10.01.2014

Die Welt aus der Sicht Teherans

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Die Welt aus der Sicht Teherans

von Shervin Ahmadi

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Die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran sind historisch stark vorbelastet. Man denke nur an die Rolle der CIA beim Staatsstreich gegen die Regierung Mossadegh 1953 und an die Besetzung der US-amerikanischen Botschaft in Teheran 1979. Diese Ereignisse sind im kollektiven Gedächtnis beider Länder immer noch sehr präsent. Und doch scheint Teheran nun zum ersten Mal bereit, einer US-amerikanischen Regierung Vertrauen entgegenzubringen. Diese Entscheidung könnte für die gesamte Region weitreichende Konsequenzen haben.

Der Richtungswechsel Teherans war alles andere als improvisiert. Er war vielmehr sorgfältig vorbereitet, wie sich schon im Verlauf der letzten Präsidentschaftswahl im Juni gezeigt hat. Das Regime hatte die umstrittensten Kandidaten vorzeitig ausgeschlossen, um Zusammenstöße zwischen deren Anhängern zu vermeiden. Die Iraner haben die versteckte Botschaft sehr gut verstanden und stimmten in großer Zahl für den Mann, der programmatisch für ein Ende der Konfrontation mit den USA stand: Hassan Rohani wurde schon im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewählt, und das bei einer Wahlbeteiligung von 72 Prozent. So konnte er aus einer innenpolitischen Position der Stärke mit den USA in die Verhandlungen eintreten.

Teherans Entscheidung für diese Gespräche basiert auf der Annahme, dass Washington angesichts der veränderten regionalen und internationalen Situation nicht mehr in der Lage ist, gegen den Iran Krieg zu führen. Für Obamas Sinneswandel spricht auch, dass die USA auf einen Militärschlag gegen das Regime in Syrien verzichtet haben und einwilligten, Assad aufzufordern, sein Chemiewaffenarsenal zu zerstören. Die westlichen Medien bezeichnen zwar Russland als treibende Kraft hinter diesem Vorschlag,1 doch Teheran reklamiert die Idee für sich und behauptet, Damaskus überredet zu haben, das Angebot zu akzeptieren. Wie auch immer – die islamische Republik ließ sich davon überzeugen, dass die Zeichen nicht mehr auf Krieg, sondern auf Verhandlungen stehen.

Die USA und Iran verfolgen in Afghanistan und im Irak parallele strategische Interessen. Außerdem beobachten beide mit großer Sorge die Entwicklung in Pakistan. Aber sie sind auch in gegensätzliche militärisch-politische Allianzen eingebunden. Der Iran unterstützt die libanesische Hisbollah, das syrische Regime und die palästinensische Hamas. Die Vereinigten Staaten sind ein Verbündeter der Ölmonarchien am Golf und Israels. Dass diese Bündnisse infrage gestellt werden, ist unvorstellbar, auch wenn der Nahe Osten für beide zunehmend an Bedeutung verliert.

Eine Annäherung auf wirtschaftlicher Ebene könnte zu schnellen Ergebnissen führen, etwa zur Freigabe der blockierten iranischen Vermögen in den USA oder zum Abschluss lukrativer Verträge in Bereichen, in denen der Iran dringenden Bedarf hat, wie zum Beispiel in der Luftfahrt. US-Unternehmen hätten gute Chancen, Aufträge zu bekommen, da sie im Iran trotz Sanktionen einen Fuß in der Tür haben. Dabei könnte auch die große iranische Gemeinde in den USA hilfreich sein, die nie mit der alten Heimat gebrochen hat. Zudem gibt es für verbesserte bilaterale Beziehungen im Iran eine solide Basis: Paradoxerweise ist die islamische Republik – von Israel abgesehen – das einzige Land im Nahen und Mittleren Osten, in dem keine antiamerikanische Stimmung herrscht. Alle propagandistischen Bemühungen in diese Richtung waren stets kontraproduktiv.

Die Neuausrichtung der iranischen Außenpolitik beschränkt sich jedoch nicht auf Washington. Auch in den Beziehungen zu den Nachbarländern hat das iranische Regime in den letzten zehn Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. So sind im Umfeld des iranischen Schlichtungsrats, der dem Obersten Führer als Beratungsorgan dient und zwischen dem Parlament und dem Wächterrat vermittelt, mehrere spezialisierte Forschungszentren entstanden. Seit 1997 entstehen in dem 1989 gegründeten Zentrum für strategische Studien ständig neue Berichte, die der politischen Führung vorgelegt werden. Einige davon werden in der dreimal jährlich erscheinenden Institutszeitschrift veröffentlicht, die früher von Hassan Rohani geleitet wurde.2 Die dort publizierten Analysen unterscheiden sich deutlich von der offiziellen Propaganda. Außerdem veröffentlicht das Institut regelmäßig Gastbeiträge ausländischer Wissenschaftler.

Die Außenpolitik des Iran bewegt sich in einem komplizierten Umfeld und beweist dabei eine beachtliche Anpassungsfähigkeit. Großes Kopfzerbrechen bereitet vor allem der östliche Nachbar Pakistan. Beunruhigt ist Teheran dabei über die Rolle von Islamabad in Afghanistan, aber auch über das Bündnis Pakistans mit den USA und die Tatsache, dass das Land als Rückzugsort für radikale Islamisten dient – und natürlich über die pakistanische Atombombe. Hinzu kommt die Instabilität des Landes, die nicht zuletzt aus seinen widersprüchlichen Verpflichtungen erwächst. Teheran hofft, seine Beziehungen mit Islamabad stabilisieren zu können und versucht dabei die Frage nach der Situation der pakistanischen Schiiten auszuklammern.3

Iranische Waren sind beliebt in Afghanistan

Im Verhältnis zu Pakistan setzt Teheran vor allem auf dessen energiepolitische Abhängigkeit. Die Verträge für das Projekt der „Friedenspipeline“, über die ursprünglich iranisches Gas über Pakistan nach Indien transportiert werden sollte, wurden im März 2013 unterzeichnet. Obwohl sich Indien schon 2005 auf Druck Washingtons aus dem Projekt zurückgezogen hat,4 geht Teheran davon aus, dass die aufstrebende Wirtschaftsmacht diese Entscheidung früher oder später überdenken wird.

Was Afghanistan betrifft, so war Teheran stets bestrebt, zu der von Washington installierten Regierung Karsai gute Beziehungen zu pflegen, weil diese Teheran immer noch lieber ist als ein Taliban-Regime. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen Iran und Afghanistan soll bei etwa 5 Milliarden US-Dollar liegen, womit es sich in den letzten vier Jahren verachtfacht hätte. Obwohl diese Zahl übertrieben scheint, ist es tatsächlich so, dass iranische Produkte auf dem afghanischen Markt sehr erfolgreich sind. Und das trotz des Drucks der USA, die dem Iran vorwerfen, die UN-Sanktionen umgehen zu wollen.

Mit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein war der Iran einen seiner schlimmsten Feinde losgeworden, was den Einfluss Teherans im Nachbarland und in der gesamten Region erheblich gestärkt hat. Die ehemaligen Kriegsgegner pflegen heute eine enge wirtschaftliche Partnerschaft und sind sogar zu politischen Verbündeten geworden.

Während der Ära Saddam Hussein hatte Teheran die irakische Opposition tatkräftig unterstützt. Einige der oppositionellen Gruppen unterhielten auch nach dem Sturz des Saddam-Regimes 2003 noch enge Beziehungen zum Iran, womit die islamische Republik ihren Einfluss auf die irakische Politik verstärken konnte. Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki gilt als enger Vertrauter Teherans; und Staatspräsident Dschalal Talabani, der zugleich Vorsitzender der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) ist, hat bei der Annäherung zwischen Washington und Teheran eine wichtige Rolle gespielt. Talabani hatte schon 2007 die ersten Gespräche zwischen Washington und Teheran vermittelt, bei denen es damals um eine Stabilisierung des Irak ging.

Komplizierter ist das Verhältnis zur Türkei. Zwar haben sich die Wirtschaftsbeziehungen seit zehn Jahren stetig intensiviert: Von 2002 bis 2012 erhöhte sich das bilaterale Handelsvolumen von 2,1 auf 21,3 Milliarden Dollar5 , insbesondere nachdem iranische Unternehmen mit Beginn der US-Sanktionen ihre Niederlassungen von den Vereinigten Arabischen Emiraten in die Türkei verlegten. Und für Teheran wird Ankara als Partner umso wichtiger, je stärker die Anziehungskraft Europas abnimmt und beide Staaten gemeinsame regionale Ambitionen entwickeln. In Bezug auf Syrien sind sich Teheran und Ankara allerdings uneins – angesichts der anhaltenden Pattsituation ist in dieser Frage eine Annäherung aber durchaus denkbar. Das zeigte sich etwa beim jüngsten Besuch des türkischen Außenministers Ahmet Davutoglu in Teheran.6

Dagegen herrscht zwischen Saudi-Arabien und dem Iran nach wie vor kalter Krieg. Nachdem das wahhabitische Königreich im Iran-Irak-Krieg (1980 bis 1988) das Hussein-Regime unterstützt hatte, normalisierten sich die Beziehungen wieder in der Regierungszeit der iranischen Präsidenten Rafsandschani (1989 bis 1997) und Chatami (1997 bis 2005), die Saudi-Arabien mehrmals einen Staatsbesuch abstatteten. Doch die Irak-Invasion der USA von 2003 führte zu erneuten Spannungen. In Riad wuchs die Sorge vor dem wachsenden Einfluss des Iran und einer politischen Marginalisierung der Sunniten. Und Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad (2005 bis 2013) trug mit seinen provokativen Äußerungen nicht gerade zu einer Entspannung bei.

Auch im Libanon treten Riad und Teheran als Rivalen auf: Saudi-Arabien unterstützt dort den ehemaligen Premierminister Saad Hariri, aber auch radikale sunnitische Gruppen, die oft al-Qaida nahestehen. Der Iran gilt dagegen als wichtigster Bundesgenosse der Hisbollah. Diese hat denn auch Riad für den Anschlag verantwortlich gemacht, der am 19. November auf die iranische Botschaft in Beirut verübt wurde – mitten in den Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm in Genf.

Die Annäherung zwischen Teheran und Washington hat die Situation zusätzlich verkompliziert. Der Iran wird versuchen, in einigen Bereichen eine privilegierte Beziehung mit den USA aufzubauen, zum Beispiel bei der Absicherung des Rückzugs der alliierten Streitkräfte aus Afghanistan oder bei der Ausbeutung der Ölfelder im südlichen Irak. Solche Kooperationen könnten die Position Saudi-Arabiens weiter schwächen. Ein Ende des kalten Kriegs zwischen Teheran und Riad ist also nicht in Sicht.

Zugleich hat der Iran gegenüber den anderen Golfstaaten eine Charmeoffensive gestartet: Anfang Dezember reiste der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Zarif, der als Architekt des Nuklearabkommens mit den USA gilt, nach Oman, Kuwait, Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Bei seinem Besuch in den VAE deutete Zarif die Bereitschaft Teherans an, in der Frage der umstrittenen Inseln in der Straße von Hormus zumindest kleine Zugeständnisse zu machen.7

Mit Charmeoffensive auf Partnersuche

Zu Katar unterhält Teheran traditionell sehr gute Beziehungen. Im Gegensatz zu den anderen Golfstaaten hatte die Regierung in Doha den Irak im Krieg gegen den Iran nicht unterstützt. Auch votierte Katar 2006 als Mitglied des UN-Sicherheitsrats nicht für die Sanktionen gegen den Iran. Erst im Syrienkonflikt hat sich zwischen beiden Staaten eine Kluft aufgetan. Dass Katar die islamistischen Kämpfer in Syrien unterstützt, kann Teheran nicht kaltlassen.

Angesicht der vielfachen Veränderungen auf der internationalen Bühne muss der Iran nach neuen Partnern Ausschau halten. Ein erster Schritt ist der Beobachterstatus bei der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organization, SCO). Auf mittlere Sicht träumt Teheran davon, in den Club der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) aufgenommen zu werden. Dagegen spricht allerdings, dass der Iran – sieht man vom Energiesektor ab – keine entsprechende ökonomische Macht darstellt. Allerdings haben sich die Brics-Staaten schon mehrfach besorgt über die militärischen Drohungen gegen den Iran geäußert.

In der Amtszeit Ahmadinedschads hat sich der Iran verstärkt in Lateinamerika engagiert. Sowohl Venezuelas damaliger Präsident Hugo Chávez als auch sein bolivianischer Kollege Evo Morales reisten zu Staatsbesuchen nach Teheran. Die iranischen Handelsbeziehungen mit Südamerika entwickelten sich sogar so gut, dass die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton schon ganz besorgt war.8

Die Beziehungen mit Europa sind seit der Revolution von 1979 ziemlich wechselhaft verlaufen. Nachdem iranische Agenten im September 1992 in Berlin vier Mitglieder der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran (DPKI) umgebracht hatten, reduzierten sich die Beziehungen zwischen Teheran und der EU auf den „kritischen Dialog“. Erst als 1997 Mohammed Chatami zum Präsidenten gewählt wurde, kam es wieder zu einer Annäherung. Kurz nach Beginn der US-amerikanischen Invasion im Irak nahm die EU – vertreten durch Deutschland, Frankreich und Großbritannien – Verhandlungen mit dem Iran über sein Atomprogramm auf. Dabei machte Teheran einige Zugeständnisse, indem man die nukleare Anreicherung einfror und das Zusatzprotokoll des Atomwaffensperrvertrags unterzeichnete.

Doch dann ließen die USA – benebelt von ihrem „leichten“ Sieg im Irak – die Verhandlungen scheitern. Im Dezember 2006 segnete der UN-Sicherheitsrat mit der von Frankreich, Deutschland und Großbritannien eingebrachten Resolution 1737 die ersten UN-Sanktionen gegen den Iran ab. 2007 beschloss dann die EU zusätzlich eigene Sanktionen, die 2012 um ein Importverbot für iranisches Erdöl und das Einfrieren aller Guthaben der iranischen Zentralbank in Europa erweitert wurden.

Dennoch haben einige EU-Staaten ihre Handelsbeziehungen mit Teheran aufrechterhalten. Insgesamt ging der EU-Handel mit dem Iran jedoch stark zurück: In den letzten beiden Jahren schrumpften die iranischen Exporte in die Europäische Union von 16,5 auf 5,6 Milliarden Euro, desgleichen die EU-Exporte in den Iran von 10,5 auf 7,4 Milliarden Euro.9

Bei den EU-Sanktionen spielten auch gewisse Sonderinteressen eine Rolle. So setzte sich etwa British Petroleum (BP) dafür ein, dass die Sanktionen nicht das Schah-Deniz-2-Projekt gefährden – die Ausbeutung eines Gasfeldes im Kaspischen Meer vor der Küste Aserbaidschans, an dem auch die iranische Ölgesellschaft Nioc mit 10 Prozent beteiligt ist. Die britische Regierung hat auch bei der Aushandlung der Genfer Nuklearvereinbarung vom 24. November eine wichtige Rolle gespielt.10 Dagegen hat sich Frankreich inzwischen ganz ins Abseits manövriert. Sollte sich die Annäherung zwischen Teheran und Washington fortsetzen und vertiefen, laufen die europäischen Unternehmen Gefahr, ihre Marktpositionen im Iran, die sie seit 30 Jahren innehatten, an die US-amerikanische Konkurrenz zu verlieren.

Fußnoten: 1 Siehe Jacques Lévesque, „Russlands großer Auftritt“, Le Monde diplomatique, November 2013. 2 www.isrjournals.ir. 3 Siehe Christophe Jaffrelot, „Bruderkrieg im Land der Reinen“, Le Monde diplomatique, Dezember 2013. 4 Siehe Michel Makinsky, „Iran-Afghanistan, les dimensions économiques d’une interdépendance, ou commerce et investissements comme outils d’influence“, In: „L’Afghanistan 2014: retrait ou retraite?“, EurOrient, Nr. 40, Paris 2013. 5 Bijan Khajehpour, „Five trends in Iran-Turkey trade, energy ties“, 31. Oktober 2013: www.al-monitor.com. 6 Siehe Ali Mohtadi, „Irans lästiger Partner“, Le Monde diplomatique, Oktober 2013. 7 Unter der Herrschaft des Schahs hatte der Iran 1968 die Inseln Groß-Tunb, Klein-Tunb und Abu Musa annektiert. Während man sich 1992 über Abu Musa einigen konnte, bestreiten die VAR nach wie vor die territoriale Zugehörigkeit der Tunb-Inseln zum Iran. 8 Les Echos, Paris, 4. Mai 2009. 9 ec.europa.eu. 10 Siehe Jean-Claude Sergeant, „Keine Sentimentalitäten mehr“, Le Monde diplomatique, September 2010. Aus dem Französischen von Jakob Horst Shervin Ahmadi ist verantwortlich für die iranische Ausgabe von Le Monde diplomatique.

Le Monde diplomatique vom 10.01.2014, von Shervin Ahmadi