13.07.2007

Das Feindbild der Takfiristen

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Das Feindbild der Takfiristen

Die Auffassung, dass Muslime, die ihren Glaubenspflichten nicht nachkommen, von anderen Muslimen zu Ungläubigen (kafir) erklärt werden können, hat in der muslimischen Welt eine lange Tradition. Ihre Anhänger sahen in der Abkehr von Glauben den Grund für den Niedergang der Gemeinschaft (umma) und hielten es für ihre Pflicht, sich zur Bekämpfung dieser Ungläubigen gegen die bestehenden Gesellschaften zusammenzuschließen.

 Takfi ist das Verdikt, mit dem eine Person zum Ungläubigen erklärt wird, daher die Bezeichnung Takfiristen. In den harten Zeiten, die glaubensstrenge Muslime in Ägypten nach der Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 erlebten, lebte der Takfirismus plötzlich wieder auf. Aber in den 1970er-Jahren bildeten die Takfiristen in der arabischen Welt nur kleine, isolierte Gemeinschaften. In den 1980er-Jahren konzentrierten sie sich dann, angezogen vom Widerstand gegen die sowjetische Besatzung, in Afghanistan. Unter den arabischen Mudschaheddin waren viele takfiristische Eiferer wie Aiman al-Sawahiri, der Usbekenführer Tahir Juldaschew und der Ägypter Abu Amro (Scheich Essa), die später in den Führungszirkel von al-Qaida aufrückten. Nach der Invasion der USA erlebte der Takfirismus auch im Irak einen Aufschwung; einer seiner prominentesten Vertreter war der am 7. Juni 2006 getötete Abu Mussab al-Sarkawi, Chef von al-Qaida im Irak.

 Ab 2003 fanden die Takfiristen auch unter den einfachen Kämpfern und in den mittleren Rängen von al-Qaida im pakistanischen Stammesgebiet Wasiristan viele Anhänger. Ihre Botschaft war nicht nur der Hass auf die Militärmacht der USA, sie propagierten auch die Botschaft, dass die vom Glauben Abgefallenen innerhalb der muslimischen Gesellschaften die größte Gefahr darstellten: Sie mussten beseitigt werden, weil sie den Feind stark machten. Um die dem Glauben „entfremdeten“ Menschen wieder in die Gemeinschaft zurückzuführen, galt es zuerst, die Führer der „ungläubigen“ muslimischen Staaten zu töten. In den schwer zugänglichen Stammesgebieten Nord- und Süd-Wasiristan etablierte sich eine Gruppierung, die allen glaubensvergessenen Muslimen den Kampf ansagte.

 Das war eine neue Qualität, die man von den ideologischen Sympathisanten der al-Qaida in den 1990er-Jahren nicht kannte, denn deren Söldner waren dazu angetreten, die westlichen „Besatzer“ von muslimischem Territorium zu vertreiben. Den Takfiristen ging es um den Feind im Inneren der Gemeinschaft. Wer sich als Muslim bezeichnete und ihre Vorstellungen nicht teilte, war ihr potenzielles Opfer. Nach dem 11. September 2001 durften sie sich bestätigt fühlen: Man hatte sie abgeschlachtet, für Dollars verkauft und einer gnadenlosen Bombardierung ausgesetzt, die das gemeinsame Werk der Ungläubigen im Westen und in Pakistan war. Seither machten die Takfiristen keinen Unterschied mehr zwischen Islamisten, Muslimen und Christen oder auch Pakistanis und Amerikanern: Pakistans Präsident Pervez Musharraf hielten sie ebenso für ihren Gegner wie George W. Bush. Und bevor sie gegen den äußeren Feind antreten konnten, musste der innere Feind beseitigt werden. Diese Haltung erklärt wohl die mehrfachen Anschläge auf Musharraf in den vergangenen vier Jahren.

 Dieses doppelte Feindbild kennzeichnet alle takfiristischen Militanten, ob Al-Qaida-Mitglieder oder verbündete Gruppen. Während sie die Streitkräfte des Westens bekriegen, versuchen sie zugleich den „reinen“ islamischen Staat aufzubauen, an dem sich alle Glaubensbrüder zu orientieren haben. Ihre militante Wendung gegen die muslimischen Staaten brachte sie auch in scharfen Konflikt mit den gemäßigten islamischen Reformern unter den Widerstandsgruppen in Wasiristan. Hinzu kommt, dass sie die schiitische Glaubensrichtung als unerträgliche Abweichung vom Pfad des Glaubens verstehen. Deshalb wird der Krieg gegen die Anhänger dieser islamischen Glaubensrichtung von den Takfiristen parallel zum Dschihad und häufig sogar mit Priorität geführt.

Syed Saleem Shazad

Le Monde diplomatique vom 13.07.2007, von Syed Saleem Shazad