11.08.2006

Wissen ist Unversehrtheit

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Wissen ist Unversehrtheit

In Burkina Faso steht Frauenbeschneidung unter Strafe. Kleine Teams sorgen im ganzen Land für Aufklärung von Hubert Prolongeau

Noch ein paar Tage wird die Trockenzeit in Burkina Faso dauern. Bald wird man nicht mehr in das kleine Buschdorf Bissiri gelangen können, das etwa fünfzig Kilometer von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt liegt. Ungefähr dreißig Lehmziegelhäuser, manche mit ummauertem Vorhof, stehen verstreut vor einem kleinen Damm. Unter einem großen Baum warten etwa fünfzig Menschen. Aminata Ouedraogo, Mitglied des Nationalen Komitees gegen die Beschneidung (Comité national de lutte contre la pratique de l’excision, CNLPE), freut sich: „Sie sind interessiert, das reicht doch schon.“ Interessieren sie sich wirklich für das, was man ihnen sagen wird? Oder freuen sie sich nur über die Zerstreuung? Über die Kostenerstattung, die die Clanchefs erhalten? Auf jeden Fall sind sie da, die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite.

Aminata Ouedraogo ist mit drei Kollegen vom CNLPE zu einer der letzten „lehrreichen Plaudereien“ dieser Saison angereist. Ihr Kontaktmann vor Ort, ein etwa zwanzigjähriger Mann, der ein Hemd mit dem Logo des Internationalen Frauentags trägt, beginnt seine Rede auf Moré, der einzigen Sprache, die alle verstehen. Zehn Minuten lang spricht er mit monotoner Stimme. Frau Ouedraogo murmelt vor sich hin: „So geht es nicht.“ Sie steht auf und schickt den jungen Mann an seinen Platz zurück. Das Publikum wartet.

Ein veritables Feuerwerk bricht los. Aminata Ouedraogo zieht Grimassen, springt von einem Fuß auf den anderen, geht zu den Frauen, wendet sich an die Männer, stellt Fragen, bezieht erst die einen mit ein, dann die anderen. Sie streckt die Zunge heraus. „Wisst ihr, wozu das gut ist, das hier?“ Einige antworten: „Zum Essen.“ „Zum Lecken.“ (Lachen) „Zum Schmecken.“ „Genau, zum Schmecken. Es dient dazu, zu schmecken, was gut ist und was nicht. Hat man euch nicht die Zunge rausgeschnitten? Habt ihr sie etwa immer noch?“ Nicken. „Also, warum schneidet man dann weiter unten alles raus?“ Brüllendes Gelächter. Aber das Gelächter ebbt ab, hört schließlich ganz auf, als die Bemerkung ihren Weg zu den Zuhörern gefunden hat. Das Spiel ist gewonnen: Eine Stunde lang erläutert Frau Ouedraogo die Argumente gegen die Beschneidung, verweist auf die Menschenrechte, vergleicht die Bräuche verschiedener Völker, um zu zeigen, dass die Beschneidung nichts Universelles ist, nimmt die religiösen Argumente auseinander, führt Europa als Beispiel dafür an, dass unbeschnittene Frauen genauso gut gebären und heiraten können.

Seit November 1996 ist die Frauenbeschneidung in Burkina Faso verboten (siehe Kasten) und wird strafrechtlich verfolgt.1 Erstaunlicherweise wird das Gesetz auch angewendet. Das Büro des CNLPE befindet sich in Kogolonaba, einem Außenbezirk Ouagadougous. Bis auf ein paar Unicef-Laster sieht es hier nicht nach Reichtum aus: überfüllte Büroräume, abblätternde Farbe, Stapel von Zementsäcken im Flur. Nur wenige Computer thronen auf den Tischen. Aus Kostengründen darf man vom Büro aus kein Mobiltelefon anrufen.

Erklären, warum ein alter Brauch heute strafbar ist

An der Wand hängen Poster der Kampagne gegen die Beschneidung mit einfachen, rohen und grausamen Bildern: Eine von afrikanischen Masken umgebene junge Frau hält sich die Hände vors Geschlecht, eine schwarze Höhlung, aus der ein paar Blutstropfen quellen. Darüber der Slogan: „Sagt nein zur Beschneidung!“. Hier versucht eine Handvoll Männer und Frauen, allesamt Beamte, das Übel zu bekämpfen. Sie arbeiten aus tiefer Überzeugung und mit großem Engagement. Multikulturelle Entschuldigungen oder Rücksicht auf die Bedeutung der Tradition lassen sie nicht gelten. Für sie zählt nur: Die Beschneidung zurückdrängen. Soziologen, Forscher und staatliche Beauftragte kommen hier zusammen. Seit 1990 arbeiten 45 Provinzkomitees (CPLPE) mit vielfältigen Maßnahmen direkt vor Ort. Denn das hauptsächliche und vordringlichste Problem ist die Information: Man muss in jedes Dorf fahren und erklären, dass sich alles geändert hat, dass heute verboten ist, was gestern noch erlaubt war.

Burkina Faso ist eines der ärmsten Länder der Welt:2 Ausgedehnte, oft trockene Savannen mitten in der Sahelzone, wo man mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft lebt, unter einem politischen Regime, das zwischen demokratischen Zugeständnissen und autoritärer Erstarrung schwankt. Sechzig Ethnien mit je eigener Sprache bevölkern das Land, nur wenige Menschen können lesen und schreiben.3 85 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land. Die Dörfer sind über die Hochebene verstreut, liegen oft weit voneinander entfernt; es gibt kaum geteerte Straßen, und in der Regenzeit sind einige Gegenden monatelang von der Außenwelt abgeschnitten. Die größte Schwierigkeit besteht darin, diese Entfernungen zu überwinden, die kilometerlangen Pisten, den Schlamm nach der Regenzeit; dazu fehlt es an Fahrzeugen, an Lautsprechern, oft sogar an Batterien für die Kassettenrekorder.

In Béré, einem kleinen Dorf in der Provinz Bazega, veranstaltet die örtliche Organisation Mwangaza Action einen Seminartag für die Clanchefs. Es sind lange Arbeitsstunden, die nach Lehreinheiten aufgeteilt sind. Man muss die Interessierten so weit bringen, dass sie die Absurdität ihrer Haltung selbst einsehen, und darf keine vorgefertigten Wahrheiten präsentieren. „Das Gesetz ist gut“, sagt Roger Belensigri, ein Soziologe, der in Béré mitarbeitet. „Aber es nützt nichts, wenn die Leute nicht überzeugt sind.“ Im Versammlungssaal des Dorfs beginnt eine Reihe von Vorträgen. Amila Tapsora von Mwangaza, eine zierliche Frau in einem hübschen, blauen Kleid und weißen Stöckelschuhen, erläutert das Programm auf Moré. Die Schaubilder werden mit der Hand auf Packpapier geschrieben und feierlich mit Klebeband befestigt. Die Chefs hören mehr oder weniger aufmerksam zu. Einer schläft schon. In der Ecke lachen zwei junge Männer.

Die Sitzung beginnt mit einer Unterrichtsstunde über die weiblichen Geschlechtsorgane, begleitet von ziemlich realistischen Zeichnungen. Frau Tapsora zeigt unbeirrt mit einem Lineal auf die Details, nachdem sie zwei Freiwillige gebeten hat, näher zu erläutern, was sie von diesen Organen wissen. Mit den äußeren Geschlechtsorganen kommen die beiden ungefähr zurecht. Aber von den inneren Organen und den Einzelheiten der Fortpflanzung haben sie kaum eine Ahnung. Es gibt viel Gelächter und Witzeleien in dieser Stunde.

Dann zieht sich das Netz unmerklich zusammen. Was wissen Sie über die Beschneidung? Was wissen Sie über die Gründe für die Beschneidung? Was sagt Ihrer Meinung nach die Religion über die Beschneidung? Die Gebräuche und Vorwände werden zerpflückt, gesicherte Überzeugungen erschüttert. Am Ende des Tages sind alle erschöpft. Ein Mann hat sich beschwert, es sei der Festtag des „Mouloud“ (an dem die Geburt des Propheten Mohammed gefeiert wird) und man erwarte ihn zu Hause. Ein anderer ist schon gegangen. Aber viele haben Interesse gezeigt, und niemand hat heftig widersprochen, wie es manchmal im Norden des Landes vorgekommen ist. Was wird hängenbleiben?

Die Clanchefs lassen sich nur schwer belehren

Am Abend ziehen die Veranstalter Bilanz. Roger Belensigri meint, es war ein Erfolg, seine Kollegin Séverine Zongo hat dagegen Zweifel. Sie sind schon mehrere Monate vor Ort, und sie bleiben noch ein halbes Jahr. Frau Zongo zählt die Schwierigkeiten auf, denen sie sich gegenübersehen: Es gibt immer mehr Anfragen, aber sie haben zu wenig Geld; das Beharrungsvermögen ist groß, und heimliche Beschneidungen nehmen zu. „Die größte Herausforderung besteht darin, die Clanchefs zu überzeugen“, erklärt Drissa Sawadogo von der Sozialbehörde der Provinz Bazega. „Sie haben Angst, ihre Autorität einzubüßen, und die Zwanglosigkeit der jungen Leute ist in ihren Augen schon der Beweis dafür.“ In den Dörfern liegt die Macht bei diesen Chefs, oft haben sie sogar mehr Einfluss als die religiösen Führer.

Manche haben sich schon überzeugen lassen. Die Teilnehmer der Veranstaltung von Béré erinnern sich an den 3. Mai 2003, als dreiundzwanzig Dörfer am selben Tag den Verzicht auf die Beschneidung erklärten. Fünftausend Menschen wohnten der Zeremonie bei, hielten den Dorfplatz besetzt wie eine Armee. Monatelang (von Dezember 2000 bis März 2002, mit Unterbrechungen während der Regenzeit) hatten Béré, Bindé und andere Dörfer an einem Informations- und Sensibilisierungsprogramm teilgenommen, bei dem es um Menschenrechte, Familienplanung und die Stellung der Frau ging.

Es war ein Festtag. Fernsehen und Presse des Landes waren gekommen. Zur Feier des Tages hatte man eine Rednertribüne aufgebaut. Es war heiß, trotzdem trugen die Menschen ihre schönsten Kleider. Eine Frau stieg auf die Tribüne und las die Erklärung vor: „Wir haben die Beschneidung praktiziert, weil wir dachten, sie sei gut für unsere Kinder, weil wir Analphabeten waren, weil wir die Folgen für die Gesundheit nicht kannten, weil wir nicht wussten, dass jeder Mensch Rechte hat, eben auch das Recht, frei über seinen Körper zu bestimmen.“ Die Botschaft ist eindeutig: Aus Unkenntnis entsteht Finsternis, Wissen führt ans Licht.

In der Provinz Oudalan im Norden des Landes: Karamoko Traoré ist ein Clanchef in den Fünfzigern mit ein paar grauen Locken im kurzen Bart, er trägt die traditionelle Kopfbedeckung und einen weißblauen Boubou. Der ganze Rummel um die Beschneidung scheint ihn eher zu amüsieren. „Wir haben immer beschnitten. Das ist die Tradition. Warum sollen wir sie ändern? Wenn man sie nicht operiert, laufen die Mädchen überallhin. Damit sie bei der Hochzeit jungfräulich sind, muss man sie beschneiden. Es ist auch hygienischer. Im Dorf meines Schwagers gibt es Frauen, die nicht beschnitten sind. Die sind verrückt.“ Was heißt „verrückt“? Er lächelt, aber er antwortet nicht. „Wir hatten immer Vergnügen mit unseren Frauen. Heute respektieren die Jungen unsere Bräuche nicht mehr. Deshalb gibt es so viel Aids, so viele Scheidungen und auch Prostitution. Die ersten Muslime haben sich zum Gebet verstecken müssen, und schließlich haben sie gewonnen. Für die, die gezwungen sind, heimlich zu beschneiden, wird es genauso sein. Ich wollte, dass meine Töchter beschnitten werden. Ich habe meine Pflicht erfüllt. Jetzt müssen sie ihre erfüllen.“

Diese Argumente können noch weiter gehen. So bekommt man zu hören, die Klitoris enthalte Würmer, sie mache den Mann impotent, und wenn sie bei der Geburt den Kopf des Babys berühre, müsse es sterben. Ernster zu nehmen ist die Tatsache, dass die Beschneidung auch als Initiationsritual gilt – dem heute allerdings schon sehr kleine Mädchen – manche sind nur ein paar Monate alt – unterzogen werden.

Nur gesundheitliche Argumente zählen

Jedenfalls nützt es nichts, auf den Verlust des Lustempfindens zu verweisen. Der Soziologe Zachari Congo meint: „Die meisten Frauen wurden als Jungfrauen beschnitten, und sie begreifen oft nicht, was sie verloren haben könnten. Für den Kampf gegen die Beschneidung muss man eher mit gesundheitlichen Gründen argumentieren oder auch damit, dass der Verzicht auf die Beschneidung eine leichtere Geburt ermöglicht – aber nicht damit, dass die Frauen mehr sexuelle Lust empfinden.“

Oft zeigt sich auch die Angst, zu tun, was der „Weiße“ will. Der Journalist Boubacar Traoré schreibt in einem Editorial mit dem Titel „Verdammt die Beschneidung nicht!“4 : „Der Kampf gegen die Beschneidung zeugt in vieler Hinsicht auch von einem Zusammenprall der Kulturen. Wie soll man einer alten Beschneiderin aus Mali, die ihr Handwerk bei ihrer Mutter gelernt hat und diese wiederum bei ihrer Mutter, erklären, dass ihre Tätigkeit heute ein Verbrechen ist? Es gibt Praktiken, die uns aus westlicher Perspektive barbarisch erscheinen mögen, an anderen Orten aber ein ganz alltägliches Ritual sind. Es handelt sich nur um eine kulturelle Frage. Umgekehrt werden Sie wohl mehr als einen Afrikaner finden, der sich darüber aufregt, dass viele westliche Menschen ohne Gewissensbisse die eigenen alten Eltern in ein Altersheim verbannen.“

Die Erziehung musste sich auf ihre alte Gefährtin, die Repression, stützen. Das Gesetz gegen die Beschneidung vom November 1996 sieht für Beschneiderinnen Haftstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren vor, beim Tod der Beschnitten zwischen fünf und zehn Jahren, außerdem eine Geldbuße in Höhe von 150 000 bis 900 000 Franc CFA (229 bis 1 372 Euro). Ärzte erhalten die Höchststrafe und ein fünfjähriges Berufsverbot. Zeugen, die die Beschneidung nicht anzeigen, können zu einer Geldbuße von 50 000 bis 100 000 Franc CFA (76 bis 152 Euro) verurteilt werden. Anzeigen werden unter einer kostenlosen Hotline bei „SOS Beschneidung“ entgegengenommen.

Wenn jemand diese Nummer wählt, klingelt das Telefon auf dem Schreibtisch des Polizisten Antoine Sarron. Diesmal ist es ein Nachbar, der Vorbereitungen zu einer Beschneidung in einem Hof im Bezirk Tampoui in Ouagadougou meldet. Mit zwei Kollegen steigt Sarron ins Polizeiauto und fährt los.

Tampoui ist eines der Armenviertel, die rings um Ouagadougou entstehen. Von dort sieht man in der Ferne die Baugerüste von Ouaga 2000, der neuen Stadt, die gerade „im Stil von Brasilia“ gebaut wird. Eine ungeteerte Straße, von der rote Staubwolken aufwirbeln, sobald ein Fahrzeug darüberfährt; Bettler, die auf dem nackten Boden schlafen; ein Abwasserkanal; zahllose kleine Läden, die alles Mögliche verkaufen; „Maquis“ genannte kleine, einfache Restaurants, in denen Innereien, Köpfe und Lammhaxen gebraten werden.

Das Auto hält vor einem Haus, und sofort entsteht ein Menschenauflauf. Der Polizist steigt aus und klopft. Auf der Straße gibt es ein wenig Tumult, eher neugierig als aggressiv. Umso besser: Je mehr zuschauen und zuhören, desto wirkungsvoller verbreitet sich die Botschaft.

Eine Frau öffnet. Weiß sie, worum es geht? In ihren Augen blitzen Furcht und Verschlagenheit auf, wie oft bei Menschen, die die Polizei erwarten und sie an der Nase herumzuführen hoffen. „Guten Tag. Ich bin Polizist. Wir haben einen Anruf erhalten, dass hier eine Beschneidung vorgenommen werden soll.“ Schweigen. Ein Mann kommt dazu. „Eine Beschneidung? Hier? Nein.“ Sarron hat gemerkt, dass er hier richtig ist. Der Mann leugnet zu heftig und wenig überzeugend. Sarron geht mit seinen beiden Kollegen in den Hof. Dort spielen zwei kleine Mädchen. Welche von beiden sollte beschnitten werden? Vielleicht beide. Jetzt ist noch Zeit, die Sache aufzuhalten. Auch Sarron erklärt. Er weist nochmals darauf hin, dass die Beschneidung verboten ist, erläutert das Gesetz und die Risiken, versucht, die Gründe für das Verbot darzulegen. Jetzt leugnet die Hausherrin nicht mehr, auch wenn sie nichts zugibt, Sarron versucht auch nicht, sie dazu zu zwingen. Nach einer Stunde fährt er wieder ab. Hat er die Leute überzeugt? Er weiß es nicht. Aber er will lieber vorbeugen als bestrafen. „Jetzt wissen sie es. Ich hoffe, die Botschaft kommt an. Viele Beschneidungen finden noch statt, weil die Leute keine Ahnung haben. Wenn sie jetzt trotzdem die Beschneidung machen, erfahren wir es. Und dann muss ich hart durchgreifen.“

In den Provinzen fährt die jeweilige lokale Polizei an den Ort des Geschehens. Aber es gibt noch immer einige, zu viele, die sich über das Verbot hinwegsetzen. Sogar in der Stadt. Vor zwei Jahren gab es in Ouagadougou große Aufregung um die Verhaftung und Verurteilung einer gewissen „Dame Barry“. Am 15. August 2004 wurde sie mit dreizehn Komplizen im Bezirk Tanghin mitten in der Stadt verhaftet. Sie hatte sechzehn Mädchen beschnitten, alle mit derselben Klinge. Dame Barry war siebzig Jahre alt und hatte bereits viermal wegen Beschneidung im Gefängnis gesessen. Sie verlangte 250 Franc CFA (38 Eurocent) pro Operation. Diesmal bekam sie sechs Jahre Haft. Seitdem ist sie die Galionsfigur der unbeugsamen Beschneider.

Am 16. August 2004 wurden in Massé vier Opfer einer Beschneidung entdeckt, von denen eines, eine Zweijährige, an den Folgen der Operation starb. Der Großvater hatte die Beschneidung verlangt. Die Beschneiderin, eine gewisse Bila Kaboré, wusste von dem Verbot und hatte geschworen aufzuhören. Einen Monat später, im September 2004, verlangte in der Provinz Nahui ein Mädchen selbst, beschnitten zu werden, weil sich seine Spielkameradinnen über es lustig machten. Auch dort hatte der Beschneider sein Handwerk bereits aufgegeben, aber die Fetische hatten ihm prophezeit, er werde noch im selben Jahr sterben, wenn er das Mädchen nicht operiere.

Zum Verbot gehört die Verheimlichung. Man beschneidet also heimlich und immer früher, manchmal Säuglinge, weil das einfacher ist. Regelmäßig fahren die Leute aus der Stadt aufs Land, wo man oft protzige Allradfahrzeuge vor der Tür von Beschneiderinnen halten sieht. Manche Eltern fahren nach Mali oder Ghana, wo kein Gesetz die Beschneidung verbietet. Bislang ist noch niemand für Beschneidungen im Ausland verurteilt worden. Dort wird weniger auf Hygiene geachtet, und die Tarife steigen.

Noch sind die „Widerstandsnester“ zahlreich. In sechzehn Provinzen haben die Befürworter der Beschneidung offenbar noch die Oberhand. Für die Beschneiderinnen, die ihr Wissen von Mutter zu Tochter weitergeben, wird das Handwerk aufgrund der Heimlichkeit immer lukrativer. „Ich habe zehn Jahre bei meiner Großmutter zugeschaut, dann habe ich übernommen“, erzählt eine Frau aus Markoye in der Provinz Oudalan. „Ich habe mit 22 angefangen und beschnitten, bis ich 46 war. Die Mütter sind zu mir gekommen. Einmal wäre ein Mädchen fast gestorben, dann habe ich aufgehört.“

In einigen Ländern, darunter Burkina Faso, geben Beschneiderinnen bereits ihr Handwerk auf. Aber was tun diese Frauen dann, ohne ihren gewohnten Broterwerb? Inzwischen gibt es Diskussionen, ob der Staat den Beschneiderinnen eine andere Arbeit5 anbieten muss. Félicité Bassolé, die Leiterin des CNLPE, ist dagegen. Zum einen, weil das wie eine nachträgliche Legitimierung der früheren Tätigkeit wäre, zum anderen, weil die Frauen den Staat erpressen können, wenn ihnen ihre neue Arbeit nicht gefällt. „Ich möchte sie nicht umschulen, denn wenn ich sie umschule, dann erkenne ich sie auch an“, protestiert Frau Bassolé.

Der CNLPE mag in mancher Hinsicht nicht perfekt sein. Doch obwohl er kaum über das Geld und die Macht verfügt, seine selbstgesteckten Ziele zu erreichen, obwohl er der heimlichen Beschneidungen nicht Herr wird, kann er Erfolge vorweisen. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation von 2001 wird die Beschneidung noch in 14 von 45 Provinzen Burkina Fasos praktiziert, aber sie wird bei den jüngeren Frauen deutlich seltener: 75,4 Prozent der Frauen über zwanzig sind beschnitten, aber nur 43,6 Prozent der Mädchen und jungen Frauen zwischen elf und zwanzig, und 16,3 Prozent der Fünf- bis Zehnjährigen; insgesamt sind 58,72 Prozent der muslimischen Frauen beschnitten. Die Aufklärung vor Ort hat große Fortschritte gemacht. 90 Prozent der Bevölkerung wissen jetzt, dass es ein Gesetz gegen Beschneidung gibt. Und diejenigen, die es übertreten, wissen, was sie tun und welches Risiko sie eingehen.

Fußnoten: 1 Siehe Joëlle Stolz, „Frauenstolz und Männermacht. Die Kampagne gegen die Mädchenbeschneidung in Burkina Faso“, Le Monde diplomatique, 11. September 1998. 2 Burkina Faso steht auf Platz 175 (von 177) des „Human Development Index“ des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). hdr.undp .org/reports/global/2005/. 3 Laut UNDP sind 8,1 Prozent der Frauen und 18,5 Prozent der Männer über 15 Jahren alphabetisiert. 4 www.afrik.com/article5691.html. 5 In Guinea haben einige Beschneiderinnen angedroht, ihr Handwerk wiederaufzunehmen, wenn sie nicht besser unterstützt würden, und junge Frauen haben sich als ehemalige Beschneiderinnen ausgegeben, um Anspruch auf eine alternative Arbeit zu erlangen. Aus dem Französischen von Sabine Jainski Hubert Prolongeau ist Journalist und Verfasser von „Victoire sur l’excision. Pierre Foldes, le chirurgien qui redonne l’espoir aux femmes mutilées“, Paris (Albin Michel) 2006.

Le Monde diplomatique vom 11.08.2006, von Hubert Prolongeau