14.09.2007

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Über Unsinn und Nutzen von Hochschul-Rankings von Christophe Charle

Seitdem in der Erklärung von Bologna im Jahr 19991 ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum als Ziel formuliert wurde, hat sich die Hochschulpolitik grundlegend gewandelt. Inzwischen herrscht unter den Universitäten ein Wettbewerb, wie man ihn nur aus der Welt der Konzerne und Aktien kennt.

Europas Universitäten entwickeln sich zu Firmen oder Marken auf einem Markt für Studiengänge und -abschlüsse. Was zählt, sind die Berufsaussichten und zu erwartenden Gehälter der Absolventen dieser „Bildungsinvestition“. Unter den elitären Business Schools, Grandes Écoles und betriebswirtschaftlichen Fakultäten, die besonders auf die Rentabilität der Ausbildung achten, werden inzwischen regelrechte Ranking-Olympiaden ausgetragen. So sind etwa die französischen Wirtschaftskaderschmieden stolz auf ihre gute Position in der internationalen Liga für das Managementstudium zum Master of Business Administration (MBA). Laut Financial Times finden sich „unter den 100 besten Business Schools 57 amerikanische, 27 europäische, 7 kanadische, 2 australische und 2 chinesische“.

Das Prinzip, nach dem diese Rangordnung erstellt wurde, ist schlicht materialistisch. So gehören zu den Kriterien der Bewertung etwa das durchschnittliche Gehalt eines Absolventen drei Jahre nach Abschluss des MBA-Studiums, der Anstieg des Gehalts auf Grund des erworbenen Masters, der Prozentsatz an Festanstellungen und Beförderungen unter den Absolventen nach nur drei Monaten seit Abschluss des Studiums, der Anteil ausländischer und weiblicher Studierender an diesen Beförderungen und die internationale Mobilität der Absolventen.

Da etwas von dem Glanz der Universitäten auf die Absolventen übergeht und der gute Ruf der Institutionen umgekehrt von den Netzwerken der Alumni abhängt, die den Karrieren nachfolgender Abgänger auf die Sprünge helfen können, ist ein Platz in den vorderen Rängen für alle Beteiligten unmittelbar von Vorteil.2 Renommierte Business Schools können höhere Studiengebühren verlangen und damit prominente Lehrkräfte bezahlen. Wer es schon als Student ins Adressbuch solcher Koryphäen schafft, verspricht sich davon wiederum entscheidende Vorteile im späteren Berufsleben.

Spitzenunis garantieren Spitzenverdienste

Die Studiengebühren einer guten Business School richten sich nach dem voraussichtlichen späteren Einkommen. An der Harvard Business School, der angeblich zweitbesten der Welt, können Absolventen drei Jahre nach ihrem Einstieg ins Berufsleben mit einem Spitzenverdienst von 152 733 Dollar (etwa 112 000 Euro) rechnen. Bei jährlichen Studiengebühren von 69 840 Dollar (zirka 51 200 Euro) kann man also die Kosten für zwei Jahre an der Universität mit einem einzigen Jahresgehalt wieder herein holen – eine gute Rendite, wie nicht nur ein Betriebswirt auf den ersten Blick erkennt.

In anderen Rankingsystemen spielt das Geld zwar meist eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, doch sie folgen im Grunde derselben buchhalterischen Logik. Im Mittelpunkt der Analysen stehen nicht die Institutionen, sondern die Gesamtheit des akademischen Personals, das während eines bestimmten Jahres unter dem Dach einer Institution wirkt.

Man fragt in diesem Fall nicht nach dem Nobelpreisträger und der Fields-Medaillen-Gewinnerin, die an der Harvard-Universität oder in Cambridge eine Professur innehaben, sondern prüft, wer während des Untersuchungszeitraums tatsächlich dort forscht und unterrichtet. Nicht berücksichtigt wird dabei, ob jemand seine Meriten vielleicht durch frühere Projekte an anderen Universitäten oder in Zusammenarbeit mit anderen Forschern an anderen Einrichtungen erworben hat. Als Kriterium für eine qualitative Abstufung ist also auch dieser Ansatz zumindest fragwürdig.

Dasselbe gilt für einen anderen beliebten Indikator: die Zahl der Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften. In den Naturwissenschaften, in der Psychologie und in den Wirtschaftswissenschaften existieren heute bereits festgelegte Hierarchien unter diesen Fachblättern. Entscheidend für den „impact factor“ ist in jedem Fall die Publikation auf Englisch.

Das führt zum Beispiel bei dem globalen Universitäts-Ranking der Jiao Tong University von Schanghai so weit, dass drei Viertel des Wissens und der weltweit an Universitäten geleisteten Forschungsarbeit überhaupt nicht berücksichtigt werden.3

Fraglich ist außerdem, ob eine Universität nur deshalb hervorragend ist, weil ein kleiner Teil des Lehrkörpers internationalen Ruf genießt. Die meisten Absolventen verlassen die Universität ohnehin bereits nach dem Diplom oder Magisterabschluss, und auch vom akademischen Nachwuchs haben nur die wenigsten Kontakt mit den Stars der Wissenschaften, auf die sich das Ranking stützt. Trotzdem orientieren sich sowohl die OECD als auch die Europäische Kommission an solch mechanischen Bewertungsverfahren. Und übersehen dabei die Frage, um die es eigentlich geht: An welchen Universitäten werden Studierende am besten ausgebildet?

Die Journalisten des Times Higher Education Supplement stellten ein eigenes Ranking über die 200 weltweit besten Universitäten auf. Dafür griffen sie zu einer anderen Methodik. Nicht einzelne Disziplinen wurden hier hervorgehoben, sondern die Qualität der Lehre. Wundersamerweise holten die französischen Universitäten wieder ein wenig auf, nachdem die bösen chinesischen Mandarine sie zuvor hatten absteigen lassen.

Doch auch hier gibt es keine Überraschungen: Die Hierarchie symbolischer Prestigewerte, die seit eh und je überall auf der Welt von der akademischen Klasse hochgehalten werden, wird nicht angetastet.

Die Universitätsverwaltungen ha- ben inzwischen begriffen, dass man die Bewertungen beim Ranking durchaus manipulieren kann. Bei vielen Entscheidungen spielt die Frage, wie man seine „Punktzahl“ erhöhen kann, eine wichtige Rolle. Nach dem Muster eines Studenten, der sich nur dort ins Zeug legt, wo es sich auch „wirklich lohnt“, stellt man an manchen Fakultäten mehr akademisches Personal an und bevorzugt die am meisten international ausgerichteten Fachrichtungen.

Andere Universitäten verpflichten Nobelpreisträger oder umwerben ausländische Studierende aus bestimmten Ländern. Buchhalterisches Denken dominiert zunehmend Personalentscheidungen, den Umgang mit Studiengebühren, das Lehrangebot, die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft oder mit Mäzenen und die Evaluierung des eigenen akademischen Personals.

In amerikanischen, britischen, australischen, neuseeländischen, italienischen, niederländischen und japanischen Eliteuniversitäten ist dergleichen seit langem üblich. Deutschland hat mit seiner Exzellenzinitiative ein offizielles Ranking eingeführt und belohnt die Gewinner mit zusätzlichen Mitteln für Forschung und Lehre (siehe Kasten). Nach einem Bericht der OECD aus dem Jahr 2005 liegen die italienischen Universitäten, was die Anwerbung von Drittmitteln betrifft, hinter Großbritannien und Spanien auf dem dritten Platz.

Der Anteil der Studiengebühren am Budget der Universitäten wächst und ist umso größer, je mehr internationales Ansehen die Institution genießt. Nicht nur reißen sich die Schulabgänger um einen Studienplatz bei den Gewinnern des Rankings, sondern auch der Staat belohnt die „besten“ Universitäten für ihren Erfolg.

Die britischen Universitäten arbeiten seit über zwanzig Jahren nach diesem Prinzip. Auch unter der Regierung Blair wurden sie darin unterstützt. Seit 2004 dürfen sie ihre Gebühren für einheimische Studierende innerhalb einer Spanne von 1 700 bis 4 400 Euro pro Jahr selbst festlegen. Um sich nicht gegenseitig zu unterbieten, haben sie sich darauf geeinigt, ausnahmslos den Höchstbetrag zu verlangen.

Durch die Begrenzung der Gebühren für inländische Studenten ist den angesehensten Unis des Landes ein finanzieller Vorteil entgangen, den sie nun verstärkt mit der Aufnahme ausländischer Studierender wettmachen, um ihren guten Ruf in klingende Münze zu verwandeln. Ausländische Studierende zahlen in Cambridge nämlich ein Vielfaches der Gebühren für Briten: jährlich 13 302 Euro in den Geisteswissenschaften, 17 428 Euro in den Naturwissenschaften und 32 485 Euro in den medizinischen Fakultäten, außerdem zwischen 4 848 und 6 464 Euro an Einschreibegebühren für eines der Colleges. Hinzu kommen noch die Lebenshaltungskosten, die von den Universitäten auf jährlich rund 10 000 Euro geschätzt werden. Ausländische Studierende in Cambridge stammen fast immer aus wohlhabenden Familien in Entwicklungsländern. Sie entscheiden sich für eine englischsprachige Universität nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung, die wesentlich von deren Bewertung in den internationalen Rankings abhängt.

In Frankreich wurde im Juli 2007 die Autonomie der Universitäten nach britischem Muster per Gesetz erweitert. Seither agiert der Präsident einer französischen Universität wie ein Manager. Es gibt einen Vorstand, der ähnlich wie bei Großbanken dem Präsidenten untersteht. Dieser verfügt mehr oder weniger uneingeschränkt über das Budget und die Räumlichkeiten. Er kann direkt in Einstellungsverfahren eingreifen und Stellen schaffen. Er ist dabei weder an die Verfahrensordnung des öffentlichen Dienstes noch an die Zustimmung universitärer Gremien gebunden und führt seine Universität wie ein Unternehmen. Der Staat als (bislang noch) größter Teilhaber verlangt zumindest kurzfristig keine Rechenschaft.4

Vergessen wird bei all dem, dass die solcherart reformierten Universitäten unter sehr ungleichen Voraussetzungen ins Rennen gehen. Je nach ihrer akademischen Ausrichtung, ihrer regionalen Bedeutung und der Zusammensetzung ihrer Studierenden – also ihrem „Startkapital“ – ist ihr Aufstieg oder Absturz als akademisches Unternehmen vorhersehbar.

Da die Finanzströme den Austausch von Ideen ersetzen, hängt der Status einer Universität künftig von ihrer Fähigkeit ab, Kapital zu mobilisieren und die Rankinglogik zu bedienen. Die jüngste Universitätsreform in Frankreich hat eine doppelte Stoßrichtung: Sie beseitigt oder entwertet einige der letzten Foren für die Kritik an den herrschenden Verhältnissen, und sie legitimiert die wachsende soziale Spaltung der Gesellschaft.5 Wo das hinführt, lässt ein kürzlich veröffentlichter Bericht des US-Kongresses erahnen: Mit Sorge wird darin festgestellt, dass der Wettlauf der Universitäten ums Geld immer mehr Schulabgänger aus der Mittelschicht vom Studium an einer guten Universität ausschließt.

Fußnoten:

1 Die unverbindliche Erklärung von Bologna wurde am 19. Juni 1999 von 29 europäischen Ländern verabschiedet, darunter von den meisten EU-Mitgliedern, den baltischen Staaten und der Schweiz. Ihr Ziel ist es, die Systeme der höheren Bildung in Europa einander anzugleichen. Durch standardisierte Benotungen und Abschlüsse soll auch die Mobilität von Studierenden, Lehrenden und Forschern gefördert werden. 2 Vgl. Ibrahim Warde, „Der Boom der Business Schools“, Le Monde diplomatique, Mai 2000, sowie Alain Garrigou, „Comment Science Po et l’ENA deviennent des business schools“, Le Monde diplomatique, November 2000. 3 So machen hier die in den Zeitschriften Science und Nature veröffentlichten Artikel 20 Prozent der gesamten Bewertungskriterien aus. Das „Shanghai Jiao Tong University Institute of Higher Education“ hat erstmals 2003 ein Ranking über die 500 besten Universitäten weltweit erstellt. Zu den Methoden siehe: ed.sjtu.edu.cn/rank/2007/ARWU2007Methodology.htm. 4 Christian de Montlibert, „Ein Lehrstuhl namens Pernod“, Le Monde diplomatique, Mai 2006. 5 Das gleiche Phänomen lässt sich auch in Großbritannien beobachten. Nach einer Untersuchung des Daily Telegraph vom 26. Juli 2007 sind fast die Hälfte der befragten Eltern aus den verschiedensten Berufen (Ingenieure, Schriftsteller, Programmierer, Polizisten usw.) im Unterschied zu 2002 heute nicht mehr in der Lage, ihre Kinder an die Universität zu schicken. Seit 2000 sind in Großbritannien die Studiengebühren um 41 Prozent gestiegen.

Aus dem Französischen von Herwig Engelmann

Christophe Charle lehrt an der Universität Paris-1-Panthéon-Sorbonne und ist Vorsitzender der Association de réflexion sur les enseignements supérieurs et la recherche (Areser).

Le Monde diplomatique vom 14.09.2007, von Christophe Charle