11.05.2007

Gastlichkeit einer Muttersprache

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Gastlichkeit einer Muttersprache

Die dahergelaufenen Worte sollten dem Französischen willkommen sein von Tahar Ben Jelloun

Warum höre ich aus der Grotte meines von zwei Sprachen behausten Gedächtnisses keine Klagen? Die Worte zirkulieren dort frei, und es ist auch keine Tragödie, wenn sie von anderen Worten ersetzt oder übertrumpft werden. Wahrscheinlich liegt es daran, dass meine Muttersprache gastfreundlich ist und das Zusammenleben klug und humorvoll pflegt.

Wie oft habe ich beim Schreiben ein Loch, eine Leere, eine Art sprachliche Lücke verspürt. Ich suche den treffenden Ausdruck, das rechte, manchmal ganz banale Wort, und finde es nicht. Das Arabische, Hochsprache oder Dialekt, eilt mir zu Hilfe und bietet verschiedene Lösungen an. Ich schreibe diese arabischen Worte in den französischen Text hinein, bis mir dann später der flüchtige französische Ausdruck wieder einfällt. Es ist eine Frage meiner Laune, meiner Erschöpfung oder meines Herumirrens.

Ja, beim Schreiben begebe ich mich manchmal auf Irrwege, ganz so als müsse ich das Fundament meiner Zweisprachigkeit festigen. Ich wühle in meiner Gedächtnisgrotte und vermenge lustvoll die Sprachen, nicht etwa um einen zweisprachigen Text zu verfassen, sondern nur um eine Art gegenseitige Ansteckung zu erreichen. Das ist besser als eine einfache Vermischung, es ist Multikultur (Métissage), wie zwei Stoffe, zwei Farben, die sich in unendlicher Liebe umfangen.

Das ist ganz einfach eine fabelhafte Situation. Niemand kann ernsthaft behaupten, die Zugehörigkeit zu zwei Welten, zwei Kulturen, zwei Sprachen sei keine Chance, kein unerhörter Glücksfall für die französische Sprache. Denn ich schreibe auf Französisch. Ich habe mich dieser Herausforderung gestellt und habe nie den Wunsch verspürt in klassischem Arabisch zu arbeiten. Leider beherrsche ich diese schöne, reiche, vielfältige Sprache nicht gut genug. Wie es der Zufall und die Geschichte so wollten. Ich hätte mich früh voll und ganz dieser Sprache verschreiben müssen, um sie nutzen und zum bevorzugten Ausdrucksmittel meiner Fantasie machen zu können. Dabei wusste ich, wie eine Figur in William Faulkners „Schall und Wahn“ bemerkt, dass „die Worte nie dem entsprechen, was sie sich auszudrücken bemühen“.

Seit der Grundschule hatte ich mit zwei Sprachen zu tun, befasste mich munter mit zwei ethnischen Wortgemeinschaften, mit zwei Häusern, eines größer als das andere, alle beide gastfreundlich, luftig, geräumig, mit ein paar Schätzen unter dem Marmor oder den von begabten Handwerkern angefertigten Zellige (marokkanische Wandfliesen). Mein Vater befürchtete, das Französische werde das Arabische verdrängen. Meine Mutter, die weder lesen noch schreiben konnte, sagte: „Lerne nur alle möglichen Sprachen, solang du dich mit mir weiter im arabischen Dialekt unterhältst!“

Die Freiheit in meiner Grotte

Meine ersten Gedichte habe ich ganz selbstverständlich auf Französisch verfasst, weil ich gerade „Elsas Augen“ von Louis Aragon las und mich diese stark von der arabisch-andalusischen Liebeslyrik inspirierten Gedichte zutiefst bewegten. Diese Texte haben meine ganze Jugend begleitet. Junge Mädchen sprach ich mit ein paar Verszitaten von Aragon an. Später habe ich die Surrealisten entdeckt, und da wusste ich, es war die französische Sprache, mit der ich alles ausdrücken wollte. Das Französische schenkt mir eine Freiheit und Lebenslust, die mich entzückt und meine im Innersten verborgenen Gedanken mit schönem Elan hervorlockt.

Genau diese Freiheit beherrscht meine Grotte. So können sich die Worte aus beiden Sprachen berühren, austauschen und sogar ein- und auswandern. Wenn das französische Innenministerium die Prozeduren um das Einreisevisum auch auf Worte ausdehnen würde, blieben viele Ausdrücke an der Grenze hängen. Das Französische hat in seiner Umgangssprache, aber auch in den Wörterbüchern hunderte von arabischen Worten aufgenommen, umgangssprachliche Wendungen, aber auch technische Wörter. Deren Einwanderung, ihre Grenzüberschreitung, hat sich jedoch ohne Wissen der Zensoren und anderer Kontrolleure vollzogen. Einstweilen ist die „Sprachpolizei“ noch nicht im Amt.

Wie bedauerlich, dass der französische Staat den Fehler macht, die Gelder für die kulturelle Zusammenarbeit weltweit zu kürzen. Je mehr Frankreich in dieser Hinsicht spart, vor allem an den Exportkulturgütern, die es im Ausland vertreten, desto mehr treibt es den Untergang der französischen Sprache und der französischen Kultur auf internationaler Ebene voran – ein schäbiger Geiz, der die Schönheit der französischen Sprache verhöhnt.

Wenn Frankreich seine Budgets immer mehr zusammenstreicht, verliert es an Ansehen und gibt ein schlechtes Bild ab. Diese Kürzungen werden von mittelmäßigen Politikern beschlossen, die keine Visionen und keinen Ehrgeiz besitzen und davon ausgehen, dass Kultur, wenn sie nicht unmittelbar Geld einbringt, fallen gelassen werden kann und dass man sich seine Glanzlichter genauso gut auch anderswo suchen kann. Das ist der Zeitgeist – der kommerzielle Wert beherrscht alles.

Wir sollten nicht mehr auf den Staat und seine Politik setzen, um der französischen Sprache zu dienen. Wenn ich wir sage, denke ich an all die mehr oder weniger anonymen Autoren. Ich denke an die Dichter, die zwar wissen, dass die großen Verlage, bis auf ganz wenige Ausnahmen, keine Lyrik mehr verlegen, und dennoch schreiben sie weiter und bebildern diese Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist.

In „Das Todesjahr des Ricardo Reis“, schreibt José Saramago: „Wahrscheinlich erwählt sich die Sprache die für sie notwendigen Autoren und benutzt sie, um einen Bruchteil der Wirklichkeit darzustellen.“ Ich möchte hinzufügen: Die Sprache drückt auch das aus, was hinter diesem Bruchteil steckt, das, was man nicht sieht oder nicht sagt. Sie geht über die Realität hinaus, denn sie unterwirft sich nicht der sichtbaren Wirklichkeit, sondern vielmehr ihren geheimnisvollsten, rätselhaftesten Bestandteilen.

So bin ich erwählt worden, und dabei war ich immer überzeugt, dass sich die Frage der Wahl nicht einmal gestellt hat, denn als es darum ging, bei der Sprache in die Lehre zu gehen, hat sich bei mir das Französische unerwartet naturwüchsig durchgesetzt. Der Beweis: Ich habe nie die Sprache gewechselt. Hin und wieder habe ich mich gegen den zweideutigen, einengenden Begriff der Frankofonie aufgelehnt. Dagegen, dass der frankofone Autor ein Kanake sei, ein Dahergelaufener, einer der anderswo herstammt und der doch gefälligst etwas Abstand halten soll von den französischstämmigen Schriftstellern.

Der Begriff der Abstammung ist genauso unschön wie der des Frankofonen. Diese Unterscheidung existiert. Wörterbücher, Medien und Politiker haben sie in die Welt gesetzt. Fast wirkt sie wie eine Diskriminierung. Doch sehen wir einmal darüber hinweg und bitten wir die offiziellen Statthalter der Frankofonie etwas Fantasie zu entwickeln und all jene in die französische Literatur einzubeziehen, die auf Französisch schreiben. Jeder weiß, dass man sich auf unterschiedliche Weise dieser Sprache bedienen kann, von Marcel Proust bis Céline, über Aimé Césaire bis Kateb Yacine.

Meine Wut ist gegenstandslos geworden, denn die Leser machen keinen Unterschied zwischen „schwarzer“ und „weißer“, zwischen „französischstämmiger“ und „dahergelaufener“ Literatur. Sie lieben gute Literatur, wer auch immer der Autor ist, was auch immer seine Hautfarbe, geografische Herkunft, sein Horizont oder sein Akzent beim Vorlesen seiner Werke ist. Seitdem ist die Frankofonie zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt: sie ist ein politischer Raum, in dem einer kaum überwundenen und weitgehend maskierten kolonialen Vergangenheit gehuldigt wird.

Die Frankofonie dient dazu, die Staatschefs der sogenannten frankofonen Länder um Frankreich zu scharen und die Franzosen in dem Glauben zu wiegen, sie hätten diesen Raum unter Kontrolle oder man kultiviere zumindest einen bestimmten Freundeskreis oder verfolge auf diese Weise eigene Interessen. Es ist eine Art zwiespältiges Matriarchat, doch das Täuschungsmanöver überzeugt niemanden und schon gar nicht die Schriftsteller. Das Bild der afrikanischen Staatsoberhäupter, wie sie für das „Familienfoto“ brav in Reih und Glied um den französischen Präsidenten herumstehen, ist pathetisch und anachronistisch. Und dennoch lieben sie es!

Sprache ist die natürliche Grundlage von Kultur. Kultur ist das gewöhnliche Leben, der Versuch, den Alltag zu begreifen, auch wenn man weiß, dass er aus Rätseln, Zufällen, Geheimnissen und Unverständnis besteht. Sprache verschafft uns die Illusion, dass wir die Welt verstehen, sie ausloten, kennen und sogar beherrschen würden.

Seit Henri Bergson wissen wir, dass „Intelligenz durch das natürliche Unverständnis des Lebens gekennzeichnet ist“. Deshalb flüchten wir uns in die Sprache, rufen die Worte als Zeugen auf und manipulieren sie, bis die Illusion erlischt. Worte nehmen die Erde unserer Kindheit auf und verstreuen sie als Nährboden unserer Hoffnung über die Jahreszeiten. Auch wenn diese Worte der Sprache Racines entstammen, ändert das nichts an dem Unterfangen. Im Fall der aus der Ferne gekommenen Autoren nehmen die Worte nur eine besondere Farbigkeit an, denn sie sind nicht verwaist, sondern ihnen haftet die Erinnerung an alle erdenklichen Gewürze an.

Merkwürdigerweise wird bei Franz Kafka, Emil Cioran, Samuel Beckett oder Eugène Ionesco selten darauf hingewiesen, dass sie nicht in ihrer Muttersprache geschrieben haben oder von einer Sprache in die andere gewechselt sind, ohne dass jemand Anstoß daran genommen hätte. Nur auf die „Dahergelaufenen“ zeigt man mit dem Finger, fordert Rechenschaft, will die „Papiere“ sehen oder sieht sie schief an. Dabei sind sie nur einfach glücklich, den Garten der französischen Sprache pflegen zu dürfen.

Ich erinnere mich an den marokkanischen Dichter Mohammed Khaïr-Eddine, einen Berber, der kurz nach dem Erdbeben von Agadir im Jahr 1961 in Frankreich eintraf. Er war ein Rebell, ein aufmüpfiger Dichter, der sich Empörung und Tod auf seine Fahnen geschrieben hatte und selten gebrauchte Wörter aus dem Wörterbuch heraussuchte, um seinen Zorn auszudrücken. Bis zu seinem Tod hat er beharrlich die französische Sprache misshandelt und damit außerordentliche, wie Blitze einschlagende Verse geschaffen. Khaïr-Eddine verwüstete das Französische und blieb dabei doch peinlich korrekt in der Syntax. Er unterwarf die französische Sprache seinem Wunsch, alles auszupacken, alles zu dekonstruieren. Ausgerechnet er ein „Frankofoner“? Sein Schrei war: „Dichter, Gott, und nichts anderes!“

Ich denke an Kateb Yacine, den herumirrenden Dichter, der in seiner Heimat Algerien unverstanden blieb, seine Wut nicht zügeln konnte und auch sich selbst nicht vor ihr verschonte. Er vermengte das Französische, das Arabische und die Berbersprache in seinem Theaterstück „Mohamed, prends ta valise!“ („Mohamed, nimm deinen Koffer!“). Das war ein mutiger Schritt, durch den er direkt mit den Einwanderern in Frankreich ins Gespräch kam. Angesichts des großen Erfolgs dieses Stücks griff ihn ein algerisches Armeeblatt an, und die ersten Islamisten machten Jagd auf ihn, denn sie nahmen den Titel des Stücks wörtlich und dachten, mit Mohamed sei der Prophet gemeint.

Nachdem Kateb Yacine 1945 das von der französischen Armee durchgeführte Massaker an der Bevölkerung von Sétif erleben musste, beschloss er, sich in die „Höhle des Löwen“ zu wagen, um dort zu schreiben. Daraus entstand dann später „Nedjma“, ein Roman von ungeheurer Dichte, der während des Algerienkriegs erschien, was den Verlag (Le Seuil) dazu bewog, dem Text ein beschwichtigendes Vorwort voranzustellen! Kateb schrieb unvergessliche Seiten der französischen Literatur in einer klaren, rohen, genauen, leuchtenden Sprache. Der Libanese Georges Schehadé schenkte der französischen Sprache auf andere, leisere und weitblickendere Art einige ihrer schönsten Passagen.

Ich kann hier nicht alle erwähnen, die diese Sprache genährt und bereichert haben, so dass sie in Gegenden einzog und Privatsphären eroberte, die sie niemals hätte alleine betreten können. Ich möchte nur daran erinnern, dass weder Khaïr-Eddine noch Kateb oder Schehadé sich auf die Frankofonie bezogen, die ihnen fremd war, weil sie lieber in Präsidentenpalästen herumscharwenzelt, als sich um die Dichter zu kümmern. Sie brauchten keine Etikette, um sich an einer Sprache zu berauschen, die so viel gastfreundlicher und großherziger ist als der politische Geist, der sie ausnutzen will.

Das ist ja das Paradoxe. Kein Mensch spricht Frankofon. Es schreibt auch niemand auf Frankofon. Das Frankofone ist ein „Ding“, das maßgeschneidert wurde, damit sich die Politiker dahinter verbergen können. Zugleich gibt es in manchen Ländern kaum Zugang zu französischen Schulen, können die Menschen (Studenten, Künstler, Intellektuelle) sich nur mehr äußerst schwer im „frankofonen Raum“ bewegen, leiden die französischen Kulturinstitute weltweit unter Geldnot, obwohl viele Menschen die französische Sprache und Kultur lieben. Frankreich redet großspurig von seiner kulturellen Entwicklungszusammenarbeit, hat aber nicht die Mittel, eine solche Politik umzusetzen. Das Geld fließt woandershin: in Verteidigungs- und Sicherheitsprojekte. Das viertmächtigste Land der Welt hat nicht mehr das Geld, um an seine Vergangenheit als kulturelle Großmacht anzuknüpfen und beklagt sich sogar ab und zu darüber.

Die Briten hatten es nicht nötig, Institutionen zu schaffen, um die „Anglofonie“ zu fördern. Sie betrachten die Autoren, die außerhalb Großbritanniens geboren wurden und auf Englisch schreiben, als englische Schriftsteller. Es gibt keine Debatte, keinen Konflikt, keinen Zwiespalt. Ich habe Salman Rushdie einmal gefragt, ob er sich als britischer Autor sieht. „Ja, natürlich“, meinte er, „aber ich bin auch ein indischer Schriftsteller, denn meine Hauptinspirationsquellen liegen in Indien.“ Ich stellte Hanif Kureishi, dessen Eltern aus Pakistan kommen, die gleiche Frage: „Selbstverständlich bin ich ein englischer Schriftsteller!“, lautete die Antwort.

Wie auch immer: Diese Autoren sind nicht britischer Abstammung, doch sie werden als englische Autoren gelesen und gesehen, genau wie John Le Carré oder Martin Amis. Aber der historische Hintergrund ist nicht der gleiche wie bei Frankreichs Geschichte in Nordafrika oder im Afrika südlich der Sahara. Da ist es nur noch ein Schritt bis zu der Ansicht, dass die Frankofonie ein Aspekt oder eine Folge der Kolonisierung sei. Diesen Schritt möchte ich jedoch nicht machen, denn es wäre doch zu einfach, der Geschichte die ganze Verantwortung aufzubürden.

Die Frankofonie hat als Institution nicht zuletzt deshalb überlebt, weil Menschen außerhalb von Frankreich an sie glauben. Einige halten sich an ihr fest, weil ihnen sonst die selbstverständliche Anerkennung verwehrt bliebe. Vergessen wir jedoch nicht, dass Sprache folgende Besonderheit hat: Sie ist ein riesiges Gebäude mit rahmenlosen Fenstern und Türen, die der Welt immer offen stehen; sie ist ein Land ohne Grenzen, ohne Polizei, ohne Staat, ohne Gefängnisse. Sprache gehört niemandem.

Auch das Französische entspricht dieser Beschreibung. Es wird von Millionen Menschen gesprochen, die ihrem rechtlichen Status nach keine Franzosen sind. Es wird geschrieben, misshandelt, bereichert, befruchtet von tausenden über die ganze Welt verstreuten Kulturschaffenden.

Ich erinnere mich an einen über siebzigjährigen Vietnamesen, der in einem Interview mit Radio France auf elegante Weise sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass ihm das französische Konsulat in Hanoi ein Visum verweigert hatte. Er wollte die Sorbonne wiedersehen, wo er vor vierzig Jahren eine Doktorarbeit zu Victor Hugos Lyrik vorgelegt hatte. Um sein Bedauern auszudrücken, zitierte er auswendig aus Hugos berühmtem Gedichtzyklus „Les contemplations“. Eine Hommage an die Sprache, eine Hommage an den Geist und die Großherzigkeit einer Kultur, die manchmal erstickt wird von der bürokratischen Beflissenheit oder dem tiefen verkappten Rassismus bornierter, ungebildeter kleiner Beamten. Dieser Mann klagte nicht, er erzählte nur, wie ein kleiner französischer Beamter ihn daran hinderte, einen Traum zu verwirklichen. Zum Schluss rezitierte er noch ein Gedicht von Mallarmé.

Ohne Wissen und Zutun der Stammzelle

Heute spricht nur eine verschwindend kleine Minderheit in Vietnam Französisch: ein paar Überlebende aus der Kolonialzeit und einige sehr junge Leute, die Kurse an der Alliance Française besuchen. Die restliche Bevölkerung spricht Englisch als Zweitsprache.

Die Leidenschaft für die französische Sprache wird niemals nutzlos sein. Sie breitet sich aus, bahnt sich ihren Weg und entwickelt sich ohne Wissen und Zutun der Stammzelle im heutigen Frankreich. Wer Französisch spricht und schreibt, möchte sich nicht dafür rechtfertigen müssen. Er bedauert nur, dass die Heimat dieser Sprache sich um ihre Zukunft so wenig kümmert.

Das offizielle Frankreich glaubt, seine Sprache sei stark genug, um dem Ansturm des Englischen oder des Spanischen allein standzuhalten. Eine solche Arroganz ist Ignoranz. Sprache ist das Fundament jeder Kultur und muss daher wachgehalten, gefeiert, zelebriert und geliebt werden, damit sie sich anreichert und freudig und freigiebig ausbreitet. Die Dichter, Romanschriftsteller und Kulturschaffenden haben es sich niemals nehmen lassen, das Französische zu leben und über die Grenzen hinaus zum Leben zu erwecken, jenseits aller engstirnigen politischen Visionen.

Wie René Char fällt es mir „schwer, mich auf dem Drahtseil des Offenkundigen wiederzuerkennen“. Deshalb kehre ich zu den Worten zurück, zu ihrer Herausforderung und Komplexität. Ich möchte das Glück des Schreibens ausdrücken, die Angst und den Zweifel, die Ungeduld und die Inbrunst. Auf Französisch zu schreiben ist kein Problem für mich, denn Französisch ist meine Sprache, und niemand wird sie mir entreißen oder sie in mir ersticken können. Ich fühle mich ein wenig wie eine andere Figur aus William Faulkners „Moskitos“, die sich folgendermaßen definiert: „Leidenschaftlich, einfach und ewig in der zweideutigen, lächerlichen Düsternis der Welt“. In diesem Aufruhr, in dieser Vielfalt und im Ungewissen drückt sich meine Vorstellungskraft auf Französisch aus. Manche Leser haben mir glaubhaft versichert, sie hätten Arabisch gelesen, wenn sie meine Bücher auf Französisch lasen. Das ist eine andere Geschichte, doch sie ist weder absurd noch lächerlich, sie ist wahr, und ich weiß bis heute nicht warum.

Aus dem Französischen von Christiane Kayser Der vorliegende Text ist ein Beitrag in dem Sammelband „Pour une littérature-monde“, herausgegeben von Michel Le Bris und Jean Rouaud, der Ende Mai bei Gallimard, Paris, erscheint. Von Tahar Ben Jelloun erschien zuletzt auf Deutsch (in der Übersetzung von Christiane Kayser) der Roman „Verlassen“, Berlin (Berlin Verlag) 2006.

Le Monde diplomatique vom 11.05.2007, von Tahar Ben Jelloun