11.03.2011

Kopf und Bauch

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Kopf und Bauch

Feministischer Glaubenskrieg in Frankreich von Robert Zaretsky

Zuerst die gute Nachricht: Nach einer wechselvollen Geschichte hat Frankreich den Kopf von Henri IV. wieder. Nachdem das königliche Haupt 1919 zusammen mit einem Paar Strümpfen und einem Lampion versteigert worden war, blieb es jahrzehntelang verschollen, bis der einbalsamierte Kopf 2008 überraschend wieder auftauchte. Nun hat ein Team von Forensikern und Pathologen im British Medical Journal bestätigt, dass der besagte Kopf tatsächlich einst auf den königlichen Schultern saß.

Wenn wir doch alle nach 500 Jahren noch so gut aussähen! Das mumifizierte Haupt hat einen Bart, am linken Ohrläppchen hängt zwar kein Ring mehr, aber der Einstich ist noch gut zu sehen. Man erkennt sogar die Narbe vom fehlgeschlagenen Attentat von 1594. Beim nächsten Anschlag im Jahr 1610 kam der König ums Leben. Henris Tod war tragisch, weil der Monarch es verstanden hatte, die religiösen Leidenschaften zu zügeln, die sein Land zerrissen hatten. Sein Mörder, François Ravaillac, war ein fanatischer Katholik. Nach dem Tod des Königs gingen sich Protestanten und Katholiken erneut an die Gurgel und ließen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts voneinander ab.

Und die schlechte Nachricht: Die Religionskriege sind immer noch nicht vorbei – jedenfalls nicht unter den französischen Sozialisten. Das eine Lager führt die bekannte politische Theoretikerin Élisabeth Badinter an, deren Mann, Robert Badinter, unter François Mitterand Justizminister war. Und der Kopf des gegnerischen Lagers ist Sylviane Agacinski, eine nicht weniger berühmte Intellektuelle, die mit dem ehemaligen sozialistischen Premierminister Lionel Jospin verheiratet ist. Die Einheit der Sozialisten steht auf dem Spiel. Und 2012 sind in Frankreich Präsidentschaftswahlen.

Schon in den 1990er Jahren waren die beiden Fraktionen in der Debatte über die parité (die Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Besetzung von politischen Ämtern) aneinander geraten. Badinter argumentierte damals, dass ein Gleichstellungsgesetz unvereinbar sei mit dem republikanischen Ideal der Gleichheit. Denn das unterscheidet nicht nach Rasse oder Geschlecht, sondern kennt ausschließlich Staatsbürger. Man würde sich damit außerdem den gleichen „peinlichen und demütigenden Rechnereien“ unterwerfen, zu denen die US-amerikanische Quotenregelung führe.

Agacinski vertrat hingegen die Ansicht, dass Frauen nicht nur anders behandelt würden als Männer, sondern auch anders seien. Folglich müsste ihre Gleichstellung auf der Anerkennung dieser Wesensunterschiede basieren. Am Ende obsiegte Agacinskis Position: 1999 wurde die parité im französischen Gesetz verankert.

Verglichen mit der aktuellen Auseinandersetzung, verlief die damalige Debatte geradezu harmlos. Der unmittelbare Stein des Anstoßes ist die bevorstehende Revision eines französischen Gesetzes von 2004, das Leihmutterschaft untersagt. Politiker von links und rechts regten letztes Jahr eine Gesetzesänderung an. Sarkozys Familienministerin Nadine Morano erklärte öffentlich, wenn ihre eigene Tochter unfruchtbar wäre und sich ein Kind wünschte, würde sie selbst freudig die Rolle einer Leihmutter (beziehungsweise Leihgroßmutter) übernehmen.

Élisabeth Badinter machte sich für die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen stark, berief sich wiederholt auf Simone de Beauvoir und zog die Vorstellung, Frauen wären zur Mutterschaft geboren, ins Lächerliche: Die Identität als Mutter sei genauso ein Konstrukt wie die Identität als Frau. Es sei schließlich eine der entscheidenden Einsichten des Feminismus, dass der Mutterinstinkt eine bloße Fiktion sei, die im Laufe des Lebens aufgebaut werde. Frauen seien keine „weiblichen Tiere, deren Körper bei der Geburt eines Kindes von einer Hormonflut überschwemmt wird und die ihr Neugeborenes in den Arm nehmen und rufen: ,Ich erkenne dich und du bist mein!‘“.

Ganz im Gegenteil, erwidert Agacinski. In ihrem Buch „Corps en miettes“ (Körper in Scherben) wirft sie ihrer Kontrahentin Badinter einen Rationalismus vor, der den Menschen „instrumentalisiere“ und die menschliche Unvollkommenheit mit technischen Mitteln beseitigen wolle. Agacinskis Position, die man als Geschlechterdifferenzialismus bezeichnen könnte, hält an den biologischen Grundlagen der Geschlechterdifferenz fest. Vor allem in Fragen der Familie sei es gefährlich, den Unterschied zwischen Männern und Frauen zu leugnen.

Homosexuelle hätten also zwar Anspruch auf die vollen bürgerlichen Rechte. Aber schwule Paare dürften nicht das Recht haben, ein Kind zu adoptieren oder „sich eine Gebärmutter anzumieten“. Ein Kind, das aus einem anderen Bauch geboren werde, könne keine natürliche Beziehung zu einem solchen Paar entwickeln – das zu bestreiten sei „blanker Unsinn“. Ja, Agacinski befürchtet sogar, dass die vorgeschlagene Gesetzesnovelle einen Teufelskreis in Gang setzen könnte: Je häufiger Kinder auf „andere Weise“ gemacht würden, desto unerträglicher werde jede Form von Unfruchtbarkeit. Dadurch werde die kommerzielle Fortpflanzung über kurz oder lang zu einem wachsenden Markt, in dem Kinder zur Ware würden und der Mutterleib zu einem Leihobjekt verkäme.

Ende letzten Jahres verhärteten sich die Fronten weiter. Im November 2010 unterzeichneten etliche sozialistische Intellektuelle und Politiker, darunter prominente Persönlichkeiten wie der ehemalige Premierminister Michel Rocard und die frühere Justizministerin Élisabeth Guigou, ein Manifest mit dem Titel: „Leihmutterschaft: Die zugespitzte Entfremdung“.

Die Erklärung selbst griff Agacinskis Kritik auf. Sie warnte, dass Badinters Haltung nicht nur einen Rückschritt für die Frauen bedeute, sondern auch den Gegnern einer progressiven Politik in die Hände spiele. Zwei Wochen später reagierte Badinters Lager mit einem Manifest in der Tageszeitung Le Monde. Unterzeichnet hatten knapp 60 sozialistische Intellektuelle und Politiker. Hauptargument: Die von Agacinskis Anhängern befürchteten Auswüchse ließen sich durch Vorsichtsmaßnahmen leicht verhindern.

Bei einem Treffen, das kurz danach in der sozialistischen Parteizentrale stattfand, kam ein kleiner – und sehr kostbarer – gemeinsamer Nenner der beiden Lager zum Vorschein. Das Treffen endete mit dem Vorschlag für ein Gesetz, das allen Paaren, ob ungewollt kinderlos, lesbisch oder schwul, sowie alleinstehenden Frauen mit Kinderwunsch Unterstützung zusichern soll. Gleichzeitig sollte die offizielle Parteilinie beibehalten werden, die eine Legalisierung der Leihmutterschaft ablehnt. Zwei Galionsfiguren der Sozialistischen Partei Frankreichs haben sich interessanterweise nicht zu Wort gemeldet: Martine Aubry und Ségolène Royal, die beiden Hoffnungsträgerinnen für die Präsidentschaftswahl 2012.

Womit wir wieder bei unserem Ausgangspunkt wären, nämlich Henris verschrumpeltem Haupt. Vor kurzem verfasste Agacinski gemeinsam mit anderen Autorinnen ein umstrittenes Manifest, das das bestehende Verbot der Leihmutterschaft verteidigt. Unterzeichner waren auch mehrere bekannte Katholiken, die begriffen hatten, dass Agacinskis Differenzialismus im Grunde eine säkularisierte katholische Theologie ist: Beide teilen den Glauben an die Heiligkeit des menschlichen Körpers und die Angst vor dem, was passieren kann, wenn soziale Normen mit technischer Machbarkeitslogik gekoppelt werden.

Im 16. Jahrhundert stritt man über so undurchsichtige Vorstellungen wie Transsubstantiation und Konsubstantiation. Aber im Grunde ging es schon damals um die Grenzen des Profanen. So ist es auch heute: Obwohl es bei dem Streit nicht mehr um den Leib Christi, sondern um den Körper der Frauen geht, ist das, was für beide Seiten auf dem Spiel steht, immer noch dasselbe geblieben.

Aus dem Englischen von Robin Cackett

Robert Zaretsky ist Professor für Geschichte am Honors College der University of Houston. Er ist Autor, gemeinsam mit Alice Conklin und Sarah Fishman, von: „France and Its Empire Since 1870“, Oxford (Oxford University Press) 2010.

© Le Monde diplomatique, London; für die deutsche Übersetzung Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.03.2011, von Robert Zaretsky