10.06.2011

Der Dominostein am Persischen Golf

zurück

Der Dominostein am Persischen Golf

Bahrain und der Arabische Frühling von Alexander Smoltczyk

Audio: Artikel vorlesen lassen

Alle glücklichen Staaten gleichen einander, jeder unglückliche Staat ist auf seine eigene Weise unglücklich. Das ist, etwas umformuliert, das „Anna-Karenina-Prinzip“, und es beschreibt die Lage der sieben Staaten am West- und Südufer des Persischen (alias: Arabischen) Golfs ziemlich genau. Ihr Entwicklungsmodell ähnelt sich, solange es funktioniert. Doch sobald Störungen auftreten, kommen sehr eigentümliche Probleme zum Vorschein, wirken die sehr eigenen Mischungen aus Religionen und Minderheiten, aus alten Traumata und Stammesbeziehungen. Im Unglück ist ein Staat ganz er selbst.

Wenn deutsche Ministerpräsidenten, Altkanzler oder Ministerinnen an den Golf kamen, dann pflegte der zuständige Botschafter ihnen gewöhnlich zu sagen: „Wir leben hier im Auge des Orkans“, in einer Oase der Stabilität, umgeben von Schurkenstaaten, Wahabiten und „failed states“. Dubai, Katar, Bahrain, Abu Dhabi waren notorische Inseln der Seligen. Vielleicht ein wenig vormodern in ihren Entscheidungsfindungen, „neopatrimoniale, autoritäre bürokratische Monarchien“ mögen es die Soziologen nennen, aber dennoch: im Grunde Oasen der Stabilität, die überdies noch aussehen wie Architektenmodelle im Maßstab 1:1. Und wer wird schon auf die Straße gehen, wenn er das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt hat?

Die politische Glücksformel der sieben Mitglieder im Golf-Kooperationsrat (GCC) lässt sich so beschreiben: quasi unerschöpfliche Mineralölvorkommen + aufgeklärte Despotie + ebenso unerschöpfliche Ressourcen an billigen Importarbeitern. Die Scheichs, Könige und Sultane erkauften sich den Konsens ihrer Untertanen mit Luxus-Welfare und Pfründen in der Wirtschaft, mit einer Infrastruktur wie in Florida und dem Versprechen, dass dies auch in Zukunft vom Herrscherhaus so garantiert werde.

In Abu Dhabi bekommt jeder Bürger mit der Volljährigkeit ein Stück Land, Ausbildung und Studium an internationalen Universitäten sind gratis, und „Steuern“ ist ein Begriff aus dem Jachtklub. Oder dem Formel-1-Circuit auf Yas Island.

Katar und die größten Emirate Dubai und Abu Dhabi haben genau wie Saudi-Arabien eine Generation von strukturellen Lottogewinnern hervorgebracht, die von Geburt an wissen, dass sie sich eigentlich nicht anstrengen müssen, um ein sorgenfreies Leben zu haben. Die Arbeit machen die anderen. Pakistaner und Jemeniten schuften auf dem Bau, Filipinos putzen das Haus und pampern die Kinder, Inder kümmern sich ums Geschäft und die Infrastruktur, „Expats“ aus Europa, Australien und den USA lassen sich das Know-how der G-20-Welt teuer bezahlen. Für die Kultur leistet man sich einen Pei-Bau, ein Guggenheim-Museum, einen Louvre oder lässt Anne-Sophie Mutter in der Oase geigen. „Symbolisches Kapital“ heißt das bei Bourdieu.

Ein großer Teil dieser Generation der Gründerenkel, dachte man, hat vor allem das Problem, die eigenen Zuckerwerte im Blut unter Kontrolle zu halten. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben (nach der Pazifikinsel Nauru) die höchste Diabetesrate in der Welt, jedes dritte Kind ist übergewichtig.

Seit dem 17. Februar 2011 ist es auch am Golf mit der Ruhe vorbei. Und seither ist jedes der Golfländer auf seine eigene Weise unglücklich – oder doch zumindest sehr nervös. Ausgerechnet in Bahrain passierte es, dem glänzenden „Business Friendly Bahrain“, das Libanon seinen Rang als Bankenzentrum der Region abgenommen hat. Ausgerechnet in einem Staat, den Hillary Clinton im Dezember 2010 noch für seine Reformen gelobt hat und der dem weiteren Publikum nur durch die Formel-1-Rennstrecke bekannt ist. Bahrain wurde zum Menetekel einer Region.

Wir werden singen

Am Donnerstag, dem 17. Februar, war Manama, die Hauptstadt Bahrains, mit Postern für die Asian Grand Prix Series geschmückt, die Generalprobe für den Auftakt der Formel-1-Saison. Doch es dröhnten andere Motoren durchs Finanzviertel: die schweren Diesel der Polizei-Einsatztruppen. Ihr Ziel war das „Pearl Roundabout“, die paar Dutzend Zelte unter einem 90 Meter hohen Monument zur Erinnerung an die Perlenfischer von Bahrain. Es ist nur ein kleiner Platz. Und nur wenige hundert Menschen haben ihn besetzt gehalten. Aber die Regimes in der arabischen Welt haben seit Kurzem Angst vor Plätzen. Eine veritable Agoraphobie hat sich unter den Autokraten auch am Golf verbreitet. Wer besetzte Plätze zulässt, so die Furcht, dem ergeht es früher oder später wie Ben Ali und Husni Mubarak.

Um drei Uhr nachts wurde das Zeltlager gestürmt, drei Menschen kamen ums Leben, darunter ein siebenjähriges Mädchen. Damit war es mit der satten Ruhe am Golf vorbei, jedenfalls in Bahrain. Die Demonstranten hatten es so machen wollen wie ihre Kollegen in Tunis und Kairo. Ihre Rebellion sollte als Valentinstag-Revolution in die Geschichte dieses Frühlings eingehen. Sie hatten sich für den Valentinstag, den 14. Februar, verabredet. Auf den Facebook-Seiten hatte es geheißen: „Das ist eure Chance. Wir werden singen: Das Volk will die Reform des Regimes.“ Es waren Schiiten unter ihnen, vor allem Schiiten, aber auch viele Sunniten und Menschen, die gemischten Ehen entstammen, sogenannte Suschis.

Alle schwenkten die rot-weiß-gezackte Nationalflagge Bahrains und forderten mehr Demokratie. Mehr nicht.

Sie wollten nicht Schiiten sein oder Sunniten, sondern Bahrainer. Ihre Forderungen waren einfach: Jobs, Wohnungen, gerechte Wahlen und vor allem keine weitere Benachteiligung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit.

Immerhin war Premierminister Scheich Khalifa länger im Amt als Mubarak. Seit die Briten 1971 Bahrain in die Unabhängigkeit entließen, hat es keinen anderen Regierungschef gegeben als den Scheich. Ist das Stabilität oder völlige Erstarrung?

Mit der Valentinstag-Stimmung war es spätestens vorbei, als zwei junge Männer nach Auseinandersetzungen mit der Polizei starben, in zwei Dörfern am Stadtrand von Manama. Die Bewegung hatte ihre ersten Märtyrer bekommen und damit ein neues Momentum. Seitdem wurde immer mehr von Toten geredet und immer weniger von Reformen. „Freiheit ist teuer“, sagt Ahmed Rasul, Manager einer Eisenbahnfirma. „Freiheit muss man sich mit Blut erkaufen“, sagt Rasul weiter, und es ist klar, dass er damit nicht nur die freiwilligen Blutspenden für die Verletzten im Salamiya-Krankenhaus meint. Für einen Schiiten ist Blut gängige Münze.

Der Perlen-Platz war am folgenden Tag, dem 18. Februar, aufgeräumt. Von den zusammengetretenen Zelten und Plakaten keine Spur mehr. Nur Scherben glänzten in der Sonne, und ringsum auf den Schnellstraßen standen Scharfschützen und Panzerwagen. Der Platz hätte Bahrains „Tahrir Square“ werden sollen. Jetzt erinnerte er mehr an den Tiananmen-Platz in Peking 1989. Aus der geduldeten Probebühne der Demokratie war innerhalb weniger Stunden ein Monument der Trauer geworden. Und das war erst der Anfang.

Bahrain ist nicht Ägypten. Der Inselstaat hat kaum mehr Bewohner als München, und davon sind die Hälfte Ausländer. Was gehen die Welt dies Völkchen und seine Probleme an? Nichts – wenn die Welt nicht am Öl hinge. Nicht viel – wenn an Bahrain nicht zwei Regionalmächte zerrten, Iran und Saudi-Arabien. Bahrain ist keine Regionalmacht. Aber es ist der Dominostein ganz vorne in der Kette. Ein Zusammenbruch des Regimes in Manama hätte geopolitische Folgen, weit über die Region hinaus. In Manama überkreuzen sich die Interessen der USA, Saudi-Arabiens und Irans.

Etwa 70 Prozent der Bahrainer sind Schiiten. Die Herrscherfamilie al-Khalifa jedoch ist sunnitisch, sie beherrscht das Land seit 227 Jahren und lässt keine Gelegenheit aus, sich als letztes Bollwerk gegen die Mullahs in Teheran zu präsentieren. Dabei gelten die meisten Kleriker in Bahrain als durchaus liberal und wollen nichts mit Gestalten wie Ahmadinedschad zu tun haben. Und dennoch werden Bahrains Schiiten systematisch benachteiligt. Die wenigsten werden in den Staatsdienst aufgenommen, schon gar nicht als Polizisten oder Armeeoffiziere. Ihre Wahlbezirke werden so zugeschnitten, dass die Zahl der Schiiten im Parlament nie die Zahl der Sunniten überschreitet. Ihre religiösen und politischen Führer werden schikaniert und immer wieder festgenommen.

Parteien sind in Bahrain ebenso verboten wie in den anderen GCC-Staaten, mit Ausnahme Kuwaits. Die Opposition besteht aus vier sogenannten politischen „Gesellschaften“. Al-Wifaq ist der größte schiitische Block. Seine 18 gewählten Abgeordneten boykottierten nach der Polizeiaktion jede weitere parlamentarische Arbeit. Die Haq – Bewegung für Freiheit und Demokratie – spricht dem sunnitischen Herrscherhaus die Legitimität ab, ihr Anführer Hassan Mushalma war 2009 einige Monate in Haft. Es wurde ihm unterstellt, einen Umsturz geplant zu haben. Die sunnitischen Islamisten bilden die Al- Asalah-Islamgesellschaft, sie stehen der Muslimbruderschaft nahe und kritisieren die Verwestlichung des Königshauses. Die linkssäkulare Opposition hat sich in der Waad zusammengefunden, der Nationaldemokratischen Aktionsgesellschaft.

Bahrain liegt an einer konfessionellen Bruchlinie, an der sich vor 35 Jahren der libanesische und vor sieben Jahren der irakische Bürgerkrieg entzündete. Außerdem ist Saudi-Arabien nah, gefährlich nah sogar. Vom Perlen-Platz führt der Scheich-Khalifa-Highway zum König-Fahd-Damm, der die Insel mit dem sunnitischen Königreich Saudi-Arabien verbindet. Für viele Saudis ist Manama mit seinen Nachtklubs, dem einzigen Erotikshop der Region und den Whiskyläden ein Vorgriff aufs Paradies, und das genau vor der Haustür.

Es gibt alte Familien- und Stammesbindungen zwischen Bahrain und den Ostprovinzen Saudi-Arabiens. Dort wird täglich ein Zehntel der gesamten Weltfördermenge an Öl aus dem Boden gepumpt. Dort, in der Ostprovinz, siedelt aber auch seit Jahrhunderten Saudi-Arabiens schiitische Minderheit, die von der sunnitischen Führung in Riad eher noch mehr schikaniert wird als die Schiiten in Bahrain.

Das erklärt die derzeitige Nervosität im Hause Saud: Sollte der Zorn der Schiiten aus Bahrain auf ihre Konfessionsbrüder in Saudi-Arabien überschwappen, droht ein Konflikt in der wichtigsten Erdölregion der Welt.

Ein solcher Konflikt käme Iran, dem Rivalen am anderen Ufer des Golfs, keineswegs ungelegen. Teheran betrachtet Bahrain ohnehin als schiitische Insel und damit als 14. Provinz der islamischen Republik. „Der Persische Golf gehörte immer schon zu Iran, gehört zu ihm und wird zu ihm für immer gehören“, erklärte am „Nationalen Tag des Persischen Golfs“ General Hassan Firouzabadi, Stabschef der iranischen Streitkräfte. Die arabischen Diktaturen seien im Übrigen unfähig, die Rebellionen ihrer Völker unter Kontrolle zu halten.

Die Ein-Mann- Volksbewegung

Bahrain bietet Iran die verlockende Chance, seinen Einfluss am Westufer des Golfs zu vergrößern und gleichzeitig als Unterstützer eines demokratischen Protests aufzutreten. Das Königreich der al-Khalifa ist mithin, wie der Libanon, ein klassischer „Proxy-Staat“: Seine großen Nachbarn, die tief verfeindet sind und jeweils unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterstützen, ringen hier um Einfluss. Anders als der Libanon aber liegt Bahrain an einer für die Energieversorgung der Welt sensiblen, ja entscheidenden Stelle.

Deswegen die Krisensitzungen in den Außenämtern des Westens, wenn es in Manama unruhig wird. Und deswegen gibt es in Manama auch das Mina Salman Gateway, eine kilometerlange, schwer gesicherte Mole. Seit dem ersten Golfkrieg haben die Vereinigten Staaten hier in Bahrain den Stützpunkt für ihre Fünfte Flotte. Die Streitmacht für die Golfregion, mit derzeit 1 500 Marines und Zivilpersonal. Die Flotte ist das Kernstück der Eindämmung Irans, zusammen mit dem Versorgungsposten Oman, dem Central Command in Katar und dem Logistikkreuz in Kuwait.

„Das hier ist ein Platz, der von einem unterdrückerischen und korrupten kleinen Regime geführt wird, das von Washington wegen der Fünften Flotte lange umhegt worden ist“, resümiert der ehemalige CIA-Analytiker Graham E. Fuller. Und wie in Ägypten, Tunesien und Saudi-Arabien ist die Frage, wie lange sich die USA und Europa einen so hässlichen Status quo leisten wollen. Noch im Februar hatten sich die Chefdiplomaten des Golfrats im Ritz-Carlton von Manama getroffen, kaum zwei Kilometer vom Pearl Roundabout entfernt. Es war ihnen anzumerken, wie sehr ihnen die Ereignisse in die Knochen gefahren waren: „Hand in Hand werden wir zusammenstehen angesichts der Bedrohung“, so gelobte der emiratische Außenminister, Prinz Abdullah, im Namen der Golfstaaten.

Am 8. März trafen sich die Golf-Außenminister angesichts „der ungewöhnlichen Umstände um uns herum“, so der emiratische Vertreter, ein weiteres Mal. Zuerst in Abu Dhabi, dann zum Abschluss am 10. März in Riad. Es war eine Sitzung, in der dem Arabischen Frühling die Grenzen gezogen werden sollten – soweit das bei Zeitenwenden möglich ist. Bei ihrem Treffen in Abu Dhabi und Riad treffen die sieben Außenminister eine Entscheidung, man könnte sie die neue GCC-Doktrin nennen. Es ist eine Mischung aus Peitsche, Zuckerbrot und korrekter Haltung.

Sie fordern ohne jede diplomatische Zurückhaltung ein Ende des Gaddafi-Regimes in Libyen. Der Oberst habe jede Legitimität verloren, als er Kampfjets und Panzer gegen sein eigenes Volk einsetzte. Der GCC wird sich an etwaigen Aktionen der Staatengemeinschaft beteiligen, um die arabischen Brüder in Bengasi und Misurata zu schützen (tatsächlich werden Katar und die VAE Kampfjets für den Libyen-Einsatz bereitstellen). Das ist die korrekte Haltung auf dem diplomatischen Parkett.

Aber zu Hause, am Golf selbst, wird kein Versuch eines Regimewechsels geduldet. Es wird beschlossen, die schnelle Eingreiftruppe „Schild der Halbinsel“ nach Manama zu schicken, um für Ruhe zu sorgen. Das ist die Peitsche. Das Zuckerbrot sind die 20 Milliarden Dollar, die der GCC seinen Mitgliedern Bahrain und Oman überweisen wird, für Jobs und Wohnungen, damit ein wenig sozialer Druck abgelassen werden kann.

In den Morgenstunden des 14. März rollten Tieflader mit saudischen Panzern und Truppentransportern, insgesamt etwa hundert Fahrzeuge, über den König-Fahd-Damm nach Manama ein. Erste Soldaten und Offiziere landeten gleichzeitig auf dem internationalen Flughafen Bahrain. Offiziell hieß es, tausend saudische Soldaten und 500 Polizisten aus den VAE seien von der Regierung Bahrains angefordert worden, um strategische Objekte, etwa Raffinerien, zu schützen. Am Tag danach rief König Hamad bin Isa al-Khalifa für drei Monate das Kriegsrecht aus. Der Perlen-Platz wurde unter Einsatz von Militärhubschraubern geräumt, die Zeltstadt angezündet. Verhaftet wurden die Wortführer der Opposition. Siebzehn Menschen, darunter vier Polizisten und sieben Passanten, kamen bei der Räumung und den anschließenden Protesten ums Leben. Inzwischen ist das Perlen-Monument abgerissen.

Bei der Niederschlagung der Proteste kamen auch Piranha-Schützenpanzer der Schweizer Firma Mowag aus Kreuzlingen zum Einsatz. Eigentlich ist der Rüstungsexport aus der Schweiz nach Saudi-Arabien verboten. Die Lieferung sei über Kanada gelaufen, hieß es.

Die „Bahrainer Lösung“ wurde, wenn man die Vorgänge in Libyen beiseitelässt, der erste Rückschlag im Arabischen Frühling. Und es entbehrte nicht einer bitteren Ironie, dass die GCC-Scheichs für Tripolis die Demokratie forderten, die sie in Manama gerade niedergeprügelt hatten. Für manchen Beobachter ist das weniger ein Widerspruch als ein Zeichen politischer Reife: „Denn alle Regierungen handeln inkonsistent und heuchlerisch, wenn es darum geht, das zu verteidigen, was sie als ihr nationales Interesse sehen“, schreibt Rami G. Khouri, der Kolumnist in Beirut.

Der Einmarsch in Bahrain war jedenfalls eine historische Wende. Zum ersten Mal zeigte sich eine gemeinsame Außenpolitik des GCC, so unerfreulich sie in diesem Fall auch sein mochte. Zum ersten Mal agierten die Golfstaaten nicht auf Zuruf einer Großmacht, sondern handelten selbstständig. Die USA erklärten, sie seien über die Truppenbewegung nicht informiert worden. Nicht einmal von ihrem engsten Verbündeten in der Region, im Herzen des strategisch wichtigsten Landstrichs des Planeten. Das wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen. Aber Saudi-Arabien hat erleben müssen, wie sich die Vereinigten Staaten im Irak die Früchte des Regimewechsels ausgerechnet von Iran klauen ließen. Nach tausenden von toten US-Soldaten und knapp einer Billion ausgegebenen Dollar sind heute iranische Firmen fest in Basra tätig, und die Schiiten stellen faktisch die Regierung. Das Haus Saud fühlte sich von den USA nicht mehr genügend geschützt.

Der Iran schien ebenso wie das State Department von dem Einmarsch des GCC überrascht worden zu sein. Jetzt gehe es für Teheran darum, sagt der Analytiker George Friedman, die Kosten für Saudi-Arabien möglichst hoch zu halten, etwa indem ein bewaffneter Widerstand aufgebaut wird: „Ahmadinedschad ist in einer schwierigen Position. Die Saudis haben einen entscheidenden Schritt gemacht. Wenn er jetzt nichts tut, kann seine Stellung geschwächt werden.“ Iran müsse schnell reagieren, so Friedman, „bevor die saudische Aktion zu einem dauerhaften Zustand wird“. Bahrain und Iran haben ihre jeweiligen Botschafter zu Gesprächen zurückgerufen.

Bahrains Innenminister, Scheich Rashid al-Khalifa, machte ausländische Einmischung für die Ereignisse verantwortlich: „Die Verbreitung von Gerüchten und Anschuldigungen, die Rufe nach Chaos, die Besetzung von Krankenhäusern, das Aufstellen von Zelten, Barrikaden […], die Aufsplitterung in Zellen, all das sind genau die Methoden, wie sie die Hisbollah benutzt.“ Die Demokratiebewegung hat schwer mit diesen Verdächtigungen zu kämpfen.

Der erst im April 2009 wieder amnestierte Anführer der Haq, Scheich Hassan Mushalma, hatte jeden Dialog mit dem Königshaus ausgeschlagen und gemeint, er hätte auch keine Probleme damit, Hilfe von Iran zu erbitten, wenn Saudi-Arabien sich in die Angelegenheiten Bahrains einmischte. Es sind keine Belege dafür bekannt, dass Wifaq aus Teheran ferngesteuert würde. Die Schiiten in Bahrain sind Araber, keine Perser.

Scheich Ali Salman, Anführer der Wifaq-Partei, hat wiederholt erklärt, er verbitte sich die Einmischung von Iran und Hisbollah. Allerdings gibt es ideologische Gemeinsamkeiten, auch Wifaq sympathisiert mit der Idee einer islamischen Republik. Und es ist gut fürs Selbstvertrauen, sich nicht allein zu wissen.

Zu Beginn der Proteste hatten Sunniten und Schiiten noch gemeinsam auf dem Perlen-Platz demonstriert. Nach dem ersten blutigen Polizeieinsatz vom Februar scheinen sich die Lager entfremdet zu haben. Auch kritischen Sunniten ist die halbstarke Märtyrerpose der Platzbesetzer unheimlich oder die Erklärung von Teenagern, ihr Blut für Bahrain geben zu wollen.

Bisher hatte die schiitische Opposition nur mehr politische Beteiligung gefordert und nicht das Regime der Khalifa-Dynastie infrage gestellt. Nach dem GCC-Einmarsch im März wird sich das ändern. Scheich Ali Salman, der junge Führer von Wifaq, lehnte zunächst jeden Dialog mit dem Regime ab, solange saudische Truppen im Land sind. Er forderte eine internationale Kommission, um die Ereignisse zu untersuchen. Später erklärte er sich als einziger Schiitenführer zu Verhandlungen bereit, sofern sie unter Vermittlung von Dritten abliefen. Der Emir von Kuwait oder auch die USA kämen dafür infrage.

Seine Anhänger rief der Scheich auf, „die Proteste friedlich zu halten“. Trotz der Schikanen an den Checkpoints, trotz der angedrohten Lohnkürzungen für Angestellte, die gestreikt haben. 900 Demonstranten werden ihre Arbeit verlieren, etwa 1 200 werden verhaftet, und am 28. April hat ein Militärgericht vier Regimegegner zum Tode verurteilt, weil sie zwei Polizisten getötet haben sollen (gegen die Vollstreckung läuft allerdings eine Berufung).

Auch in Katar soll es Verhaftungen gegeben haben. Junge Leute hatten sich über Facebook zu einer Aktion verabredet. Aber die IT-Techniker des Geheimdienstes haben dort solch einen Grad an Perfektion erlangt, dass die Protestler schon identifiziert und verhaftet waren, bevor die Proteste überhaupt starten konnten.

Die Nervosität ist groß, auf beiden Seiten. Bisher ist es den aufgeklärten Despoten am Golf gelungen, jeden Unmut nach Herrenart zu ersticken. Mit Strenge und vor allem mit sehr viel Geld. Auf besagtem Ministertreffen des Golf-Kooperationsrats wurde nicht nur ein Hilfspaket von 20 Milliarden Dollar angekündigt, um in Bahrain und Oman Sozialwohnungen und Jobs zu finanzieren, auch der Emir Abu Dhabis, Scheich Khalifa bin Zayed, erhöhte gleich mal die Pension für das Militär um 70 Prozent. Saudi-Arabien gewährte seinen Staatsangestellten ungefragt 15 Prozent Gehaltserhöhung, als Teil eines Stabilisierungsprogramms von insgesamt 36 Milliarden Dollar. König Abdullah kündigte weitere Wohltaten an: 2 000 Rial (etwa 377 Euro) monatliche Unterstützung für jeden Arbeitslosen, einen Mindestlohn für Einheimische und den Bau von 500 000 Häusern für seine Untertanen. Auch Jemen, Syrien, Algerien und Marokko haben Steuerentlastungen und höhere Sozialhilfen beschlossen. Die Emirate froren für den Rest des Jahres die Preise für Brot und Reis ein. Die Plätze und Straßen sollen mit Geld ruhiggehalten werden.

In Oman scheint das zu gelingen.

Aber die Generation des Arabischen Frühlings hat womöglich genau diese Bevormundung satt. Selbst in Abu Dhabi, dem reichsten und sattesten der Emirate, unterzeichneten Anfang März 133 Bürger eine Onlinepetition, in der sie von Scheich Khalifa das Mitbestimmungsrecht für alle Bürger forderten, besser gesagt: untertänigst anmahnten.

Es war die wohl erste politische Petition in der Geschichte des Emirats. Und es ging gewiss nicht ums Geld. Das ist neu.

Die Lage in den wichtigen Emiraten ist ähnlich der der Palmen, die überall an ihren Highways stehen. Es sind kräftige, fruchttragende Bäume, nur wären sie innerhalb von Tagen verdorrt, wenn die diskrete Bewässerung ausfallen würde. Ohne den täglichen Zustrom von Ressourcen, sei es Wasser, seien es Finanzmittel aus dem Ölverkauf, würde in den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht viel blühen. Die Elenden und Beladenen hierzulande sind Ausländer, die sofort deportiert werden würden, und es ist noch genug Geld vorhanden, um alle Beschwernisse der Einheimischen abzufedern. „Emiratis demonstrieren nicht“, erklärte Sultan al-Qasimi im Interview mit der Orient-Zeitschrift Zenith. Er gilt als der kritischste unter den einheimischen Kommentatoren.

Noch 2006 war es eine Initiative des Herrschers gewesen, erstmals sogenannte Wahlen durchführen zu lassen: „Die Entscheidung der Regierung, Wahlen abzuhalten, zeugt von dem hohen Grad an gegenseitigem Vertrauen zwischen den Führern und den Bürgern“, so hieß es damals. 6 600 ausgesuchte Bürger, darunter 1 160 Frauen, durften die Hälfte des vierzigköpfigen Federal National Council bestimmen. Der hat im Wesentlichen nur beratende Funktion, aber äußerte sich in den Jahren doch bisweilen kritisch, was die Mittelverwendung im Staate anging. Von erneuten Wahlen war, vermutlich deswegen, nie wieder die Rede. Bis zum März 2011. Da versprach die Regierung, es würden im September wieder Wahlen abgehalten werden.

Die Regierung bot an, die Zahl der Wahlberechtigten auf 12 000 zu erhöhen – bei knapp einer Million Staatsbürger. Das genügte einigen Ratsmitgliedern nicht. Sie forderten darüber hinaus eine freie Wahl der Kandidaten und eine Ausweitung der Kompetenzen des Rats: „Ohne Macht für den Rat bedeutet die Zahl der Wähler gar nichts“, sagte etwa Yousef al-Nuaimi, Ratsmitglied aus dem nördlichsten Emirat Ra’s al-Chaima. Die Bürger hätten, so al-Nuaimi, durchaus Interesse an Politik und Beteiligung.

In Dubai gibt es mit Ahmed Mansur sogar eine Ein-Mann-Volksbewegung. Der Blogger und Menschenrechtsaktivist setzt sich für das allgemeine Wahlrecht und für volle parlamentarische Befugnisse des Nationalrats ein. Seine Firma, ein staatlicher Telekombetreiber, legte Ahmed Mansur Anfang April nahe, eine gut bezahlte Stelle in Pakistan anzunehmen. Er lehnte ab und wurde am 8. April nachts in seiner Wohnung verhaftet.

In den ärmeren nördlichen Emiraten ist Unmut durchaus zu spüren. Vor allem im Sommer, wenn wieder einmal die Stromversorgung zusammenbricht, bei einem Klima, das an den Haarfön im Freibad erinnert. Scheich Khalifa bin Zayed, der Präsident der VAE, hat 1,6 Milliarden Dollar für die Verbesserung der Infrastruktur in Ajman, Sharja, Ra’s al-Chaima beschlossen. Es sind konservative, traditionellere Gesellschaften, in denen viele mit Neid, aber auch Misstrauen auf die babylonischen Verhältnisse in Dubai schauen. Und der Iran ist nah.

Es soll, so die arabische Webseite UAE Hewar, auch in Sharja eine Verhaftung gegeben haben. Ein emiratischer Aktivist habe nach der Freitagspredigt eine etwas zu leidenschaftliche Rede auf den ägyptischen Aufstand gehalten. Passiert sei dies im kleinen Containerhafen Chaur Fakkan.

Dennoch, die Aussichten auf einen Volksaufstand in den Vereinigten Emiraten sind quasi gleich null. Der Polizeichef von Dubai hat eines der effektivsten Überwachungssysteme installiert und weiß es auch zu nutzen. Gespräche werden in großem Maße abgehört und die Bürger zur aktiven Mitarbeit aufgefordert. Auch eine Form von Bürgerbeteiligung.

© Dieser Text ist ein Auszug aus: Frank Nordhausen und Thomas Schmid (Hg.), „Die arabische Revolution. Demokratischer Aufbruch von Tunesien bis zum Golf“, das am 20. Juni 2011 im Ch. Links Verlag erscheinen wird. Wir danken dem Verlag für die Abdruckrechte. Alexander Smoltczyk lebt zurzeit als Korrespondent für den Spiegel in Abu Dhabi. Zuletzt erschien von ihm „Vatikanistan“, München (Heyne) 2008.

Le Monde diplomatique vom 10.06.2011, von Alexander Smoltczyk