rinpoche dagegen macht sich Gedanken über die Natur der menschlichen Wahrnehmung, Illusion und Aufklärung; sein philosophisch-ethisches Statement: „Löse deine Bindung an etwas, was nicht wirklich ist, sondern nur in der Wahrnehmung existiert“, soll angeblich ein neues Licht auf den Tanz der Milliarden-Dollar-Spekulationen werfen.

In Anlehnung an die buddhistische Idee, dass es kein Selbst gibt, sondern nur einen Fluss kontinuierlicher Wahrnehmungen, kommentiert Sassen das globale Kapital folgendermaßen: „Es ist nicht so, als gäbe es da 83 Billionen. Im Wesentlichen ist das ein ständiger Ablauf von Bewegungen. Sie verschwinden und kommen wieder.“ Natürlich stellt sich da die Frage: Wie sollen wir diese Parallele zwischen der buddhistischen Ontologie und der Struktur des Universums des virtuellen Kapitalismus deuten? Der Film neigt zur humanistischen Lesart. Aus buddhistischer Sicht ist die Fülle des globalen finanziellen Reichtums illusorisch und von der objektiven Wirklichkeit abgetrennt – dem ganz realen menschlichen Leiden, das durch die – für die meisten von uns unsichtbaren – Vereinbarungen auf dem Börsenparkett und in Vorstandsetagen erzeugt wird. Doch wenn man die Prämisse akzeptiert, dass der Wert des materiellen Reichtums und die eigene Erfahrung der Wirklichkeit subjektiv sind und dass das Begehren sowohl im Alltagsleben als auch in der neoliberalen Ökonomie eine entscheidende Rolle spielt, lässt sich dann nicht auch genau der gegenteilige Schluss ziehen? Ist es nicht so, dass unsere traditionelle Lebenswelt auf den naiv-realistischen, substanzialistischen Ideen einer äußeren, aus unveränderlichen Objekten bestehenden Wirklichkeit beruht, während uns die unerhörte Dynamik des „virtuellen Kapitalismus“ mit dem illusorischen Wesen der Wirklichkeit konfrontiert? Was gibt es für einen besseren Beweis für den nichtsubstanziellen Charakter der Wirklichkeit als ein gigantisches Vermögen, das sich innerhalb weniger Stunden aufgrund eines Gerüchts in nichts auflösen kann? Und warum sollte man sich daher darüber beklagen, dass finanzielle Spekulationen „von der objektiven Wirklichkeit abgetrennt“ sind, wenn die Grundprämisse der buddhistischen Ontologie genau die ist, dass es keine „objektive Wirklichkeit“ gibt? Die einzige „kritische“ Lehre, die man aus der buddhistischen Perspektive auf den heutigen virtuellen Kapitalismus ziehen sollte, ist also die, dass wir es mit einem bloßen Schattentheater zu tun haben, mit nichtsubstanziellen virtuellen Größen, und dass wir uns daher nicht restlos auf das kapitalistische Spiel einlassen, sondern es mit einem gewissen inneren Abstand spielen sollten. Der virtuelle Kapitalismus könnte so ein erster Schritt zur Befreiung sein. Er konfrontiert uns mit der Tatsache, dass die Ursache unseres Leidens und unser Knechtschaft nicht die objektive Wirklichkeit ist – denn so etwas wie eine objektive Wirklichkeit gibt es ja nicht –, sondern unser Begehren, unsere Sehnsucht nach materiellen Dingen, unsere exzessive Bindung an sie. Das Einzige, was man tun muss, sobald man sich der falschen Idee der substanzialistischen Wirklichkeit entledigt hat, ist demnach, dem eigenen Begehren zu entsagen und eine Haltung inneren Friedens und Abstands zu gewinnen. Kein Wunder also, dass ein so gearteter Buddhismus als perfekte ideologische Ergänzung zum heutigen virtuellen Kapitalismus dienen kann, denn er erlaubt es uns, mit einer inneren Distanz, sozusagen mit gekreuzten Fingern, an ihm teilzuhaben.

Gegen eine solche Versuchung sollte man lieber dem christlichen Erbe treu bleiben.

Fußnote: 1 George Lucas, zitiert in „Dark Victory“, „Time“, 22. April 2002. Aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider Slavoj Zizek ist Philosoph an der Universität von Ljubljana; zuletzt erschienen: „Körperlose Organe“ Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2005; „Willkommen in der Wüste des Realen“, Wien (Passagen) 2004.

Le Monde diplomatique vom 13.05.2005, von Slavoj Zizek