13.07.2007

Al-Qaida gegen die Taliban

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Al-Qaida gegen die Taliban

von Syed Saleem Shazad

von Syed Saleem Shazadvon Syed Saleem Shazad

Zwischen den bewaffneten islamistischen Bewegungen wachsen die Rivalitäten. Dies zeigen zwei Zwischenfälle aus den letzten Monaten. Im März 2007 begingen Taliban in Süd-Wasiristan, einem pakistanischen Stammesgebiet an der Grenze zu Afghanistan, ein Massaker an ausländischen Kämpfern der Islamischen Bewegung Usbekistans, einer mit al-Qaida verbündeten Gruppierung. Etwa zur gleichen Zeit kam es zu erbitterten Kämpfen zwischen dem irakischen Zweig der al-Qaida und der Islamischen Armee im Irak. Zwei Strategien, zwei Auffassungen vom islamistischen Kampf treffen hier aufeinander – und der Konflikt wird zunehmend gewaltsam ausgetragen.

Seit 2003 sind in Pakistan wie im Irak immer mehr ausländische Freiwillige aufgetaucht. Wegen der ideologischen Ausrichtung dieser Kämpfer waren weder die örtlichen Widerstandsgruppen im Irak noch die Taliban-Führung über diesen Zustrom erfreut: Sie bekennen sich zum Takfirismus, einer radikalen Strömung, die als ihren Hauptfeind die „schlechten Muslime“ ansieht und darum auch muslimischen Regierungen den Kampf angesagt hat. Für die jeweilige Bevölkerung, um deren Heil die Takfiristen sich sorgen, bedeutete dies vor allem Chaos.

In den Jahren von 2003 bis 2006 hatte al-Qaida in den unübersichtlichen Auseinandersetzungen auf den drei großen Kriegsschauplätzen Pakistan, Afghanistan und Irak deutlich an ideologischem Einfluss gewonnen – auf Kosten der örtlichen Gruppierungen. Takfiristische Eiferer hatten in den beiden Teilregionen Wasiristans mit dem Aufbau „islamischer Staaten“ begonnen, die sich von der pakistanischen Oberhoheit lossagten. Sie tragen ihre bewaffneten Aktionen auch in die großen Städte, mit dem Ziel, eine Volkserhebung gegen das prowestliche Militärregime in Islamabad auszulösen. Dass die pakistanische Armee mit brutalen Vergeltungsschlägen reagierte, bei denen hunderte von Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, ums Leben kamen, entfachte erst recht den heiligen Zorn der Extremisten.

Al-Qaida will im Irak ein „strenggläubiges“ Emirat

Schon damals war inoffiziell von Taliban-Führern zu hören, die Takfiristen seien auf einem Irrweg, denn sie hätten die in den 1990er-Jahren von Ussama Bin Laden proklamierte strikt antiwestliche Strategie aufgegeben. Die Taliban wollten nicht, dass ihr nationaler Widerstand gegen die ausländischen Besatzer in einen Angriff auf die Machthaber in Pakistan umgewidmet wird.

Im Irak war derweil Abu Mussab al-Sarkawi zum bekanntesten Repräsentanten des Widerstands aufgestiegen. Sarkawi, einer der wichtigsten Führer der takfiristischen Strömung, war nach dem Einmarsch der USA aus Wasiristan in den Irak gekommen, um dort mit vorwiegend ausländischen Kämpfern den irakischen Zweig der al-Qaida aufzubauen. In öffentlichen Äußerungen bezeichnete er sich als Gefolgsmann Bin Ladens. Damit begann sich für die Islamisten im Irak eine Situation zu entwickeln, die bald den Zuständen in Wasiristan und Afghanistan ähnelte.

Die örtlichen Widerstandskräfte hatten nach dem Sturz von Saddam Hussein einige Zeit gebraucht, um sich zu formieren. Erst nach Monaten gelang es, aus verschiedenen Stammesverbänden, religiösen Splittergruppen, ehemaligen Anhängern der regierenden Baath-Partei und Mitgliedern der aufgelösten Republikanischen Garde kampffähige Einheiten zu bilden. Unterdessen hatten Kämpfer aus allen Teilen der islamischen Welt unter dem schwarzen Banner der al-Qaida bereits ihre eigene beratende Versammlung (madschlis al-schura) geschaffen und führten wesentlich effektivere Operationen aus als die örtlichen Gruppen. Der irakische Widerstand konnte unter diesen Umständen kaum offen gegen die takfiristische Ideologie angehen, auch wenn einige Führer bereits ihren Unmut darüber äußerten, dass al-Qaida – die wie sie selbst zum sunnitischen Lager gehört – Anschläge auf die heiligen Stätten der Schiiten ausführte, statt gegen die US-amerikanischen Besatzer zu kämpfen.

Als al-Qaida Ende 2006 ein „strenggläubiges“ Emirat im Irak ausrief, hatte die takfiristische Ideologie über die Strategie der örtlichen Gruppierungen die Oberhand behalten. Aus dem Kampf gegen die Besatzer wurde der Albtraum unzähliger sektiererischer Einzelgefechte. Aber auch der Bruderkampf, die Auseinandersetzung zwischen dem irakischen Widerstand und den „internationalistischen“ Kämpfern war damit vorgezeichnet.

Um diesen Streit zu verstehen, muss man die besonderen Umstände betrachten, die zu den ideologischen Wandlungen der al-Qaida seit dem Kampf gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans in den 1980er-Jahren beigetragen haben. Die Araber, die damals ins Land kamen, um sich dem Widerstand anzuschließen, gehörten zu zwei verschiedenen Lagern: zu den „Jemeniten“ und den „Ägyptern“.

Das jemenitische Lager bestand vorwiegend aus religiösen Eiferern, die von ihren Imamen nach Afghanistan geschickt worden waren. Wenn sie nicht kämpften, verbrachten sie die Zeit mit hartem Training, sie kochten und aßen zusammen und legten sich sofort nach dem Nachtgebet (isha’a) schlafen. Als der Dschihad zu Ende ging, kehrten viele in die Heimat zurück, aber manche blieben, um zu heiraten und sich danach in Afghanistan oder Pakistan niederzulassen. In der al-Qaida galten sie als drawesch – leichtlebig.

Im ägyptischen Lager fanden sich die stärker ideologisch motivierten und politisierten Kämpfer. Die meisten kamen aus der Muslimbruderschaft1 , lehnten aber deren in Ägypten vollzogene Hinwendung zum parlamentarischen System ab. Viele waren ausgebildete Ärzte oder Ingenieure, denen der afghanische Dschihad ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit bot. Es gab auch etliche ehemalige Berufssoldaten, die sich der Untergrundbewegung Islamischer Dschihad unter der Führung von Aiman al-Sawahiri angeschlossen hatten. Mitglieder dieser Gruppe hatten 1981 den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat ermordet, um ihn für die Unterzeichnung der Camp-David-Verträge mit Israel (1978) zu bestrafen, die sie als Verrat betrachteten. Unter den „Ägyptern“ war man sich einig, dass für den Niedergang der arabischen Welt die USA und ihre „Marionettenregierungen“ im Nahen Osten verantwortlich seien.

Die Kämpfer im Lager der „Ägypter“ legten sich nach der isha’a nicht zur Ruhe, sondern führten endlose Debatten über die künftige Entwicklung. Ihre Führer machten ihnen klar, dass sich jeder in seinem Heimatland am Aufbau des bewaffneten Widerstand beteiligen müsse und wie wichtig es sei, die geistige Elite ideologisch zu überzeugen.

Zu den Vorläufern der al-Qaida gehört das „Dienstleistungsbüro“ (MAK, maktab al-khadamat), ein Rekrutierungs- und Ausbildungszentrum zur Unterstützung des afghanischen Widerstands. Diese Organisation war 1980 von Abdullah Assam gegründet worden, der 1989 durch ein Attentat ums Leben kam. Sein Schüler und Nachfolger Ussama Bin Laden entwickelte daraus das Netzwerk al-Qaida.2

„Die Mehrzahl der ‚jemenitischen‘ Kämpfer hat Afghanistan nach dem Abzug der Sowjets verlassen“, erklärt Hudaifa Assam, der Sohn des Gründers von Maktab al-Khadamat, bei einem Gespräch in Amman. „Das waren Verzweifelte, die eigentlich den Märtyrertod suchten. Die Ägypter dagegen blieben, um ihre politischen Ziele weiter zu verfolgen. Als Bin Laden 1996 aus dem Sudan zurückkehrte und sich ihnen anschloss, versuchten sie ihn von seiner Fixierung auf den Kampf gegen die amerikanische Hegemonie im Nahen Osten abzubringen und für ihre takfiristischen Vorstellungen zu gewinnen.“

Auch Hudaifa Assam hat fast zwanzig Jahre seines Lebens unter den arabischen Militanten in Afghanistan und Pakistan verbracht. „Als ich Bin Laden 1997 in Islamabad begegnete, war er in Begleitung des Somaliers Abu Ubadia und der Ägypter Abu Hafs (al-Masri) und Saif al-Adel, und mir wurde klar, welchen Einfluss deren extremistische Vorstellungen auf ihn hatten. 1985 forderte mein Vater Bin Laden auf, nach Afghanistan zu gehen. Der erklärte ihm, er müsse erst die Erlaubnis von König Fahd einholen – damals war der König für Bin Laden noch der wali al-amr [die höchste Autorität]. Nach dem 11. September kritisierte er die saudische Führung. Da wurde mir klar, wie stark er unter den Einfluss der ‚Ägypter‘ geraten war.“

Aufmarsch gegen Pakistans Armee

Vor diesem Hintergrund muss man die Situation Anfang 2006 betrachten. Mehr als 40 000 kampferprobte Araber, Tschetschenen und Usbeken, dazu pakistanische Militante aus den Städten, schlossen sich den lokalen Kämpfern an. Mit diesem gewaltigen Aufmarsch in Nord- und Süd-Wasiristan entstand für die afghanische Taliban-Führung eine heikle Situation, weil die Mehrheit dieser Militanten nicht gegen die Besatzer in Afghanistan, sondern gegen das pakistanische Militär in den Stammesgebieten antreten wollte.

Der Usbeke Tahir Juldaschew, ein in Süd-Wasiristan bekannter Kämpfer und takfiristischer Ideologe, hatte bereits eine Fatwa zur Unterstützung der Strategie ausgegeben; auch Maulana Abdul Khalik und Sadik Nur von der Taliban-Führung in Wasiristan vertraten dieselbe Position. Nach der Schaffung islamistisch kontrollierter Gebiete in Nord- und Süd-Wasiristan verschärfte sich der Konflikt der lokalen Taliban und der al-Qaida mit dem pakistanischen Staat. Neue Kämpfe schienen unausweichlich.

Der afghanischen Taliban-Führung wurde nun klar, dass sie die Lage möglichst rasch entschärfen musste, wenn sie ihre für Frühjahr 2006 geplante Offensive gegen die Nato-Truppen nicht gefährden wollte.3 Daher entsandte der untergetauchte Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar einen Vermittler in die Stammesgebiete. Mullah Dadullah, ein erfahrener Kommandant aus dem Südwesten Afghanistans (der im Mai 2007 getötet wurde), sollte die pakistanischen Taliban und die Al-Qaida-Gruppen dazu bringen, ihre Konflikte beizulegen, um ihre Kräfte für die Frühjahrsoffensive zu schonen. Diese Initiative führte am 5. September 2006 zu einem Waffenstillstandsabkommen zwischen der pakistanischen Armee und den Taliban in den Stammesgebieten, das unter anderem die Ausweisung aller ausländischen Kämpfer vorsah. Der Waffenstillstand verschaffte der pakistanischen Obrigkeit die Chance, bessere Kontakte zu den Taliban-Führern in den beiden Wasiristan-Provinzen zu knüpfen. Diese bezogen von der Regierung erhebliche Mengen an Waffen und Geld und wurden in aller Form zu Gesprächen nach Islamabad eingeladen.

Das Abkommen kam zustande, weil die Taliban-Führung feststellen musste, dass der Widerstand in Afghanistan in einer Sackgasse angelangt war. In den fünf Jahren der Zusammenarbeit mit al-Qaida hatte ihre Bewegung zwar eine deutliche Stärkung erfahren. Insbesondere die Offensive von 2006 hatte ihre Verankerung in der Bevölkerung demonstriert und ihr erlaubt, aus dem Irak übernommene Taktiken der Stadtguerilla zu praktizieren. Dies hatte zur Folge, dass die von den USA und der Nato geführten Koalitionstruppen 2006 etwa 150 Soldaten verloren. Doch die Taliban erreichten keines ihrer erklärten strategischen Ziele, weder die Eroberung von Kandahar noch die Belagerung von Kabul.

Die Taliban-Kommandanten in Afghanistan gaben offen zu, dass sie keine offene Schlacht gegen die ausländischen Truppen riskieren konnten. Sie glaubten zwar, die Bevölkerung effektiv mobilisieren zu können, aber sie wussten auch, dass dies zu schweren Luftangriffen und zum Tod vieler ihrer Anhänger führen würde. Sie brauchten also neue Unterstützung. Da lag es nahe, mit der früheren Schutzmacht Pakistan Kontakt aufzunehmen. Das Ergebnis war das Abkommen vom 5. September.

Die Taliban-Führer in Wasiristan wie in Afghanistan zeigten sich mit dem Kompromiss zufrieden und äußerten kaum Kritik an der Ausweisung der ausländischen Kämpfer aus der Westregion Pakistans. Alle gingen davon aus, dass diese sich in großer Zahl dem afghanischen Widerstand anschließen würden. Zudem waren sie gar nicht unglücklich, auf diese Weise die al-Qaida und diejenigen Kräfte loszuwerden, die auf eine globale Strategie hinarbeiteten und dem lokalen Kampf gegen die Nato- Truppen im Wege standen.

Dagegen war das Abkommen für die „globalen Krieger“ der al-Qaida völlig unakzeptabel. Die träumten vielmehr von einem regionalen Konflikt an vielen Fronten, den sie von neuen Stützpunkten in Wasiristan aus führen wollten. Und die Aussichten auf Scharmützel mit überlegenen Nato-Truppen in Afghanistan bot keinerlei Ersatz für ihren Traum, einen entscheidenden Sieg gegen die pakistanische Führung erringen zu können, die in ihren Augen keine praktizierenden Muslime sind.

Für diese Strategie glaubte al-Qaida, etliche Trümpfe in der Hand zu haben. Unter dem Banner von al-Sawahiri hatten sich ausländische Kämpfer mehrerer Gruppen zusammengefunden: die vor allem aus Libyern bestehende Dschamaa al-Mukatila unter Führung von Scheich Abu Lais al-Liby, die ebenfalls vorwiegend libysche Dschabha al-Birra von Ibn al-Malik, die rein ägyptische Dschaisch al-Mahdi, eine Abspaltung aus der Dschamaat al-Dschihad, die vom inzwischen verstorbenen Ägypter Abdul Rahman Canady gegründet wurde und jetzt von Abu Esa geführt wird. Hinzu kamen die Takfiristen unter dem Bin-Laden-Vertrauten Abu Amro (Scheich Essa) und nicht zuletzt die Islamische Bewegung Usbekistans unter Tahir Juldaschew. Nach Erkenntnissen des pakistanischen Geheimdienstes gewann al-Qaida zu diesem Zeitpunkt auch wieder Zugang zu Finanzquellen, vor allem in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAR), die nach dem 11. September 2001 versiegt waren.

Natürlich begriff die Al-Qaida-Führung sofort, welche Bedrohung die Übereinkunft zwischen Pakistan und den Taliban darstellte, zumal sie eine Unterwanderung der Taliban durch den pakistanischen Geheimdienst befürchten musste. Also versuchte sie, die Vertragspartner auseinander und den Waffenstillstand zum Scheitern zu bringen. Eine erste Gelegenheit bot sich am 17. Januar 2007, als bei einem Angriff der pakistanischen Luftwaffe auf ein Ausbildungslager in Süd-Wasiristan mehrere ausländische Kämpfer ums Leben kamen.

Baitullah Mehsud, einer der wenigen Taliban-Führer in diesem Gebiet, kritisierte die Vertragsverletzung durch Pakistan, wobei er in Tahir Juldaschew sofort einen Verbündeten fand. Der Usbeke schickte etwa ein Dutzend Selbstmordkommandos in pakistanische Städte. Die Anschläge forderten viele Opfer unter der Zivilbevölkerung und erfolgten zu einem Zeitpunkt, da Präsident Pervez Musharraf durch die Entlassung von Iftikhar Mohammed Chaudry, dem Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs, eine schwere innenpolitische Krise ausgelöst hatte. Zusätzlich tobte noch der Streit um die Predigerausbildung in der Roten Moschee (Lal Masjid) von Islamabad, in der eine Islamisierung der Hauptstadt nach den Vorstellungen der Taliban gepredigt wurde. Doch die Terrorstrategie verfing nicht, und das Abkommen mit den Taliban ging nicht zu Bruch.4

Die Stärke der Verträge lag darin, dass sie beiden Seiten nützten. Für die pakistanische Führung waren sie Teil einer Strategie, die den Einfluss von al-Qaida in den Stammesgebieten verringern sollte. Bei den Taliban waren sie Ausdruck einer Abkehr von den unablässig propagierten globalen Zielen der al-Qaida, die den afghanischen Widerstand offenbar nur schwächten.

Doch die Lage blieb gespannt. Hadschi Nasir, ein eher unbekannter lokaler Taliban-Kommandant, der vom pakistanischen Geheimdienst mit Geld und Waffen versorgt und in kurzer Zeit zum starken Mann in Süd-Wasiristan aufgebaut wurde, stellte die ausländischen Kämpfer in seinem Gebiet vor die Wahl: Entweder Waffen abgeben und ausreisen oder sich dem Widerstand gegen die Nato-Truppen in Afghanistan anschließen. Wie zu erwarten lehnten die Kämpfer dieses Ultimatum ab. Daraufhin kam es im März 2007 zu bewaffneten Zusammenstößen, bei denen mehr als 140 Männer den Tod fanden, die meisten aus Zentralasien.

Ähnliche Konflikte in Nord-Wasiristan veranlassten Jalaluddin Haqqani, einen legendären Führer des afghanischen Widerstands gegen die Sowjetunion in den 1980er-Jahren, seinen Sohn Sirajuddin zusammen mit Mullah Dadullah und Nur Mohammed Sakib, dem ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichts unter den Taliban, als Vermittler zu entsenden. Die drei erreichten, dass die Taliban-Kommandanten den ausländischen Kämpfern, die sie in Nord- und Süd-Wasiristan umzingelt hatten, den Abzug erlaubten. Die meisten von ihnen gingen, da sie in Afghanistan offenbar nicht erwünscht waren, in das neue gelobte Land des Dschihad – in den Irak.

Aufbruch in den nächsten Dschihad

Sie bewegten sich damit auf den Spuren von Al-Qaida-Führern wie Abdul Hadi al-Iraki, der schon Monate zuvor von Wasiristan in den Irak aufgebrochen war. Diese Leute spürten schon früher, dass die immer engeren Beziehungen zwischen den Taliban und dem pakistanischen Regime für den globalen Krieg der al-Qaida nichts Gutes bedeuten konnten. Der Aufbruch al-Irakis markiert den Wendepunkt im Schicksal der vormals so mächtigen Al-Qaida-Kräfte in Afghanistan. Nun wanderten militante Islamisten von Ost nach West – vom Kriegsschauplatz Afghanistan zum Kriegsschauplatz Irak.

Al-Qaida hatte schon direkt nach der US-Invasion von 2003 begonnen, Kämpfer aus Wasiristan in den Irak zu entsenden. Die ideologischen und strategischen Differenzen mit den Taliban haben diese Tendenz weiter beschleunigt. An die Anfänge erinnert sich Mohammed Baschar al-Faidy, Vorsitzender der Vereinigung muslimischer Rechtsgelehrter, die heute zum irakischen Widerstand zählt: „Nach seiner Ernennung zum Zivilverwalter des Iraks hat Paul Bremer5 alle irakischen Sicherheitskräfte aufgelöst. Wir schickten ihm damals eine Delegation und warnten ihn vor den Folgen der Entscheidung, die den Irak zu einem Land mit offenen Grenzen machen würde – man hätte wenigstens den Grenzschutz aufrechterhalten sollen. Aber Bremer war anderer Meinung. Er sah alle Sicherheitskräfte als Saddam-Anhänger. Und so mussten die Iraker alsbald hilflos zusehen, wie unzählige skrupellose Menschen ins Land kamen, Terroristen, die der Iran oder al-Qaida geschickt hatten, um im Irak ihre politischen Ziele zu verfolgen.“

Baschar al-Faidy meint im Rückblick: „Heute glaube ich, dass Bremer diese Politik ganz bewusst verfolgt hat. Er wollte wohl die Kämpfer der al-Qaida in den Irak locken. Klar, dachte sich der wohl, im Irak kann man diese Leute leichter töten oder gefangen nehmen als in Afghanistan oder Wasiristan.“6

Die Führer des irakischen Widerstands wollen die ausländischen Kämpfer los werden. Sie verfolgen nationale Ziele und sind zunehmend irritiert von den Bemühungen der al-Qaida, die Richtung des Kampfs zu bestimmen und diesen auf ihre globalen Visionen zu orientieren. Dass diese politischen Streitigkeiten existieren, belegte im April 2007 ein Bericht des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira, in dem Ibrahim al-Schammari, Sprecher der Islamischen Armee, den Bruch seiner Organisation mit der al-Qaida bekannt gab. Die Ziele der beiden Bewegungen seien so verschieden, erklärte er, dass die Islamische Armee manchmal lieber mit den USA als mit al-Qaida verhandeln würde.

Am 26. April 2007 ging auch General David Petraeus, der neue Oberkommandierende der US-Truppen im Irak, bei einer Pressekonferenz in Washington auf die Abkehr des sunnitischen Widerstands von al-Qaida ein: „Unsere Gegner sind weiterhin die sunnitischen Aufständischen und der sogenannte sunnitische Widerstand. Aber wir bemerken auch, dass sich neue Kräfte mit sunnitischen Stammesverbänden im Kampf gegen die al-Qaida zusammengeschlossen haben. Das bedeutet, dass in der Provinz Anbar und anderen Gebieten, die wir vor weniger als sechs Monaten noch verloren glaubten, die Lage wieder Anlass zur Hoffnung gibt.“

Petraeus versicherte weiter, dass die USA „auch künftig mit sunnitischen Stammesführern und früheren Führern des Aufstands verhandeln werden, mit dem Ziel, dass sich ihre Kämpfer den regulären irakischen Sicherheitskräften im Kampf gegen die Extremisten anschließen.“7

Der Korangelehrte al-Faidy formuliert es ganz unverblümt: „Diese ausländischen Elemente, die sich zu irregulären Milizen zusammengeschlossen haben, sind für den Widerstand wie ein Fluch. Sie wollen den Irak für ihre eigenen Vorhaben missbrauchen. Ganz abgesehen von zweifelhaften religiösen Vorstellungen wie dem Takfirismus – die al-Qaida ist längst von diversen Geheimdiensten unterwandert. Letztlich geht das alles zulasten des irakischen Volkes.“ Für al-Faidy gilt das auch für die vom iranischen Geheimdienst unterstützten schiitischen Milizen: „Sie wollen die Macht im Südirak übernehmen, und haben bereits etwa 30 schiitische Scheichs ermordet. Die Scheichs in dieser Region wären bereit, sich dem Widerstand gegen die Besatzungsmacht anzuschließen, aber die vom Iran gestützten Milizen hindern sie daran.“

Glaubt man al-Faidy, dann sind die meisten größeren Widerstandsoperationen das Werk von Gruppen des irakischen Widerstands. Aber in den internationalen Medien werden sie gern al-Qaida zugeschrieben und häufig nur deshalb, weil die nationalen Gruppen sich nicht sofort zu einer Aktion bekennen. Aber sogar James Baker8 habe zugegeben, dass al-Qaida im irakischen Widerstand nur ein kleines Rad im Getriebe ist. Selbstkritisch meint al-Faidy: „Wir büßen heute für den Fehler, al-Qaida einst begeistert aufgenommen zu haben. Nach dem Einmarsch der USA wollten wir einfach alle Kräfte im Kampf gegen die Invasion bündeln, und so haben wir auch die ersten Al-Qaida-Kämpfer mit offenen Armen empfangen. Heute fügen ihre Aktionen dem Widerstand schweren Schaden zu.“

Die Taliban, die irakischen Widerstandskämpfer und andere Gruppierungen haben dafür, dass sie sich einst mit al-Qaida eingelassen haben, inzwischen einen hohen Preis bezahlt. Im Irak könnte der Bruch mit der Organisation Bin Ladens für den Widerstand heute sogar einen Machtzuwachs bringen: Die USA scheinen einer Strategie der Sondervereinbarungen mit sunnitischen Gruppen nicht abgeneigt, die sich von den Al-Qaida-Kämpfern losgesagt haben. Über Einzelabkommen könnte sich daraus eine Teilung der Macht zwischen Bagdad und den regionalen Gruppen ergeben.

Was die Ostfront des Dschihad betrifft, so herrscht nach dem Tod von Mullah Dadullah, der sich zum wichtigsten Partner Pakistans gemacht hatte, vorerst Ungewissheit. Aber auch in Islamabad denkt man über ein Konzept nach, das eine Machtteilung zwischen gemäßigten Taliban und der Regierung in Kabul ins Auge fasst. Vorbedingungen für entsprechende Verhandlungen wäre natürlich der Abzug aller ausländischen Kämpfer. Die Anhänger des Takfirismus müssten sich auf einen langen Marsch in neue muslimische Gefilde begeben. Aber wo auch immer sie landen, dürften sie früher oder später erneut zu unerwünschten Gästen werden.

Fußnoten:

1 Die Muslimbruderschaft, 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten gegründet, fand rasch Verbreitung in der gesamten arabischen Welt. Siehe Wendy Kristianasen, „Die Muslimbrüder orientieren sich neu“, Le Monde diplomatique, April 2000. 2 Um diesen Mord ranken sich viele Gerüchte. Nach manchen Quellen war Bin Laden der Auftraggeber – nachdem es Meinungsverschiedenheiten über die Führung der Bewegung gegeben hatte. 3 Siehe Syed Saleem Shazad, „Die Rückkehr der Taliban“, Le Monde diplomatique, September 2006. 4 Siehe Françoise Chipaux, „La Mosquée rouge, sanctuaire taliban de la capitale pakistanaise“, Le Monde, 22. Mai 2007. 5 Paul Bremer war von Mai 2003 bis Juni 2004 die höchste zivile Autorität im besetzten Irak. 6 Auf die Frage, ob al-Qaida wohl eher vom Krieg profitiert habe, weil die Terrororganisation im Irak ihre Kräfte neu organisieren konnte, sagte George W. Bush auf einer Pressekonferenz am 2. Juli 2003: „Sollen sie uns da unten doch angreifen. Wir sind in der Lage, bis zum Schluss durchzuhalten.“ 7 www.defenselink.mil/transcripts/transcript.as px?transcriptid=3951. 8 Das bezieht sich auf den im Dezember 2006 vorgestellten Baker-Hamilton-Bericht. Obwohl die unabhängige Expertenkommission unter Leitung des früheren Außenministers James Baker zur Hälfte mit Republikanern besetzt war, verwarf Präsident Bush ihre Empfehlungen zum weiteren Vorgehen im Irak. Siehe: www.usip.org/isg/iraq_study_group_re port/report/1206/index.html.

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt

Syed Saleem Shazad ist Journalist und Leiter des pakistanischen Büros von „Asia Times Online“ (Hongkong).

Le Monde diplomatique vom 13.07.2007, von Syed Saleem Shazadvon Syed Saleem Shazad