11.10.2013

Odebrecht baut Brasilien

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Odebrecht baut Brasilien

Die profitable Allianz des Staats mit einem Großkonzern, der als Familienunternehmen zum Global Player aufstieg von Anne Vigna

Odebrecht baut Brasilien
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Infolasten II Odebrecht

Kennen Sie ein multinationales brasilianisches Unternehmen?“, fragte der Economist im Jahr 2000. „Ganz schön schwierig. Schwieriger noch als berühmte Belgier.“1 Dabei wusste man bei der britischen Wochenzeitung natürlich sehr wohl, dass die großen brasilianischen Konzerne sich zügig und in spektakulärer Manier auf globaler Ebene etabliert haben. Odebrecht zum Beispiel. Was Tata für Indien und Samsung für Südkorea,2 ist Odebrecht für Brasilien. In São Paulo und Rio de Janeiro, aber auch in Buenos Aires oder Asunción kommt man ohne Odebrecht-Produkte nicht durch den Tag – ohne den Strom, den der Konzern erzeugt, die Straßen, die er gebaut, den Kunststoff, den er hergestellt hat.

Odebrecht wird zwar oft als Bau- und Technologieunternehmen bezeichnet, ist aber schon seit Langem in vielen anderen Branchen tätig. Heute ist der größte Industriekonzern Brasiliens in den unterschiedlichsten Bereichen vertreten: Energie (Gas, Erdöl, Atomkraft), Petrochemie, Wasser, Agrarprodukte, Immobilien, Waffen, Spedition, Umwelttechnik, Finanzdienstleistungen und Versicherungen. 2012 hatte der Konzern sage und schreibe zwölf Staudammprojekte in Arbeit – ein Weltrekord. Allerdings erzielt Odebrecht 60 Prozent seiner Einnahmen in der Petrochemie-Branche. Am erfolgreichsten ist der zusammen mit dem Ölriesen Petrobras betriebene Kunststoffproduzent Braskem, der seine Produkte in mehr als 60 Länder exportiert.

Die Firmen des Konzerns – Pardon! der „Organisation“, wie man gebeten wird sie zu nennen – sind über 27 Länder verteilt und beschäftigen mehr als 250.000 Menschen, davon aber 80.000 nur indirekt. Ihr Umsatzvolumen hat sich zwischen 2002 und 2012 versechsfacht, von umgerechnet 5 Milliarden Euro auf 32,3 Milliarden Euro. João Augusto de Castro de Neves, Lateinamerika-Experte der Eurasia Group, einer Beratungsgesellschaft für Wirtschaftsanalysen, zählt Odebrecht „zu den brasilianischen Unternehmen, die in den letzten zehn Jahren auf spektakuläre Weise gewachsen sind und die heute praktisch das Rückgrat der brasilianischen Wirtschaft bilden“.

Der erste Odebrecht war 1856 aus Deutschland in den südlichen brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina eingewandert. 1918 ließ sich ein Enkel Emílio weiter im Norden, in Salvador de Bahía, nieder. Dort gründete Norberto Odebrecht 1944 das heutige Familienunternehmen, das seinen Namen trägt und mittlerweile in dritter Generation von seinem Neffen Marcelo geführt wird. Mit seinen 93 Jahren gilt „Doutor Norberto“, wie er genannt wird, noch immer als der große Chefdenker, dessen Unternehmensphilosophie als Schlüssel zum Erfolg gefeiert wird.

„Zu schnell zu wachsen, bringt Risiken“, erklärt Márcio Polidoro, der Sprecher des Unternehmens. Auch deshalb, weil neue Mitarbeiter „nicht ausreichend Zeit haben, sich anzueignen, was uns stark macht: die TEO.“ Die drei Buchstaben stehen für „Tecnologia Empresarial Odebrecht“ und bezeichnen die spezifische Unternehmenskultur, für deren Verbreitung unter den Arbeitnehmern die „Wissensgemeinschaften“ sorgen sollen. Sie gewährleisten die „Weitergabe von Erfahrung“ und damit „eine ständige Weiterbildung auf Grundlage der Arbeit“, so dass die „jungen Talente“ von den „ausbildenden Führungskräften“ lernen können. Das Unternehmen wird zur Schule, deren Wissensvermittlung weniger auf Emanzipation als auf Produktivitätssteigerung zielt.

„Die Organisation sollte eine horizontale Struktur haben, in der die Entscheidungen und Ergebnisse nicht von oben nach unten und von unten nach oben gereicht werden, sondern fließen und zurückfließen“, schreibt Norberto Odebrecht. Publiziert sind solche Gedanken in einem Sammelband mit dem Titel „Ausbildung durch Arbeit“, den jeder neue Angestellte lesen muss.

Odebrecht wurde von einem evangelischen Pastor zunächst auf Deutsch, später auf Portugiesisch erzogen. Den moralischen Werten seiner Erziehung blieb er zeitlebens treu. „Ein Unternehmer hat zuallererst die Pflicht, auf seine Gesundheit zu achten, indem er ein einfaches Leben führt und sich von weltlichen Vergnügungen und Lastern fernhält“, verkündet der Patriarch. Entsprechend lautet seine Lieblingsmaxime: „Moralische Größe ist die Basis für materiellen Reichtum.“

Die Philosophie des Doutor Norberto

Wie bei den meisten international agierenden Konzernen Brasiliens haben auch im Fall Odebrecht – was nicht ganz zu Norbertos Philosophie passt – jenseits einer „vorbildlichen Geisteshaltung“ ganz andere Faktoren eine mindestens ebenso bedeutende Rolle gespielt. An erster Stelle der Staat.

Unter dem autokratischen Präsidenten Getúlio Vargas (1930 bis 1945 sowie 1950 bis 1954) und später unter der Militärdiktatur (1964 bis 1985), übernahm der Staat im Namen einer autonomen ökonomischen Strategie, die auf Importsubstitution durch eigene Produkte setzt, die Rolle eines „Geburtshelfers“. Der Staat unterstützte also nach Darstellung des Wirtschaftswissenschaftlers Peter Evans „die Entstehung neuer Unternehmensgruppen oder die Expansion bereits existierender Unternehmen in neue risikoreiche Produktionsbereiche“.3

Mit dem Bau von Staudämmen, Straßen und U-Bahnen, von Erdölförderanlagen oder Atomkraftwerken wurde ein „Wirtschaftswunder“ erzeugt, das für Odebrecht zu einem wahren Segen wurde. Dank des Staats konnte das Unternehmen die Kosten seiner technologischen Entwicklung „sozialisieren“: Die höheren Preise für Produkte und Dienstleistungen, die das Land nicht mehr importieren wollte, gingen zulasten des Steuerzahlers. Leicht verwirrt befand die Brooking Institution, ein wirtschaftsliberaler Thinktank in Washington, der brasilianische Protektionismus habe „paradoxerweise“ das Fundament für eine neue Generation privatwirtschaftlicher Unternehmen gelegt, „die exportorientiert am internationalen Wettbewerb teilnehmen.“4

Als das brasilianische „Wunder“ Anfang der 1980er Jahre am Ende war, verfügten die grün-gelben Konzerne über genügend Technologien und Ressourcen, um auf dem Weltmarkt mitzuhalten. 1979 expandierte Odebrecht nach Peru und Chile, 1980 nach Angola, 1988 nach Portugal, 1991 in die USA und nach der Jahrtausendwende in den Nahen Osten.

Als 2003 der Gewerkschafter Luiz Inácio da Silva zum Präsidenten gewählt wurde, konnte das Unternehmen an seine privilegierten Beziehungen zum Staat wieder anknüpfen: Zur Überraschung vieler suchte „Lula“ Kontakt und Unterstützung in Unternehmerkreisen, denen die Freihandelspolitik der Regierung Henrique Cardoso (1995 bis 2002) zum Teil zu weit ging.

Lula bekam, was er suchte. Nach Pedro Henrique Pedreira Campos, Sozialhistoriker an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, kehrte „das in den 1990er Jahren privatisierte Kapital unter die Fittiche des Staats zurück.“ Wie Campos erklärt, wurden dabei keine Unternehmen nationalisiert. Aber „über die Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES), das halbstaatliche Unternehmen Petrobras und die großen Beamtenpensionskassen5 ist der brasilianische Staat heute in 119 Unternehmen vertreten, 1996 waren es gerade einmal 30.“

So konnte die Odebrecht-Gruppe auf die Gelder des Versicherungsfonds FI-FGTS zählen: Die Kasse für die brasilianischen Arbeitslosen hält 27 Prozent von Odebrecht Ambiental sowie 30 Prozent von Odebrecht Transport; dasselbe gilt für die staatliche Entwicklungsbank BNDES, die seit 2009 zu 30 Prozent an Odebrecht Agroindustrial beteiligt ist. Schließlich hält der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras 38 Prozent der Aktien der Odebrecht-Tochter Braskem. Mit solchen Beteiligungen will die brasilianische Regierung gezielt die „Siegertypen“ unter den Unternehmen fördern, die sich wahrscheinlich im internationalen Wettbewerb behaupten können.

Auch das „Charisma“ und die neue Außenpolitik von Präsident Lula da Silva, die das Land statt auf die USA und Europa mehr auf Lateinamerika und Afrika orientierte, haben zum internationalen Erfolg der brasilianischen Unternehmen beigetragen. Zwischen 2003 und 2011 besuchte Lula 20 Länder Afrikas und eröffnete 37 neue Botschaften und Konsulate.

Bei jeder dieser Lula-Reisen stellte die BNDES Kredite in Aussicht, die an Aufträge für brasilianische Unternehmen gekoppelt waren, wobei man vor allem die chinesische Konkurrenz im Auge hatte. „Man muss wissen, dass die BNDES über ein Finanzvolumen verfügt, das größer ist als das der Weltbank“, erläutert Oliver Stuenkel, Professor für internationale Beziehungen beider Stiftung Getúlio Vargas in São Paulo. Deren Auslandskredite seien ausschließlich für Güter- und Dienstleistungsexporte aus Brasilien bestimmt. Das bedeute, „dass ein brasilianisches Unternehmen den Auftrag erhält, auch dann, wenn der ausländische Staat für die Rechnung aufkommen muss“.

Innerhalb von zwei Jahren hat die Bank 1,8 Milliarden Euro für Projekte aufgewendet, die Odebrecht in Afrika und Lateinamerika realisiert. Selbstredend hat Odebrecht auch den Zuschlag für den Bau der wichtigsten Fußballstadien für die Weltmeisterschaft 2014 erhalten, die in Rio de Janeiro, São Paulo, Recife und Salvador de Bahía entstehen. Und natürlich wurde der Konzern auch mit den großen Bauvorhaben für die Olympischen Spiele 2016 in Rio betraut, die neben dem eigentlichen Olympiagelände auch eine neue U-Bahn-Linie und die Neugestaltung des Hafens umfassen.

Auch bei den Straßenprotesten im Juni 2013 ging es direkt um Odebrecht. Die Staatsanwaltschaft hat wegen des Verdachts auf Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe Anklage gegen das Konsortium Complexo Maracanã Entretenimiento SA erhoben, an dem Odebrecht 90 Prozent der Anteile hält.6 Das Konsortium bekam den Zuschlag, das traditionsreiche Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro zu einem Entertainment-Komplex auszubauen und für 35 Jahre in Konzession zu nutzen.

Hier kann man mit Fug und Recht von Günstlingswirtschaft sprechen, was viele Beobachter auch ganz unverblümt tun. In der Presse wird ausgiebig über die guten Beziehungen berichtet, die die Familie Odebrecht mit Lula da Silva unterhält, schon weil solche Korruptionsvorwürfe der einzige Angriffspunkt sind, über den die Opposition gegenüber der Arbeiterpartei (PT) verfügt.

In den letzten beiden Amtsperioden Lulas hat die Odebrecht-Gruppe ihre Zuwendungen an dessen PT im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten weiter erhöht. Allerdings achtet das Unternehmen penibel darauf, alle großen politischen Parteien zu finanzieren, was besonders bei Lokalwahlen gilt. 2006 hat es 7,8 Millionen Réis (etwa 2,6 Millionen Euro) für Parteienfinanzierung ausgegeben; bei den Wahlen von 2010, die Dilma Rousseff gewann, waren es 10,8 Millionen Réis. Unsere Fragen zu diesem Thema wollte die PT nicht beantworten. Die Position des Unternehmens hat Marcelo Odebrecht wie folgt dargelegt: „Ja, wir liegen durchaus auf einer Linie mit der Regierung, wir sehen da kein Problem. Schließlich ist es die gewählte Regierung, sie vertritt die Interessen der Bevölkerung.“7

Der uruguayische Intellektuelle Raúl Zibechi, der den Machtzuwachs Brasiliens und seiner großen Unternehmensgruppen untersucht hat, konstatiert „eine äußerst enge Beziehung“ zwischen Lula und Emílio Odebrecht für den Zeitraum 1991 bis 2004: „Diese Freundschaft hat 1989 begonnen, als Lula erstmals bei den Präsidentschaftswahlen antrat, und im Lauf der Jahre eine strategische Bedeutung erlangt. Odebrecht gehörte zu den ersten Unternehmen, die die PT zu einer Zeit unterstützten, als es nur sehr wenige Verbindungen zwischen der Partei und Arbeitgeberkreisen gab.“

Für den Konzern ist eine solche Nähe durchaus interessant und lohnend. 2006 weihte der ecuadorianische Präsident Rafael Correa, politischer Weggefährte von Lula da Silva, unter großem Pomp das Wasserkraftwerk San Francisco ein, das von Odebrecht mithilfe eines BNDES-Kredits über 241 Millionen Dollar gebaut worden war. Ein Jahr später mussten die Turbinen wegen schwerer technischer Mängel abgeschaltet werden. Da das Bauunternehmen sich weigerte, Fehler einzuräumen, verwies Präsident Correa Odebrecht des Landes und stellte die Zahlungen an die BNDES ein, bis das Werk wieder in funktionstüchtigen Zustand versetzt sei. Brasilien rief daraufhin seinen Botschafter aus Ecuador zurück.

Der Konflikt eskalierte im Dezember 2008, als das Gipfeltreffen der lateinamerikanischen Staatschefs in Salvador de Bahía stattfand, wo auch der Odebrecht-Konzern seinen Stammsitz hat. Auf großen Anzeigentafeln entlang der Route, die die Staatsoberhäupter nehmen sollten, präsentierte sich Odebrecht als „Unternehmen der regionalen Integration“. Auf einer Pressekonferenz schlug Venezuelas Präsident Hugo Chávez, eigentlich ein enger Verbündeter von Rafael Correa, in die gleiche Kerbe und pries das Unternehmen als „Freund Venezuelas“.

Lulas strategische Freundschaft

Doch in Ecuador ermittelte eine unabhängige Kommission, die die Auslandsschulden des Landes untersuchte, technische Mängel und Unregelmäßigkeiten bei der Vertragsabwicklung und der Kreditvergabe. Man entdeckte eine ganze Reihe von Problemen, die den Staat teuer zu stehen kommen: Zum Beispiel kostete ein Projekt zur Bewässerung von 100 000 Hektar Land in der ecuadorianischen Provinz Santa Elena am Ende 80 Prozent mehr als die ursprünglich angesetzte Summe.8

Bei der Beilegung dieses Konflikts hat Ecuador den ersten Schritt gemacht. Auf Befragen erklärte der ecuadorianische Botschafter in Brasília, Horacio Sevilla: „Alle haben Konzessionen gemacht – und als Erstes Ecuador.“ Dagegen wollten weder das brasilianische Außenministerium noch Lulas damalige internationale Berater die Angelegenheit kommentieren.

Undurchsichtig war auch die Vergabe eines Auftrags des Marineministeriums über den Bau von zunächst fünf U-Booten (eines davon nuklearbetrieben) mit einem Volumen von 7,8 Milliarden Réis (rund 2,6 Milliarden Euro). Der Auftrag ging 2008 ohne Ausschreibung an ein Joint Venture von Odebrecht (59 Prozent) und der französischen DCSN (41 Prozent), das bis 2047 weitere 20 U-Boote bauen soll.9 Der Vertrag, der auch einen Transfer französischer Nukleartechnologie beinhaltet, war der erste Rüstungsauftrag für Odebrecht. Zwei Jahre später gründete das Unternehmen ein Joint Venture mit der Europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen (EADS) für den Bereich Flugzeugbau, Raketentechnik und Überwachungssysteme.10 Und 2011 erlangte es die Kontrolle über Mectron, den größten Raketenhersteller Brasiliens.

Diese Ausweitung der Aktivitäten auf den Rüstungssektor geht einher mit der Modernisierungspolitik, die Lula der Armee angedeihen ließ. Während dessen zweiter Amtszeit (2007 bis 2011) stieg der Verteidigungshaushalt im Rahmen einer neuen „Nationalen Verteidigungsstrategie“ um 45 Prozent. Davon profitierten hauptsächlich der Flugzeughersteller Embraer und die Schiffswerften des Odebrecht-Imperiums. Das Terrain war allerdings bereits lange vor dem Machtantritt Lula da Silvas bereitet, erläutert Raúl Zibechi: „Odebrecht hatte schon ab 1950 wertvolle Kontakte zum Militär geknüpft, und zwar über die dem Verteidigungsministerium unterstellte Kriegshochschule ESG, den wichtigsten Thinktank Brasiliens, in dem sich Militärs und Industrielle die Klinke in die Hand geben.“11 An der ESG wurden die Familie Odebrecht und etliche Führungskräfte des Konzerns ausgebildet, und das habe natürlich unter der Diktatur „den Abschluss von Verträgen erleichtert“. Nach Zibechi ist das bis heute so.

Marcelo Odebrecht selbst bekennt, dass das Unternehmen in seinen „Wissensgemeinschaften“ eine Doktrin verbreitet, die auch an der ESG gelehrt wird.12 Es handelt sich dabei um eine nationalistische Sichtweise, in der die Wirtschaftsentwicklung als treibende Kraft für Souveränität und Unabhängigkeit fungiert. Warum das so ist, hat 2010 Marcio Pochmann erläutert, damals Leiter des Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (Ipea): „Angesichts der Riesenunternehmen, deren Geschäftsvolumen häufig das BIP mancher Nationen weit übersteigt, sind es nicht mehr die Länder, die über Unternehmen, sondern die Unternehmen, die über Länder verfügen.“ Die einzige Lösung sei daher „der Aufbau großer Konzerne.“13

Für den einstigen Gewerkschafter Lula war also die Förderung der gelb-grünen Giganten die angemessene ökonomische Strategie. An dieser Priorität hält der Expräsident offenbar auch noch im Ruhestand fest. Wie die Zeitung Folha de São Paulo berichtet, ließ er sich die Hälfte der Reisen, die er seit Ende seiner Präsidentschaft unternommen hat, von den drei großen Baufirmen Brasiliens – Odebrecht, OAS und Camargo Corrêa – finanzieren. Die von dem Blatt veröffentlichten diplomatischen Berichte legen nahe, dass diese Reisen dazu dienten, „Widerstände auszuräumen“, denen sich brasilianische Unternehmen gegenübersahen.14

Auch bei der WM am Ball

Die Bereiche, die der Konzern als strategische einschätzt, werden unter Verweis auf „nachhaltige Entwicklung“ propagiert. In den Chefetagen der Odebrecht-Gruppe versteht man darunter eine profitträchtige Mischung, in der Energie, Wasser und Nahrungsmittel die Hauptrolle spielen. In Peru etwa hat Odebrecht erstmals einen Tunnel durch die Anden gegraben, einen Fluss umgeleitet und Dämme und künstliche Lagunen angelegt, um eine Trockenzone zu bewässern. Nach Fertigstellung wird das Projekt namens Olmos in Regie von Odebrecht betrieben, das Wasser, Strom und Boden weiter verkauft, um seine Anfangsinvestitionen (die natürlich im Lauf der Zeit gestiegen sind) zu refinanzieren.

Die Konzessionen für die ersten 110 000 Hektar wurden ausschließlich an große Nahrungsmittelkonzerne vergeben. Den örtlichen Bauern dagegen wurde es bei einer Mindestgröße der Parzellen von 1 000 Hektar unmöglich gemacht, von dem bewässerten Land zu profitieren – obwohl das Projekt ursprünglich auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet sein sollte.

Freilich kann Odebrecht weder für die Methode der Landvergabe noch für die Wiederansiedlung der vertriebenen Bevölkerung in einer gefährlichen Schlucht verantwortlich gemacht werden. Beides geht tatsächlich auf das Konto der peruanischen Behörden. Auch ist keineswegs erwiesen, dass die „guten Beziehungen“ des Konzerns zum einstigen Präsidenten Alan García (1985 bis 1990 und 2006 bis 2011) für den Vertragsabschluss ausschlaggebend waren. Odebrecht glaubt schlicht, wie es ein Firmensprecher formulierte, „eine Antwort auf die Bedürfnisse des Landes zu bieten“, getreu dem Unternehmensmotto „Stets im Dienste der Menschen“.

Zum Dank hat der Konzern den Peruanern ein tolles Geschenk gemacht: den „Christus des Pazifik“, eine Replik der 36 Meter hohen Christusfigur von Rio de Janeiro. „Die Schiffsreise dieser Christusfigur hat 33 Tage gedauert, um das 33. Jahr unseres Engagements in Peru zu feiern.“

Fußnoten: 1 „Who dares wins“, The Economist, London, 21. September 2000. 2 Siehe: Martine Bulard, „Alles von Samsung“, Le Monde diplomatique, Juli 2013. 3 Peter Evans, „Embedded autonomy. States and Industrial Transformation“, Princeton University Press, 1995. 4 Lael Brainard und Leonardo Martinez-Diaz (Hg.), „Brazil as an Economic Superpower? Understanding Brazil’s Changing Role in the Global Economy“, Washington (Brookings Institution Press) 2009. 5 Previ, Funcep und Petros. 6 Siehe www.thebrazillawblog.com/rio-privatizes-maracana-stadium. 7  Negócios, Sonderausgabe, Nr. 70, São Paulo, Dezember 2012. 8 Abschlussbericht der ecuadorianischen Schuldenkommission, 2008: www.auditoriadeuda.org.ec/index.php?option=com_content&view=article&id=89. 9 Siehe frontierindia.net/dcns-wins-brazilian-submarine-order#axzz2g6LJV4rj und sundodgers.com/tag/dcns-odebrecht. 10 Dieses Joint Venture wurde von EADS wieder aufgekündigt, nachdem der Auftrag für die Sicherheitstechnik bei der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Spielen 2016 dem brasilianischen Konkurrenten Embraer zugesprochen wurde, siehe Handelsblatt, 26. Februar 2013. 11 Raúl Zibechi, „Brasil potencia. Entre la integración regional y un nuevo imperialismo“, Bogotá (Ediciones Desde abajo) 2013. 12 ADESG, Zeitschrift der Vereinigung der Diplomierten der Kriegshochschule, Sonderausgabe, Rio de Janeiro 2011. 13 Marcio Pochmann, „Estado brasileiro é ativo e criativo“, IHU, Nr. 322, São Leopoldo (Universidade do Vale do Rio dos Sinos), 22. März 2010. 14 „Empreiteiras pagaram quase metade das viagens de Lula ao exterior“, Folha de São Paulo, 22. März 2013. Aus dem Französischen von Dirk Höfer Anne Vigna ist Journalistin.

In Angola

Seit 1980 besitzt Odebrecht auch Niederlassungen in Angola. Während des Kriegs von 1975 bis 2002 hatte das Unternehmen ungeheuren Einfluss auf Präsident Dos Santos und die Generäle, erklärt Beluce Belucci, Afrikaberater der Arbeiterpartei (PT) und ehemaliger Direktor des Zentrums für afroasiatische Studien an der Universität Candido Mendes in Rio de Janeiro. „Am Ende des Kriegs, als die Generäle die in ausländischen Banken gebunkerten Petrodollars wieder nach Angola zurückführen wollten, haben etliche Unternehmen, darunter Odebrecht, mit ihnen Joint Ventures abgeschlossen, um den Transfer zu erleichtern.“

Zu diesem Zweck hat sich Odebrecht mit den Firmen Sonagol und Damer zusammengetan und das Biocom-Projekt gestartet, das Agrobrennstoffe auf der Basis von Zuckerrohr herstellen soll. An der Spitze von Sonagol, dem größten staatlichen Erdölunternehmen des Landes, steht Manuel Vicente, der Vizepräsident der Republik Angola; die Partnerfirma Damer wird von ehemaligen Generälen kontrolliert. In seinem Buch „Diamantes e sangue“ (Lissabon 2001) hat der angolanische Journalist Rafael Marques die Beteiligung Odebrechts am Diamantenhandel hervorgehoben: Über die Bergbaugesellschaft Catoca, Lda. arbeitet der Konzern mit Unternehmen zusammen, die den Söhnen des Präsidenten gehören und die viertgrößte Diamantenmine der Welt ausbeuten. A.V.

Firmenweisheiten

Wenn man das Glück hat, am Stammsitz des Unternehmens Odebrecht in Salvador de Bahía vom Pressesprecher empfangen zu werden, ist viel von dem „Glück“ die Rede, das es bedeutet, für Odebrecht zu arbeiten. Freilich hat man keine Chance, die Angestellten direkt zu befragen. Dafür kann man im Museum der Unternehmenszentrale das gemeißelte Credo des Gründers bewundern: „Optimistisch sein und Freude an der Arbeit haben bereichert die anderen.“

Auch erfährt man, dass Odebrecht dafür kämpft, ein Wäldchen mit endemischen Arten zu retten, den Emil Odebrecht 1860 gepflanzt hat und der einem Busbahnhof weichen soll. Ausführlich gewürdigt werden die wohltätigen Werke der Odebrecht-Stiftung und „soziale Programme“ für die Leute auf den Großbaustellen des Konzerns. „Ein schlecht ernährter Arbeiter arbeitet nicht gut, so einfach ist das“, sagt der Konzernsprecher und lächelt.

Das haben die Arbeiter anders in Erinnerung, die 2009 auf einer der „Musterbaustellen“ des Konzerns streiken mussten, um Klimaanlagen für ihre Schlafquartiere und besseres Kantinenessen zu erkämpfen. A.V

Le Monde diplomatique vom 11.10.2013, von Anne Vigna