07.12.2017

Dienstleistungstiere

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Dienstleistungstiere

Die Ausbeutung der Bienen

von Raúl Guillén

Honey-Neustadt: Bienenstöcke als Kunstprojekt in der Plattenbausiedlung von Harry Sachs und Franz Hoefner WOLFGANG BORRS
Dienstleistungstiere. Die Ausbeutung der Bienen
Am Beispiel der Mandel

Noch vor Frühlingsbeginn fliegen an den ersten sonnigen Tagen des Jahres die Westlichen Honigbienen (Apis mellifera) aus. Im Gegensatz zu anderen staatenbildenden oder solitär lebenden Bienen wird diese Art, die ursprünglich in Europa, im Nahen Osten und in Afrika beheimatet ist, weltweit als Nutztier gezüchtet.

Wenn sie wegen der Kälte noch dicht zusammengedrängt in einer Wintertraube im Inneren des Bienenstocks hängen und sich von ihren Vorräten ernähren, stattet der Imker seinen Honigbienen den ersten Besuch ab. Oft findet er dann aber nur noch ein Massengrab vor. „Als ich angefangen habe, gab es im Winter 5 Prozent Verlust. Heute sind es 30 Prozent!“, erzählt Bernard Tiron, der seit mehr als 35 Jahren im Tal von Valgaudemar (Département Hautes-Alpes) eine Imkerei hat.

Seit den 1980er Jahren hat das Bienensterben in den meisten gemäßigten Klimazonen von Europa über Japan bis Süd- und Nordamerika rasant zugenommen. In Kanada sei die Sterberate aktuell außergewöhnlich hoch, schreibt der Umweltjournalist Jean-­Pierre Rogal in seinem neuesten Buch, und wenn es bei den 25 Prozent bleibt, wäre das eine wirtschaftliche Katastrophe.1

Aus heutiger Sicht würde er sich nicht mehr für die Imkerei entscheiden, meint Tiron und zählt dann all die Schwierigkeiten auf, die seit seinen Anfängen aufgetreten sind: „Es gibt kaum noch Blumen auf den Wiesen, weil die vor der Blüte gemäht werden, um zwei Heuernten einfahren zu können und die Kühe mit mehr Grünzeug zu versorgen, damit sie möglichst viel Milch geben. Auch die Hecken verschwinden.“ Etwas stimme nicht mehr auf den Feldern, auf denen die Bienen Nahrung sammeln. „Die Raps- und Sonnenblumenarten, die heutzutage angebaut werden, geben weniger Nektar“, hat der erfahrene Imker festgestellt.

„Früher hat der Lavendel drei bis vier Wochen geblüht, heute nur noch acht Tage. Die Blütenernte begann früher und die Felder wurden nicht alle in so kurzer Zeit abgeerntet. Sie wurden mit Sicheln von Hand geschnitten, so blieb den Bienen genug Zeit, Pollen und Nektar zu sammeln und sich aus dem Staub zu machen, bevor die Landarbeiter kamen. Jetzt saugen Maschinen die Blüten ein und die Sammelbienen gleich mit!“

Laut Tiron haben sich auch die Bienen selbst verändert: „Die Bienenstaaten sind bevölkerungsärmer und die Königinnen gehen schneller ein. Früher hatte ich Bienenstöcke, die drei oder vier Jahre lang mit derselben Königin produzierten. Wenn sie heute zwei Jahre überlebt, ist das schon ein Wunder.“

Die Ursachen für diese Verluste sind vielfältig, und sie hängen alle mit dem gestiegenen kommerziellen Druck zusammen, der die Ökosysteme immer mehr belastet. Ein Phänomen ist etwa die globale Verbreitung der Varroa-Milbe, die inzwischen die meisten Bienenvölker befallen hat.

Varroamilben vermehren sich in den Brutwaben und ernähren sich von der Hämolymphe erwachsener Bienen. Dieser Parasit, der ursprünglich nur in einer asiatischen Bienenart vorkam, hat sich in den 1950er Jahren auf die europäischen Honigbienen übertragen, als diese in Ostasien eingeführt wurden. Seitdem hat sich die Milbe dank der weltweiten Warenströme rasant ausgebreitet. In den letzten Jahren ist ein weiterer Bienenfeind dazugekommen: Die Asiatische Hornisse kam auf dem gleichen Weg, und sie bereitet den Imkern schon jetzt große Probleme. Hinzu kommen die Auswirkungen der Schädlingsbekämpfungsmittel.

Dass Nikotinkonsum das Krebsrisiko für Menschen erhöht, musste in jahrzehntelangen wissenschaftlichen Studien bewiesen werden – schließlich ging es um die Interessen mächtiger Tabakkonzerne. Die Neonikotinoide sind hochwirksame, synthetisch

hergestellte, nikotinartige Substanzen, die in der Landwirtschaft zur Insektenvernichtung dienen. Inzwischen gibt es allerdings mehrere Untersuchungen über die Schädlichkeit dieser weit verbreiteten Pestizide. Eine jüngere Studie zeigt, dass sie die Sterblichkeitsrate bei Wildbienen verdreifachen2 , und eine andere konnte einen Zusammenhang nachweisen zwischen dem Aussterben von Honigbienenvölkern und der verkürzten Lebensdauer der Drohnenspermien.3

Seit den 1960er Jahren ist die Zahl der Bienenstöcke in den USA um die Hälfte und in Europa um ein Drittel zurückgegangen. In den vergangenen zehn Jahren blieben die Bestände zwar stabil – 1,6 Millionen in Europa und 2,5 Millionen in den USA –, aber es gibt immer weniger Imker.4 Die verbliebenen Imkereien haben wiederum mehr Bienenstöcke und dementsprechend höhere Ausgaben.

Heute sind die Imker mehr mit der Erneuerung ihrer Bestände beschäftigt als mit der Honigproduktion selbst, das heißt, sie müssen häufig neue Schwärme bei spezialisierten Züchtern kaufen. In Europa ist Ita­lien mittlerweile ein wichtiger Bienenschwarmproduzent, während sich die kanadischen Imker den Nachschub aus Neuseeland einfliegen lassen (2015 waren es 35 Tonnen).5 Außerdem müssen die Imker auch selbst neue Königinnen züchten oder, wenn ihre eigenen Bienenstöcke schwächeln, bei professionellen Züchtern einkaufen.

Außer in sehr entlegenen Regionen gehört die Bienenzucht schon lange nicht mehr zur Sammelwirtschaft, sondern ist Teil eines Prozesses zur Ausbeutung und Umgestaltung der natürlichen Umwelt. Der österreichische Verhaltensforscher Karl von Frisch, der in den 1920er Jahren die Tanzsprache der Bienen untersucht hat, stellte schon damals fest, dass die Imker so viel Honig aus den Waben kratzen, dass der Rest als Nahrungsvorrat für den Winter nicht reicht: „Sie füttern dafür jedem Volk im Herbst drei bis fünf Kilogramm Zucker in Form von Zuckerwasser in den Stock ein. Das ist für den Imker vorteilhaft, weil Honig wertvoller ist als Zucker.“6

Tödliche Nebenwirkungen der Agrarindustrie

Während Frisch die Zuckerzufuhr noch für einen geschickten Schachzug hielt, ist die Methode heute umstritten. Manche versuchen sie auf ein Minimum zu reduzieren, doch die meisten Imker suchen vor allem nach der bestmöglichen, wenn nicht der billigsten Sirup­rezeptur. Um die Varroamilbe zu bekämpfen, müssen sie außerdem die Bienenstöcke bis zu zweimal im Jahr entweder mit synthetischen Akariziden wie Ami­traz oder mit Oxalsäure, Ameisensäure oder ätherischen Ölen behandeln.

In Europa und Nordamerika ist die Bienenzucht nur noch selten ein Nebenjob. Sie entwickelt sich immer häufiger zu einem Vollzeitberuf, in dem die Imker mit den gleichen betriebswirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert sind wie alle anderen Landwirte: Kalkulation von Betriebs- und Düngemitteln, Installationskosten, Sanitärpflege, Produktionsverfahren, Einnahmen und so weiter.

Als Hüter der Bienen merken sie zwar schnell, wenn ihre bäuerlichen Kollegen Schindluder mit der Umwelt treiben. Doch auch sie unterliegen den gleichen Zwängen und greifen auf die gleichen globalen Warenflüsse zurück: Importholz wird durch lebensmittel­echten Kunststoff ersetzt, der Zucker kommt meistens aus Brasilien, und sowohl das Amitraz zur Bekämpfung der Varroamilbe als auch das neonikotinoide Insektengift Imidacloprid, dessen Verbot im Namen der Bienen gefordert wird, kommt aus denselben chinesischen Chemiefabriken.

In den gemäßigten Klimazonen kämpfen die meisten Imker mit den mehr oder weniger gleichen Schwierigkeiten – mit Ausnahme von Australien, wo die europäische Honigbiene eingeführt wurde. Dank strenger Einfuhrkontrollen von Tier- und Pflanzenimporten konnte die Varroamilbe die australischen Bienenstöcke nicht befallen. Außerdem verfügen die Bienen dort weiterhin über große Naturräume. Mit dem Ergebnis, dass die Imker keine nennenswerten Verluste verzeichnen, manche Schwärme bestimmte Gebiete wieder wild besiedeln und die Bienen inzwischen sogar als invasive Tierart gelten. In einigen Naturparks werden sie sogar gezielt bekämpft, weil sie mit ihrem Nestbau einheimische Insektenarten verdrängen.

Im Rest der Welt hat sich die Zahl der Bienenstöcke in den letzten 50 Jahren deutlich erhöht – heute sind es weltweit 83 Millionen, gegenüber 49 Millionen im Jahr 1961.7 Obwohl die Geschwindigkeit zunimmt, in der unberührte Naturräume zerstört werden, hat die intensive industrielle Landwirtschaft in Subsahara-Afrika und in Südamerika natürliche Lebensräume noch nicht so massiv verdrängt wie in den gemäßigten Klimazonen. Auch sind die Honigbienenarten in den afrikanischen Tropen resistenter gegen die Varroamilbe und migrationsfähig, sobald sich ihr Milieu zu ihren Ungunsten verändert. Die Ostafrikanische Hochlandbiene (Apis mellifera scutelatta) gelangte weitgehend unkontrolliert nach Süd- und Mittelamerika und entwickelte sich dort ebenso gut wie in ihrer Herkunftsregion, sodass sie inzwischen sogar die während des Kolonialismus eingeführten europäischen Arten ersetzt hat.

In diesen Regionen existieren auch zahlreiche Wildbienenvölker. Und in Südafrika zum Beispiel, dessen Vegetation den Bedürfnissen der Honigbienen viel weniger entspricht als die europäischen Wälder und wo es traditionell auch keine Bienenzucht gibt, wurde in einer Studie eine Dichte von 12,4 bis 17,6 Bienenvölkern pro Qua­drat­kilometer festgestellt.

Dieselbe Studie ergab für Deutschland, wo die Bienenzucht sehr verbreitet ist, eine Dichte von 2,4 bis 3,2 Bienenvölkern pro Quadratkilometer, was den gezüchteten Bienenstöcken8 und dem europäischen Durchschnitt9 entspricht. In manchen Regionen der USA dagegen, vor allem in Kalifornien, gibt es kaum noch Wildbienenvölker.10 Es gilt als gesichert, dass die dort lebenden Honigbienen einen Domestizierungsprozess durchgemacht haben und deshalb heute komplett von menschlicher Pflege abhängig sind.

Das in den gemäßigten Klimazonen festgestellte Aussterben der wilden Arten und die Umwandlung der Bienen in Nutztiere, die ohne Menschen nicht mehr überlebensfähig sind, sagt viel über den Verlust der biologischen Vielfalt aus, den die industrielle Intensivlandwirtschaft verursacht. Und man ahnt, wie es bald in den tropischen Zonen aussehen könnte, in denen die Zerstörung der natürlichen Lebensräume beispiellos rasant voranschreitet.

1 Jean-Pierre Rogel, „La Crise des abeilles. Une agriculture sous influence“, Montréal (Éditions MultiMondes) 2017.

2 Ben A. Woodcock u. a., „Impact of neonicotinoid use on long-term population change in wild bees in England“, Nature Communications, 16. August 2016, www.nature.com.

3 Jeffery S. Pettis u. a., „Colony failure linked to low sperm viability in honey bee (Apis mellifera) queens and an exploration of potential causative factors“, Plos One, 10. Februar 2016, journals.plos.org.

4 Dennis van Engelsdorp u. a., „A survey of honey colony losses in the United States fall 2008 to spring 2009“, Journal of Apicultural Research, Heft 1, 2010.

5 Regierung von Neuseeland, „Ministry for primary industries 2015 apiculture monitoring programme“, Wellington, Januar 2016 (35 Tonnen entsprechen bei 4 bis 5 Kilo pro Schwarm 7000 bis 8750 Bienen­schwärmen).

6 Karl von Frisch, „Aus dem Leben der Bienen“, Berlin (Springer) 1927.

7 Simon G. Potts u. a., „Declines of manage honey bees and beekeepers in Europe“, Journal of Apicultural Research, Heft 1, 2010.

8 Robin F. A. Moritz u. a.., „The size of wild honeybee populations (Apis mellifera) and its implications for the conservation of honey bees“, Journal of Insect Conservation, Heft 4, Dezember 2007.

9 Rodolfo Jaffé u. a., „Estimating the density of honey bee colonies across their natural range to fill the gap in pollinator decline censuses“, Conservation Biology, Heft 2, April 2010.

10 Bernhard Kraus und Robert E. Page Jr., „Effects of Varroa jacobsoni on feral Apis mellifera in California“, Environmental Entomology, Heft 6, Dezember 1995.

Aus dem Französischen von Inga Frohn

Raúl Guillén ist Journalist und Imker.

Am Beispiel der Mandel

Dass man sich mehr für die Biene als für den Nördlichen Kammmolch oder andere Opfer der Umweltzerstörung einsetzt, hat seinen Grund: Der Kammmolch bestäubt keine Kulturpflanzen. Bei der Forderung nach einem Verbot bestimmter Pestizide geht es vor allem darum, den Anbau von Nahrungspflanzen zu schützen. Auch wenn die Zukunft der menschlichen Ernährung vielleicht nicht von Blütenstaub transportierenden Insekten abhängt, würde unsere Lebensqualität unter ihrem Verschwinden doch erheblich leiden.

Die Bestäubung gehört zu den bekanntesten unter den Ökosystemdienstleistungen (Ecosystem Service, ESS), mit denen ein relativ neues Umweltforschungskonzept Artenschutz und Entwicklung in Einklang bringen will.1 Leider funktioniert das in der Realität nicht unbedingt, wie man beispielsweise an Kalifornien sieht, das rund 80 Prozent der weltweiten Mandelproduktion liefert. Die kalifornischen Landwirte mieten lieber durch Parasiten und Pestizide geschwächte Bienenvölker, als sich für Artenvielfalt einzusetzen. Am Frühlingsanfang werden jedes Jahr knapp 60 Prozent des US-amerikanischen Bienenbestands in Lkws an die Westküste transportiert, um dort die Mandelbäume zu bestäuben. Da gerade in den gemäßigten Klimazonen die Bienenbestände stark zurückgehen, werden sie mittlerweile auch andere Insektenarten eingesetzt, wie zum Beispiel Hummeln, deren kleine, im Paket versandten Schwärme sich besonders gut für die Bestäubung von Gewächshaustomaten eignen.⇥R. G.

1 Karsten Grunwald, Olaf Bastian, „Ökosystemdienstleistungen: Konzept, Methoden, Fallbeispiele“, Heidelberg (Springer) 2013.

Le Monde diplomatique vom 07.12.2017, von Raúl Guillén