13.04.2007

Empiriker Durkheim

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Empiriker Durkheim

„Es gibt keine Gesellschaft, die nicht das Bedürfnis verspürt, in regelmäßigen Abständen das kollektive Empfinden und die kollektiven Vorstellungen zu pflegen und zu festigen, die ihre Einheit und ihren Charakter ausmachen. Diese moralische Instandsetzung kann nicht anders als durch Zusammenkünfte, Versammlungen und Kongregationen erreicht werden, in denen die Individuen eng zusammenrücken und gemeinsam ihre gemeinsamen Empfindungen festigen; deshalb die Zeremonien, die sich durch ihren Gegenstand, die von ihnen hervorgebrachten Ergebnisse und die dafür verwendeten Verfahren ihrer Natur nach nicht von eigentlich religiösen Zeremonien unterscheiden. Welcher Unterschied besteht zwischen einer Versammlung von Christen, die die Lebensdaten Jesu begehen, oder von Juden, die den Auszug aus Ägypten oder die Verkündigung der zehn Gebote feiern, und einer Zusammenkunft von Bürgern, die gemeinsam die Einsetzung eines neuen Moralkodex oder irgendein Großereignis der nationalen Geschichte erinnern?“

Aus: Emile Durkheim, „Les formes élémentaires de la vie religieuse“ (1912), Paris (PUF) 1960, deutsch: „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1981

Le Monde diplomatique vom 13.04.2007