12.10.2017

Am Beispiel eines Durchschnitts-Chinesen

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Am Beispiel eines Durchschnitts-Chinesen

Was der Westen aus den Zahlen zur globalen Ungleichheit lernen sollte

von Branko Milanovic

Ilona Kálnoky, swirl – open – flow, 2017, Salz, Porzellan, ca. 40 x 20 cm (Maße variabel)
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Was wir derzeit auf globaler Ebene erleben, ist die größte Umschichtung individueller Einkommen seit der industriellen Revolution. Aufgrund des wirtschaftlichen Aufstiegs von China, Indien und anderen großen asiatischen Ländern haben sich dort die Einkommensverhältnisse vieler Menschen – im Vergleich zu anderen Weltregionen – innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne stark verändert.

Zur Veranschaulichung nehmen wir einen Chinesen, der 1988 – bezogen auf die städtische Bevölkerung Chinas – ein Medianeinkommen zur Verfügung hatte. Das Medianeinkommen ist das Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Eine Person mit diesem Einkommen steht also in Bezug auf alle anderen Personen genau in der Mitte.

Dieser städtische Chinese bezog 1988 – als der Fall der Berliner Mauer kurz bevorstand und die Wirtschaftsreformen von Deng Xiaoping noch in den Kinderschuhen steckten – ein höheres Realeinkommen als 44 Prozent der Weltbevölkerung. Im Jahr 2013 ging es einer Person, die bezogen auf die urbane Bevölkerung Chinas ebenfalls über das Medianeinkommen verfügte, bereits besser als 73 Prozent aller Menschen auf der Erde. Mit anderen Worten: Der Mann oder die Frau hatte innerhalb eines Vierteljahrhunderts fast 30 Prozent der Weltbevölkerung oder 2,1 Milliarden Menschen hinter sich gelassen.

Einen solchen Sprung hat es in den letzten 200 Jahren nirgendwo auf der Welt gegeben. Das letzte Mal war dies während der industriellen Revolution der Fall, als in Westeuropa – später und weniger sprunghaft in den USA und in Japan – die Realeinkommen deutlich anstiegen und dafür sorgten, dass die Mehrheit der in diesen Industrieländern lebenden Menschen ihre Position auf der weltweiten Einkommensrangliste erheblich verbessert haben.

Um die gegenwärtigen Veränderungen besser zu verstehen, lohnt es sich, die industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts als Bezugsrahmen heranzuziehen. Denn zum einen lässt sich der Aufstieg Chinas als verspätete Ausbreitung der industriellen Revolution auf Asien begreifen. Und zum anderen zeigt dieser Aufstieg spiegelbildlich, wie sich die erste industrielle Revolution auf das Verhältnis von Europa zu Asien ausgewirkt hat. Diese Revolution hat nämlich Europa reich gemacht, zugleich aber die Industrie in großen Teilen Asiens vernichtet – etwa die Baumwollproduktion in Indien – und zu massiven Einkommensunterschieden zwischen Europa und Asien geführt.

Die beiden damaligen Entwicklungen werden durch die technologische Revolution von heute gleichsam rückgängig gemacht: Die Industrialisierung Chinas führt zur Deindustrialisierung Europas und Nordamerikas sowie zur Verringerung der Einkommensunterschiede zwischen den Menschen im Westen und denen in Asien.

Mit Blick auf die größeren Zusammenhänge lässt sich erkennen, dass die ökonomischen Aktivitäten heute wieder in etwa so über ganz Eurasien (und Nordamerika) verteilt sind wie um die Mitte des zweiten Jahrtausends. Vor 500 Jahren lagen die Realeinkommen beispielsweise auf der italienischen Halbinsel ähnlich hoch wie in China, oder in England auf einem vergleichbaren Niveau wie in Indien, das heißt, sie betrugen in den reicheren Ländern allenfalls das Doppelte.

In solchen Kategorien der „longue durée“1 betrachtet, erscheint die industrielle Revolution des 18. und 19 Jahrhunderts als eine vorübergehende Besonderheit, die extreme Unterschiede im Lebensstandard hervorgebracht hat, und zwar zwischen den früh indus­tria­lisierten Ländern und den Regionen, die wie China, Indien und Afrika im 19. und frühen 20. Jahrhundert kein Wirtschaftswachstum erlebt haben. Sobald jedoch China, Indien und die übrigen Entwicklungsregionen in Asien einen Wachstumskurs einschlugen, begann der Westen seinen enormen Vorsprung einzubüßen.

Diese dramatischen Veränderungen wirkten sich auf die Einkommensverteilung in der Welt aus. Die obenstehende Grafik zeigt die globale Einkommensungleichheit, das heißt die Ungleichheit der Realeinkommen zwischen allen Individuen dieser Welt. Diese Ungleichheit setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, in der Grafik repräsentiert durch Segment A (zwischen den beiden Kurven) und Segment B (unterhalb der unteren Kurve). Segment A ist der Teil der globalen Ungleichheit, der von Ungleichheiten innerhalb der Länder herrührt; Segment B dagegen der Teil, der aus den von Land zu Land ungleichen Durchschnittseinkommen resultiert.

Beide Segmente zusammengenommen bilden die globale Einkommensungleichheit ab. Dabei sind im Segment A alle Ungleichheiten innerhalb der Länder aufsummiert: Ungleichheit in den USA plus Ungleichheit in Deutschland plus Ungleichheit in Nigeria und so fort, und zwar von allen Ländern der Erde. Segment B erfasst dagegen die Ungleichheiten zwischen den Ländern, vergleicht also das Durchschnittseinkommen, sagen wir, in Deutschland mit dem aller anderen Länder, und das natürlich für sämtliche Nationen.

Das Schaubild zeigt, wie sich die beiden Segmente zwischen 1800 und heute verändert haben. Je höher Segment B zu einem bestimmten Zeitpunkt, desto unterschiedlicher die Durchschnittseinkommen der Länder (anders ausgedrückt: der Bruttoinlandsprodukte pro Kopf) – und umso ungleicher offensichtlich die Welt. Die geschätzte globale Ungleichheit lag demnach im frühen 19. Jahrhundert, nach den Napoleonischen Kriegen, bei einem eher niedrigen Wert. Denn auf der vertikalen Achse des Gini-Index, der hier von 0 bis 100 reicht,2 liegt der erste Punkt auf der oberen Kurve bei 55. Danach begann dieser Wert, also die summierte Ungleichheit, ab 1820 rund 150 Jahre lang mehr oder weniger stetig anzusteigen.

Der Anstieg im Zuge der industriellen Revolution war jedoch von besonderer Art: Angetrieben wurde er vor allem durch die zunehmende Einkommensungleichheit zwischen den Ländern. Maßgeblich war also der Anstieg von Segment B in unserer Grafik: 1820 beruhte die globale Ungleichheit noch nicht einmal zur Hälfte (nur 17 von 55 Gini-Punkten) auf den Einkommensdifferenzen zwischen den Ländern; dann aber erzeugte der ökonomische Aufstieg des Westens eine große Kluft gegenüber dem Rest der Welt und trieb Segment B in die Höhe – und damit auch die globale Ungleichheit.

In dieser Epoche wurde die globale Ungleichheit – vereinfacht formuliert – hauptsächlich durch die Entwicklung der Realeinkommen im Westen, in China und in Indien bestimmt. Diese drei Weltregionen zusammen machten damals ungefähr 50 Prozent der Weltbevölkerung und der globalen Einkommen aus.

Die Verschiebungen der Einkommensverteilung innerhalb der Staaten, die in dieser Phase durchaus erheblich waren, spielten insgesamt eine zweitrangige Rolle. So nahm etwa die Ungleichheit in Großbritannien und in den USA im Lauf des 19. Jahrhunderts kontinuierlich zu. Ihre Höchststände erreichte sie im Vereinigten Königreich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, in den USA erst während der Großen Depression der späten 1920er Jahre. Die Zunahme der Ungleichheiten innerhalb der Länder trug zwar zur globalen Ungleichheit bei, war aber – soweit wir das angesichts einer für viele Länder lückenhaften Datenlage wissen – nicht die treibende Kraft.

Etwas Ähnliches spielt sich heute, das heißt seit Beginn des 21. Jahrhunderts, wieder ab. Dass die globale Ungleichheit zurückgeht, hat mit der ­Verringerung von Segment B in der Grafik zu tun – also mit dem Aufholprozess von China und Indien. Zugleich nimmt allerdings die Ungleichheit innerhalb der meisten großen Ländern der Welt zu.

Mit anderen Worten: In jüngster Zeit wirken die für Segment A ausschlaggebenden Faktoren – die wachsende Ungleichheit in Staaten wie den USA, China und Russland – den Faktoren entgegen, die das Segment B bestimmen, also die Annäherung der Realeinkommen zwischen Asien und dem Westen, die auf die vergleichsweise hohen Wachstumsraten in den ärmeren Ländern zurückzuführen ist.

Die wachsende Ungleichheit in den Ländern macht den verringerten Abstand zwischen reicheren und ärmeren Staaten zum Teil zwar wieder wett. Das führt jedoch, zumindest bislang, noch nicht zu einer Umkehr der Effekte der zwischenstaatlichen Konvergenz, die ein Ergebnis der Wirtschaftsreformen in China und Vietnam ist, aber auch der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die 1991 in Indien und anderen Regionen Asiens einen „Aufschwung“ oder auch „Wiederaufschwung“ bewirkt hat.

Wie sich die globale Ungleichheit derzeit entwickelt, wird also bestimmt von der Ungleichheit innerhalb der Länder, die immer wieder Schlagzeilen macht, und von den Kräften der ökonomischen Konvergenz. In den letzten 25 Jahren überwogen die positiven Wirkungen dieser Konvergenz, aber das muss nicht so bleiben. Wenn nicht in anderen Teilen der Welt und vor allem in Afrika ein schnelleres Wachstum einsetzt – mit zwei- bis dreimal so hohen Zuwachsraten wie im Westen –, dann könnten sich die Konvergenzkräfte abschwächen und schließlich ganz versiegen.

Es mag zu analytischen Zwecken nützlich sein, die Ungleichheit in den Ländern losgelöst von der Entwicklung zwischen den Ländern zu betrachten, aber natürlich besteht zwischen den beiden Größen ein Zusammenhang. Zum Beispiel sprechen manche empirischen Studien dafür, dass der Aufstieg Chinas (der wichtigste Faktor bei der zwischenstaatlichen Konvergenz und dem Schrumpfen von Segment B) zur weiteren Öffnung der Einkommensschere in den reichen Ländern geführt hat. Anders formuliert: Das schnelle Anwachsen der Realeinkommen in China trägt zwar dazu bei, die Kluft zwischen den Ländern und damit die globale Einkommensungleichheit zu verringern. Zugleich könnte es aber dazu geführt haben, dass im Westen die Real­löh­ne stagnierten, Arbeitsplätze verloren gingen und mehr und mehr „prekäre“ Arbeitsverhältnisse entstanden – mit der Folge, dass die Einkommensunterschiede in den reicheren Ländern angewachsen sind.

Bemerkenswert ist auch hier wieder, dass es schon während der ersten industriellen Revolution zu einer ganz ähnlichen Interdependenz zwischen den Ungleichheiten innerhalb der Länder und denen zwischen den Ländern kam. Auch damals ließ der wirtschaftliche Aufstieg Englands und Westeuropas den Abstand zwischen diesen europäischen Ländern und dem Rest der Welt anwachsen – und führte zugleich in den übrigen Ländern zu einer Vertiefung der sozialen Kluft. Das klassische Beispiel ist Indien, wo das Ende der handwerklichen Textilproduk­tion einen ganzen Sektor selbstständiger Handwerker zu einer „Reservearmee von Arbeitslosen“ gemacht hat.

Wir dürfen den Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren nie aus dem Auge verlieren (obwohl es wie gesagt sinnvoll ist, sie in analytischer und politischer Hinsicht auseinanderzuhalten). Das gilt auch, wenn wir uns einen Blick in die Zukunft erlauben. Dabei wollen wir von der optimistischen Annahme ausgehen, dass die Komponente B weiter schrumpft, dass also die Ungleichheit zwischen den Ländern weiter abnimmt und etwas entstehen lässt, was man als „globale Mittelklasse“ bezeichnen könnte. Für sich genommen wäre das eine erfreuliche Entwicklung, wobei deren Auswirkungen auf die Einkommensverteilung innerhalb der reicheren Länder womöglich weniger erfreulich sein wird.

Spielen wir das einmal durch. Stellen wir uns eine Welt vor, in der die enorme Kluft zwischen den Einkommen in der Europäischen Union und in Afrika stark reduziert wäre, in der sich also beispielsweise das Durchschnittseinkommen in Mali nicht allzu sehr von dem in Italien unterscheidet. Eine solche Entwicklung wäre zweifellos wünschenswert, denn sie würde nicht nur die absolute Armut beseitigen, die nach wie vor existiert, sondern auch eine „globale Mittelklasse“ hervorbringen.

Aber diese Entwicklung könnte zugleich eine andere Wirkung mit sich bringen – oder sogar zur Voraussetzung haben, nämlich höhere Einkommensunterschiede in den heute noch reichen Ländern. Also eine wachsende Kluft zwischen den Leuten, die von der globalen Integration – in diesem Fall vom ökonomischen Aufholen Afrikas – profitieren können, und den anderen, die wegen der afrikanischen Konkurrenz womöglich ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Wenn es so käme, könnte eine global positive Entwicklung unerwünschte Wirkungen auf Länderebene auslösen und sogar politisch destabilisierend wirken.

Daraus folgt eine wichtige Erkenntnis: Das utopische Ziel einer Welt mit lauter reichen Gesellschaften kann nur um den Preis einer grundlegenden Veränderung der ökonomischen und politischen Machtverhältnisse in den meisten Ländern erreicht werden. Mit anderen Worten: Um zu dem utopischen Punkt U zu gelangen, wird die Welt eine Reihe politisch schwieriger Phasen durchlaufen müssen, in denen der ganze Prozess entgleisen kann – sodass wir niemals am Punkt U ankommen.

Migration lässt sich nicht aufhalten

Das liegt natürlich vor allem an der Tatsache, dass die Welt heute und auf absehbare Zeit in Nationalstaaten organisiert ist, was bedeutet, dass global wünschenswerte Veränderungen – etwa der Aufholprozess von Asien und Afrika – im Westen mit lokal unerwünschten Wirkungen wie stagnierenden Löhnen einhergehen werden. Und das finden die Wähler dieser Länder vermutlich inakzeptabel.

Dass das Segment B noch immer – und trotz des Aufholens von Asien – auf hohem Niveau verharrt, hat eine weitere politische Konsequenz. Die enormen Einkommensunterschiede zwischen armen und reichen Ländern sind für den Durchschnittsverdiener aus einem armen oder einem Schwellenland ein Anreiz, um in ein reicheres Land auszuwandern. Unter Bedingungen der Globalisierung, die das Wissen um diese Einkommensunterschiede überall verbreitet und zudem die Transportkosten verbilligt hat, lösen die großen Unterschiede zwischen den Staaten ­zwangsläufig eine strukturelle Migration aus.

Unter struktureller Migration verstehe ich Wanderungsbewegungen, die durch krasse Einkommensunterschiede ausgelöst werden und nicht etwa durch persönliche Präferenzen für andere klimatische Bedingungen oder Lebensweisen. Bei Letzteren ist eine ausgeglichene Wanderungsbilanz zu erwarten, denn den Menschen, die in ein wärmeres Land ziehen, stehen ähnlich viele gegenüber, die ein kühleres Klima bevorzugen. Dagegen ist „strukturelle“ Migration die unmittelbare Folge von Einkommensdifferenzen. Und es gibt auch keine Wanderungsbewegung in die umgekehrte Richtung, weil sich wohl niemand nach einem niedrigeren Einkommen sehnt.

Damit stehen wir vor einem Trilemma. Wir können schlicht nicht drei Dinge gleichzeitig haben: allgemeine Globalisierung, große Unterschiede beim Durchschnittseinkommen zwischen verschiedenen Ländern, und keine systematische Migration. Konkret: Heute gibt es die Globalisierung, und es gibt hohe Einkommensunterschiede etwa zwischen Spanien und Marokko, zwischen Deutschland und der Türkei, zwischen Italien und Libyen. Deshalb können wir einfach nicht erwarten, dass es keine Migrationsströme gibt.

Natürlich könnten wir diese Mi­gra­tion dadurch stoppen, dass wir entweder die Kluft zwischen den Ländern reduzieren oder die Globalisierung rückgängig machen. Der Bau von Grenzzäunen und Mauern hat ja gerade zum Ziel, die Globalisierung auf die Mobilität von Kapital, Gütern und Technologien zu begrenzen, indem man die Migration, sprich die Mobilität des Produktionsfaktors Arbeit, unterbindet. Aber diese Lösung wird langfristig nicht funktionieren. Die Hoffnung auf ein besseres Leben, das Motiv jeglicher Migration, ist einfach zu stark, als dass sie durch Mauern und Zäune auf Dauer erstickt werden könnte.

Und die andere Lösung, die Angleichung der Einkommen in Europa und Afrika? Ein solcher Prozess würde sehr lang dauern. Selbst wenn die afrikanischen Länder ihr Wirtschaftswachstum deutlich beschleunigen können, ist von mindestens 100 Jahren auszugehen. Deshalb ist die Migration aus Afrika – und in geringerem Ausmaß auch aus Asien – nach Europa ein Prozess, der sich nicht aufhalten oder rückgängig machen lässt.

Das sollte auch die Europäische Union begreifen. Sie sollte sich von einer Migrationspolitik verabschieden, die immer nur die neuesten Löcher stopfen will. Stattdessen sollte sie in größeren Zusammenhängen denken und zwei Ansätze verbinden: die „zirkuläre Migration“, die Ausländern erlauben würde, für begrenzte Zeit nach Europa zu ziehen, und politische Programme, die das Wachstum in armen Ländern und vor allem in Afrika fördern.

Aus der Analyse der globalen Einkommensungleichheit lässt sich eine überaus wichtige Erkenntnis ableiten: Sogar wünschenswerte ökonomische Entwicklungen, die im globalen Maßstab eine eindeutige Zunahme des Glücks versprechen mögen, bringen in der Regel einen Verlust an Einkommen und Glück auf lokaler oder nationaler Ebene mit sich. Und das wiederum kann politische Auswirkungen haben, die die besagten globalen Entwicklungen wieder zunichtemachen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass etwas, was im Durchschnitt gut ist, gleichzeitig auch gut ist für alle.

1 Der Begriff der „longue durée“ (lange Dauer) geht auf den französischen Historiker Fernand Braudel (1902–1985) zurück, der zur Annales-Schule gehörte und Geschichte als allmähliche Entwicklung eines zusammenhängenden Ganzen auffasste.

2 Der Gini-Index (oder Gini-Koeffizient) misst die Ungleichheit auf einer Skala zwischen 0 und 1 oder (seltener) zwischen 0 und 100. Je höher der Gini-Koeffizient, desto größer ist die Ungleichheit. Die Indexzahl 0 drückt also eine absolute Gleichheit aller Einkommen aus, die Indexzahl 1 (oder hier 100) gilt für einen Zustand, bei der eine Person über das gesamte Einkommen verfügt.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Branko Milanovic ist ein serbisch-US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Er war unter anderem leitender Ökonom der Forschungsabteilung der Weltbank. Auf Deutsch erschien zuletzt „Die ungleiche Welt. Migration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht“, Berlin (Suhrkamp) 2016.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 12.10.2017, von Branko Milanovic